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Google Wave – Erste Eindrücke

Vor etwa anderthalb Jahren stellte ich einen bemerkenswerten Wandel in meinem elektronischen Kommunikationsverhalten fest, der in erster Linie durch die tägliche Nutzung von Twitter initiiert wurde. Ich dachte öffentlich darüber nach, wie sich wohl eine Art Twitter-IM-Mixtur anfühlen könnte, und ob auf das leidige Thema E-Mail durch neue Herangehensweisen, speziell durch eine geänderte Form der Kontakt-Verwaltung und mögliche Einschränkungen für bestimmte Absender zur Spam-Minimierung, in den kommenden Jahren eine sinnvolle Wandlung oder gar Ablösung zukommen könnte.

Natürlich lagen diese Überlegungen nahe und nicht erst seit Monaten machen sich Entwickler und Gestalter, Coder und Webworker Gedanken darüber, wie die Zukunft der elektronischen Kommunikation aussehen könnte. Und nun kommt Google Wave daher, zunächst mit einigen Test-Accounts, von denen ich einen dank der Einladung von Oliver ergattern konnte.

Google Wave, ein Browser-basiertes Tool, befindet sich somit in einer frühen Entwicklungsphase, in der man oftmals noch nicht weiß, ob sich eine Funktion schlicht fehlverhält, ob sie Bug oder Feature ist. Gleiches gilt für die Gestaltung, die Google-typisch spartanisch, aber auch langweilig daherkommt, hier gibt es aber generell noch viel zu tun für Informationsarchitekten — Schlichtheit im Design von funktionalen Applikationen beherrscht Apple bspw. bei Desktop-Anwendungen besser, scheitert dafür aber glamourös im Web, z.b. beim eigenen Mobile-Me-Dienst.

Wie oft bei neuen Diensten oder Applikationen wird sich auch bei Google Wave erst im Lauf der Zeit zeigen, wofür (und ob) es tatsächlich nützlich sein wird, denn nicht selten zeigt erst der praktische Einsatz, wie und wofür die Nutzer ein Werkzeug einsetzen können und wollen, und nicht immer ist dies deckungsgleich mit den ursprünglichen Vorstellungen der Entwickler. Die bekannte Vorgehensweise Googles (die auch beim Start von GoogleMail zum Einsatz kam), Nutzer langsam, nach und nach auf das System loszulassen, scheint also sinnvoll zu sein.

Denn im Moment scheint es in vielen Tweets und Blog-Artikeln bzgl. Google Wave in erster Linie darum zu gehen, herauszufinden, was Google Wave überhaupt ist. Mir haben dabei die ersten Kontaktaufnahmen und Wave-Kommunikationsversuche zumindest schnell gezeigt:

Google Wave ist kein Instant-Messaging-Dienst.
Google Wave ist kein Mail-Ersatz.
Google Wave hat nichts mit Social Networking zu tun.

Google Wave ist ein Werkzeug für Arbeits- und Projektgruppen jeder Art, die gemeinsam Dokumente bearbeiten, Entscheidungen treffen und bestimmte Arbeitsergebnisse und die Prozesse, die dorthin geführt haben, dokumentieren müssen (und nun packt das mal in einen griffigen Claim …).

Google Wave fühlt sich an wie ein direkt im Dokument kommentierbares Wiki, wie ein elektronisches Whiteboard mit mehreren Ebenen. Die größte Errungenschaft von Google Wave könnte dabei sein, bestimmten Kommunikationsbestandteilen, die wir schon lange benutzen, endlich neumodische Namen zu geben. Waves, Wavelets, Blips, Inline-Replies — das alles kennen wir bereits als Dokumente, Nachrichten, Anmerkungen, Notizen, Kommentare, doch neue Herangehensweisen benötigen manchmal auch eine neue Semantik und sollte sich Google Wave etablieren, werden die genannten Begriffe in unseren digitalen Sprachgebrauch übergehen, so wie wir heute schon „googeln“.

