48

Die Welle der Jugendgewalt


Die Jugend, so hört man, verroht. Der „Mord“ von Solln, Winnenden, Erfurt, Ansbach. Und selbst bei Illner sind sich alle einig: „Mehr Polizei muss in Deutschlands Straßen und U-Bahnhöfen patrouillieren. Und zwar nicht im Auto, sondern zu Fuß!“

Das wird nichts helfen. Mehr Polizei führt (statistisch) zu mehr Straftaten. Man nennt das das Lüchow-Dannenberg-Syndrom: Nach einer Demo in Gorleben sind mehr Polizisten in die Gegend Lüchow-Dannenberg abkommandiert und nach Beendigung der Demo nicht mehr abgezogen worden. Mit dem Ergebnis, dass die Zahl der Tatverdächtigen im Vergleich zu umliegenden Landkreisen deutlich anstieg.

Ob sich durch mehr Polizei Jugendstraftaten wie der Totschlag in Solln verhindern lassen, ist sowieso äußerst zweifelhaft: Jugendstraftaten von der Schwere sind in aller Regel spontan und ungeplant, sie finden im öffentlichen Raum statt und werden eher gemeinschaftlich verübt.

Ja, ich habe den Eindruck, dass die Verrohung unter Jugendlichen seit Jahren zunimmt. Das mag vor allem daran liegen, dass es bei vielen jungen Menschen an einem vernünftigen Sozialverhalten fehlt. (Brigitte Zypries, 2009)

Schwierig zu sagen, warum Kinder- und Jugendkriminalität nun schon seit Jahrzehnten ein dankbares Thema für Politiker ist. Vielleicht, weil Jugendkriminalität sowohl für die Linke wie für die Rechte ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für eine allgemeine Argumentation ist. Die Linke deutet das als Zeichen sozialer Aufruhr und sieht darin das Symptom gesellschaftlicher Ungerechtigkeit. Dieses unmenschliche System!*

Die kleinen Monster – Warum immer mehr Kinder kriminell werden (Der Spiegel, Titel vom 06.04.98)

Für die Rechte zeigt sich in der ungezügelten Jugend der Werteverfall, die moralische Verrottung, die Erosion der Autoritäten. Für sie ist Jugendgewalt der Ruf nach einer starken Hand. So haben beide was davon, Rechte wie Linke, und weil es da einen starken Dissens gibt, haben auch die Medien einen Haufen interessanter Diskussionen.

„žWie lange wollen wir die zunehmende Verrohung in unserer Gesellschaft noch hinnehmen?“ (RP, 2009)

Es gibt keine Verrohung unter Jugendlichen. Zumindest geben das die Statistiken nicht her.

Die Statistik, die immer und immer wieder zitiert wird in den Artikeln, ist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Die zählt im Grunde nur die Anzeigen. Das sagt noch überhaupt nichts über die Kriminalität aus: Wenn zum Beispiel in einer Gegend ein renitenter Rentner wohnt, der nichts besseres zu tun hat, als ständig die Nachbarskinder wegen irgendwas anzuzeigen, geht das in die PKS ein. Das heißt nicht, dass die Gegend besonders schlimm ist und ein Ghetto. Sondern dass da ein spinnerter Rentner wohnt, sonst nix.

„žEi lecker, frohlocken die Leser , jetzt schreibt er uns was Tolles über todbringende Kindergangs, die S-Bahn-Fahrgäste in Angst und Schrecken versetzen, weil die immer sinnlos rumballern. Weit gefehlt“! (Max Goldt, März 1992)

Und selbst wenn die PKS irgendwas zu sagen hätte: Seit 2003 sind die Zahlen für Jugenddelinquenz rückläufig, und seit 1993 gehen auch die von Jugendlichen begangenen Tötungsdelikte stark zurück. Es wird im Grunde alles besser, juchuh. Mit einer Ausnahme: Körperverletzungen nehmen konstant zu. Woran liegt das?

„Mit unserer Erde geht es abwärts. Bestechung und Unehrlichkeit breiten sich aus. Die Kinder folgen ihren Eltern nicht mehr. Der Untergang der Welt steht offensichtlich bevor.“ (Altmesopotamische Klage)

Dazu gibt es verschiedene Theorien: Schäuble sagte 2007, der Anstieg an Körperverletzungen sei durch die erhöhte Anzeigenbereitschaft zu erklären. Während früher Schulhofschlägereien als „Balgereien“ abgetan und selten angezeigt wurde, wird heute viel schneller „Polizei, Polizei!“ gerufen. Die Gewerkschaft der Polizei aber machte – trara! – die Verrohung verantwortlich und meinte, der Polizisten schlage immer häufiger „enthemmte, brutale Gewalt entgegen“.

