Selbstmord ist ein gesellschaftliches Tabu. Jenseits des aktuellen Anlasses ist es ein Thema, dass sehr viele mittelbar oder unmittelbar betrifft. Und ein Thema, über das normalerweise kaum gesprochen wird. Dafür gibt es gute Gründe. Ich denke, man muss trotzdem darüber schreiben. Warum?
Stefan Niggemeier hat über den Werther-Effekt geschrieben, dass Selbstmord ansteckend sei und die Medien seit einer Woche daran arbeiteten, „die Zahl der Selbstmorde in Deutschland in die Höhe zu treiben.“
Es gibt dazu ein prominentes Gegenbeispiel: Kurt Cobain. Als der Selbstmord von Kurt Cobain publik wurde, befürchteten Experten einen rapiden Anstieg der Selbstmordquote. Einerseits auf Grund der Bekanntheit Cobains, andererseits, weil unter seinen Fans viele Suizidgefährdete vermutet wurden. Viele Forscher haben sich die Mühe gemacht, die Statistiken zu überwachen.
Es kam zu einigen Suiziden, die direkt Bezug nahmen auf Cobain. Es blieben Einzelfälle. Tatsächlich sanken laut Berman et al. [link], G. Martin und Mette Ystgaard [pdf] die Suizide in der Folgezeit, vor allem unter den als kritisch erachteten Bevölkerungsschichten. Uwe Gonther schreibt:
Sie führten hypothetische Erklärungen an, so etwa, dass es der Polizei und den Kriseninterventionskräften in Seattle sehr früh gelungen sei und die Medien gut mitgespielt hätten, die künstlerischen Errungenschaften Cobains zu würdigen und gleichzeitig die Suizidhandlung nicht zu glorifizieren, sondern vielmehr unter Zuhilfenahme der wütenden Äußerungen der Witwe das Verhalten als negativ darzustellen.
Es gibt verschiedene Versuche, den Selbstmord Cobains zu deuten, so wie es verschiedene Versuche gibt, Hypothesen aufzustellen, die den Rückgang der Suizide unter den Risikogruppen erklären. Es wird angenommen, dass die heftige Reaktion Courtney Loves auf den Tod ihres Mannes auf viele Fans kanalisierend und auf viele Selbstmordgefährdete abschreckend gewirkt hat. Außerdem wurde Courtney Love nach dem Tod Cobains von einigen Fans zum Hassobjekt deklariert, da sie ihn in den Tod getrieben habe, was wiederum viele Aggressionen auf sie umlenkte. Auch die Tatsache, dass schon kurz nach dem Suizid verschiedene Verschwörungstheorien kursierten, es habe sich gar nicht um Selbstmord gehandelt, sondern um Mord, könnte als eine Art Ventil gedient haben.
Gleichzeitig wird immer wieder darauf hingewiesen, wie verantwortungsvoll die Medien gehandelt hätten: Cobain sei nicht mystifiziert worden. Unter anderem wird die Veröffentlichung von Cobains völlig entstellten Schädels als Beispiel für Entmysthifizierung genannt: im krassen Gegensatz zum bei Stefan Niggemeiers verlinkten Text, man solle „Angaben zu Suizidmethode und Suizidort vermeiden“.
Die Literatur ist voll von Hypothesen, warum Cobains Tod keinen Werther-Effekt gezeitigt habe. Ich bin kein Fachmann und kann nicht alle Fakten genau einordnen, außerdem reichen ein paar Stunden Recherche nicht, um sich auch nur annähernd einen Überblick über den Forschungsstand zu verschaffen; trotzdem kommen mir Zweifel an der Empfehlung, am besten gar nicht über Suizide zu berichten.
Es ist ohne Frage richtig, darüber zu diskutieren, wie man über Selbstmorde schreibt. Wie man daran arbeiten kann, nicht die Zahl der Selbstmorde in die Höhe zu treiben*. Ich glaube aber nicht, dass „Schweigen“ eine angemessene Antwort ist.
*Der Vorwurf, darüber hätte ich vor diesem Artikel eingehender Gedanken machen können (wie hier formuliert), ist berechtigt. Ich war im Nachhinein überrascht und erschrocken, wie heftig die Reaktionen wurden. Ich hatte diese Heftigkeit unterschätzt.
Toll, dass mittlerweile wissenschaftliche Studien ausschließlich mit „Ich glaube nicht, ich finde nicht, im Zweifel“ usw. widerlegt werden können.
@#738154: Die zitierten Studien, die den Werther-Effekt bei Cobain explizit nicht nachweisen, sind oben als Belege verlinkt. Wenn Du eine findest, die es bei Cobain tut, gerne.
Ansonsten kannst Du mir gerne erklären, warum ausgerechnet bei Cobain der Werther-Effekt nicht greift
Enkes Selbstmord (bzw die Berichterstattung darüber) HAT aber einen Werthereffekt ausgelöst. Und zwar nicht zu knapp. Nur wirst du diese Zahlen von der Bahn nie zu Gesicht bekommen.
RT @maltewelding
Wer hat eigentlich dieses überall nachgetrottelte Mem in die Welt gesetzt, Selbstmord und Depression seien gesellschaftliche Tabus?
Ich sage, es haben sich doch Leute umgebracht.
Du sagst, es waren Einzelfälle.
