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Das TV-Duell: Mindesthohn für alle

Das muss man der BILD-Redaktion lassen: Die Headline „Yes, we gähn“ ist in Bezug auf das gestrige TV-Duell zwischen Angela Merkel (die vom jüngeren Sohn heute morgen in „Angeber Merkel“ umgetauft wurde) und Frank-Walter Steinmeier nicht die schlechteste.

Man kann auch den meisten anderen Presse-Kommentaren kaum etwas hinzufügen. Das, was man gestern beobachten konnte, war nichts anderes als der gemeinsame Wunsch nach Fortführung der großen Koalition. Die Abschlussrede der Bundeskanzlerin hätte auch von Helmut Kohl stammen können oder, wenn man ehrlich ist, von beinahe jedem anderen eher konservativen Politiker. Seitdem ich politische Aussagen verfolge, also seit etwa 30 Jahren, höre ich die gleichen Statements: Wir schaffen Arbeitsplätze, denn jeder muss ein Recht auf fair bezahlte Arbeit haben, wir machen die Armen reicher und die Reichen etwas weniger reich, wir kümmern uns um Familien, denn Kinder sind unsere Zukunft usw. usf. — Allgemeinplätze eben.

Dass eventuell etwas Grundlegendes im System nicht mehr stimmen könnte; dass Vollbeschäftigung ein Märchen ist; dass unser Sozialsystem nie für eine Dauer von mehr als ein paar Jahrzehnten ausgelegt war und spätestens nach Mauerfall nicht mehr funktionieren kann; dass der Wunsch nach besserer Bildung auch entsprechende, rasche Umstrukturierungen benötigt; dass sich eine Informationsgesellschaft anderen Herausforderungen gegenüber sieht als eine Industriegesellschaft; dass Familien im 21. Jahrhundert nicht mehr unbedingt Vater, Mutter, Kind sind … dies alles wird man wohl kaum aus dem Mund eines Politikers im Wahlkampf hören. Unsicherheit zu zeigen oder zuzugeben, dass man für viele Bereiche neue Lösungen erst noch entwickeln muss, wäre der politische Tod für jeden, der an die Macht will oder dort bleiben möchte. Wähler, die mit Steuersenkungsversprechen plus (vielleicht) weniger Boni für Manager zufrieden sind, muss man nicht unnötig aufscheuchen: Mindesthohn für alle.

Auf der einen Seite kann ich dieses Verhalten verstehen. Ich verstehe, dass man sich noch nicht wirklich in die öffentliche Debatte um ein Grundeinkommen, welches sicher von allen Parteien ernsthaft geprüft wird, begeben mag, verstehe auch, dass man den Wählern nicht ins Gesicht sagen möchte, dass die Zeiten, in denen man als Arbeitnehmer sein gesamtes Leben bei einem einzigen Konzern verbracht hat, vorbei sind. Und eine generelle Debatte um die Neudefinition der Begriffe „Arbeit“ und „Einkommen“ wird wohl noch einige Jahre auf sich warten lassen. Denn Wählerstimmen bringt das alles mit ziemlicher Sicherheit nicht — Ehrlichkeit einzufordern und sie dann auch ertragen zu können sind wahrscheinlich bei uns allen zwei sehr unterschiedliche Fähigkeiten, deren gleichzeitige Existenz niemand voraussetzen kann.

Trotzdem. Ein Mindestmaß an Mut hätte gestern wenigstens zu einem gemeinsamen Wahlaufruf für die große Koalition führen können. Die offene Bitte an die Wähler um mehr Zeit für die aktuelle Kombination wäre geradezu eine Sensation gewesen und hätte den Wählern gezeigt: Unser Interesse gilt dem Land und der Gesellschaft, nicht unserer individuellen Macht.

Ob das ehrlich gewesen wäre, bleibt natürlich fraglich.

21 Kommentare

  1. 01
  2. 02

    Aufgrund der immer gleich lautenden Statements habe ich das TV-Duell gestern versäumt. Und wenn man den Reviews glauben darf, habe ich auch nicht wirklich etwas verpasst.
    Gespanntes warten auf den 27. September.

  3. 03

    Die BILD ist mindestens genauso kreativ wie die taz „Yes, we gähn“;)

    http://www.taz.de/1/politik/bundestagswahl/artikel/1/yes-we-gaehn/

  4. 04
    peter h aus b

    Mal ehrlich: Solange solche Nulpen zur Wahl stehen, schaue ich mir ein „Duell“ dieser Art gar nicht an.
    Und solange 30-50% der Wähler diesen Kandidaten ihre Stimme geben, solange braucht man sich in D nicht für Politik zu engagieren. Denn die meisten Bürger sind bedauerlicherweise der Kategorie „Stammgäste“ http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,648723,00.html zuzuorden: doof geboren und nichts dazu gelernt!

