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Lieberman und die Zukunft in Nahost


Gestern Abend kam Avigdor Lieberman, der neue israelische Außenminister, auf einen Antrittsbesuch nach Berlin. Der Empfang soll kühl gewesen sein. Man kann nicht sagen, dass die deutschen Medien zögerlich waren in ihrer Kritik bei seiner Amtseinführung: Zu seiner Amtseinführung gab es eine Menge kritischer Kommentare in den Medien. Ein Araberhasser sei er, ein Ultrarechter, ein Rechtspopulist. Als Vergleichsperson halten immer wieder Jean-Marie Le Pen und Jörg Haider her. Gideon Levy, israelischer Journalist, sagte über ihn: „Wenn so einer wie Lieberman in einer europäischen Regierung einzöge, würde Israel die Beziehungen zu ihr abbrechen.“ In israelischen Medien gilt er teilweise als Rassist oder Faschist.

Lieberman hat einiges dafür getan, dass ihm dieser Ruf vorausgeht. Er hat bereits öffentlich den ‚Transfer‘ gefordert, wie man die Massenvertreibung der Palästinenser aus Israel nennt. Von den arabischen Israelis hat er einen Treueeid auf das Land gefordert, was überall eine aggressive Geste gegenüber einer Minderheit gewertet worden ist. Und er ist für seinen Nationalismus berüchtigt. Als Journalisten ihn einen seiner engsten Vertrauten fragten, wemgegenüber er loyal gewesen wäre, wenn er im Deutschland des Dritten Reiches gelebt hätte, antwortete er kurz und prägnant: „Dem Staat.“ Das ist die eine Seite.

Andererseits bekommt Lieberman aus unerwarteten Ecken Verständnis für seine Position. Hanin Zoabi, die für die arabisch-israelische Partei Balad in der Knesset sitzt, ist die Position Liebermans lieber als die des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu: der hatte, weil er eine Zweistaatenlösung nicht in Betracht gezogen hatte, keinen Anlass, den jüdischen Charakter des Staates Israel zu betonen. Anders Lieberman: die Palästinenser, so Zoabi, „leben in einem jüdischen Staat und haben das so zu akzeptieren.“

Inwiefern Liebermans Bejahung der Zweistaatenlösung politisches Kalkül und Hinhaltetaktik ist, wird sich erst noch zeigen. Das ein palästinensischer Staat nötig ist, darauf haben sich sowohl die EU als auch die USA bereits verständigt. Netanjahu wird, wenn Obama und die EU ihre Linie beibehalten, wenig Sympathien ernten in der westlichen Welt, wenn er sich weiterhin weigert, mit Syrien über die Golanhöhen zu verhandeln und den privaten Siedlungsbau zu unterbinden.

Lieberman hat in seiner Antrittsrede erklärt, sich zwar an die road map halten zu wollen, fühlt sich aber nicht an die Ergebnisse des Annapolis-Vertrages gebunden. Der allerdings ist bereits letztes Jahr so gut wie gescheitert. In dieser Hinsicht ist Liebermans Position keine signifikante Bedrohung für den Status quo.

Wie hoch der Leidensdruck werden muss für beide Seiten, bis es zu der einen oder anderen Lösung des Nahostkonflikt kommt, und wie schnell diese Lösung dann umgesetzt wird, ist fraglich. Hierzulande werden ja in erster Linie die politischen Entscheidungen diskutiert (sofern man Krieg als Fortführung der Politik sieht). Und dabei werden natürlich auch in erster Linie die vier Problempunkte aufgezeigt, die es zu verhandeln gilt: die Außengrenzen des Staates Israel, die Flüchtlingsfrage, die Siedlungen und Jerusalem. An der Diskussion der Lösung sind schon deutsche Kleinfamilien zerbrochen.

Was dabei gerne übersehen wird: Obwohl Israelis und Palästinenser in zwei verschiedenen Gesellschaften leben, sind sie derart stark miteinander verzahnt, dass auch bei einer Zweistaatenlösung eine Zusammenarbeit unabdingbar wäre.