Ich sage, Kurt Cobain war auch ein Einzelfall. Warum weiß ich nicht. Ich kann mich aber erinnern, seinen Tod in der Tagesschau und in Tageszeitung des Folgetages gemeldet bekommen zu haben. Keine 32948023849 Sondersendungen o. ä.
EDIT: Ystgaard sagt es selbst: „Furthermore, the media displayed care and responsibility in their reporting.“
Du kannst einen Depressiven mit Medikamenten und einer begleitenden Therapie vom Selbstmord abhalten, aber nicht mit einer Entmythisierung. Das ist wie Raucher mit Fotos von Raucherlungen zu konfrontieren.
@#738167: Nehmen wir an, es war ein Einzelfall. Dann ist doch genau das die interessante Frage: Warum war es ein Einzelfall?
Ich habe keine inhaltliche Analyse zum medialen Verhalten finden können: gerade bei MTV wäre das interessant gewesen, aber offensichtlich gibt es die nicht..
Und: Die Aufgabe der Berichterstattung überschneidet sich nicht mit der eines Psychologen. Bestenfalls erreicht ein Artikel, dass ein depressiver Suizid-Gefährdeter zum Psychologen geht, oder dass ein ihm Nahestehender auf das Problem aufmerksam wird. Heilen muss ihn der Arzt.
@#738172: Vielleicht imm Edit untergangen, deshalb hier nochmal: Ystgaard sagt zum Fall Cobain selbst: „Furthermore, the media displayed care and responsibility in their reporting.“
Der letzte Absatz ist so nur richtig, wenn man davon ausgeht, dass ein Patient mit einer so schweren Depression, dass er akut Selbstmord gefährdet ist, seine Umwelt klar wahrnimmt und einen Ausweg in der Therapie oder bei Nahestehenden sieht. Das schließt sich aber aus.
@#738173: Ja, aber das heißt eben auch, dass es einen Weg gibt, darüber zu berichten. Dieser Weg implizierte die Veröffentlichung von Cobains Schädel nach dem Schuss aus der Schrotflinte. Nach der Lektüre der Richtlinien über die Berichterstattung aber wäre das die komplett falsche Entscheidung gewesen, dieses Foto zu veröffentlichen.
@#738172: „Heilen muss ihn der Arzt.“ Genau die Einstellung führt dazu das viele schon nach kurzer Zeit nicht mehr zum Arzt gehen. Dann hörst du Sprüche wie „War beim Arzt – los heil mich! – Sagt der, das geht nur wenn man selbst aktiv wird – Arztwechsel!“.
@#738165: Ein Tabu ist etwas worüber man nicht redet. Hier gibt es eine Brücke wo regelmäßig Leute runterhüpfen. Zeitungen berichten nicht darüber. Mit wem kann man reden über Selbstmord oder Depris? Irgendeiner Hotline oder Psychologen, sonst niemanden. Aber malte hat schon immer viel Müll geredet.
Ich denke auch, dass gerade Depressionen leider ein gesellschaftliches Tabu sind.
Schnell gerät der Betroffene in die Sparte „verrückt“ oder er solle sich zusammen nehmen. Als Krankheit sind die Depressionen in der Bevölkerung nicht anerkannt. Das hat es ja für Enke auch so schwer gemacht, darüber zu sprechen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn die Diskussionen über den Selbstmord einmal in die Richtung gingen, Depressionen ernster zu nehmen.
Gruß Susanne
@#738176: Okay: Um gesund zu werden, muss er sich von einem Arzt helfen lassen.
Na toll. Ein Kurt kann also jahrzehntelanges wissenschaftliches Arbeiten widerlegen? Ich glaube, also ich finde im Zweifel nennt man das dann wohl einen Ausreißer.
Also normal halte ich echt viel von eurem Blog und den Beiträgen.
Aber die Auseinandersetzung und vor allem der Umgang mit dem Werthereffekt finde ich so etwas von ignorant und ehrlich gesagt etwas verblendet dass ich meine Meinung über euren Blog echt noch einmal überdenken muss.
warum fällt mir dazu nur mein lieblingjapantrashfilm ein?
http://www.youtube.com/watch?v=IrCW3_sVKM8
ich glaube, was hier ganz einfach falsch dargestellt wird, ist die rolle cobains, der erst posthum wirklich berühmt wurde. zu seiner zeit war er zwar bekannt, aber trotzdem nur ein sänger einer indierockband, die zwar in ihrem metier superstars waren, aber kaum auf großer gesellschaftlicher ebene als identifikationsfigur dienen konnten. ich war bei cobains tod in der pubertät, und aus meinem gesamten bekanntenkreis gab es vielleicht zwei, die das wirklich tragisch fanden. der rest dachte sich eben „hm ok, einer weniger“. das wird zwar heute nicht gern gehört, aber damals war cobain nicht der messiahs sämtlicher jugendlicher, die dann, gemäß dem werther-effekt ihm unbedingt folgen mussten/wollten.
cobain war einfach, aus der totale gesehen, eine ziemlich kleine nummer. daher hinkt der vergleich hier etwas wie ich finde.
also das mit den depressionen ist ja auch in gewissen maßen erwünscht – weil sonst jeder machen würde was er gerade will. leider wird das oft missbraucht -werbung, erzielen von leistung etc.
das problem der darstellung der suizide in der presse und deren effecte sind ja wohl erst einmal resultate des vorhergegangenen.
