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Paul Nolte: Religion und Bürgergesellschaft

Brauchen wir einen religionsfreundlichen Staat? Das ist die Frage, die Paul Nolte in seinem Buch stellt, und man muss kein Prophet sein, um zu wissen, was die meisten Spreeblick-Kommentatoren darauf antworten werden: Natürlich nicht. Persönlich bin ich mir da nicht so sicher: Deswegen folgt hier statt einer Besprechung von Noltes Band eine kleine Zusammenfassung seiner Argumente, warum Religion als Teil einer Bürgergesellschaft wichtig ist.

Nolte, um das vorwegzunehmen, spricht nicht vom religiösen Staat. Sondern von einem Staat, der mehr und mehr Terrain der Bürgergesellschaft abtritt. Die Bürgergesellschaft ist der gesellschaftliche Bereich zwischen Staat, Markt und isoliertem Individuum, in dem engagierte Freiwillige öffentliches Leben gestalten. Das geht von Parteien über NGOs wie Amnesty bis hin zur freiwilligen Feuerwehr. Und eben auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Dabei leistet die Religion gleich auf mehreren Ebenen einen Beitrag zur Gesellschaft. Es ist bekannt, dass religiöse Menschen prinzipiell viel engagierter sind und mehr Ehrenämter übernehmen, als das bei Nichtreligiösen der Fall ist. Die Religion animiert ihre Anhänger dazu, sozial verantwortlich zu handeln und moralischen Verpflichtungen nachzugehen.

Dazu nutzen Religiöse häufig ihr soziales Netzwerk, also die Gemeinde vor Ort beispielsweise oder in größeren Verbänden; also alles vom gemeindefinanzierten Dritte-Welt-Laden bis zu Brot für die Welt, von Schulen mit kirchlicher Trägerschaft und Integrations- oder Sprachkursen bis hin zur Caritas. Dazu gehört auch, dass Kirchen Räume zur Verfügung stellen, in denen soziale Interaktion stattfindet.

Die Bürgergesellschaft lebt von Engagierten, die ökonomisch gesprochen eine Leistung erbringen, für die sie keinen Gegenwert erhalten. So funktioniert der Ausgleich zwischen Starken und Schwachen, so funktioniert Solidarität. Derjenige, der gibt, hat nicht mehr zu erwarten als eine gewisse moralische Befriedigung. Das geht von der sonntäglichen Mitarbeit bei einer Tafel über Spenden bis hin zur Abführung der Kirchensteuer. Auch in finanzieller Hinsicht sind Religiöse aktiver: „žDie materielle ‚Mehrinvestition‘ religiöser bzw. kirchlich gebundener Bürgerinnen und Bürger ist, wenn man Kirchensteuer und Spendenverhalten nimmt, mindestens eine Doppelte.“

Außerdem setzt die Bürgergesellschaft den Mechanismen von Markt und Staat eine eigene Deutung entgegen und birgt Widerstände, um sozialmoralische Logiken zu verteidigen. In der Frage der Sonntagsruhe beispielsweise hat sich innerhalb der Kirche eine breite Opposition zum Markt gebildet; beim Kirchenasyl stellt sie sich gegen den Staat. Religion kann sozialen Protest nicht nur kleinteilig organisieren, sondern in bestimmten Momenten auch mobilisieren; Nolte spricht hier vom „žDissens- und Dissidenzpotential der Religion“. Wichtigstes Beispiel der letzten Jahre war dabei (neben der Rolle der Kirchen in Polen und der DDR) die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King.

Dass trotz der neuerlichen Rufe nach einem starken Staat die Bürgergesellschaft weiter im Kommen ist, ist unbestritten. Dem Staat fehlen die Mittel, alle gesellschaftlichen Ziele zu erreichen, und häufig sind bürgergesellschaftliche Initiativen effektiver; dabei ist unbestritten, dass Religion einer der wichtigsten bürgergesellschaftlichen Akteure ist.

Deswegen plädiert Nolte für einen Staat, der nicht die völlige Säkularisation anstrebt, und der nicht davon ausgeht, Religion sei bloße Privatsache. „žGerade in Deutschland muss man gelegentlich noch daran erinnern, dass Religionsfreiheit nicht die Freiheit von Religion bedeutet — gewissermaßen das subjektiv-öffentliche Recht, von Religion unbehelligt zu bleiben —, sondern die Freiheit für Religion bezeichnet.“

Drei Beispiele nennt Nolte als praktische Konsequenz; Beispiele, die in jüngster Zeit häufig diskutiert wurden: die finanzielle Unterstützung konfessioneller Schulen, Krankenhäuser und sonstiger Einrichtungen, Religionsunterricht als Wahlpflichtfach an öffentlichen Schulen und das Ende der Diskussion über die staatliche Förderung der Kirchensteuer.

Voraussetzung für diese Staatsfreundlichkeit ist die postsäkulare Religion: das heißt eine Religion, die neben und mit den anderen Religionen konkurriert. Als Gleichberechtigte, die sich dem Staat zu unterwerfen haben. Gerade auch in der Frage, was einer Religion entspricht und was nicht. Was sie darf, und was sie zu unterlassen hat im öffentlichen Raum. Die Grenzen der Religion werden abgesteckt von einer offenen, demokratischen Gesellschaft.

Unter der Voraussetzung hält Nolte Religion für eine wichtige Ressource der Bürgergesellschaft.

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68 Kommentare

  1. 01

    Die Bewertung, ob eine Gesellschaft Religion braucht, ist untrennbar mit deren Institutionalisierung verbunden. „Braucht Deutschland Religion“ ist eine ganz andere Frage als „braucht Deutschland die Kirchen“.

    Und letztere ist in unserem korporatistischen Staat momentan eindeutig mit ja zu beantworten. Ob man es will oder nicht, die Kirchen übernehmen, wie viele andere Institutionen (Industrie und Handelskammern, Gewerkschaften etc) auch, hoheitliche Aufgaben vom Staat. Damit sind sie bereits auf einer anderen Ebene als der der bürgergesellschaftlichen Initiative. Die Kirchen sind Teil des Staatsapparates und größter Wohlfahrtsträger.

    Deswegen kann ich Nolte oder deiner Zusammenfassung zumindest nicht zustimmen. Über Religion sagt diese sehr spezifische Auslagerung von hoheitlichen Aufgaben nichts aus. Die AWO und andere große Träger leisten ihren Beitrag ohne religiöse Überhöhung. Und zu guter Letzt muss man sich in Deutschland immer wieder vor Augen führen, dass die größte Kirche der ADAC ist.

