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Grafische Politik-Monitore

Ein Bild sagt ja der Legende nach mehr als 50 Tweets, und eine Grafik führt meiner Erfahrung nach schneller zu dem Satz „Ja wenn du mir das so erklärst, Batman!“ als 20 dicht beschriebene DIN-A4-Seiten.

Mit der Visualisierung von Daten, im konkreten Fall den Daten der politischen Websphäre in Deutschland, beschäftigen sich daher mittlerweile einige Seiten, die allesamt von PR-Unternehmen oder Agenturen bzw. mit deren Hilfe gestartet wurden.

So bildet das Parteigeflüster von den Mister-Wong-Initiatoren constructiv aus Bremen die Tweets von derzeit vier Parteien ab, während sich Wahlgetwitter (eine Gemeinschaftsproduktion von Sascha Lobo, jovoto und peritor consulting) bemüht, die politische Twitter-Stimmungslage zu reflektieren.

Der Wahlradar (Screenshot oben) von linkfluence und Publicis Consultants nutzt das gleiche Tool, das von den Unternehmen bereits bei Presidential Watch eingesetzt wurde, ist weit aufwändiger gestaltet und beschäftigt sich nicht nur mit Twitter, sondern mit den politischen Ausrichtungen sowie den Verlinkungen von etwa 550 deutschsprachigen Websites. Das Webbarometer von statista und VICO Consulting kommt eine ganze Ecke nüchterner daher (und lässt die Grünen ziemlich alt aussehen), ähnlich auch wahl.de von der Berliner Weg-Agentur Compuccino, die sich um Abbildung von Gezwitscher, Blogs und anderen Social-Media-Aktivitäten einzelner Politiker bemüht.

Der „Wahl im Web Monitor“ (Bindestriche, anyone?) von Weber Shandwicks Blog „daily digital dose“ hinkt visuell genau wie die Sites seiner Mutterfirmen stark hinterher und konzentriert sich auf längere textliche Analysen mit ein paar Grafiken, die selbst Focus zu hausbacken wären.

Und was bringt das alles?

In erster Linie sind solche Werkzeuge als Marketing-Tool für die Agenturen interessant, die ihren Kunden einen unkomplizierten Überblick über Stimmungen und Zusammenhänge im Web verkaufen können; ob dieser tatsächlich repräsentativ ist, sei dahingestellt. Kunden benötigen Daten und Grafiken aus vermeindlich seriösen Quellen, um ihr Handeln zu rechtfertigen, und diese Daten und Grafiken bekommen sie mit den genannten Werkzeugen.

Für nicht professionelle Nutzer bleibt bisher jedoch eher wenig Erkenntnis. So könnte man z.B. beim Wahlradar zwar feststellen, dass sich die CDU ebenso wie die extreme Rechte vornehmlich (und absichtlich?) mit sich selbst beschäftigt und dadurch kaum Nähe zum restlichen „politischen Web“ entsteht, doch das überrascht eher gar nicht. Auch, dass im Netz im Bereich der politischen Personen scheinbar am häufigsten über Frau Merkel gesprochen wird, ist jetzt nicht sooo die Knallermeldung, schließlich ist sie Bundeskanzlerin und damit die bekannteste Politikerin des Landes.

Doch es ist kein Geheimnis, dass ich sowieso Skeptiker bin, was Marktforschung und Trendanalyse angeht. Denn solche Tools können einen Schnappschuss der Vergangenheit, im besten Fall noch der Gegenwart produzieren und danach ins Blaue hinein vermuten — und sie basieren fast ausschließlich auf quantitativen Faktoren. Was sie jedoch m. E. so gut wie nie können: Tatsächliche Innovation und Richtungswechsel vorhersagen oder anhand der vorhandenen Daten gar dermaßen analysieren, dass die verschiedenen Herleitungen zu einer wirklichen, wahrhaftigen Antizipation von Ereignissen oder Bedürfnissen führen. Wir werden also weiter ohne Hellseher auskommen müssen, und beinahe hätte ich „Gott sei dank!“ getippt.

SMS, iPod/ iPhone, Twitter: Produkte, die kaum oder gar nicht durch Datenanalyse, Marktforschung oder Monitoring enstanden sind, sondern durch Zufall und Gespür, zwei extrem schwer planbare Faktoren. Genau diesen Produkten jedoch rannte oder rennt man hinterher und blickt dabei dauernd zurück, ob einem auch wirklich niemand folgt. Tatsächliche Innovatoren blicken jedoch nicht zurück, sondern nach vorn.

Und wer mal wirklich abgefahrene Datenvisualisierung sehen möchte, der schaut bei We Feel Fine vorbei.

(Ergänzungen zur Liste der aktuellen politischen Visualisierungen? Bitte gerne!)

