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Bundesligaspieltag 1 – Mal was ganz anderes

Um diesen Post zu verstehen, muss man wissen, dass ich hier in Ueckermünde sitze. Ueckermünde hat einen Hafen, einen Tierpark und einen Schiffsfriedhof, aber keine einzige Fußballkneipe, die Samstagnachmittag die Bundesliga zeigt. Es gibt hier insgesamt sehr wenig Kneipen, dafür einen Haufen Versicherungsvertreter, Notare, Buchprüfer und Steuerberater.

Es scheint da eine Art Gefälle zu geben. Gestern hat Gerhard Schöne auf dem Kirchplatz gespielt, sein letztes Lied war „žIn excellsis deo“. Danach ist eine Gruppe von mindestens vierzig Rentnern unter lautem Absingen volkstümlicher Lieder in einer Polonaise über den Marktplatz gelaufen. Das glaubt mir jetzt kein Mensch, es ist aber die Wahrheit. Wer so ein Krampfader-Kampfgeschwader 317 zur allgemeinen Belustigung hat, braucht vermutlich keinen Fußball.
Ich sitze hier und drehe wie wahnsinnig an meinem Kofferradio herum. Irgendwo müssen die hier doch die Bundesligakonferenz übertragen, stattdessen berichten sie über einen „žschweren Unfall“ in Rostock, fünf betroffene Fahrzeuge, ob es Verletzte gab, weiß der Außenreporter noch nicht.

Wolfsburg — Stuttgart 2:0

Ich habe selten Bundesligakonferenz gehört, im Grunde nie, außer ich stand irgendwo im Stau. Das ist vermutlich das dritte Mal. Seit fünf Jahren schaue ich Konferenz, obwohl Konferenz nervt. Man kriegt im Grunde vom Spiel überhaupt nichts mehr mit. Die Konferenz, das ist das epileptische Zucken eines nervösen ADS-Kindes. Vor lauter Tor hier und Tor da und Elfmeter ganz wo anders und Himmel, ist das spannend und noch ein Schnitt und noch ein Schnitt und wir schalten rüber nach Dingenskirchen… jetzt hab ich den Faden verloren. Und am Ende muss man doch wieder Sportschau kucken.

Berlin – Hannover 1:0

Die Sportschau war einmal, das ist lange her, ein grundsolides, unspektakuläres Nachrichtenorgan, das relativ plump und ohne großes Tratra die Ergebnisse präsentiert hat. Dann kam Beckmann und hat mit ran und vor allem ranissimo einen riesengroßen Haufen Infotainment-Kack ins Privatfernsehen gesetzt. Als die ARD die Bundesligaberichterstattung zurückgekauft hat, hat sie diese ganze Inszenierung miteingekauft. Inzwischen sieht selbst ein langweiliges Spiel im Zusammenschnitt spannender aus als damals die Berichterstattung über das 7:4 der Lauterer gegen die Bayern, ihr wisst schon wann. Das hat mehr mit einer RTL-Chartshow zu tun als mit einem Spiel, das man auf dem Feld sieht.

Bremen — Frankfurt 2:3

Ich war selten im Stadion, das liegt daran, dass ich in einer Service-Wüste in Sachen Bundesliga aufgewachsen bin. Die nächsten Bundesligisten (Stuttgart, Freiburg, Bayern und 60) waren alle mindestens 200 Kilometer entfernt. Mein erstes Spiel im Stadion war ein 2:0 der Bayern gegen Waldhof Mannheim, das Olympiastadion war derart leer, das Spiel dermaßen langweilig, dass wir in den Rängen fangen gespielt haben.