Die Anzeigenbereitschaft ist tatsächlich gestiegen, von 12 Prozent 1973 auf 23 Prozent im Jahr 1998. Gleichzeitig gehen die meisten Forscher davon aus, dass es keinen Anstieg im Dunkelfeld gibt: dass also die Zahl der nichtangezeigten Gewalttaten von Jugendlichen sich verringert hat.

„Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: Denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen.“ (William Shakespeare, Wintermärchen)

Gut, könnte die Polizeigewerkschaft jetzt sagen, aber wird die Jugendgewalt nicht immer brutaler? Wird sie nicht immer animalischer?

Dazu gibt es eine Untersuchung, die von 1993 bis 2003 je 1000 Schüler auf die Folgen von Schulhofgewalt untersucht hat. Ihr Fazit: „Dabei nimmt der Anteil der Jugendlichen zu, die keine ernsthaften Verletzungen davongetragen hat, der Anteil an Jugendlichen, die eine ärztliche Behandlung benötigten, nimmt signifikant ab. (…) Es existiert keine Brutalisierung, sondern eine Bagatellisierung von Jugendgewalt.“ Wenn Jugendgewalt stattfindet, ist sie harmloser als früher.

Kommen wir auf die gerne und häufig zitierte Polizeiliche Kriminalstatistik zurück: Es stimmt zwar, dass immer mehr Jugendgewalt zur Anzeige gebracht wird. Schaut man sich aber die Gerichtsurteile an, wird man feststellen, dass die Anzahl an Freisprüchen gerade bei Gewaltdelikten in den vergangenen Jahren um 50 Prozent angestiegen ist.

Selten war die Jugend so friedlich und friedliebend wie heute. Sie ist nicht verroht, im Gegenteil: sie läuft auf rohen Eiern.

*Ich selbst habe auch schon mal in diese Richtung gedeutet, damals: Ein letztes Wort zu Winnenden
Quellen:
Neubacher: Jugendgewalt: weder häufiger noch brutaler! – Zur Deutung des kriminalstatistischen Anstiegs der Gewalt- und Betrugsdelikte; Zeitschrift für Rechtspolitik 2008
Sonnen: Kinder- und Jugenddelinquenz; Familie, Partnerschaft, Recht; 2007

48 Kommentare

  1. 01
    Aniota

    Prof. Dr. Henning Ernst Müller vom beck-blog hat sich die PKS’08 auch mal genauer angesehen und ist auf eine andere Merkwürdigkeit gestoßen, im Zusammenhang mit „Körperverletzungen auf Straßen Wegen und Plätzen“ und frei erfundenen Zahlen:
    http://blog.beck.de/2009/09/20/zur-gewalt-auf-deutschen-strassen-fehlerhafte-bka-kriminalstatistik-beeinflusst-politische-debatte

  2. 02

    Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast! Ich denke, das Geld, was wir unnötiger Weise in die Bildung stecken, sollten wir lieber in Überwachungskameras an Schulen, Bahnhöfen und in Kinderzimmern stecken. ;-) Die Verrohung der Jugend ist halt ein Thema, dass schon immer gut gezogen hat.

  3. 03
    Grumpy

    Gibt es irgendwo einen Titel oder Link zu der Untersuchung von 1993 bis 2003, bzw. Welche der Quellen beinhaltet diese Untersuchung? Würde ich mir gerne mal anschauen.

  4. 04
    AR

    Schaffen wir am besten die Polizei ganz ab. Dann gibt es auch keine Straftaten, keine Morde, keine Vergewaltigungen etc. mehr!

  5. 05
    GuramC

    Ich seh es zwar ähnlich, aber die Aussage „Mehr Polizei führt zu mehr Straftaten“ ist blanker Unsinn. Da hätte es gereicht, den verlinkten Wikipedia-Artikel zu Ende zu lesen: „Tatsächlich hat aber die Präsenz der Polizei als solche nicht zu einem Anstieg der Kriminalität geführt. Vielmehr ist das Dunkelfeld der Kriminalität kleiner, also die Anzahl der bekanntgewordenen Straftaten größer geworden.“ Mehr Polizei führt also vielleicht nicht zwangsläufig zu _weniger_ Straftaten, aber es werden allein durch größere Polizeipräsenz bestimmt nicht _mehr_.