Ich finde es gut, dass die abgewürgte Diskussion noch einmal aufgenommen wird. Den Dialog auf dem Stralau-blog finde ich gut, nicht so laut und kurzatmig wie hier. Ich verstehe jetzt Fred’s Position besser. Die Berichterstattung im Fall Cobain scheint ein gutes Beispiel zu sein. Fred ich stimme voll mit dir überein, dass Schweigen vielleicht gar Vertuschen nicht die richtige Lösung ist.
Sicherlich ist die Berichterstattung der einzelnen Todesfälle zu diskutieren. Über welche Fälle soll überhaupt berichtet werden? Über die berühmten, die spektakulären, oder die zweifelhaften? Ich denke nur die zweifelhaften. Dort wo die øffentlichkeit ein Interesse an den Umständen hat. War es eventuell doch ein Mord? Sind die Ermittlungen unbeeinflusst?
Ich persønlich finde das Tabu rund um die Krankheit die zum Selbstmord führt aber interessanter. Sollte dieses wegfallen, so sehe ich den Selbstmord – abgesehen von den oben geschilderten Fall – eher als einen Todesfall unter vielen an. Über Krebstote wird ja im Einzelfall auch nicht berichtet. Ausser die berühmten. Dann sollen sie von mir aus auch über die berühmten Selbstmørder berichten dürfen.
Hey Frédéric,
so blöd ich deinen Text über Wallraff fand, so gut finde ich diesen hier.
Ich habe mich gestern sehr über Stefan Niggemeiers Text aufgeregt – um so wohler fühle ich mich jetzt bei der Lektüre deiner „Antwort“.
Niggemeiers selbstreferentielle, selbstherrliche, selbstgerechte Art ist für mich selten so klar zu Tage getreten wie bei diesem epischen Fehltritt „Enke und Werther“.
Ich bin ebenfalls der Meinung das man über dieses Thema schreiben darf und sogar muss. Die Frage des ‚wie‘ ist dabei die zu stellende. Nicht die des „ob“.
„Ich bin kein Fachmann und kann nicht alle Fakten genau einordnen, außerdem reichen ein paar Stunden Recherche nicht, um sich auch nur annähernd einen Überblick über den Forschungsstand zu verschaffen; “
Danke.
Das hätte sich Herr N. auch mal sagen können – stattdessen aber schlägt er mit dem wohl schwersten Hammer um sich, den ich je gelesen habe.
@#738186: Es ist nicht richtig, dass Cobain erst nach seinem Tod berühmt wurde. Ihn (vor seinem Tod) als „kleine Nummer“ zu beschreiben, ist gewagt. Natürlich (und leider) sorgt der Tod eines bereits erfolgreichen Künstlers, den man auf der Höhe seines Schaffens vermutete, für weitere Effekte, doch das konnte man bei vielen Künstlern beobachten. Zuletzt schnellten die Verkaufszahlen von Michael Jackson wieder in die Höhe.
Es ist aber auch nicht richtig, dass die Medien mit Cobains Selbstmord besonders sorgsam umgegangen wären. Ich war zum Zeitpunkt seines Selbstmordes in New York und bereits am nächsten Morgen (!!) standen die T-Shirt-Verkäufer mit verschiedenen Motiven an den Ausgängen der U-Bahnen und überall auf den Straßen. Leider kein Witz, und auch, wenn T-Shirt-Verkäufer keine Zeitungen sind, haben sie einen Teil zur Sache beigetragen. Die Tabloid-Presse hatte tagelang ausnahmslos Cobain auf dem Cover, Ursachen wurden angeblich gesucht, Interviews mit Nachbarn geführt, Courtney Love, ebenfalls nicht frei von Depressionen, soweit ich weiß, wurde geradezu gejagt — ich kann rückblickend keinen Unterschied zu anderen Berühmtheiten erkennen, die sich selbst umgebracht haben und ich weiß nicht, was an der medialen Behandlung von Cobains Selbstmord gesittet gewesen sein soll, zumindest nicht in den USA, wo Cobain bereits vor seinem Tod sicher eher eine Legende war als hierzulande.
Ich verstehe aber diese Diskussion sowieso schon lange nicht mehr. Natürlich muss es einen anständigen, respektvollen Umgang mit dem Tod von bekannten Persönlichkeiten geben, da sind wir uns glaube ich einig, und dass Freds älterer Artikel zu einem falschen Zeitpunkt kam, haben sowohl er als auch ich eingesehen. Doch wenn Fred nun die Frage nach dem „korrekteren“ Umgang stellt und dabei Schweigen als seiner Meinung nach falsche Alternative beschreibt, geht es erneut an vielen Stellen um die Frage, wie man mit der Krankheit Despression medial umzugehen hat.
Man mag mir den Gedanken bitte nicht übel nehmen, aber ich frage mich gerade, was ein Teil der Mitdiskutierenden als den „besseren“ Weg sieht. Nehmen wir mal einiges, was ich aus der vorangegangenen Debatte mitgenommen habe und fassen wir einige dieser Statements zusammen, dann komme ich auf:
1) Selbstmord ist in so gut wie allen Fällen eine Folge von Depression, was wissenschaftlich unumstößlich nachgewiesen ist, weshalb nur aus dieser Richtung darüber geschrieben werden sollte.