Es erscheint mir überflüssig, Google Wave zu benutzen, um Nachrichten mit jemandem auszutauschen. Denn dafür gibt es … nunja: Mails. Es ist ebenso unsinnig, via Google Wave zu chatten, das macht ein guter IM-Client besser. Wer jedoch mit mehreren Personen in einem ständigen Fluss ein Dokument entwerfen und besprechen möchte, für den könnte Google Wave in naher Zukunft sehr spannend sein. Ich könnte mir z.B. sehr gut vorstellen, einige Bereiche der kommenden re:publica mit Google Wave vorzubereiten (derzeit benutzen wir dafür mit gemischten Erfahrungen Basecamp). Es gibt bereits Werkzeuge, mit denen man kollaborativ Dokumente bearbeiten kann, doch Google Wave geht ein paar Schritte weiter und bietet durch integrierbare Applets spannende Erweiterungsmöglichkeiten.

So könnte Google Wave das Chaos und die Fehlerquoten von Mailinglisten eleminieren, denn wer kennt das nicht: Attachments, die in solchen Listen plötzlich verschwinden, neuere Empfänger, die bei einem „Reply all“ auf eine frühere Nachricht nichts mitbekommen und vor allem die Abwesenheit von Übersicht bei falsch oder gar nicht veränderten Titelzeilen. Mailinglisten sind oft der reinste Horror, Google Wave schafft als Alternative hier Ordnung.

Und wer weiß … wenn sich die kollaborative Kommunikation zu Google Wave auslagert; Kurznachrichten via Twitter abgefeiert werden; die private Kommunikation bei Facebook, die geschäftliche bei Xing abspielt … dann bleiben in unseren Mailboxen nur noch die Pressemitteilungen und der Spam und wir können sie ohne schlechtes Gewissen auch mal ignorieren. Eine Segmentierung unserer Online-Kommunikation hat den Vorteil, dass wir gezielt auf gewünschte Bereiche zugreifen können. Die Angst davor, am Freitagabend im Mailprogramm nach einer persönlichen Nachricht zu schauen, stattdessen aber einen „sehr dringenden“ Wochenend-Auftrag vom Chef vorzufinden, hätte sich damit erledigt. Vorausgesetzt, man sortiert seine Kontakte fürsorglich und selbige respektieren die Segmentierung.

Es muss sich erst noch zeigen, ob Google Wave unsere digitale Werkzeugkiste tatsächlich ergänzen und erweitern wird, doch die Möglichkeiten machen Lust darauf, es wenigstens auszuprobieren.

(Sorry, ich habe derzeit noch keine einzige Einladung zu verschenken, die wurden im ersten Zug offenbar nur an die „Erst-Nutzer“ vergeben)

31 Kommentare

  1. 01

    Genau, sehr großartig. Wenn die da jetzt noch ein paar mehr Leute zulassen würden, wäre doch alles paletti. ABER neeeein.

  2. 02

    Ich wurde vorhin eingeladen, warte aber noch darauf, dass ich loslegen kann. Ich bin wirklich gespannt, wie es ist und was es wird, aber deine Einschätzung gibt mir schon mal einen guten Blick darüber, was mich erwartet. Danke!

  3. 03

    Also ich bin von Wave eigentlich ganz angetan. Allerdings macht Wave nur Sinn wenn man auch Kontakte hat mit denen man zusammen eine Welle reiten kann. (zB. einen VideoChat).

    Du hast keine Einladungen bekommen die du verschicken kannst? Mir wurden 8 Einladungen zu Verfügung gestellt. Ich habe sogar noch welche übrig @Alex. ;-)

  4. 04
    bcgie

    Hi,
    das klingt so ein bisschen wie „Google Groups“ – was ist der Mehrwert von „Wave“? So ganz verstanden habe ich das noch nicht …
    Grüße
    Bernd

  5. 05

    Ich schaue es mir erst seit heute an und bin eigentlich nur deswegen so scharf auf eine wave-Einladung gewesen, um keine Basecamp-Lizenz kaufen zu müssen. Wir versuchen uns mit vier Redakteuren online abzustimmen und sind an die Grenzen von Wikis, Chats und Mailinglisten gestossen.

    Allerdings ist das bisher tatsächlich alles noch sehr beta und vor allem unübersichtlich. Aber da wird sich bestimmt noch was tun.