  2. 02

    Auch wenn ich hier möglicherweise nur die vorhersehbare Meinung der meisten Kommentatoren äußere: Nein. Sehe ich gar nicht so. Abgesehen davon, dass die Kirchen nur einen verschwindend geringen Teil „ihrer“ sozialen Aktivitäten selber bezahlen, bin ich nicht sicher, ob Religiosität wirklich soziales Engagement fördert, oder ob vielleicht anders herum sehr sozial eingestellte Menschen auch zur Religiosität neigen.
    Außerdem fehlen für meinen Geschmack in diesen Überlegungen die Schäden, die Religionen in verursachen, beispielsweise weil sie die Gesellschaft spalten. Es ist nicht lange her, dass mir eine gebildete junge Frau erzählte, sie könne wohl ihren Freund leider nicht heiraten, weil er Katholik sei und sie Protestantin, und ihre Familien das nicht akzeptierten, um ein persönliches anekdotisches Beispiel zu bringen.
    Der Staat muss nicht gegen Religion kämpfen, genausowenig wie gegen anderen Quatsch, solange er niemandem schadet. Aber er sollte sie – ich bin mir der Verfänglichkeit der Formulierung bewusst – um Gottes Willen nicht fördern.

  3. 03
    cjs

    Ach, das gute alte Böckenförde-Paradox rides again. Im Original hört sich das so an:

    „žDer freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt, mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und — auf säkularisierter Ebene — in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

    Ernst-Wolfgang Böckenförde: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation. In: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1967 (für die Eiligen gibts auch einen Wikipedia Artikel zum Böckenförde-Paradox :-)

    Seit Böckenfördes sehr lesenswerten Aufsatz von 1967 wird diese These alle Jahre wieder mit großem Enthusiasmus durchs publizistische Dorf getrieben ( Kirchhhof, di Fabio…). Ich möchte jetzt gar nichts zu der soziologischen Stimmigkeit der These schreiben, ich frag mich nur, wie uninspiriert man für dieses Epigonentum sein muss.

  4. 04
    Frédéric Valin

    @#743423: Diese Uninspiriertheit ist die Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten. Böckenförde zu aktualisieren ist ein Teil davon.

    (Ich beispielsweise kannte Böckenförde nicht bis zu diesem Kommentar und hätte vermutlich auch noch lange nichts von seinem Aufsatz gehört, wenn nicht Nolte eine Aktualisierung (sofern das eine ist) vorgenommen hätte.)

  5. 05
    Kai

    Natürlich habe ich das Recht, frei von Religion leben zu können.

    Wenn ich ins Krankenhaus gehe, will ich eine medizinische Behandlung und keine Kreuze und Bibeln im Zimmer, mit denen irgendein Glauben verbreitet werden soll. Wenn religiöse Menschen dies wünschen, sollen sie gerne in kirchenfinanzierte Krankenhäuser gehen und sich dort behandeln lassen. Ich lehne es aber ab, dass von meinen Steuergeldern solche Einrichtungen finanziert werden, in denen Glauben propagiert wird. Es ist eine Unverschämtheit, wenn ich als Atheist zur Finanzierung solchen Humbuks herangezogen werden soll.

    Überhaupt sind Deine Behauptungen sehr fragwürdig. Zu behaupten, dass religiöse Menschen sich mehr engagieren würden und dies alleine mit dem rhetorischen Kniff „Es ist bekannt“ zu begründen, ist schon gewagt. Ich kenne sehr viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und mit Glauben und Kirche nichts am Hut haben. Es mag sein, dass Du Recht hast – aber dann solltest Du Deine Behauptungen mal mit Zahlen unterfüttern, ansonsten bleiben es Behauptungen.

    „In der Frage der Sonntagsruhe beispielsweise hat sich innerhalb der Kirche eine breite Opposition zum Markt gebildet“

    Nun, das ist ein schönes Beispiel. Ich brauche als Argument für einen arbeitsfreien Sonntag keine Kulthandlungen, die an diesem Tag ausgeführt werden (zu denen im übrigen auch verschwindend wenig Menschen gehen). Der arbeitsfreie Sonntag ist schlicht ein Recht der Arbeitnehmer auf Erholung und auf familienfreundliche Arbeitszeiten. Hierfür zu kämpfen ist eigentlich Aufgabe der Gewerkschaften, aber ganz sicher nicht der Kirchen.

    Als Atheist lehne ich es ab, dass von meinen Steuern irgendwelche Glaubensgemeinschaften finanziert werden. Gesellschaftliches Engagement bedarf nicht der Religion als Antrieb, sondern muss zum selbstverständlichen Miteinander unter Menschen zählen.

  6. 06
    Jan(TM)

    Wir brauchen die Trennung von Staat und Religion. Basta.

    „Es ist bekannt, dass religiöse Menschen prinzipiell viel engagierter sind und mehr Ehrenämter übernehmen, als das bei Nichtreligiösen der Fall ist.“ Ohne Zahlen die das belegen ist das nur geblubber.

    Die Tafeln(TM) haben mit Religion gar nichts zu schaffen. Ich werte Neocons mal nicht als Gläubig.

    „Auch in finanzieller Hinsicht sind Religiöse aktiver“ Ich muss auch für meine Hobbys zahlen.

    „… der Rolle der Kirchen in Polen und der DDR …“ Die Rolle der Kirche in Rumänien, Franco Spanien erwähnt er natürlich nicht.

    „Als Gleichberechtigte, die sich dem Staat zu unterwerfen haben.“ Haha, als Gleichberechtigte gegen die Religionfreiheit(im wahrsten Sinne des Wortes) bitter erkämpft werden musste und die jetzt ihren Machtverlust beweinen.

  7. 07
  8. 08
    Frank Drebbin

    „Brauchen wir einen religionsfreundlichen Staat?“
    Ja.

  9. 09
    Arne

    Sollte man nicht irgendwo darauf hinweisen, daß Paul Nolte Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin ist und damit eher so eine Art Hans-Olaf Henkel der evangelischen Kirche darstellt, als den seriösen Gesellschaftshistoriker, als der er mal begonnen hat?

    Und selbst, wenn es so wäre, daß es „materielle Mehrinvestitionen“ kirchlich gebundener Bürger gibt: diese Einsicht alleine macht noch nicht fromm. Man wird sogar zum Heuchler, wenn man deswegen der Kirche das Wort redet.