2) Berichte über Selbstmorde ziehen weitere nach sich, weshalb sie besser komplett unterlassen werden sollten.
Verstehe ich das richtig so? Dann haben wir (Fred und ich) eine andere Auffassung als einige der Mitdiskutierenden, was ja per se erstmal nicht schlimm ist.
Man sollte davon ausgehen, dass viele der hier Schreibenden, egal ob Artikel-Autoren oder Kommentatoren, ihre eigene Sicht der Dinge durchaus auch aus persönlichen Erfahrungen haben. Viele von uns haben bereits mit dem Tod zu tun gehabt, manche auch mit Selbstmorden. Eine „Ich habe mehr Recht als du“-Debatte, der Vergleich von wissenschaftlichen Ergebnissen, das Aufarbeiten von Zahlen sind daher meiner Meinung nach völlig sinnlos. Denn am Ende stehen wir alle — speziell im Fall von Selbstmorden — hilflos, verlassen und voller Schmerz da. Weshalb wir also nicht gemeinsam nach möglicher Hilfe, nach Antworten, nach dem besten Weg des Umgangs mit den Themen suchen oder einfach wenigstens miteinander statt (teilweise) gegeneinander reden, bleibt mir unklar.
Also als selbst zeitweise Suizidgefährdeter würde ich schon sagen, daß die mediale Präsenz Gefährdete in ihrer Gefühlslage beeinflussen kann (das wird in Fachkreisen „Trigger“, also „Auslöser“ genannt; deshalb wird in themenbezogenen Foren bspw. alles „gesplasht“, also vorzensiert, wie etwa „T*d“, „R*tz*n“, „Bl*t“, etc. Alleine dadurch, daß diese Wörter dann nicht mehr in ihrer Emotionalität im Gehirn landen, sondern entweder überlesen werden, oder man nur kurz darüber nachdenkt, welches Wort sich wohl dahinter verbirgt, nimmt dem jeweiligen Lesenden dann einen Teil der eventuell negativen Assoziationen. Heißt: Nur über ein Thema zu sprechen, kann Gefährdete destabilisieren – muß es aber nicht. Das hängt auch vom persönlichen Bezug ab. Wenn mir jemand, den ich persönlich mag, sagt daß ich mich am besten umbringen solle, hat das eine enorm negative Auswirkung. Lese ich vom Tod Robert Enkes, geht es mir erstmal wohl so wie jedem anderen. Bspw. rege ich mich über die Inszenierung in den Medien auf. Jeden Tag bringen sich Menschen um und kein Schwein interessiert es; allgemeines Mitgefühl ist gleich Null und dann trifft es jemanden, bei dem viele noch überlegen müssen, wer das eigentlich ist, aber hauptsache die Medien machen ein Drama drum, und dann wird das schon was ganz Schlimmes sein. Blablabla.
Letztendlich kann diese enorme Medienpräsenz dazu führen, daß man sich in einer anschließenden negativen Phase bezugnehmend auf das mediale Vorbild eher zum Suizid entschließen könnte – aber da spielen vorher soviele andere Dinge mit hinein… Enke wäre da nur ein Zünglein an der Waage.
Man müsste schon fast dankbar sein, ob der medialen Präsenz und der Besserungsgelöbnisse, wenn man nicht wüsste, daß sie halbherzig sind. Den zehntausenden Seelischkranken da draußen nützt das nichts. Die werden immer noch in der Schule, in der Familie, im Freundeskreis und auf der Arbeit niedergemacht. Nothing new on the news.
Exitus, mach´ mit sinnlosen Diskussionen Schluss!
Nee, da hastu mich in Deiner Fußnote falsch verstanden.
Ich habe Dir nicht vorgeworfen, Dein Text würde den Werther-Effekt auslösen oder unterstützen. Mir ging es darum (und ich dachte, das hätten wir in den Kommentaren lange genug auseinanderklamüsert), daß Du die Depression Enkes nicht als möglichen Grund anerkennen wolltest und andere Meinungen, die nicht von einem selbstbestimmten Tod ausgehen, abqualifiziert hast.
Na dann mal als Psychologe… Nein, nicht jedem Suizid geht eine klinisch relevante Depression voran. Ja, Lösungen von Problemen bzw. Lösungsstrategien werden erlernt und auch von Vorbildern übernommen. Suizid kann so eine Lösung darstellen, eigentlich ist es die Lösung aller Probleme. Mit dem kleinen Haken, dass man sich nicht der neuen, problembefreiten Situation freuen kann. Was die Lösung natürlich ad absurdum führt.
Ich denke, dass der bei Niggemeier zitierte Pressedingens schon Sinn macht. Auch weil die Statistiken ihn untermauern.
Was bei Kurt anders lief? Wer kann das sagen? Statistik sagt ja nie, dass etwas zu 100% eintritt oder nicht eintritt. Auch Menschen, die ihr Leben auf einsamen Südseeinseln in netter Gesellschaft ohne Luftverschmutzung und Tabakkonsum verleben, können an Lungenkrebs sterben. Auch sympathisch-tragische Musiker können daran scheitern, einen Werther-Effekt auszulösen.