Mainz — Leverkusen 2:2

Eigentlich muss man ja in der Gegengeraden stehen, da hat man den besten Blick, da hat man das Spiel vor sich, da ist man der Maurizio Gaudino unter den Fussballfans. Man sieht, wann was Abseits war, wann wer wen umgehauen hat und wie schlimm das mit dem Umhauen jetzt gewesen ist. Das ist sehr sehr langweilig. Während man hinter dem Tor noch über diese Situation in der 17. Minute diskutiert, als auf der anderen Seite der eigene Stürmer umgefallen ist, die Gründe erörtert und sich gegenseitig auf Grund von Uneinsichtigkeit Schläge androht, hat der Maurizio Gaudino nur noch die Wahl, wie er damit umgeht, dass da jetzt ein unberechtigter Elfmeter war. Bescheid wissen ist keine Alternative. Sondern öde.

Nürnberg — Schalke 1:2

Da die Stadien so weit entfernt waren wie Mekka, haben wir viele unterklassige Mannschaften gesehen, Kreisklasse B oder A, die Dorfmannschaft. Ein Spielaufbau wie Badminton, hoch und weit und möglichst rüber, alle hinterher und sich um den Ball gekloppt auf einem Rasen, der aussah, als wäre er betrunken. Mindestens vier Kreuzbandrisse pro Saison pro Mannschaft, zusätzlich zu den vom Gegner verursachten Schien- und Wadenbeinbrüche, ein Kreisligaspiel ist Krieg. Man ahnt in solchen Momenten, dass Rugby und Fußball Brüder sind, und dass Rugby der ältere der beiden ist. Und der neurotischere.

Dortmund – Köln 1:0

Jetzt sitze ich hier in Ueckermünde und denke, dass eigentlich jede Art, Fußball zu schauen, viel beschissener ist als selbst zu spielen. Das Kofferradio ist ausgefallen, in dem Moment, als Özil den Elfmeter gemacht hat, und ich sitze hier mit Blick auf dem Marktplatz, die Sonne scheint, neben mir steht ein kleines Radler, die Rentner sind weg, das Kofferradio schweigt. Um 17 Uhr macht auch noch mein Internet zu, das glaubt mir auch kein Mensch, weil der Buchladen im Erdgeschoss ins Wochenende geht und seinen Router ausstöpselt. Nachher kauf ich mir nen Ball und spiel gegen die 40 Rentner Ball aus der Luft.

Nächstes Wochenende dann wieder Konferenz. Allein schon die Töpperwien nicht hören zu müssen, hat schon was für sich.

18 Kommentare

  1. 01

    Ja, das Leben in der Diaspora….

    Ich höre seit 2 Jahren wieder auf Info-Radio die Fußballübertragungen und finde sie sehr erheiternd, aber dies Töpperwien und die Andere (vergesse immer den Namen) gehen gar nicht und ja da bin ich gerne mal nicht der Frauenversteher.

  2. 02

    @Autor

    Armes Hascherl der Du bist. ;-)

    Wahrscheinlich wurde u. wird soviel im Zusammenhang Bundesliga
    geworben, um Begehrlichkeiten zu wecken, wo eigentlich keine Not
    herrscht.

    Nutze die Möglichkeit und grüße hiermit den FC Arschfaltenbach.

  3. 03
    jan

    ich steh total auf radiokonferenz. bis auf die töpperwien.

  4. 04
    Schmierwurst

    Ich finde die Töpperwien gar nicht so schlecht. Zumindest besser als ihren Bruder.

  5. 05

    Ich bin auch ein Fan der Radiokonferenzen. Gehören zum Samstagnachmittag einfach dazu. Genauso wie alle Reportertypen in den Stadien…

  6. 06
    Termite

    Samstag, Bundesliga, Radiokonferenz. Erinnerungen an alte Zeiten werden wach. Erinnerungen an Kommentatoren, wie Werner Hansch, Gerd Rubenbauer und die alten Haudegen der Bundesliga Radioberichterstattung.
    Heutzutage nicht mehr Zeitgemäss. In den Zeiten von Premiere/Sky, Liga Total und einer animierten Sportschau, vollgepackt mit virtuellen Hilfsmitteln und neuester Technik.
    Mit Sportmoderatoren, die eher Sportstatistiker sind und ihre vorgefertigten Kommentare von Monitoren ablesen, oder sich alles über den berühmten Knopf im Ohr vorsagen lassen.
    Hörfunkreporter, die jede Woche aus den Stadien berichten, machen ihren Job doch sehr ordentlich. Ohne viele techniche Hilfsmittel und mit entsprechender Spontanität, vermitteln sie uns Woche für Woche ein Stück Bundesliga.
    Auch Frau Töpperwien macht das eigentlich ganz gut.
    Wer schon einmal versucht hat ein Fussballspiel live zu kommentieren, der wird wissen, wie schwierig das ist.
    Probiert es doch mal aus.