Beispiel Umwelt: Es steht nicht gut um das Ökosystem in Israel. Das Land hat so gut wie keine Wälder, die meisten Flüsse sind vergiftet, das Tote Meer wird nicht mehr auferstehen, über den See Genezareth können demnächst auch Touristen wandeln, weil der Salzgehalt stetig steigt, und die Region um den Hulah-See ist inzwischen eine Wüste, das Grundwasserreservoir leert sich beängstigend schnell. Zwar steht eine unmittelbare Wasserkatastrophe nicht bevor, aber es ist ein bedrohliches Zukunftsszenario. Ein gutes haben Katastrophendrohungen dann doch: sie schweißen zusammen. In dem Fall Palästinenser und Israelis. Die zweite Intifada hatte das Ende fast aller Verträge bedeutet, aber die Wasserklausel von Oslo II blieb in Kraft. 2002 nannte das israelische Außenministerium die Zusammenarbeit in Umweltfragen „ausgezeichnet“.

Beispiel Wirtschaft: Der paläsitnensische Staat ist hochgradig abhängig von den Arbeitsplätzen in Israel, während Israel seinen Entwicklungsstand weder halten noch ausbauen können wird, sollten die billigen arabischen Arbeitskräfte nicht mehr im Land arbeiten können. Die zweite Intifada war nicht zuletzt eine wirtschaftliche Katastrophe, die zwar die Palästinenser deutlicher traf, aber auch nicht spurlos an Israel vorbeigegangen ist.

Vielleicht hat auch deswegen Lieberman, während er in Frankreich war, als eines seiner drei wichtigsten Ziele genannt, die ökonomischen Bedingungen im Gazastreifen und in Transjordanien zu verbessern. Andererseits zeigte er sich uneinsichtig in einem der Hauptkonfliktpunkte: Nicht die Kolonisation und der Besatzungsstatus seien das Problem, sondern der Iran und seine Versuche, sich atomar zu rüsten.

Lieberman selbst zählt unter die Gegnerschaft Ahmadinedschads einige arabische Länder: es wird sich erst noch zeigen, inwiefern die Regierung Netanjahu bereit sein wird, politische Zugeständnisse wie den Siedlungsabbau zu machen, um in Nahost wenn auch keine Freunde, so doch Verbündete finden zu können. Und inwiefern die EU und die USA israelische Außenpolitik beeinflussen können.

25 Kommentare

  1. 01
    metterson

    Sehr treffende und gut geschriebene Analyse.
    Da muss sich mal was bewegen. Nicht nur auf der Seite von Israel, sondern auch in den Anrainerstaaten.

  2. 02

    „Wie hoch der Leidensdruck werden muss für beide Seiten, bis es zu der einen oder anderen Lösung des Nahostkonflikt kommt, […]“

    Das Problem dieses (und vielleicht auch allgemein: solcher) Konflikts ist ja grade, das bei höherem Leidensdruck beide Seiten nicht etwa lösungsbereiter, sondern vielmehr gewaltbereiter werden, und damit den Konflikt verschärfen.

    Ein steigender Leidensdruck bringt beide Seiten daher nicht näher an eine Lösung, sondern näher an die endgültige Katastrophe. Ein Teufelskreis halt.

  3. 03
    Ilya

    Leider wird zu spät eingesehen, dass der „Transfer“ die einzige friedliche Möglichkeit gibt den Nahostkonflikt ohne Blutvergießen zu lösen.
    Damit würde man eine klare Trennung zwischen einem jüdischen Staat (ca 6 Millionen Einwohner) und den Arabischen Nachbarn (ca.300 Millionen Einwohner) vollziehen.

  4. 04
    Frédéric Valin

    Ein „Transfer“ ist eine Völkervertreibung und damit ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Landstriche zu säubern ist keine Lösung.

  5. 05

    Hach ja der Fred relativiert mal wieder unsere kleinen deutschtümeligen Problemchen.
    Danke.

  6. 06
    corax

    Die „Zwei-Staaten-Lösung“ hat sich eh bald „žerledigt“.
    Karte zur Verdeutlichung.

  7. 07

    Was sind deutschtümelige Problemchen?

  8. 08

    Die Netzsperre ist zwar ein dicker Hund aber ein Fliegenschiss gegen einen Transfer.