Es liegt also ein nachgewiesenes Risiko darin, einen Suizidfall nachträglich in die Heldenecke zu stecken. Wegen der Nachahmer.
Somit ist die Medienberichterstattung und das Verhalten seiner Frau und seines Vaters nicht günstig. Das hat nichts mit Tot-Schweigen zu tun. Natürlich kann und soll die Journalistenschaft berichten. Aber ob es ein Staatsbegräbnis im Stadion inkl. Einladungs-Spam von Bild & Co. sein musste, das bezweifle ich doch sehr.
Abschließend: Ja, Depressionen sind ein Tabu-Thema in weiten Kreisen dieser Gesellschaft. Depressive, das sind die, die den Arsch nicht hochkriegen, die versagen im Job, die nicht wissen und deshalb nicht kriegen, was sie wollen.
Wer jemals in die Materie als Betroffener, Angehöriger oder Therapeut genauere Einblicke genommen hat, der weiss, dass für einen an Depressionen erkrankten Menschen die morgendliche Dusche das ist, was ihm früher die Steuererklärung war.
Genug gesagt. Enke ist tot, er wollte es in diesem Moment so und hatte „Erfolg“. Er ist kein Held. Er ist kein Vorbild. Mögen in einer besseren Welt die Medien aufhören, ihn als solches zu stylisieren.
Ich denke auch, dass einem Selbstmord nicht zwangsläufig eine Depression voran gehen muss. Aber eine Gemeinsamkeit gibt es wohl: das Gefühl der Alternativlosigkeit.
Die Tragik an vielen Selbstmorden ist die Tatsache, dass die Energie, die in ein Selbstmord investiert wird möglicherweise ausgereicht hätte, um sich aus der mißlichen Lage zu befreien.
Mir ging die mediale Omnipräsenz dieses Thema auch unter die Haut. Ich war wirklich erleichtert, als Spon gestern einfach mal keine Schlagzeile mehr zu diesem Thema hatte. Es muss jetzt wirklich allmählich gut sein.
@#738204:
„Heißt: Nur über ein Thema zu sprechen, kann Gefährdete destabilisieren — muß es aber nicht.“
Ist der Tod nicht überall präsent, genauso wie Ängste und Nöte? Ich hatte drei mal intensivst in meinem Leben Selbstmordgedanken, jeweils aus komplett verschiedenen Gründen heraus. So dass mich dieser Selbstmord wirklich nicht großartig berührt und ich nur höflich aus der Distanz heraus den Angehörigen mein Beileid aussprechen kann.
Meine Gründe waren sehr verschieden und das erste mal mit 19 Jahren entstand aus einer Art Überforderung heraus, würde ich sagen, dass zweite Mal hatte ich eine angehende Depression und das dritte mal entstand es aus einer speziellen Angst heraus.
All dem liegen Sorgen und Nöte zu Grunde, wo ich beim ersten mal noch vor allem stark sein wollte und nur am nächsten Tag mit einer Freundin kurz zu sprechen brauchte, die mir gestand, dass sie sich ähnlich überfordert fühlt, was hilfreich war, wo hingegen ich beim zweiten mal über Jahre von Arzt x zu Arzt y gerannt bin und sich unterdessen die spezielle Angst einstellte, ich also Jahre brauchte, um zwei große Probleme halbwegs in den Griff zu bekommen. So unterschiedlich ist das alles.
Jetzt habe ich zu Großteilen nur mit dieser speziellen Angst zu kämpfen, ich möchte da nicht näher darauf eingehen, aber was ich da teilweise an unfähigen Psychologen erlebt habe, ist unglaublich. Ich habe deswegen für mich andere Wege und Lösungen gesucht und teilweise auch einige gute gefunden, damit umzugehen und ernsthaft, so anonyme Foren zu speziellen Themen und Selbsthilfegruppen im Internet sind in dieser Hinsicht was feines, wenn mal eben niemanden zur Hand, der entweder das gleiche Problem hat oder ein fähiger Psychologe ist.
Aktiv werden ist richtig und wichtig, aber wie der Arzt sagt – schon eine morgendliche Dusche kann das Ausmaß einer unüberwindlichen Hürde sein, wenn eine Depression vorliegt.
Alles nicht so einfach. Und letztendlich, wenn Scham und Schuldgefühle überwiegen, welches spezielle Thema es auch immer war, dann ist es schwierig jemandem zu helfen.
Noch haben wir in Deutschland nicht die Situation, von vielleicht indischen Bauern, die dies zu hauf aus reiner Existenzangst tun. Noch nicht.
@#738176:
„Heilen muss ihn der Arzt.“ Genau die Einstellung führt dazu das viele schon nach kurzer Zeit nicht mehr zum Arzt gehen. Dann hörst du Sprüche wie „War beim Arzt — los heil mich! — Sagt der, das geht nur wenn man selbst aktiv wird — Arztwechsel!“.
Und aufgrund meiner Erfahrungen möchte ich noch hinzufügen – dass dies eine unglaublich arrogante Einstellung ist – es gibt nämlich zuhauf unfähige Ärzte und es liegt nicht immer am Patienten, wenn es nicht klappt. Zudem ist das eine komplizierte Angelegenheit, da nicht jeder mit jedem kann und psychologische Betreuung auf einem Vertrauensverhältnis basieren muss.