  6. 06
    Jan(TM)

    „Mehr Polizei führt zu mehr Straftaten.“ Halte ich für Quatsch, außerdem geht es nicht um mehr Polizei sondern um ein Verlegung von der Straße auf den Fußweg.

    Was Jugendgewalt angeht, Jack London beschreibt in einem Buch(weiss jetzt aber nicht mehr wo genau) wie ein Dutzend Kinder es schaffen einen erwachsenen Mann fertig zu machen. So neu ist das nicht, auch in Clockwork Orange wird genau das beschrieben(gut mit genug Altbier im Blut kann darin auch einen „Kreuzzug gegen die Ordnung
    und die scheinbar heile Welt“ sehen).

  7. 07
    Maschinist

    @04

    So war das nicht gemeint. Es beunruhigt mich aber sehr, dass und wie die Polizei Einfluss auf die Politik zu nehmen versucht. Ich bin mir fast sicher dass Ursula den Themenvorschlag aus Wiesbaden bekommen hat und das gefällt mir überhaupt nicht.

  8. 08
    Martin

    Die heranwachsende Generation besteht immer aus den gleichen Hampelmännern. Vermutlich ist an ihr zu keiner Zeit ein gutes Haar gelassen worden. Bedenklich finde ich, vielleicht ist aber auch das eine falsche Einschätzung, dass „viele“ Jugendliche schon recht früh keine Perspektive mehr sehen. Und ich nehme an, dass heutzutage mehr Jugendliche ohne Schulabschluss gibt als früher.

  9. 09
    Ralle

    Also Gewalt ist eine schlimme Sache, aber alle Jugendlichen die mir über den Weg laufen sehen ehr wie angehende Philosophen, Musiker und Kinderärztinnen aus… Die fahren Rad nur mit Helm und haben immer die Gitarre dabei. Vielleicht wohne ich auch nur der „richtigen“ Gegend.

    Aber die paar die auf Drogen sind, vor allem Alkohol, Amph und andere, der Gewalt förderliche Drogen, leben oft in Ihrer eigenen kleinen Welt. Dort regiert der Brutalste, es gibt keine Gesetze und keinerlei Mitleid zu zeigen zählt als Stärke. Jemanden zu treten liegt der schon am Boden liegt, war damals (vor 13 Jahren) was ganz uncooles und ging garnicht, auch bei den Schlägertypen.
    Diese Menschen gab es schon immer, vielleicht werden sie jünger, aber es werden wohl kaum mehr.

  10. 10

    Na, Frédéric, das Lüchow-Dannenberg-Syndrom hast du dann aber nicht so ganz verstanden, nicht?

    Abgesehen davon ist deine Aussage jetzt tatsächlich die: weiter so, alles super, eigentlich ist die Jugend zu ruhig, früher war alles schlimmer?

    Ich bin sicher nicht der Meinung, dass eine erhöhte Videopräsenz Fortschritte brächte (die fände ich sogar für gefährlich, weil es billiger Aktionismus ist, der sich weigert, Probleme zu hinterfragen), aber einer erhöhten Polizeipräsenz kann man nicht so einfach die Wirkung absprechen.
    Der Vorfall von München ist diesmal tatsächlich etwas, das eine Diskussion benötigt, weil er über den reinen Akt des Totschlags / Mordes hinausgeht und eine Art stillschweigenden gesellschaftlichen Vertrag der Unterstützung Schwächerer in Notsituationen angreift. Das muss diskutiert werden dürfen. Dass in einer Diskussion auch Vorschläge kommen, denen man nicht zustimmen kann, ist dabei nur natürlich. Dass man die Diskussion aber abwürgt mit einem „ist alles gar nicht so schlimm, die Gewalt wird weniger“ halte ich für falsch, so sehr ich dir auch anrechne, dass du versuchst, das generelle Thema zu „enthypen“.

  11. 11
    Frédéric Valin

    @#728928: Baier: Entwicklung der Jugendelinquenz und ausgewählter Bedingungsfaktoren seit 1998 in den Städten Hannover, München, Stuttgart und Schwäbisch-Gmünde.