  5. 05
    Jan(TM)

    Mir tut die Jugendfreundin Merkel leid, das ist als würde man Muhammad Ali in „Rumble in the Jungle 2“ gegen eine Punchingball antreten lassen. Frau schrumpft mit ihren Gegnern.

  6. 06

    @#727465: War die taz vorher damit da?

  7. 07

    Nein, der unglaubliche Fall ist eingetreten: BILD und taz haben dieselbe Schlagzeile.

  8. 08

    Keine Ahnung. Würde mich aber bei der BILD nicht wundern, wenn sie sich andernorts bedient. Ich bin selbst leider nur auf „Gähn und Schnarch“ gekommen. Wäre zu schön gewesen, wenn Diekmann bei mir geklaut hätte;) Obwohl: Wäre das nicht irgendwie ein zweifelhafter Ritterschlag?

    Ich will hier nicht noch einmal alles durchkauen, aber ein breiteres Themenspektrum wäre schön gewesen. Bildung, Forschung, Migration, Rente, Familie, Bürgerrechte.

    Die vier Moderatoren waren das eigentliche Desaster des Abends. Man vergleicht das TV-Duell gern mit den Duellen in den USA. Ich glaube nicht, daß Präsidentschaftskandidaten dort so ungeschoren davonkommen.

  9. 09
    Jan(TM)

    $InsertMünteBruchlandungswitzhere

  10. 10

    das war ne Geburtstagsfeier von 2 sich extrem nahestehenden Bekannten, die sich gegenseitig die Tortenstueckchen zuschoben. Ein politisches Duett der besonderen Guete. Der Standoff fand nicht zwischen den Kandidaten sondern zwischen Moderatoren und Kandidaten statt.

    Yes, we gaehn.

  11. 11

    ich habe nur in den Werbepausen auf Pro7 ins ‚Duel‘ geschaltet – und wenn nicht in der Zeit dazwischen senstationelle Dinge gesagt wurden, habe ich tatsächlich rein gar nichts Wichtiges verpasst.

  12. 12
    jens

    @ 06 die frage ist wer hat wo gegessen der TAZ redakteur in der Springer Kantine, oder der Bild Redakteur im TAZ Cafe.

    (Ich arbeite um die Ecke und bin regelmässig bei beiden zum Mittag)

  13. 13

    Ich habe mir hier einmal etwas ausführlicher Gedanken zum TV-Duell der Steinmerkeleien und die ganz große Koalition der parlamentarischen ‚Finanzmarktregellockerungsverdränger‘ gemacht. Ich hoffe, Ihr nehmt mir den Hinweis nicht übel.

  14. 14
    Irreversibel

    Wo soll denn diese Schlagzeile der taz stehen? Auf der Titelseite meines Exemplars auf jeden Fall mal nicht……

  15. 15
    Hgulf

    Muss das sein? Welche Variante des BGE findest Du jetzt so toll? Die „wir speisen die Armen pauschal und billig ab“ oder „mit BGE werden aus den Armen glückliche Kulturschaffende, die Tschingis Aitmatow ins Friesische übersetzen“?

  16. 16
    Schtuef

    Ich habe nur das Ende mitgekriegt gestern, scheine aber wohl nicht viel verpasst zu haben.

    Diese von den Amis geklaute Idee sich so im TV darzustellen klappt nicht so gut wie dort weil, nehme ich mal an, wir dafür auch ein Zweiparteiensystem bräuchten.
    Aber natürlich kann niemand von den Duellanten erwarten, jeden Satz mit „Wenn ich/wir das in der Koalition durchbringen, dann werden ich/wir ….“

  17. 17

    Was heisst mitgekriegt?

    Der Lohn für eine _Putzstelle _ beträgt 10€

  18. 18
    Wild Cat

    Das TV Duell war sehr amiesant.
    Angela Markel hat ihren Herausforderer immer nicht Aussprechen lassen .
    Man könnte auch dazu sagen das Sie Frank Walter Steinmeier unterdürckt wollte. Wie man in der Bild am nächsten Tag als lesen konnte Das Kuschel Duell.
    Ich habe nur den Beginn dieses Duell gesehen.
    Es konnten beide nicht davon proventieren . Sie haben beide keinen Vorteil davon gehabt .

  19. 19
    Nancy007

    Wir können nicht immer Schröder-Entertainment erwarten. Wir sollten mehr auf Inhalte achten und nicht auf Äußerlichkeiten oder Verbalattacken. Das beste Beispiel einer solchen Medienreifen Politik bietet Berlusconi. Ist das unser Leitbild eines Politikers? Nein, ich glaube nicht. Ich kann nur hoffen, dass wir unseren Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich zu bilden und zu wählen. Hierzu einige Beispiele aus der Politik: http://loom.tv/channel.php?c=19242