    viele Grüsse
    Termite

  7. 07
    Lebedjew

    Dass die Schlusskonferenz eigentlich eine „WDR-Schlusskonferenz“ war, korintenkackt nur jemand, der, weil er gerade in Bayern leben musste, jedesmal um viertel vor fünf vom allgemeinen Informationsfluss abgeschnitten wurde, weil (und jetzt wird allein durch die Namensgebung deutlich, dass es noch Schlimmeres als Sabine Töpperwien gibt) FRANZ MUXENEDER live aus der Landesliga, Plattling gegen Daglfing, berichtete.

  8. 08
    Martin

    Die Töpperwien finde ich auch ganz ok.

  9. 09

    Nee, also Radiokonferenz höre ich eigentlich immer wieder ganz gerne, wenn ich nicht zu Hause bin und mir die Spiele live anschauen kann. Aber die fiesen Ausrufe, wie: „Was für ein herrliches Tor, vielleicht das Tor der Saison“ – sowas ist dann halt bitter…!
    Aber grundsätzlich würde ich immer sagen: Fußball MUSS man sehen, nicht hören

  10. 10
    archeophyt

    „Das hat mehr mit einer RTL-Chartshow zu tun als mit einem Spiel, das man auf dem Feld sieht.“

    Sowas darf man denken, aber nicht schreiben. Sonst liest das am Ende noch irgendein ARD-Redakteur, hält es für eine gute Idee und bevor man sich versieht lallen B-Promis sinnfreie Kommentare in die Reportage hinein.

  11. 11

    Echte Fans fahren auch 200km bei Heimspielen zu Ihrem Club, wegen das Live-Erlebnisses alleine schon! Darüber hinaus finde ich die Radio-Konferenz von WDR2 recht gut. Frau Töpperwien gibt sich Mühe. Ansosnten bleiben noch diverse Internet-Live Streams, die sowohl in Konferenz als auch Einzelspiel angeboten werden. Bleibt für den Verfasser des Artikels nur zu hoffen, dass um 17Uhr alle Spiele abgepfiffen werden, unabhängig davon wie lange noch zu spielen ist…

  12. 12

    also ich mag die Töpperwien auch. war als kleiner junge sogar mal ein bisschen in sie verliebt. ich mein, eine frau, die was von fußball versteht!?

    (achja, und ich war in meinem leben auch erst äußerst selten im stadion, obwohl ich früher nur 30 km von dortmund gewohnt habe und mittlerweile in mainz, also sehr nah an meinem lieblingsclub frankfurt lebe. aber mittlerweile interessiere ich mich ja auch nicht mehr so sehr für fußball wie als kleiner junge)

  13. 13
    martin

    …ja, in solchen situationen lernt man die zivilisatorischen vorteile von größeren siedlungen zu schätzen. genauso unangenehm: funklöcher und tankstellen, die mit sonnenuntergang dicht machen.

  14. 14
    Chris

    Das 6:6 zwischen Schalke und den anderen (Mai 1984) musste ich in einem Jugendherbergskeller in Niddeggen (Eifel) erleben. Die Radioverbindung meines tragbaren Radios war so schlecht, manchmal wussten wir minutenlang nicht, wie es steht, bis der Reporter wieder zu hören war. Werd ich nie vergessen, war aber keine Freude.

  15. 15
    graup

    lol ich war am Wochenende auch da in der Ecke! Aber selbst in Altwarp gab es beim lokalen Gastrobetrieb (um nicht zu sagen Restaurant) Sky und Beamer mit Leinwand.