    Was Lützow-Dannenberg anbelangt: Mein Einwand richtet sich gegen den Glauben, dass es zu einem statistischen Absinken der Delinquenz kommt, sobald mehr Polizei vor Ort ist. Aus dem Zusammenhang wird das m.E. auch klar.

  12. 12
    mickey

    ich wurde bist jetzt ein einziges mal zusammengeschlagen, und zwar von einer gruppe türken die bushido musik aus ihren handyboxen gespielt haben.

    sagt, finde ich alles.

  13. 13
    Grumpy

    @11 Danke!

    Wie praktisch – war direkt zu finden auf den Seiten des
    Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Jaja, dieses Internet ist schon was Feines.

  14. 14

    „Mein Einwand richtet sich gegen den Glauben, dass es zu einem statistischen Absinken der Delinquenz kommt, sobald mehr Polizei vor Ort ist. Aus dem Zusammenhang wird das m.E. auch klar.“

    wen um alles in der Welt soll das STATISTISCHE Absinken der Delinquenz interessieren?
    Es geht doch ausschließlich um ein tatsächliches Absinken.

  15. 15
    mr.e

    zum Artikel schreibe ich jetzt mal nix, aber“¦
    ich musste leicht schmunzeln als mir auf der Amazon Startseite 3 verschiedene Sorten Tränengas angeboten wurden.
    Möge das Wettrüsten beginnen“¦

  16. 16

    Was mich wundert, ist, dass das ehemalige, gesellschaftliche Übereinkommen – Nicht gegen den Kopf treten – nicht mehr zu gelten scheint. Wenigstens nicht in München. Ich weiß nicht, wie die Kids das früher gelernt haben, aber früher durfte man noch aufgeben. Das waren genug Siegesgefühle. Darüber wundere ich mich.

    @mickey: Was sagt das alles? Dass Qualität nix mehr zählt, denn wer Musik jeglicher Art über Handylautsprecher hört, hat kein Gefühl mehr für Musik. Unsere Großeltern waren froh, dass die Monozeiten vorbei waren und jetzt das.

  17. 17

    @#728947: Die Quellen, die die Diskutanten (und viele Kommentatoren in den Medien) herbeizitieren, lassen einen anderen Schluss zu.

  18. 18
    Martin

    @16
    Das Gefühl habe ich auch. Insofern würde mich eine solche Statistik (zeitliche Entwicklung der schweren Körperverletzungen nach dem Schema Opfer und Täter kennen sich nicht, öffentlicher Raum, keine Berreicherungsabsicht, jugendliche Täter) mal interessieren. Die Dunkelziffer dürfte dabei m.E. nicht viel Einfluss haben.

  19. 19

    Das einzige, was über die Jahre immer schlimmer wird, sind die medialen Berichte über die Gewalt.

    Wann und wie kommt man denn so als normaler Bürger mit der Gewalt in Berührung? Machen wir uns nichts vor: Im wesentlichen lesen wir darüber und sehen es im Fernsehen. Und wie schlimm wir die Gewalt empfinden, hängt im Wesentlichen davon ab, mit welcher Frequenz und mit welcher Dramaturgie darüber berichtet wird.

  20. 20

    @#728944: Ich wurde einmal zusammengeschlagen. Von zwei besoffenen Dorfdeppen.
    Sagt auch alles, oder?

  21. 21
    sinaj

    Bei der ganzen Diskussion ist doch das Problem, dass von der Politik und den Medien bei diesen Reizthemen wie Jugendgewalt immer propagiert wird, dass es heute viel schlimmer sei, als noch vor 1, 5 oder 10 Jahren. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Und obwohl das so ist soll man jetzt an jeder Bushaltestelle oder Bahnhof in Hintertupfingen von der Polizei beobachtet werden. Der Bahnhof in Solln ist ja auch kein Europäischer Dreh- und Angelpunkt.
    Und ich weis ja nich wie es euch dabei so geht, aber ich finds immer extrem unangenehm, mich von 3 Uniformierten mit Schusswaffen (vielleicht auch noch Vollautomatische wie an den Bahnhöfen momentan?) beobachtet zu fühlen. Da hab ich dann das Gefühl, dass die mich vielleicht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses einkassieren, weil ich grad mal in der Nase bohr.
    Das mag jetzt überspitzt sein, aber man fährt ja auch anders Auto, wenn ne Streife hinter einem is.
    Vielleicht gewöhnt man sich ja dran, aber da bin ich auch garnich so scharf drauf!
    Naja und weil sich wieder alle profilieren müssen wird mal wieder vollkommen zu Unrecht nach mehr Überwachung geschrien.
    Da wärs wohl effektiver Gras zu legalisieren, dann wären die paar Aggros vielleicht ein bisschen gechillter unterwegs und die Kriminalität wär dadurch auch gesenkt ;)