    Im Übrigen müßte man gerade als Gesellschaftshistoriker analysieren, wie diese „Mehrinvestitionen“ strukturell zustande kommen: ob das an den Mentalitäten der Religiösen liegt oder auch am sehr weltlichen Steuersystem. Noltes Evangelische Akademie zum Beispiel wirbt auf ihrer Seite ganz offen mit den steuerlichen Vorteilen der Spendentätigkeit.

    http://www.eaberlin.de/steuerliche_vorteile.php

  10. 10
    Stefan

    Religion macht unmündig, weshalb ein säkularer Staat immer zu bevorzugen ist. Das größte Problem ist aber, dass Religionen Gott in den Mittelpunkt stellen. Im Humanismus wird der Mensch in den Mittelpunkt gestellt. Wo immer der Mensch unter Gott gestellt wird, wird es auch irgendwann (fast zwangsläufig) passieren, dass gegen einen Menschen zugunsten einer angeblich „von Gott gewollten“ Entscheidung entschieden wird. Das kann von minderen, ethischen Motiven bis hin zu Tötungen (siehe Iran) reichen.

    Auf den ersten Blick mag es richtig sein, dass religiöse Einrichtungen viele soziale Aufgaben übernommen haben, und Ihre Berechtigung daher wünschenswert ist. Nur ist meist nicht zu erkennen, welcher Anteil für den Betrieb einer Religion und welcher für „gute Taten“ aufgewendet wird. Wem es nur um gute Taten geht, der wird auch außerhalb der Religion, fernab des Klingelbeutels und der Kirchensteuer, seinen Beitrag leisten. Eine solche Tat ist selbstlos, eine Spende im religiösen Rahmen ist immer mit einem Hintergedanken versehen. Der Gläubige möchte im nächsten Leben/Leben nach dem Tod einen Vorteil erkaufen.

    Ich bin für eine Förderung von menschlichen Werten, die ohne eine angeblich höherstehende Macht, für die einige Menschen mit eigenen Interessen sprechen. Die Schüler sollten lieber mal durch die unzähligen Philosophen von Sokrates bis Popper lesen, um ihren Horizont zu erweitern.

    Wer nach dieser Lektüre (trotzdem) noch glauben möchte, der soll das tun; in unserer Gesellschaft werden aber hilflose Kinder in ein System geboren, dass sie von der Wiege bis zur Bahre in einen Kreislauf aus Schuld, Sünde, Vorwurf und Drohung (im Wechsel mit Mitgefühl) steckt. Daraus aus eigener Kraft zu entkommen und einen aufgeklärten, humanen, toleranten und freien Geist zu entwickeln, wird so unnötig erschwert oder ganz verhindert.

  11. 11
    Stefan

    @#743416: Das ist ja noch ein mildes Problem im täglichen Umgang mit Religion. Ich habe mich neulich mit einer Studentin der russisch-orthodoxen Kirche in der Mittagspause unterhalten. Jedenfalls kamen wir auf das Thema „Lesbische Menschen“. Sie meinte doch wirklich das sei „widernatürlich“ und „Gott wäre dagegen“. Nach dem sie meinen Zornesröte sah und es abschwächen wollte, setzte sie aus versehen noch einen drauf und sagte: „Aber die dürfen natürlich auch leben“. Ohne Kommentar. Messt die Religionen nicht an ihren guten Taten, sondern an ihren schlechten.

  12. 12

    @Stefan (11): So ist das. Man vergisst so leicht, welche Ärgernisse und Schwierigkeiten die Religionen im Alltag schaffen, weil man permanent davon umgeben ist. Man merkt es gar nicht.

  13. 13

    Ich möchte auch noch folgenden Text zum Thema erwähnen:

    http://blog.dignitatis.com/wordpress/2009/01/16/alles-gute-samariter-religiositat-und-altruismus/

    Sozialpsychologische Studien finden übereinstimmend keinerlei UNTERSCHIEDE zwischen Atheisten und Theisten auf verschiedensten Dimensionen der Hilfsbreitschaft und und der sozialen Kooperationsbereitschaft.

    Die Frage ist nicht, OB Menschen an Götter glauben, sondern WIE.

    Und damit wird der Götterglauben überflüssig.

    In Ostdeutschland leben etwa 8 Millionen Menschen, die von sich sagen, dass sie Atheisten sind. Das sind über 50% Prozent. Über 70% bezeichnen sich als konfessionlos.

    Die ostdeutsche Zivilgesellschaft ist allerdings weder vor noch nach der Wende zusammengebrochen.

    in der folgenden Grafik finden Sie den Vergleich ehrenamtlicher Tätigkeit zwischen Ost- und Westdeutschen.

    http://blog.dignitatis.com/wordpress/wp-content/uploads/2008/08/wohlfahrt.gif

    Fast zehn Prozent mehr Ostdeutsche als Westdeutsche sind in sogenannten Wohlfahrtsvereinen (die der planmäßigen, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbszweckes ausgeübten Sorge für notleidende oder gefährdete Menschen dienen) engagiert, während sich doppelt soviele Westdeutsche in Kulturvereinen finden.

    Ehrenamtliches Engagement und Spenden dienen in Westdeutschland (etwa 70% religiös) also offenbar vorwiegend dem Privatvergnügen, während Ostdeutsche (70% konfessionsfrei) eher an ihre Nachbarn denken.

    Im Übrigen ist es völlig unerheblich welchen zivilgesellschaftlichen Nutzen ideologischer Unfug wie der Theismus hätte. Unsinn bleibt Unsinn, auch wenn es Bevölkerungsteile gäbe, die davon profitieren könnten.

  14. 14

    Ach ja … und zum Thema „Die Kirchen sind Teil des Staatsapparates und größter Wohlfahrtsträger.“

    Wenn die Deutschen den Kirchen noch etwas zu Gute hielten, dann war es die Ansicht, dass die Kirchen mit ihren Einnahmen aus der Kirchensteuer und ihren übrigen Einnahmen (2003 rund 17 Milliarden Euro) doch mit ihren sozialen Einrichtungen soviel Gutes für die Gesellschaft tun würden.

    Wie hoch ist also die „Kirchenquote“, d.h. den Anteil von Kirchengeldern in der Finanzierung aller Tätigkeiten von Caritas und Diakonie. Diese Kirchenquote beträgt 1,8 Prozent. In Summen ausgedrückt finanzieren die beiden Kirchen von den 44,5 Milliarden Euro Kosten der Einrichtungen in der Trägerschaft von Caritas und Diakonie insgesamt nur 828 Millionen Euro. Es sind nur 4,8 Prozent des Geldes der Kirchen, die für soziale Zwecke eingesetzt werden.)

    Hierzu bitte hier weiterlesen, -schauen und staunen:

    http://blog.dignitatis.com/wordpress/2008/06/17/tennung-von-staats-und-kirchenfinanzen/

  15. 15
    anonym

    Wie bereits im Text selbst schon richtig angekündigt wurde, sprechen sich die meisten hier in den Kommentaren gegen die Religion aus. Was mir zumindest ausgesprochen vernünftig vorkommt.

    Es ist kaum zu bestreiten, daß die Religion auch einige positive Dinge bewirkt hat; dennoch überwiegt das Negative fast immer bei weitem.