  9. 09
    corax

    @#715661: Dafür solltest du 50.000.000.000,00 Euro ins Phrasenschwein werfen müssen.

  10. 10

    @#715663:
    OK.
    Hab ich gerade bei der Hypo Real Estate eingezahlt.

  11. 11
    Frédéric Valin

    @#715665: Irgendwann kommt das dann auch wieder bei uns an…

  12. 12
  13. 13
  14. 14
    Frédéric Valin

    @#715816: Was genau soll das denn jetzt bitte heißen? Wars der Versuch, zwanghaft eine politisch inkorrekte Meinung zum Besten zu geben, damit man auch was gesagt hat? Oder ist das Dein erster Reflex, wenn Du was zu Israel liest?

  15. 15
    zion

    was hat denn der golan mit einem evtl 2. palästinensischen staat zu tun?

    und warum neben jordanien einen weiteren palästinensischen staat gründen?
    warum nicht einfach die westbank an jordanien angliedern?

    hier – wie in den meisten deutschsprachigen texten – werden einige details übersehen:
    die road map sieht vor allen dingen eine sache vor. bevor irgendetwas geschieht sollen die arabischen terrororganisationen (hamas, fatah uns andere) entwaffnet werden und die palästinenser dem bewaffneten kampf abschwören.
    das ist der erste punkt der road map. anschließend soll israel dann – NACHDEM dieser punkt erfüllt wurde – seinen verpflichtungen nachkommen.
    aber genau diesen punkt lehnen die palästinenser – bzw ihre führer – ab.
    sie wollen land und versprechen dafür auf terror zu verzichten. also terror, und wenn die andere seite nachgibtm, dann eben vielleicht nicht mehr.
    irgendwie eine verquere logik.
    und immer wieder soll israel die vorleistung erbringen.
    tatsächlich aber sind die palästinenser bis heute nicht ihren verpflichtungen nachgekommen.

    inwiefern transfer notwendigerweise als vertreibung gesehen werde muss, ist mir nicht ganz klar.
    lieberman spricht meines wissen davon, dass große teile galiläas, die hauptsächlich von arabern bewohnt werden, teile eines palästinenischen staates werden könnten. und umgekehrt siedlungsblöcke in der westbank teil israels werden.
    was daran „völkerrechtswidrige vertreibung“ sein soll, ist mir schleierhaft.
    andererseits kann man davon ausgehen, dass der ein oder andere – vmtl eine mehrheit – der arabischen bewohner galiläas es vorziehen würden, in israel zu verbleiben. schliesslich geniesen sie dort alles bequemlichkeiten, die ein leben in einer westlichen gesellschaft mit sich bringt.

  16. 16

    Ich zitiere aus eurem Quellenartikel zu der Treuefrage:

    „David Rotem“™s leitmotif is allegiance to the state, but he never spells it out. So much so that, before leaving, we put it to him: „Imagine yourself in Nazi Germany. Where would your loyalty lie?“ „To the state,“ he replied, without blinking an eye. That retort, given in the Knesset building in Jerusalem, left us stunned, particularly since he went on to tell us how his father left Germany when Hitler came to power.

    Rotem is a lawyer, former deputy speaker of the Knesset, prospective director of the new Law Commission and close confidant of Avigdor Lieberman, the leader of the Yisrael Beiteinu Party (Israel is Our Home).“

    In eurem Artikel im zweiten Absatz wird die Aussage fälschlischerweise Liebermann zugeordnet, wohingegen es nur ein „enger Vertrauter“ ist. Da hat wohl einer zu schnell gelesen.

    Außerdem ist der Mann ja Außen- und eben nicht Innenminister. Seine Wahlkampfaussagen und populistische Stunts lassen nicht auf die Qualität seiner Amtsausführung und Linientreue zur road map schließen. Bei Auftritten wo er offensichtlich zu seinen Wählern sprach, redete er über Themen in denen er heute kein Mitspracherecht hat. Insofern wird der Mann hier etwas stark dämonisiert. Nur weil er eine rechte Linie fährt ist er ja nicht gleich Faschist und Adolf-Fan, wie ja hier nicht nur mit dem falschen Zitat impliziert wird.