  22. 22

    … und eben weil Gewalt von Jugendlichen nicht mehr so präsent ist wie früher, erscheinen Vorfälle in ihrer Relation eben doch so roh und brutal. Das Gegenteil der vielzitierten Abstumpfung.

  23. 23
    wolle

    mir macht der Vorfall in München und der aus Berlin (Silvesternacht) ziemliche Angst und wirklich auch Kopfschmerzen. Wir waren als Teens auch nicht ohne. Aber wir hätten uns niemals an Wehrlosen vergriffen und solche grausame Gewalt gab es damals nicht.

    Ich frage mich immer wieder, wie solches Verhalten entsteht und vor allem, wie man es verhindern kann. Der Vorfall in München ist dabei das Schlimmste. Es haben unzählige Leute zugesehen und keiner hat den Vorgang gestoppt.

    Als jemand mit Zivilcourage muss man sich wahrscheinlich auch noch darauf einrichten, dass einem die (dumme) Mehrheit eine Mitschuld gibt, wenn man auf eine ähnliche Weise zum Opfer wird. Trotzdem werde ich mich in solchen Fällen einmischen. Nicht ohne Selbstschutz und ohne Bedacht, aber verhindern muss man sowas.

    http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/print/nachrichten/277797.html
    http://www.rbbonline.de/nachrichten/vermischtes/2009_09/berliner_u_bahn_schlaeger.html

  24. 24

    Vielen Dank für den Artikel Frédéric. Mir geht diese Angstmacherei mittlerweile ganz schön auf den Zeiger und die eigentliche Gefahr liegt nicht in den Straftaten, sondern im reflexhaften Schreien nach schärferen Gesetzen wenn mal wieder etwas passiert ist.
    Für den ein oder anderen mag es zynisch klingen, aber ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die durch harte Gesetze und ungezügelte Polizeibefugnisse und Überwachungsmassnahmen solche Straftaten von vornherein ausschliesst. Es mag uns durch die Berichterstattung anders vorkommen, aber Amokläufe und S-Bahnmorde sind EXTREM selten. Wer den Staat dahingehend umbauen möchte, dass solche Vorfälle strukturbedingt gar nicht mehr vorkommen können, der hat das mit der freiheitlich verfassten, demokratischen Gesellschaft nicht ganz verstanden.

  25. 25
    ber

    @fred

    „Die zählt im Grunde nur die Anzeigen. Das sagt noch überhaupt nichts über die Kriminalität aus“

    Huhn oder Ei? Ich bezweifel, dass Leute aus lauter Langeweile Anzeige erstatten.

    „… Sondern dass da ein spinnerter Rentner wohnt“

    Notfalls sind immer die Rentner schuld, klar. Mit solchen Fantasiekonstrukten kann man natürlich jede Statistik umbiegen.

  26. 26

    @#728975: Zahlen, die belegen, dass die Anzeigebereitschaft gestiegen sind, sind im Artikel enthalten. Es gibt meines Wissens keinen Fachaufsatz, der das gestiegene Anzeigeverhalten bezweifelt.

    Tut mir leid für Dein Fantasiekonstrukt.

  27. 27
    Hans-Werner

    Nur eine Randbemerkung von einem Lüchow-Dannenberger: Das „Städtchen Lüchow-Dannenberg“ gibt es nicht. Es gibt das Städtchen Lüchow (die Kreisstadt), das Städtchen Dannenberg (ca. 15km entfernt, aber in freudiger Feindschaft mit Lüchow verbunden und hat als Ausgleich für’s Nicht-Kreisstadt-Sein das Kfz-Kennzeichen „DAN“ „bekommen“) und ein paar weitere Städtchen, die allesamt im Landkreis (!) Lüchow-Dannenberg liegen.