    Glauben als Privatsache ist o.k., doch bleibt es ja bedauerlicherweise oft nicht dabei. Wenn man mal ans Christentum denkt, fallen mir auf Anhieb zwei Übel (von vielen) ein: Die Kirchensteuer (auch als Zwangsinstrument, bei Eheleuten z. B., von denen nur einer der Kirche angehört) und der frühere Bischof von Berlin-Brandenburg, ein von den Medien meist hochgelobter eitler Schwätzer, der für sich genau wußte (und dies formulierte), daß die Leute im Osten missioniert werden mußten, weil sie unter der Knute des Kommunismus gottlos geworden waren.

    Ich selbst hatte im ganzen Leben nie etwas mit Religion (oder einer Religionsgemeinschaft zu tun) und habe da auch gar nichts vermißt. Als historisches, theoretisches Thema mag Religion ganz in Ordnung sein, so wie Botanik und Literaturwissenschaft. Praktisch halte ich sie für überflüssig und bedeutungslos. Und dann bin ich in solchen Dingen auch noch etwas penibel: Ich möchte nicht bei einer Sache mittun, an die ich beim besten Willen nicht glauben kann (andere haben da wohl weniger Skrupel).

  16. 16

    Und zu guter Letzt sei noch angemerkt, dass vor allem der Ruf derer nach einer starken Zvilgesellschaft am lautesten ist, die am meisten davon profitieren.

    Wenn Menschen sich ehrenamtlich engagieren, muss man sie nicht bezahlen.

    Toll, oder!?

    Die meisten, die möglichst viel Ehrenamt fordern, finden sich in der CDU.

    Und die CDU ist Regierungspartei und außerdem – falls das manchem entfallen sein sollte – eine CHRISTLICHE Partei. Also eine Partei, die sich die „christliche Botschaft“ möglichst weit verbreitet wünscht.

    Ein Mittel dazu ist bekanntermaßen die Mission …

    … in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Altenheimen usw., die zu über 80% staatlich und durch Spenden (also auch von Atheisten) finanziert sind.

    Wenn es diesen überwiegend parasitären Selbsterhaltungsmechanismus nicht gäbe, müßte man ihn erfinden :)

  17. 17
    Frédéric Valin

    Zu @#743459: Die veröffentlichte Bilanz der EKD steht hier:
    http://www.ekd.de/kirchenfinanzen/508.html

    Bei den Katholen bin ich zu faul, das jetzt rauszusuchen.

  18. 18
    anonym

    @ 16
    Ja, genau, das ist auch das, was mir beim Thema Ehrenamt immer so einfällt. Je lauter der Staat da nach Beteiligung ruft, desto durchschaubarer ist meist sein Motiv: Geld! Aber das gehört eben genau in den Dunstkreis der Unehrlichkeit, in dem sich auch viele Vertreter der Religionen gern tummeln. Im Deutschen gibt es ein knappes Wort für deren Verhalten: bigott.

  19. 19

    @#743466:

    Genau, und was sehen wir da?

    Ausgaben für die Diakonie: 2%

    Ausgaben für Kindergärten: 15%

    Und jetzt die Frage: Warum so wenig Geld für die Alten und soviel Geld für die Kindlein ? :)

    Für die, denen es nicht klar sein sollte, nochmal der Hinweis auf Ostdeutschland und die 70% Konfessionlosen – auch 20 Jahre nach der Wende.

    Aber das soll ja nun ein Ende haben, die Ossis sollen endlich missioniert werden, wie die Indianer:

    http://blog.thebrights.de/2008/09/24/das-ossi-reservat/

  20. 20
    Hans-Werner

    Sollte Paul Nolte tatsächlich meinen, seine rechtliche Beurteilung der Religionsfreiheit in der hier im Zitat skizzierten exklusiven Freiheit „für Religion“ sei irgendwie mehr als eine äußerst spezielle Sicht auf die Dinge, dann liegt er sicher falsch.

    Selbstverständlich besteht aus der Religionsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes auch ein subjektiv-öffentliches Recht, von Religion unbehelligt zu bleiben. Freilich geht das nicht gegen die Privatautonomie. Als eben auch „öffentliches Recht“ garantiert es mir aber sehr wohl, nicht „im Schatten des Kreuzes“ vom Staat beschult zu werden oder vor Gericht zu stehen. Die Kreuze im Gerichtssaal haben die Verfassungsgerichtsbarkeit bereits in der frühen Zeit der Bundesrepublik beschäftigt, jünger und wohl noch in der Erinnerung vieler Leser ist da der „Kruzifix-Streit“ bezüglich bayerischer Klassenzimmer.

    Freilich hat er sicher aber Recht, hier auf Unterschiede im Grundrechtsverständnis bei vielen Staaten hinzuweisen. Wo in Frankreich (mit seinem laizistischem Staatsverständnis) die Nonnentracht in öffentlichen Schulen sicher nicht drin wäre – und sogar die Schüler teilweise keine religiösen Symbole tragen dürfen -. so würde hierzulande das sicher im Wesentlichen unter die Privatautonomie fallen. Allerdings sind entsprechende Vorschriften an Träger öffentlicher Ämter für ihre Dienstzeit auch hier denkbar, wenngleich noch gesetzlich zu regeln.

    Wer hier auf eine saubere Differenzierung verzichtet, der schert dann doch nur wieder zu viel über den Populismus-Kamm.

  21. 21
    Frédéric Valin

    Ich hab gerade ein bisschen rundumgelesen.

    @#743456: Ich finde keine sozialpsychologischen Studien, die „übereinstimmend keinerlei UNTERSCHIEDE zwischen Atheisten und Theisten auf verschiedensten Dimensionen der Hilfsbreitschaft und und der sozialen Kooperationsbereitschaft.“

    Bateson überzeugt mich nicht, denn er vergleicht nicht Theologiestudenten mit Nichtgläubigen, sondern Theologiestudenten und ihre Hilfsbereitschaft bei unterschiedlichem Zeitdruck.

    Außerdem finde ich keine verlässlichen Studien zu den angesprochenen Ehrenamtsunterschieden. Nicht, dass mir die Grafik völlig unerklärlich vorkommen würde: mir fehlt allerdings die Ausdifferenzierung „religiöse Trägerschaften“ – „nichtreligiöse Trägerschaften“.

    Übrigens bin ich überhaupt nicht der Meinung, wie Du auf Twitter behauptest, ich würde für mehr Religion plädieren. Ich stelle mir nach der Lektüre des Buches von Nolte die Frage, welche Auswirkungen weniger Religion hätte. Und ich stelle die Frage nicht nur mir, sondern insgesamt.