    Der Staat Israel kann meiner Meinung nach einen starken Mann in der Regierung gut vertragen. Wenn man sich ein bisschen mit den Israelis beschäftigt merkt man, dass es eine grosse Menge von Patrioten gibt, denen es nicht peinlich ist auf ihr Land und seine Geschichte stolz zu sein. Dieser Zusammenhalt ist aus einer Art Manifest Destiny und Schicksalsbewusstsein entstanden, der aus hiesiger, also deutscher Sicht natürlich nicht mehr vorstellbar ist.
    Es gibt viel Literatur und Filme die einen diesen starken Volksgedanken sehr gut vermitteln, im negativen wie auch im positiven, zum Beispiel „Waltz with Bashir“.

  17. 17
    Frédéric Valin

    @#715956: Das Zitat ist mein Fehler. Danke für den Hinweis.

  18. 18
    Bernd

    Passend zum Thema kam gerade ein Newsletter rein, der ein Musikvideo ankündigt zu Israel & Palästina. Kuriose Vorstellung, funktioniert aber ziemlich gut!

    HATTLER – Assalamu Alaikum
    http://www.youtube.com/watch?v=jrcJI3RxwZA&fmt=22

  19. 19
    free palestine

    @#715860:Transfer ist nicht schlimm und keine vertreibung? Okay, genau! Dann habe ich einen Gegenvorschlag – Du sagst es ja schon, „Israel“ ist eine westliche Gesellschaft! Warum gehen dann die 6 Millionen Juden nicht in die verschiedenen Länder des Westens als weiter das Blut der Palästinenser zu vergiessen und ihr Leben zum Alptraum zu machen und auf deren Kosten zu leben und deren Früchte zu ernten
    Dies wäre nämlich die friedlichste aller Lösung. Ein Haus (in diesem Falle Staat), dwo die gesamte Statik nicht stimmt und auf wackligen Fundamenten gebaut ist, wird früher oder später einstürzen. Dies wird auch mit „Israel“ geschehen.

  20. 20
    Bernhard

    @#717370: Im Ernst? Was ist das denn für eine infantile und realitätsfremde Meinung?! Lächerlich. Bist du bei der Antifa?

  21. 21
    free palestine

    @#717378: Infantil? Das was ich geschrieben habe basiert auf einer CIA Studie: „Israel will fall in 20 years“. Viele sogenannte jüdische „Israelis“ werden auswandern.
    The CIA report predicts „an inexorable movement away from a two-state to a one-state solution, as the most viable model based on democratic principles of full equality that sheds the looming specter of colonial Apartheid while allowing for the return of the 1947/1948 and 1967 refugees. The latter being the precondition for sustainable peace in the region.“

    The study, which has been made available only to a certain number of individuals, further forecasts the return of all Palestinian refugees to the occupied territories, and the exodus of two million Israeli – who would move to the US in the next fifteen years.

    „There is over 500,000 Israelis with American passports and more than 300,000 living in the area of just California,“ International lawyer Franklin Lamb said in an interview with Press TV on Friday, adding that those who do not have American or western passport, have already applied for them.

    „So I think the handwriting at least among the public in Israel is on the wall“¦[which] suggests history will reject the colonial enterprise sooner or later,“ Lamb stressed.

    He said CIA, in its report, alludes to the unexpectedly quick fall of the apartheid government in South Africa and recalls the disintegration of the Soviet Union in the early 1990s, suggesting the end to the dream of an „˜Israeli land“™ would happen „˜way sooner“™ than later.

  22. 22
    zion

    @#717370:

    die orangen im garten meiner freundin gehoeren keinem palaestinenser.
    und fuer blutvergiessen sorgen die schon selbst, dazu brauchen sie keine israelis.

    die zahl 6 millionen gefaellt dir, nicht wahr?!

    ich kann dir sagen, warum die juden von hier nicht weggehen.
    israel ist das land der juden und sie haben hier immer gelebt.
    hier gab es immer juedische gemeinden, das hat sich unter roemischer, unter arabischer, unter osmanische und auch unter britischer besatzung nicht geandert.

    kus emek!

  23. 23

    Mein Beitrag dazu in ein Video zusammengestellt:

    http://www.youtube.com/watch?v=qYaC08qwBio

    Liebe grüße Alessandro