    Übrigens gibt es da außer zu den Castor-Festspielen nicht besonders viele Polizisten, dafür aber – vor allem zur „kulturellen Landpartie“ – die Möglichkeit, mal einen Augenblick der Hektik des Alltags zu entfliehen und ein paar nette Tage „hinterm Wald“ zu verbringen.

  28. 28

    @#728980: Danke für den Hinweis!

  29. 29
    ber

    @#728977: Ich bezweifel nicht das gestiegene Anzeigenverhalten. Ich habe nur ein Problem mit der Behauptung, das es keine Kausalität zw. Anzeigen und Kriminalität/Ruhestörung/Belästigung etc. gäbe.

  30. 30
    Frédéric Valin

    @#729023: Ich habe nirgendwo einen Ansatz geunden, der diese Kausalität nahelegt. Wenn Du da anderes weißt, gerne. Wenn sich Dein Zweifel am reinen Bauchgefühl aufhängt, hat Dein Bauch nach meinem Kenntnisstand unrecht.

  31. 31

    Guter Artikel. Du solltest ne Serie draus machen, „Fred nimmt Angst“ und über dumme Panikmache aufklären.

  32. 32

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,649096,00.html

    btw finde ich auch die Rufe nach schärferen Gesetzen nach jeder Straftat doof.

  33. 33
    ber

    @#729028: Ja, vielleicht hab ich schlecht gegessen … Es ist nur nicht logisch, das Leute Anzeigen erstatten, es aber (Deiner Meinung nach) keine Gründe dafür gibt – sprich anzeigenswürdige Taten. Bitte um Aufklärung.

  34. 34
    Frédéric Valin

    @#729041: Es wird unterschieden zwischen Hellfeld und Dunkelfeld: Hellfeld sind die zur Anzeige gebrachten Straftaten, Dunkelfeld die nicht zur Anzeige gebrachten. Mehr Polizeipräsenz bedeutet in erster Linie, dass mehr Strataten zur Anzeige gebracht werden. Nach der Aufstockung der Polizeikräfte kam es zu folgendem Szenario:

    „Gleichzeitig dazu bzw. danach wurde in der Polizeilichen Kriminalstatistik ein erheblicher Zuwachs an jugendlichen Tatverdächtigen registriert, obwohl die Proteste nicht so massiv waren, wie erwartet. Es zeigte sich also ein Zusammenhang zwischen freien Ermittlungskapazitäten der Polizei und intensiverer Ermittlungsarbeit („Lüchow – Dannenberg – Syndrom“)

    Ansonsten lässt sich feststellen, dass die polizeiliche Beurteilung der Schwere eines Deliktes von der Arbeitsbelastung und dem Ort der Dienststelle abhängig ist. Untersuchungen zum Umgang der Polizei mit Strafanzeigen und Verdachtsfällen haben ergeben, dass diese zu Zeiten höherer Arbeitsbelastung mit vollendeten Tötungsdelikten seltener bei nicht tödlichen Gewaltdelikten wegen eines Tötungsversuchs ermittelte.“

    http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=&KL_ID=142

    Vor dem Hintergrund ist es Blödsinn (und darauf beziehe ich mich im Artikel), mit den Zahlen der PKS zu hantieren und gleichzeitig zu behaupten, mehr Polizei führe zu weniger Straftaten. Ich behaupte nicht, dass Polizeipräsenz Straftaten fördert – aber ich behaupte, dass die meisten Journalisten und Politiker nicht wissen, mit welchen Statistiken sie um sich werfen.