  22. 22

    Erst bei moralisch unhaltbaren Bagatellkündigungen dem Staat das Recht absprechen sich einzumischen,
    http://www.spreeblick.com/2009/12/29/bagatellen-es-ist-angerichtet/#more-26524
    und jetzt nach der Religion rufen – sie wird’s dann schon kostenneutral richten, wenn die Leute auf der Straße landen und die Solidargemeinschaft dank der Neolibs quasi nicht mehr vorhanden ist.

    Hey, Frédéric, was ist los? Du warst für mich immer einer der sympathischten, hellsten Köpfe bei Spreeblick – momentan wirkt es aber eher so, als würdest du für ein zweites „Von einem, der aus Versehen konservativ wurde“ üben – oder für einen Redakteursposten bei der WELT.

  23. 23

    @#743476:

    Du schreibst:

    „Ich finde keine sozialpsychologischen Studien, die „übereinstimmend keinerlei UNTERSCHIEDE zwischen Atheisten und Theisten auf verschiedensten Dimensionen der Hilfsbreitschaft und und der sozialen Kooperationsbereitschaft.“

    Ein paar Studien gibt es hier. Dass Du keine weiteren Studien finden kannst, hat den einfachen Grund, dass es sie nicht gibt:

    Hunsberger, B. E. and E. Platonow. 1986 „Religion and helping charitable causes.“

    Norenzayan, A., & Shariff, A. F. (2008). The origin and evolution of religious prosociality. Science, 322, 58-62

    http://www.psych.ubc.ca/~ara/Manuscripts/Norenzayan&Shariff_Science.pdf

    Shariff, A.F. & Norenzayan, A. (2007). God is watching you: Priming God concepts increases prosocial behavior in an anonymous economic game. Psychological Science, 18, 803-809.

    http://www.psych.ubc.ca/~ara/Manuscripts/Shariff_Norenzayan.pdf

    Randolph-Seng, B., & Nielsen, M. (2008). Is God really watching you? A response to Shariff and Norenzayan (2007). International Journal for the Psychology of Religion, 18(2), 119-122.

    Smith, RE., Wheeler, G. & Diener, E. (1975). Faith without works: Jesus people, resistance to temptation, and altruism. Journal of Applied Social Psychology. Vol.5, No.4, 320-330.

    http://www3.interscience.wiley.com/journal/119651485/abstract?CRETRY=1&SRETRY=0

    Die Erfassung des direkten Vergleichs im prosozialen Verhalten zwischen Theisten und Atheisten findet de facto nicht statt. Warum?

    Die meisten Studien zum Thema wurden in den USA durchgeführt. Einem Land in dem es fast keine Atheisten gibt (2%).

    Deshalb messen die meisten Studien unterschiedliche Qualitäten von Religiosität aber nicht gleichzeitig unterschiedliche Qualitäten von Nichtreligiosität. Das führt zu dem Problem, dass die meisten Religiositätsfragebögen mehr so eine Art Persönlichkeitsfragebögen sind. Atheisten können aber schwer auf solche Fragen antworten, wie:

    „Ich lese gern Bücher über meine Religion“

    Sie haben ja keine. Und das ist natürlich auch das Problem der Batson-Studie.

    Aber Atheisten lesen durchaus gern Bücher über weltanschauliche Fragen. Und kennen auch die Geschichte vom „Guten Samariter“ und andere Märchen, die den Menschen Hilfeverhalten nahebringen sollen, wie z.B. das Märchen vom „Zwerg Nase“.

    Und jetzt kommt der Knüller:

    Wenn man sich anschaut, wie die gefunden Zusammenhänge zwischen verschiedenen Formen der Religiosität und Hilfeverhalten zustandekommen und die Reli-Fragebögen mal ins atheistische übersetzt, kommt man zu einem verblüffenden Befund: Es gibt dann auch einen Zusammenhang zwischen den Atheistenfragebögen und Hilfeverhalten.

    Kurz: Es ist NICHT der Glaube an einen übernatürlichen Erdverwalter, der die Menschen hilfsbereit macht. Menschen sind hilfsbereit, weil sie Mitgefühl haben und moralische Grundsätze – und das gilt selbstverständlich auch für Atheisten.

    Hier gibts übrigens die Studie zum Ehrenamt:

    http://www.buntes-netz-ostbrandenburg.de/pdf/Eckard_Priller_270106.pdf

  24. 24
    xconroy

    Ich kann jetzt nur aus eigener Erfahrung sprechen (also keine objektiv verwertbaren Zahlen anbringen) – die zeigt, daß sich sehr wohl sehr viele Atheisten/Humanisten sozial und im weitesten Sinne „wohltätig“ engagieren – dafür aber durchaus auch die bereits vorhandenen Infrastrukturen der Kirche nutzen, bspw. bei der Caritas aktiv sind. Einfach deswegen, weil diese Strukturen bewährt und etabliert sind und vergleichsweise viele Menschen erreichen. Möglicherweise werden die einfach mit als „Christen“ gezählt?

    Dies nur als (weiterer) Hinweis, daß man mit pauschalen Aussagen a la „Religiöse sind prinzipiell viel engagierter“ seeehr vorsichtig sein sollte. Genaugenommen sind solche Sprüche eine Frechheit.

  25. 25
    Bohéme

    Böckenförde kannte ich auch noch nicht (Dank an cjs!) aber es beschreibt genau das, was mich an Nolte und dem Rest des neokonservativen Bande so stört. Sie sehen – soviel sei ihnen anzuerkennen -, dass in diesem Land irgendetwas nicht richtig läuft. Statt aber die politischen Ursachen anzuprangern und sozialpolitische und vor allem ökonomische Reformen zu fordern, klagen sie über die verkommene Moral und die „verloren gegangen“ Werte. Nach dem Motto „früher hätte es sowas nicht gegeben“ rufen sie nach Anstand, Disziplin, deutschen Tugenden, klassischer Rollenverteilung, Kopfnoten und nun auch noch nach der Kirche. Doch das ist der falsche Ansatz! Die Wertvorstellungen der Vergangenheit lassen sich nicht auf die heutige Zeit anwenden, in der es nur dank der jahrelangen neoliberalen Politik eben dieser neuen Bürgerlichen zu jenen sozialen und kutlruellen Missständen kam. Es ist meiner Meinung nach falsch zu argumentieren, dass die Kirche soziale Aufgaben übernehmen müsse weil der Staat sie nicht (mehr) bewältigen kann. Statt sich mit dem Missstand zu arrangieren, müsste man an der Ursache des Problems ansetzen: Warum schafft es der Staat nicht soziale Leistungen zu übernehmen und warum schafft er es angeblich nicht Menschen zu ehrenamtlicher Arbeit zu motivieren?
    Diese Akzeptanz der Systemfehler ist leider in unserer Generation weit verbreitet. Lieber wird ein Praktikum im Flüchlingslager gemacht anstatt sich gegen die Ursachen der schlechten Einwanderungspolitik zu engagieren.