  6. 06
    philippe

    erstaunlich, wie viele menschen sich freiwillig als betatester und als markenbotschafter für google zur verfügung stellen!

  7. 07

    Dank der Einbettbarkeit des Wave-Systems in andere Webseiten ergibt sich ein ganz konkreter Anwendungsfall, der glaube ich auch in dem Video gezeigt wird. Beispielsweise ließen sich damit Kommentarsysteme wie diese hier komplett als eingebettete Waves realisieren. Der Vorteil liegt auf der Hand. Wenn sich in den Kommentaren eine lebhafte Diskussion entwickelt, dann ist die oft vorgefundene lineare Darstellung der Kommentare für meinen Geschmack zu unübersichtlich.
    Oft muss man hochscrollen, um zu sehen auf welchen Kommentar sich ein anderer Kommentar bezieht etc. In einem Wave kann jeder direkt an der geeigneten Stelle auf Kommentare reagieren, der Bezug zwischen zwei Beiträgen wird somit schon durch deren örtliche Nähe hergestellt. Natürlich könnte man auch ein klassisches baumartiges Kommentarsystem einsetzen, aber Wave bietet von sich aus schon viele Möglichkeiten.

  8. 08
    Martin

    Interessant. Ich hatte davon gehört, dass Google Wave evtl. in Konkurrenz zu Twitter stehen könnte. Scheint mir aber nicht so zu sein.

  9. 09

    In dem Video von Google (s.o.) wird allerdings erwähnt, dass beispielsweiseTwitter als Application integriert werden könnte. Ist das in der aktuellen Testversion noch nicht der Fall?
    Zum Punkt mit dem Ersatz der Email: Ich glaube auch nicht, dass das „waven“ das herkömmliche mailen ersetzen wird, aber in vielerlei Hinsicht macht es mir den Anschein, als könnte man „Waves“ im Alltag, auch außerhalb von Projektarbeit, sehr gut gebrauchen. Besonders im Kontakt mit Freunden und Familie, wo man mehrere Diskussionsebenen hat und öfter mailt als IMs verschickt. Der Sprung vom „mailen“ zum „waven“ erscheint mir nicht so groß.
    Es sollte aber dringend möglich sein „Waves“ in Email-Programmen auf dem Desktop zu integrieren.

  10. 10

    @#733790: Als Alternative ließe sich GoPlan empfehlen

  11. 11

    schöner Artikel!

    Gerade gestern habe ich im http://www.multimediablog.net ebenfalls meine ersten Eindrücke aufgeschrieben.

    Das geht von den Beobachtungen her in die gleiche Richtung.
    Der Artikel enthält aber auch ein paar Tipps zur Einführung in Wave.

    Zu Beginn ist man nämlich tatsächlich ziemlich verloren ;-)

  12. 12

    @#733802: nein. twitter ist derzeit noch nicht integriert. es wird aber daran gearbeitet, so weit ich gelesen habe. Tatsächlich existiert aber schon eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Wave und Twitter.

    Der Sprung zum Mailersatz ist ebenfalls deutlich. Einen Großteil der alltäglichen Kommunikation (per Mail, teilweise trifft das auch auf IM zu) KÖNNTE man auch über Wave abwickeln.

  13. 13

    „Google Wave ist ein Werkzeug für Arbeits- und Projektgruppen jeder Art, die gemeinsam Dokumente bearbeiten, Entscheidungen treffen und bestimmte Arbeitsergebnisse und die Prozesse, die dorthin geführt haben, dokumentieren müssen (und nun packt das mal in einen griffigen Claim „¦).“

    Wird gemacht: Google Wave ist nachvollziehbarer Workflow.

    Griffig genug? ;)

  14. 14

    @#733806: Habe hier einen tweet gefunden, der via Google Wave (tweety) versendet wurde – http://twitter.com/wuestenigel/statuses/4917218088

    es geht also doch ;-)

  15. 15
    mark

    Google Wave sehe ich eigentlich schon als eine Alternative zur E-Mail. Insbesondere wenn man längere Threads hat oder sich im Minutentakt antwortet. Eigentlich ist es ja E-Mail mit Instant Messaging Features bzw. Instant Messaging mit baumartigen Diskussionsthreads wie bei E-Mails.