Um das mit den unfähigen Ärzten noch einmal zu konkretisieren: Ich wurde von drei Ärzten abgelehnt behandelt zu werden, zwei mal mit der Begründung, dass sie überfordert sind von meinen Problemen und einmal, weil es nicht passte, seiner Meinung nach. Und wenn man von Spezialisten gesagt bekommt, sie wären überfordet. Nun ja.
Zudem ist es so, dass einige Ärzte Patienten generell ablehnen, die mit Selbstmordgedanken sich herumplagen u.s.w. und so sofort. Psychotherapie, Psychiater und etc. sind wirklich ein weites spannendes Feld. Man braucht sich nur mal umhören, im Internet umschauen oder sonst wie sich damit beschäftigen. Es ist nämlich ziemlich kompliziert und keine so einfache Angelegenheit, mal eben zum Arzt zu gehen.. Mein Fazit nach vier Jahren ausdauernder Beschäftigung mit diesem Berufsfeld: Einige Ratschläge und Tipps und Trciks waren wirklich sehr hilfreich, aber zum Großteil habe ich mich komplett alleine, mit Hilfe von freunden oder mittels tausenden anderen Wegen und Möglichkeiten mit meinen Problemen auseinandergesetzt.Oh, und von falscher Medikation, bzw. wie schnell Medikamente verschrieben werden. Dazu sage ich jetzt auch nicht mehr weiter.
in die kategorie erfahrungen:
gestern vormittag haben sich drei schülerninnen meiner schule, einer förderschule, eine flasche vodka geklaut und geplant, sich vor eine s-bahn zu werfen.
den schülerinnen lässt sich mit sicherheit kein hoher iq nachsagen, dafür aber eine pubertäre und sehr naive weltsicht. wiederum zu wenig überzeugung, um ein solches vorhaben auszuführen. aber genug dummheit, um sich in gefährliche situationen hineinzumanövrieren.
so endete das ganze für eine schülerin mit einer alkoholvergiftung und für eine andere mit einer einweisung in eine geschlossene abteilung (das mädchen hatte letzte woche bereits versucht, sich in der schule umzubringen, massiv geritzt etc.).
gerade für solche jugendlichen, die aus mitunter schlimmen familiären verhältnissen stammen, die (oft zu recht) wenig perspektiven für ihr leben sehen und die die welt (geschweige denn zeitungen) nicht analysieren, finde ich eine solche medienaufbereitung sehr gefährlich.
natürlich muss über das thema gesprochen und soll nichts verheimlicht werden. zudem ist das thema nicht neu und steht so oder so für einzelne schüler im raum. eine thematisierung ist also unumgänglich. aber eine so öffentliche aufwälzung des gesamten falles inklusive „bombastischem begräbnis“ verzerrt für unsere (teils sehr einfach denkenden) schüler das thema, anstatt es zu durchleuchten.
man sollte den medien also keine freie hand lassen, alles mit einem todesfall machen zu dürfen, das über wochen die verkaufszahlen und quoten steigert. meiner meinung nach.
Also möchte nochmal zum dem kritisierten Text von Stefan Niggemeier zurückkehren, denn der ist in der Diskussion nicht so richtig bearbeitet worden. Meiner Meinung nach wird im Text gar nicht gesagt, man soll unter allen Umständen Selbstmorde verschweigen.
Stefan Niggemeier stellt dagegen ab, dass alles zu unterlassen ist, was eine Identifikation mit dem Selbstmörder herstellen könnte. Dies ist eben in der Enke-Berichterstattung nicht passiert. Sofort wurde Verständnis wg. dem Tod seiner Tochter ausgedrückt. Da kann man durchaus eine Akzeptanz von Selbstmord herauslesen.
Warum das bei Cobain anders war? Keine Ahnung. Das ist aber auch nicht der Punkt. Aus der Ausnahme sollte man wohl keinen Freifahrtschein für die Regenbogenpresse machen.
@Jochen: Doch, sagt er.
@#738262: Da fehlt mir noch ein bisschen der Kontext.
Das ist es eben nicht sein Fazit. Niggemeier kommt dagegen zum Schluß, dass es nicht realistisch wäre, Selbstmordberichterstattung zu verbieten. Da deutet der Konjunktiv schon drauf hin.
Aber wenn man es schon macht, das ist seine These, dann auf eine andere Art und Weise als es im Moment der Fall ist.
@#738266:
Er schreibt zwar im Konjunktiv, es wäre nicht realistisch (umsetzbar) – trotzdem aber will er es so.
Und genau das was du in deinem letzten Satz schreibst, HÄTTE er sagen sollen. Genau das tat er aber eben nicht. Stattdessen hat er sich ja eben in eine völlig abstruse „Werther-Effekt-Argumentation“ begeben.
@#738278: Oh Leute.
Sind wir Deutschland soweit, dass man alles immer genau sagen muss, damit der Leser nur nicht denken muss? Selbstverständlichkeiten wie „Ich bin natürlich(!) gegen KIPO, aber ….“ müssen ja leider auch gesagt werden.
Ich habe Niggemeiers Kritik nur in meinen Worten zusammengefasst. Er hat das alles nur in mehr Worten mit ein paar Anregungen zum kritischen Nachdenken ausgeführt.
Darum geht es doch gar nicht. Wir sprechen doch darüber was sein Fazit ist – du bist jetzt auf einer ganz anderen Ebene.