  35. 35

    der eigentliche grund, warum zurzeit ständig über jugendgewalt berichtet wird, ist die zielsetzung, die gesetzgebung zu verändern und die befugnisse für die sogenannten „sicherheitsorgane“ immer weiter zu erhöhen, um damit eine vollständige kontrolle der jugend und später auch der bürger der bundesrepublik insgesamt zu erreichen. diese pläne bestehen schon seit vielen jahren. man nutzt nur jeweils aktuelle ereignisse, um sie nach und nach umzusetzen. der grund für dieses politische spiel liegt vor allem in den „untergrundstrukturen“ dieser republik, deren wirtschaft bereits seit der adenauer ära zu großen teil von einem netzwerk der organisierten kriminalität beherrscht wird, das sich nach dem krieg aus untergetauchten nationalsozialisten gebildet hat. mitbegründer der örtlichen abteilung dieses netzwerks, des sogenannten „heinsberger zirkels“, finden sich in meiner eigenen familie. politischer arm dieser „braunen mafia“ sind die beiden „unionsparteien“ cdu und csu. seit der veröffentlichung meiner erkenntnisse zu dem thema wurde meine webseite bereits einmal gesperrt, eine weitere sperrung wurde angedroht, ebenso wie eine geldstrafe von 250 000 euro, ersatzweise ordnungshaft von bis zu zwei jahren, dies alles per einstweiliger verfügung ohne öffentliches gerichtsverfahren. des weiteren läuft eine campagne gegen mich mit dem ziel, mich zu entmündigen und zwangsweise in eine psychiatrische anstalt einzuweisen (ebenfalls ohne öffentliches gerichtsverfahren). bis vor kurzem habe ich geglaubt, dass dies in diesem land nicht möglich sei, wurde aber eines besseren belehrt. mit den „richtigen“ politischen und wirtschaftlichen kontakten kann man anscheinend schon heute fast alles tun, was man will, ohne dafür zur rechenschaft gezogen zu werden. wer also möchte, dass aus dieser getarnten wirtschaftsdiktatur eine echte demokratie wird, sollte am nächsten sonntag dazu beitragen, eine weitere cdu geführte regierung zu vermeiden. alles weitere findet ihr auf meiner webseite: http://www.ruhren.de , die trotz zahlreicher versuche, sie zu sperren oder „unsichtbar“ zu machen langsam aus ihrem von oben diktierten „dornröschenschlaf erwacht“ :-)

  36. 36
    ber

    @#729044: Nanü?

    Oben im Text:
    „Das wird nichts helfen. Mehr Polizei führt zu mehr Straftaten.“

    Im Kommentar
    „Ich behaupte nicht, dass Polizeipräsenz Straftaten fördert …“

    PS: länger will ich echt nicht auf dem Thema rumreiten, mir ist die Statistik egal.

  37. 37
    Frédéric Valin

    @#729080: Statistisch führt Polizeipräsenz zu mehr Straftaten.

    War vermutlich etwas ungelenk formuliert von mir. Habs nachgetragen.

  38. 38

    @#728929: Das ist doch ziemlicher Quatsch und hat auch nichts damit zu tun, was der Artikel aussagen will. Außerdem muss man ja auch was gegen die Leute tun, die so gerne die Statistiken misinterpretieren.

  39. 39

    @#729085:

    vllt wuerde es hilfreich, wenn du im naechsten semester anstatt einem weitern kurs in literaturwissenschaft einen kurs in logik besuchst.

    was ist das fuer ein quatsch “ Statistisch führt Polizeipräsenz zu mehr Straftaten.“???
    und statistisch fuehr eine ordentlich erstellte kriminalstatistik zu mehr straftaten?

    in der faz ist zum thema eine erschuetternder aber qualitativer artikel zum thema jugendgewalt:

    dh es zum bsp:
    „Der Bremer Jurist Daniel Heinke hat für seine Dissertation „žTottreten – eine kriminalwissenschaftliche Untersuchung von Angriffen durch Fußtritte gegen Kopf und Thorax“ auch Statistiken überprüft und erst einmal ein definitorisches Wirrwarr in verschiedenen Disziplinen feststellen müssen. Auch stellte er fest, dass die Summe von Taten der „žGewaltkriminalität“ der polizeilichen Kriminalstatistik die Körperverletzungen nach Paragraph 223 StGB nicht enthält, obwohl sie das quantitativ bedeutendste Delikt der Gewalt gegen Menschen sind. Er fasste die Zahlen zur Gewaltkriminalität (Mord, Vergewaltigung, Erpressung, gefährliche Körperverletzung u. a.) und die vorsätzlichen Körperverletzungen zusammen: Innerhalb von zehn Jahren nahmen sie um vierzig Prozent zu, gesondert für sich, nahmen die Körperverletzungen sogar um über sechzig Prozent zu.