    Besonders cool finde ich,
    o daß während des Tippens der Empfänger schon mitlesen kann
    o daß Google den Servercode so freigeben möchte, daß man einen Wave Server auf dem eigenen Rechner betreiben kann und
    o daß so wahrscheinlich Schluß mit E-Mail Tofu ist, weil der ganze Austausch in einem einzigen Dokument landet.

    Vielleicht erschlägt sich so auch noch das Spam Problem irgendwie.

  16. 16

    Nach meiner Meinung hat Wave auf jeden Fall das (zumindest theoretische) Potential die Plattform für alle Kommunikations- und Arbeitstasks zu sein. Über robots und wavelets können twitter, RSS, facebook, Xing, WordPress oder was auch immer eingebunden werden. Es gibt bereits jetzt eine große Liste (meistens mehr schlecht als recht funktionierender) Erweiterungen.

    Wenn das Interface dann irgendwann mal verbessert wird und es andere Anbieter für Server oder Interface gibt, genügt eigentlich ein Rechner mit Chromium und Wave und fertig ist die Laube.

  17. 17
    behindthebeat

    klingt sehr interessant, bin neugierig. allerdings mag ich browser-basierte applikationen nicht. obwohl google mail tatsächlich hervorragend und schnell und super läuft. hoffentlich ist es bei wave nicht anders.

  18. 18
    Tobi K.

    ich halte google wave, wenn ich das, was ich mir bisher ‚zusammengelesen‘ habe, fuer eine gute chance, gruppenarbeit zu optimieren. persoenlich sehe ich z.b. einen nutzen zum einen in meinem beruf, wo mitarbeiter verschiedener abteilungen und niederlassungen trotz der raeumlichen trennung gemeinsame projektfortschritte und -ziele auf mindestens taeglicher basis kommunizieren, aktualisieren und ggf. anpassen, privat wohnen viele meiner freunde mittlerweile verteilt ueber den ganzen globus, eine wave koennte ‚ausfuehrlichere‘ kommunikation fuer gleichzeitig mehrere teilnehmer ermoeglichen, bzw. in diesem falle durch die starken zeitverschiebungen kann jemand in seattle nach dem aufstehen seinen ’senf‘ zu einer wave dazugeben, wenn ich im buero bin, also eine art wachsende kommunikation.
    sehe ich die features da in einem rechten licht?
    wuerde ich sehr gerne ausprobieren, wenn es in diese richtung geht (oder anpassbar ist) eine sehr reizvolle form der erweiterung der kommunikationsmoeglichkeiten.

  19. 19

    Noch eine Möglichkeit sehr viel Zeit im Internet zu verschwenden. ;-)

  20. 20

    und nun packt das mal in einen griffigen Claim…

    Kein Problem: Kolaborationswerkzeug – colaboration tool

    Ist zwar nix Neues, erscheint mir aber passend.

  21. 21
    sigi

    Hallo,

    klingt sehr interessant…wäre für eine Einladung dankbar…

    Siegfrie.Lohre@onmeco.de

    Gruß
    S.Lohre

  22. 22
    Michael

    Tja nun hab ich dank Twitter seit gestern auch eine Einladung und kann somit waven…nur mit wem? Das ist doch suspekt wenn man das Tool hat aber mit keinem eine Wave anfangen kann. Das geht ja nur mit den Kontakten die eben auch schon wave haben….da läuft doch was falsch oder ICH verstehe das nicht.

  23. 23

    Die Idee der Segmentierung gefällt mir.
    In meiner Wahrnehmung ist Google Wave (erstmal) „nur“ ein potentiell gutes Kollaborations-Tool. Und auch, wenn es vermutlich so kommen wird, halte ich eine zu enge Verzahnung mit Twitter, FaceBook, XING etc. pp. für gar nicht so wünschenswert.

    viele Grüße
    MiDoe

  24. 24

    Brauchen wir wirklich, wirklich all diese neuen Tools? Auch wenn man Schirrmachers buch einseitig sehen mag – es beschreibt doch viel von dem, was mit Google Wave noch fordernder für uns wird …