    Neuer Buchtipp für dich Frédéric: Christian Rickens – Die neuen Spießer

  26. 26

    @#743477:

    Du schreibst:

    „Übrigens bin ich überhaupt nicht der Meinung, wie Du auf Twitter behauptest, ich würde für mehr Religion plädieren. Ich stelle mir nach der Lektüre des Buches von Nolte die Frage, welche Auswirkungen weniger Religion hätte.“

    Das steht aber so nicht in Deinem Original-Beitrag. Stattdessen steht da:

    „Brauchen wir einen religionsfreundlichen Staat? Das ist die Frage, die Paul Nolte in seinem Buch stellt, und man muss kein Prophet sein, um zu wissen, was die meisten Spreeblick-Kommentatoren darauf antworten werden: Natürlich nicht. Persönlich bin ich mir da nicht so sicher: Deswegen folgt hier statt einer Besprechung von Noltes Band eine kleine Zusammenfassung seiner Argumente, warum Religion als Teil einer Bürgergesellschaft wichtig ist.“

    Du stellst also völlig unkritisiert und unhinterfragt Noltes Positionen dar.

    Mit dem Zusatz – wohlgemerkt – dass Du Dir nicht sicher seist, dass wir KEINEN religionsfreundlichen Staat bräuchten. Deine Argumentation war also nicht, dass Du Dir nicht sicher bist, ob Noltes Position von der gesellschaftlichen Notwendigkeit eines religionsfreundlichen Staates korrekt sei, sondern Du hast die Infragestellung dieser Hypothese infrage gestellt.

    Kannst Du machen. Deine Sache.

    Ich deute das als ein larviertes Plädoyer für mehr Religion – natürlich verpackt als Diskussionsstimulanz. Aber als solches war meine Einschätzung auf Twitter auch gemeint. :)

  27. 27
    Frédéric Valin

    @#743477: Vermutlich Staatsallergie infolge zu viel anarchistischer Literatur. Nee, im Ernst – weniger Staat mündet nicht zwangsläufig in den Konservatismus.

    @#743482: Danke für die Bibliographie.

    Ich stelle Nolte zur Diskussion, weil ich das Thema spannend fand und mir tatsächlich die Frage stelle, wie Bürgergesellschaft funktioniert. Ich bin dankbar, wenn Kommentatoren wie Du hier aufschlagen, die sich länger und eingehender mit dem Thema beschäftigen; Nolte liefert quasi die Steilvorlage und nicht völlig von der Hand zu weisende Argumente, was so kein schlechter Ansatz für eine Diskussion ist.

  28. 28
    Dominik

    Hallo alle miteinander,

    manchmal muss ich mich als begeisterter Spreeblick Leser doch sehr wundern was hier so abgeht wenn Religion ins Spiel kommt.

    Es werden hier gewisse Offensichtlichkeiten irgendwie ignoriert. Natürlich ist keine Institution nur Gut oder nur Schlecht. Die Kirche als sozialen Heilsbringer zu preisen ist genauso verkehrt wie sie mit Schimpf und Schande zu belegen. Die (ev.) Kirche weiß das im übrigen und arbeitet die eigene Terrorgeschichte sehr ordentlich auf und verheimlicht diese auch nicht. Jeder institutionalisierte Apparat hat seine Schattenseiten. Selbst die direkte Demokratie hat ihre Unschuld verloren (zuletzt in der Schweiz).

    Auch sind Religiöse Menschen nicht besser als Atheisten oder Agnostiker. Und homophobie und elterliche Vorurteile sind mit Sicherheit bei religiösen Menschen ebenso verbreitet wie bei nicht-religiösen, da kann man noch so viele dolle Anekdoten aufzählen von verrückten Christen. Da sind die (üblichen) Kommentatoren bei Spreeblick meiner Ansicht nach nicht viel besser als konservative Politiker in den USA, die den Islam auf Grund von einigen Terroristen insgesamt als Religion ablehnen.

    Was ich aber weiss ist das es in der Welt im Moment nicht so zu geht wie ich es mir das vorstelle. Um das zu ändern bedarf es einiger Arbeit im sozialen Sektor und wenn jemand durch die Religion zur sozialen Arbeit kommt ist mir das um ehrlich zu sein nur Recht. Und darauf zu verweisen das es ja eigentlich nicht unsere Aufgabe ist sondern die des Staates finde ich etwas erbärmlich. Der nächsten Hilfsbedürftigen Familie, die am Ende des Monats gerne ein warmes Mittagessen bei den Tafeln haben möchte. Kann ICH nicht sagen: Ja eigentlich wär das gar nicht meine Aufgabe, wenden sie sich doch bitte an den Staat. Auf Wiedersehen!
    Sicher ist das polemisch aber soziale (ehrenamtliche) Arbeit neiderzumachen, nur weil sie religiös motiviert ist finde ich gelinde gesagt nicht so dolle.
    Trotzdem liebe Grüße!
    (Ich weiß, Rechtschreibung und Zeichensetzung sind nicht meine Stärke. Aber der Wille zählt)

  29. 29

    @#743496:

    Ja, wie gesagt, die Argumente vom großen Vorteil der Religion kommen in der Regel aus der konservativen Ecke, zu der man Nolte ja auch ohne weiteres zählen kann.

    Fragt sich jetzt nur, was zuerst da war. Der Glaube an die unsichtbare Hand des Marktes oder der Glaube an den himmlischen Massenmörder.

    Das Geschrei nach weniger Staat kommt ja auch vor allem von denen, die die meisten Steuern zahlen müssen. Die gehören meist auch zu denen, deren feuilletonistisch geäußerte Meinung für voll genommen wird. Und wie hält man einen Staat aufrecht, den man nicht finanzieren will? Mit der endlosen Beschwörung zivilgesellschaftlichen Engagements.

    Und wer kann sich dann in der Zeit in der er sich in der Ortsfeuerwehr, dem Altenheim oder dem Behindertenkindergarten ehrenamtlich einen Huckel auf den Kopf schuftet nicht mehr auf die Straße gehen und gerechtere Bezahlung und höhere Steuern fordern?

    Aber wie gesagt, Religiosität erzeugt keinen Altruismus. Also ist das Gewäsch vom Gesellschaftskitt Religion – im Sinne von Theismus – überflüssig.

    Nicht überflüssig ist dagegen unsere Lebenskultur. Die Diskussion und Vermittlung von Werten, die Weitergabe nützlicher und angenehmer Traditionen und Riten.