(Dank an Precious Forever für den wefeelfine-Hinweis und an Tanja für inhaltlichen Input. Hinweis: Sascha Lobo ist einer unserer Geschäftspartner bei adnation, aber in allen anderen seiner Arbeitsbereiche schon ganz schön selbständig für sein Alter.)

7 Kommentare

  1. 01

    Der Screenshot sieht nett aus – das muss ich zugeben. Aber ob man dadurch irgendwelche Erkenntnisse gewinnt? Da habe ich meine Zweifel.
    Schließlich ist es äußerst schwierig das Web als solches nach Meinungen zu Filtern. Aus verschiedenen Social-Communities die Einträge bei „Poltische Orientierung“ auszulesen dürfte wenig erfolgversprechend sein. Insgesamt sind natürliche Sprachen vermutlich ohnehin kaum für Maschinen auszulesen. Wie wäre beispielsweise ein Gedicht auf einem Blog das sich ganz klar gegen Regulierung staatlicher Seite zu verstehen? Kann man das einer politischen Richtung zuordnen. Wahrscheinlich – wenn der Autor sich auch darüber hinaus auch noch etwas von seinen Ansichten preisgibt, umso mehr.
    Jedoch würde solch ein Aufwand weder für Menschen, noch automatisierte Vorgänge zu leisten sein – und so müssen wir uns mit irgendwelchen drittklassigen Daten abfinden.
    Zumal – im Internet ist auch nicht alles immer alles automatisch auffindbar. Deepweb, von außen nicht verlinkte „Internet-Welten“ werden wohl kaum berücksichtigung finden.

    Das alles ganz unabhängig davon wie gut das Verfahren ist und wie anschaulich die Grafik seien mag. Im Moment hat man eher den Status von Flickerei.

  2. 02
    Martin2

    Die Tweets der Politiker haben meist wenig politischen Inhalt. Parteigeflüster bringts da nicht so wirklich. Da finde ich Wahlgetwitter schon besser. Die Visualisierung der Balken könnte noch etwas peppiger sein.
    Solche Anätze wie bei Wahlradar finde ich großartig. Die kommunikativen Zusammenhänge zu visualisieren finde ich toll. Als Besucher wäre es toll, wenn das noch intelligenter gestaltet werden würde und die Qualität (also Zu-oder Abneigung) der Kommunikation stärker im Vordergrund stünde. Um gewißermaßen die politischen Frontlinien abzubilden z.B. rechte Partein vs. Watchblogs, deren Zusammenhänge derzeit neutral dargestellt werden. Das wäre dann auch insbesondere interessant hinsichtlich der Berichterstattung von Medien wie welt.de oder spiegel.de ob der Vermutung dass sich dort auch Zu – Abneigungen abbilden lassen.
    Apropos Sascha Lobo und Selbstständigkeit. Mich würde wirklich mal interessieren wer Sascha Lobo das twittern beigebracht hat.

  3. 03

    Solange man sich die Daten durch irgendwelche ausgedachten Funktionen und Parameter ansaugt und visualisiert, kann da gar nichts repräsentatives heraus kommen.
    Beispiel Wahlgetwitter: Wenn die SPD besonders oft durch ihren Twitterverteiler irgendwelche inhaltslosen Floskeln mit #spd+ jagt, dann steht sie bei Wahlgetwitter gut da. Das Ergebnis auf Wahlgetwitter wird dadurch aber insofern verzehrt, als das es dann eben besonders viele der inhaltslosen Floskeln beinhaltet. Wirklich valide ist das ganze dann aber nicht.
    Wenn man ein wirklich aussagekräftiges Bild haben möchte, dann muss man da vor allem noch von Hand nachbereiten.

  4. 04

    Um die Liste solcher Seiten zu vervollständigen, sei auch noch das Pressebarometer an der Universität Leipzig erwähnt:
    http://wortschatz.uni-leipzig.de/pressebarometer/

    Grundlage sind hier täglich erhobene Daten der Webseiten verschiedener deutscher Tageszeitungen und Fernsehsender. In Bezug auf Interaktivität und optischem Glanz fehlt aber noch einiges. Dafür liegen die Daten seit Mitte 2005 vor.

  5. 05

    Ich halte diese lustige Karte aus zwei wichtigen Gründen für unglaublich sinnvoll:
    1. Sie sieht ganz schön schick aus, eigentlich. Ein bisschen zu viel braun vielleicht, aber das kann man sich ja wegdenken.
    2. Sie ist gut für mein Ego, denn ich stehe drauf…

  6. 06

    Fühle mich ob der Flut an Informationen überfordert.
    Denke nochmals über eine passende Antwort nach. ;-)