    Die angeblich zurückgegangene Jugendkriminalität wiederum berücksichtigt nur angezeigte Fälle, nicht aber den demographischen Faktor. Allein in Berlin ist die Zahl der Schüler in den letzten Jahren um vierzigtausend gesunken – erheblich weniger Jugendliche begehen also noch immer fast genauso viele Straftaten. Opferbefragungen unter Schülern wollen uns zudem weismachen, dass trotz der gestiegenen Zahl registrierter Gewalttaten sich alles zum Besseren wende. Da die Statistik der Opfer aber ausweist, dass diese über alle Altersgruppen verteilt sind, das Dunkelfeld erwachsener Opfer aber nie untersucht wurde, ist jene Vermutung das Papier nicht wert, auf dem sie leider steht. Heinke weist nach, dass der Anteil junger Schläger, fast alle männlich, überdeutlich höher ist als deren Anteil an der Gesamtbevölkerung. Die Unsicherheit im öffentlichen Raum, über die gerade jetzt wieder heftig gestritten wird, ist also keineswegs nur irrationale „žgefühlte Unsicherheit“. Im wirklichen Leben, möchte man sagen, geht es viel schlimmer zu.“

    http://www. faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~EB6E7D6F83B734B01A48E3236FB2602E2~ATpl~Ecommon~Scontent.html

    „Die angeblich zurückgegangene Jugendkriminalität wiederum berücksichtigt nur angezeigte Fälle, nicht aber den demographischen Faktor. Allein in Berlin ist die Zahl der Schüler in den letzten Jahren um vierzigtausend gesunken – erheblich weniger Jugendliche begehen also noch immer fast genauso viele Straftaten.“

  40. 40
    Marvin

    Hallo,
    merke auch sehr, das die Jugendkriminalität zunimmt.
    Bin selber noch Jugendlicher, aber dadurch, das ich ja selbst sehe was da vor sich geht, muss ich sagen ich bin shockiert.
    In den Pausen höre ich fast nur Dinge wie man einen anderen umbringt oder andere Schlimme Sachen.
    Da frage ich mich auch, warum ist das so?
    Mittlerweile hat so gut wie jeder ein oder mehrere Spiele, die gewaltverherrlichend sind zu hause und spielt diese auch Regelmäsig.
    Doch man muss beachten, der Jugend werden oft gar keine anderen Möglichkeiten zur sinvollen Freizeitbeschäftigung gegeben.
    Wenn es mehr alternativen geben würde, dann währe die Anzahl der Jugendlichen, die sich nicht verhalten können deutlich geringer.
    An vielen Schulen gibt es Programme die jugendkriminalität und Mobbing etc, verhindern sollen. Doch dies erstreckt sich oft nur über wenige Monate. Die Schulen tun dann so, als hätten sie etwas gut gemacht. Doch man sieht, was daraus wird,
    bis Spät in die Nacht auf Spielplätzen rumlumern und Alkohol zu sich nehmen. Am besten beimfahren mit dem Motorroller die Verkehrsregeln nicht beachten. Das finden viele Jugendliche cool, was es allerdings nicht ist, es gefährdet nur andere.
    Meine Schlussfolgerung daraus ist, der Jugend durch strafen grenzen setzen, aber auch alternativen zu Kriminalität stellen.

    Gruß
    Marvin

  41. 41

    Eine äusserst interessante Diskussion wie ich finde bei der ich mich auch mal zu Wort melden möchte:

    Ich denke sehr wohl dass durch eine höhere Polizeipräsenz in gewisser Weise ein Teil der Gewalttaten verhindert wird, aber letztendlich ist die Gesellschafr (also wir alle) gefordert. Heisst es nicht „Was Hänschen nicht lernt lernt Hans nimmermehr“?. Wie sollen sich denn Jugendliche an Regeln halten wenn Ihnen als Kinder nicht konsequent Grenzen aufgezeigt wurden?

    Den Ruf nach härteren Gesetzen finde ich salopp gesagt einfach schwachsinnig – meiner Meinung reicht es aus die bestehenden Möglichkeiten voll auszuschöpfen und sorry: Da muss halt auch mal zu drastischen Maßnahmen gegriffen werden (Arrest und/oder Sozialstunden im Krankenhaus…) – womit wir wieder beim Thema Konsequenz landen.

    Als dritten (aber sehr wichtigen) Punkt mag ich anführen dass sich Gewalttäter in der Regell Opfer suchen und gerade hie können wir alle etwas tun um nicht in diese Rolle gedrängt zu werden. Ich habe (da ich selbst Wing Tsun betreibe) hier vor einiger Zeit einen Artikel zum Thema geschrieben der denk ich ganz gut reinpasst: http://kawonga.de/korpersprache/

    Beste Grüsse
    Micha