    Von Dummem und Falschem sollte man sich allerdings verabschieden. Wir wünschen uns ja auch nicht die DDR zurück – auch wenn dort alle Arbeit hatten.

    Noltes Argumente sind alt und überholt. Aber ich frage mich, warum sie immer und immer wieder aus der Ecke geholt werden, vor allem von Leuten, die selbst angeben, gar keine Theisten zu sein, wie Jürgen Habermas oder sogar Gregor Gysi.

    Meine Theorie ist ja, dass diese Leute insgeheim doch ängstlich an den despotischen Himmelhitler glauben und sich nach Pascalscher Manier ein warmes Plätzchen im Himmel freihalten wollen – denn warum sollte man sonst etwas unterstützen, was als Inbegriff des intellektuellen Selbstmordes gilt, sich zum Glauben an einen „Gott“ zu bekennen?

    Viele Intellektuelle sind in ihrem intellektuellen Hochmut und mit Marx der Ansicht, dass Religion das „Opium des Volkes“ ist. Sie selbst gehören natürlich nicht zum „Volk“. Sie sind lediglich die Verabreicher des Opiums.

    Und das ist es auch, was ich so abscheulich überheblich finde. In den Feuilletons und länglichen soziologischen Essays – also dem „gemeinen Volk“ meist unzugänglichen Raum – tauscht man sich ungeniert über die Manipulierbarkeit dieses „Volkes“ durch Religion aus.

    Denn was ist denn das peinliche Räsonement über die „Nützlichkeit“ der Religion sonst?

    Wenn die Postulate der Religionen wahr wären, müßten sie nicht „nützlich“ sein und man müßte auch keine blöden Essays über ihren angeblichen „Nutzen“ schreiben. Sie wären einfach wahr.

    Dass sie es nicht sind, zeigen die Erwägungen zu ihrem angeblichen „Nutzen“ mit außergewöhnlicher Eindrücklichkeit.

  30. 30

    @Dominik (28): Natürlich sind religiöse Organisationen nicht ausnahmslos schlecht. Ich lehne sie trotzdem rundheraus ab, denn eins haben alle gemeinsam, einfach, weil es ein Wesenszug der Religion ist: Sie stehen gegen die Wahrheit und gegen die Suche nach Erkenntnis. Weil sie vorgeben, Antworten zu kennen und so tun, als wären ihre Antworten die Wahrheit, obwohl sie zum großen Teil offenkundig Unsinn sind. Weil sie sich dem kritischen Denken verweigern und Glauben um des Glaubens willen lehren.
    Manche tun das im größeren Rahmen, manche im kleineren, aber alle tun es. Und das reicht mir, um sie zu verachten.

  31. 31

    @#743498:

    Kurze Frage an Dich:

    Nenn‘ mir eine richtig gute Sache, die ausschließlich von einem Theisten ausgeführt werden kann, und die nicht auch jederzeit ein Atheist tun könnte!

    Und nenn‘ mir eine richtig schlechte Sache, die ausschließlich von Menschen mit Glauben an einen „Gott“, „Allah“ oder „Jahwe“ ausgeübt wird und nicht von Atheisten!

    Und dann sag mir nochmal, dass Atheismus und Theismus im Grunde gleich gut/schlecht sind.

  32. 32
    Danny Shapiro

    „spätestens auf dem sterbebett wird jeder atheist katholisch.“

    in einer welt der absoluten ratio, der totalen vernunft und des gandenlosen kosten-nutzen-denkens wird glauben/ spiritualität immer als etwas absurdes und idiotisches verschrien. alles muss erklärbar sein und wenn nicht, dann wird es bis zur unkenntlichkeit ironisiert oder tabuisiert. es ist eben auch sehr einfach und macht auch spass, SEINEN standpunkt immer als den einzigen richtigen zu vermarkten und alle andersdenkenden zu trotteln und spinnern zu erklären (statt als menschen anzuerkennen). der glauben, der wirklich verloren geht, ist der an den humanismus und der bewusstheit anderen menschen gegenüber.

    bin weiß gott kein kirchengänger, aber die überheblichkeit und die überzeugung über anderen zu stehen, weil sie so doof/ so irrational sind und an einen gott glauben, in vielen kommentaren ist eigentlich der beste beweis dafür, wie sehr der gedanke besser (schneller, weiter) als alle anderen zu sein (auch in der diskussion), schon in den köpfen angekommen ist und wie sehr (christliche) werte wie humanismus im sterben liegt.

    http://www.welt.de/kultur/article2952066/Die-enorme-Last-des-Erwachsenwerdens.html

    viel spass beim vernünftig sein und siegen!

  33. 33
    Dominik

    @Muriel Also gegen Wahrheit stehen sie mit Sicherheit nicht (Was ist überhaupt Wahrheit – ich glaube an einen Gott und das ist wahr für mich. Genauso wie ich glaube das meine Eltern mich lieben. Beides ist nicht evident beweisbar, trotzdem tiefer Bestandteil meiner persönlichen Wahrheit.
    Also das mit GEGEN Wahrheit stehen, müsstest Du mir irgendwie nochmal erklären.

    @sapere aude Ich glaube das es nichts gibt was ein religiöser Mensch besser machen könnte als ein Atheist (das war ja Essenz meines ersten Postings).
    Allerdings haben Atheisten (auch im Namen des Atheismus) schreckliche Dinge getan, nicht schrecklicher als das was Christen schon getan haben aber eben auch nicht weniger schlimme Dinge. atheisten und theisten sind nunmal Menschen und damit haben beide die Fähigkeit anderen Menschen Grausamkeiten zuzufügen. Und auf dieser Klaviatur der Folter und Unterdrückung verstehen es atheisten und theisten gleichermassen zu spielen.

    Aber Deine Frage impliziert als wüsstest du Grausamkeiten, welche nur im Namen Gottes (wie immer man ihn auch nennen möge) möglich sind.
    Haben religiöse Menschen ein Gen des Bösen oder weniger moralische Ansprüche als Atheisten?

    Bin gespannt auf Eure Antworten. Wie immer mit Grüßen :-)

  34. 34

    @#743503:

    Ich sags mal so:

    1. Ich bin Atheist.

    2. Ich verschreie glauben/ spiritualität NICHT per se „als etwas absurdes und idiotisches.“

    3. Götter gibt es nicht.

    4. Wenn jemand glaubt, dass Rumpelstielzchen tatsächlich existiert, dann ist das seine Sache.

    Wenn aber der Rumpelstielzist aus seiner Überzeugung einen milliardenschweren weltumspannenden Konzern macht und politische Parteien gründet, die das Land, in dem ich lebe, regieren und in dem er über Auslandskriegseinsätze diskutiert und diese dann auch durchführt, über Sozialabbau diskutiert und diesen dann auch durchführt, über Massenüberwachung und Einschränkung der Meinungsfreiheit diskutiert und diese dann auch durchsetzt …

    … dann und nur dann, nehme ich mir das Recht heraus, die zugrundeleigenden Welt- und Wertvorstellungen des Rumpelstielzisten infrage zu stellen und sie u.U. satirisch zu würdigen.