Will er, dass man über Suizide spricht, oder nicht?
Schreibt er wegen des sog. „Werther-Effekts“ den Bericht erstattenden Journalisten eine Mitschuld an Selbsttötungen zu?
@Jochen: Wenn wir das ernsthaft diskutieren wollen, müssen wir zunächst ein bisschen ethische Haarspalterei betreiben.
In seinem Blogpost schreibt Stefan Niggemeier deutlich, „Es wäre am besten, wenn Medien gar nicht über Selbstmorde berichten.„. Im Kommentar (#48) zu meint er:
Im Blog begründet er diese Sichtweise mit der Verantwortungsethik. Dem klassischen Utilitarismus folgend geht sie davon aus, dass jede Handlung das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl bewirken soll. Es handelt sich hier also um eine moralische Norm. Eine Erhöhung der Suizidrate führt sicher nicht zum Glück der Betroffenen (das ist keinesfalls zynisch gemeint). Daher steht jede mediale Berichterstattung über Suizide mit dieser Norm in Konflikt, wenn sich nachweisen lässt, dass sie immer zum Anstieg der Suizidrate führt. Ich glaube, dieser Nachweis lässt sich überzeugend führen. Frédérics Beispiel von Kurt Cobain ist kein Gegenargument, denn man weiß vorher nicht, ob ein Werther-Effekt auftritt oder nicht.
Moralische Normen leiten ihren Wahrheitsanspruch aus vernunftgegründeten Sätzen ab, nicht aus empirischen Beobachtungen. Die Feststellung, dass das (empirische) Sein nicht dem (moralischen) Sollen genügt, macht eine Norm nicht hinfällig. Stefan Niggemeier fordert den Kodex über den medialen Umgang mit Suiziden nicht, weil er die Norm für falsch hält, sondern aus praktischen Überlegungen. Wenn nämlich durch eine veränderte Berichterstattung Suizide verhindert werden können, dann ist das der gegenwärtigen Berichterstattung vorzuziehen. Jedoch führt das Nicht-Berichten zu der geringsten Zahl von Geschädigten und ist deshalb das Optimum.
Zur Bewertung der Norm, keine Berichterstattung über Suizide mehr zu leisten: Der Utilitarismus fordert von moralischen Handlungen, dass ihre Nettoergebnis (gute Effekte minus negative Effekte) besser ist als das jeder Alternativhandlung. Dazu müssen alle Effekte einbezogen werden, nicht nur die offensichtlichen. Wie groß sind die negativen Effekte des Werther-Effektes? Darüber herrscht in der Wissenschaft Uneinigkeit. Denn es ist nicht klar, wieviele der Suizide nur im Zeitpunkt verschoben sind. Viele Suizide haben Ursachen, die früher oder später die Selbsttötung sehr wahrscheinlich machen. Dazu gehören besonders die psychischen Störungen. 15% der schwer Depressiven begehen Suizid. (Ich möchte nicht darüber spekulieren, inwieweit das auf Robert Enke zutrifft. Das geht mich nichts an. An dieser Stelle möchte ich auch seiner Familie mein sehr ernst gemeintes Beileid aussprechen.) Ich bin jedoch sicher, dass es eine Reihe von Personen gibt, die sich ohne ein entsprechendes Ereignis nicht umgebracht hätten. Damaris (Kommentar # 28) hat dazu ein anschauliches Beispiel gebracht. Was ist mit möglichen positiven Effekten? Die Währung unserer Zeit heißt mediale Aufmerksamkeit. Ohne sie ist es fast aussichtslos, Verbesserungen im Bereich der Suizidprävention und der Versorgung psychischer Störungen zu erreichen. Ich halte die Möglichkeit für sehr real, dass es hier zu positiven Effekten kommen kann. Meine sehr negativen Erfahrungen mit dem deutschen Versorgungssystem beeinflussen diese Einschätzung natürlich immens, aber das kann ich nicht ändern.
Fazit: Ich halte es für widersprüchlich, wenn Stefan Niggemeier mit den Konsequenzen der Handlung argumentiert, dabei aber die möglichen positiven Nebeneffekte außer Acht lässt. Selbstverständlich wäre es besser, wenn es nicht eines solch tragischen Ereignisses bedürfte, um über die oben genannten Themen sprechen zu können. Dass das aber nicht realistisch ist, muss ich nicht betonen.
@#738290: Wenn man es jetzt haarspalterisch sehen will (Du hast angefangen ;-) ), dann stimmt Dein Einwand.
Ich sehe das dann aber doch eher so:
Einen positiven Effekt zu erzielen, ist sehr wahrscheinlich extrem schwer und ein Balanceakt. Diesen scheinen die wenigsten „Qualitätsmedien“ leisten zu wollen oder zu können. Dann wäre doch wohl besser die gesamte Berichterstattung zurückzufahren. Um es mathematisch auszudrücken: Lieber ein lokales Maximum an „Glück“ als ein schwer zu findendes globales Maximum.
Insofern sehe ich praktisch keinen Widerspruch, sondern nur die Konsequenz, wenn man über die Verantwortung des Journalisten nachdenkt.
@Jochen: Möglicherweise hast du Recht mit diesem Fazit. Der Stand der Dinge ist ja wirklich haarsträubend. Aber ich kann mich dem trotzdem nicht wirklich anschließen. Frédéric hat bei mir einen Nerv getroffen:
Vielleicht bin ich zu egoistisch, wenn ich sage: Lasst uns drüber sprechen, auch wenn es das Risiko von Nachahmungen steigert. Wir haben lange genug geschwiegen. In jedem Fall glaube ich, ein Kodex ist eine Forderung, auf die wir uns alle einigen können. Was seine Umsetzung leider nicht realistischer macht.
@#738298: Die Frage ist: Über was sollen wir reden?
Über den tatsächlichen Selbstmord (das ist was Niggemeier nicht möchte), oder über psysische Erkrankungen und wie man mit diesen umgeht.
Und dagegen sagt auch Stefan Niggemeier nichts. Darüber können wir gerne reden.
@Jochen: In einer idealen Welt hätten wir diese beiden Möglichkeiten zur Auswahl. Ich fürchte, in dieser gibt es nur das Gesamtpaket.
@#738301: Selbstmorde sagen viel über den Zustand einer Gesellschaft. Die alters- und Jugendsuizide machen uns auf drastische Weise Missstände bewusst, die wir als Gesellschaft gerne unter den Teppich kehren würden.
Die Personalisierung dieser Missstände schließt mit ein, dass man über einzelne Selbstmorde spricht, um überhaupt auf den Zusammenhang zu kommen.
@#738305: Das wird sich wohl nciht vermeiden lassen, aber dann muss man darauf achten, dass man Heroisierung der Tat, Verständnis für die Tat etc. möglichst unterlässt. Bei aller Trauer und Emotionen muss man das Thema eben nüchtern diskutieren.
Und das passiert eben nicht. Stattdessen wird Verständnis gezeigt, wird suggeriert, dass der Selbstmord schon in Ordnung geht, er hat ja schliesslich eine Tochter verloren. Das ist in meiner Sicht das Problem, das Niggemeier aber beklagt.
Mich schüttelt es bei dem Gedanken, kein Verständnis für einen Selbstmörder haben zu dürfen. Heroisierung ist etwas anderes, Marylin Monroe als SChneewittchen sterben zu lassen und als Ikone der Schönheit, ist nicht nur unglaublich geschmacklos, sondern durchaus auch gefährlich.
Ich halte auch nichts von seiner Pathologisierung, da bin ich absolut Deiner Meinung. Aber Verständnis, auch wenn es schwierig ist, die richtigen Worte zu finden, und Trauer sind elementare Bestandteile der Aufarbeitung. Imho.
p+p+po+
@#738309: Ja, aber ist Dein persönlicher Umgang mit einem Selbstmord. Da habe ich nichts dagegen.
Das hat aber nicht mit öffentlicher Kommunikation zu tun.
@Frédéric: Danke für die klaren Worte.
@Jochen: Wer suggeriert wie, dass der Suizid „schon in Ordnung geht“? Ich kann das nicht erkennen. Der Versuch, sich (auch mit Begründungsversuchen) an das Thema anzunähern, ist doch keine Bejahung der Tat. Und wie soll man bei einem so traurigen und aufwühlenden Thema unemotional bleiben? Fändest du eine abstrakte akademische Diskussion angemessener? (Diese Frage ist durchaus ernst gemeint, nicht polemisch.)
Ich kann mir nichts persönlicheres als die Auslöschung der eigenen Existenz vorstellen. Wir können uns auch mit dem Arsenal der klinischen Psychologie und Psychiatrie ausstatten, und das Grauen mit nüchternen Zahlen zu zähmen versuchen. Welche Bedeutung jedoch der Suizid für einen einzelnen Menschen und uns als Gesellschaft hat, wird damit nicht klar werden können.
@#738312: Das war meine Antwort auf Frédérics Einwurf, dass Selbstmorde ein gesellschaftlicher Spiegel sind. Dann muss die Diskussion über die Ursachen dieser gesellschaftlichen Fehlstellung eben nüchtern betrachtet werden.
Auf der aktuellen, persönlichen Ebene eines Selbstmordes ist das natürlich nicht möglich. Aber muss man denn Trauer zwangsläufig in öffentliches Reden enden?
Ich kann nach einer Woche immer noch nicht, Nachrichten schauen, ohne Bilder vom Unglücksort zu sehen. Hat das etwas mit Trauer zu tun?
Ich finde gerade bei Personen, die im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussionen standen, ist es wichtig, solche Vorfälle in den Medien zu diskutieren. Jedoch ist dies im Fall Robert Enkes doch etwas zu viel geworden.
Klar ist, dass sich Menschen in ähnlich schwierigen Situationen und depressiven Zügen sich durch solch eine Berichterstattung in ihren teiweise wohl vorhandenen Suizidgedanken bestätigt fühlen.
Es ist unmöglich, eine Statistik zu einer erhöten Rate von Suiziden zu führen und diese auf ein Ereignisse wie den Freitod einer berühmten Persönlichkeit zurückführen zu wollen…
Das Wichtigste wird nach den jüngsten Ereignissen sein, eine Krankheit wie Depressionen in der Öffentlichkeit auch als solche anzuerkennen und den Menschen die Angst davor zu nehmen, sich mit ihren Problemen an die richtige Stelle zu wenden und nicht allein zu bleiben.