  35. 35

    @#743504:

    Nenn mir bitte eine Sache, die, wie du schreibst „Atheisten (auch im Namen des Atheismus)“ getan haben!

    Bedenke, dass Du den A-theismus nicht mit dem ANTI-theismus verwechseln solltest!

    A-theismus bedeutet lediglich, dass kein Glauben an „Götter“ vorliegt. Das führt NICHT auf direktem Wege zum Antitheismus. Antitheismus ist nämlich überall dort überflüssig, wo es keine Theisten gibt.

    Und das führt uns zu dem Unterschied zwischen Theismus und Atheismus. Theismus und Antitheismus sind poltische Ideologien – Atheismus ist ledigleich die Abwesehenheit einer solchen.

    Oder anders: Atheismus verhält sich zu Religion wie eine Glatze zur Frisur.

    Kein Nichtbriefmarkensammler oder Nichtheimwerker bringt andere Leute um, weil er keine Briefmarken sammelt oder keine Heimwerkerarbeiten ausübt.

    Man stelle sich das vor: Es flöge jemand in das World-Trade-Center, weil er z.B. nicht weiß wer Rumpelstielzchen ist.

    Und jetzt noch zwei letzte Fragen an Dich:

    Was glaubst Du wohl, warum es Antitheisten gibt – weil sie „Götter“ hassen, an die sie nicht glauben oder weil sie einfach doof sind?

    Warum gibt es eigentlich keine Anti-Rumpelstielzisten?

  36. 36
    Danny Shapiro

    @sapereaude(34)

    3. und 4. zeigt ganz gut, dass es nur ums besserwissen geht und darum, die anderen lächerlich zu machen (wer glaubt noch an märchen?). es geht sowieso nicht um wahrheit oder erkenntnis oder das böse religiöse system und die finsteren hintermänner die sich den ganzen tag märchen ausdenken und die menschen damit unterjochen um sich dumm und dämlich zu verdienen. es geht darum, dass man zeigt, dass man der ist, der weiß was die welt ist und wie sie funktioniert und wer verdient und letztlich, dass man aufgrund des vermeintlichen richtigen wissens (des pachtens der wahrheit) auch der bessere mensch ist.

    jeder will der bessere mensch sein und die anderen sind eben nur die, die an rumpelstielzchen glauben. immer noch besser, als die die ganze welt verstehen zu meinen und mit siegerposen zu nerven.

    ich glaube nicht dass institutionen, parteien etc. etwas mit dem zu tun haben, was du angreifst. als partei kann man sich doch auf alles mögliche berufen. wenn ich ne rumpelstielzchen-partei gründe und damit dann die welt übernhme, dann kann das dem rumpelstielzchen doch egal sein, da es doch nur ein märchen ist.

    humanismus heißt übrigens auch, dass man erstmal davon ausgeht, dass nicht alle menschen (außer man selbst) absolute vollpfosten sind, einschließlich aller gläubigen auf dieser erde.

  37. 37
    Dominik

    Die DDR zum Beispiel war ein, nach eigener Definition, atheistischer Staat. Innerhalb dieses Staates wurde von staatlichen Stellen aus gefoltert, gemordet und (z.t christliche) „Störenfriede“ unterdrückt und unter Druck gesetzt. Aus einer atheistischen Position heraus die (pseudowissenschaftliche) Wahrheit zu verbreiten.

    Atheismus soll die Abwesenheit politischer Ideologie sein. Gibt es also in keiner Partei einen Atheisten? Nehmen Atheisten also nicht an der demokratischen Meinungsbildung teil?

    Den Rest deines Kommentars verstehe ich um ehrlich zu sein nicht ganz. Keine Ahnung warum es Antitheisten gibt (als Ausgleich? Ying und Yang). Genauso wenig weiß ich warum es theisten gibt, ich weiß eigentlich nur das es theisten gibt. Und versteh mich bitte nicht falsch, jeder soll glauben oder eben nicht glauben woran er mag. Aber einen Glauben so zu verdammen halt ich für Blödsinn. Wie gesagt weder theisten, antitheisten noch Atheisten sind bessere oder klügere Menschen!

  38. 38

    @#743509:

    1. Hast gelesen, was ich unter 2. schrieb? Ich wiederhole es nochmal:

    „Ich verschreie glauben/ spiritualität NICHT per se „als etwas absurdes und idiotisches.“

    Für mich sind Menschen, die Unsinn glauben natürlich keine Vollpfosten, sonst wäre ich ja auch einer. Ich habe nämlich auch mal an den Weihnachtsmann geglaubt.

    Nur weil man die Fakten nicht kennt, muss man doch nicht blöd sein.

    2. Ich gehe nicht davon aus, dass Religion ein Unterjochungsinstrument IST. Aber die „Nützlichkeit“ als ein solches wird ungeniert diskutiert.

    3. Ich will nicht von einer Rumpelstielzchen-Partei regiert werden. Weil ich der Meinung bin, dass Rumpelstielzchens Taten keine Grundlage für moderne Weltpolitik sein sollte.

  39. 39

    @#743510:

    Du schreibst

    „Die DDR zum Beispiel war ein, nach eigener Definition, atheistischer Staat. Innerhalb dieses Staates wurde von staatlichen Stellen aus gefoltert, gemordet und (z.t christliche) „Störenfriede“ unterdrückt und unter Druck gesetzt.“

    Die DDR war auch ein Land mit einer Ostgrenze zu Polen. Innerhalb dieses Staates wurde von staatlichen Stellen aus gefoltert, gemordet und (z.t polnische) „Störenfriede“ unterdrückt und unter Druck gesetzt.

    Besteht also ein direkter Zusammenhang zwischen der Grenze und der Unterdrückung?

    Christen sind in der DDR nicht deshalb unterdrückt worden, weil sie keine Atheisten waren, sondern weil sie sich nicht an den sozialistischen Staat anpassen wollten. Wenn jemand im Stillen Kämmerlein an einen oder mehrere „Götter“ glaubt kann das kein Staat verbieten, geschweige verfolgen. Das Problem sind Leute die den Staat bekämpfen wollen.

    Das soll nicht heißen, dass die Unterdrückung gerechtfertigt war. Sie hatte nur eine andere Motivation als von Christen gern dargestellt wird. Christen sind keine Märtyrer ihres Glaubens, sondern ihrer politischen Überzeugungen.

    Du fragst:

    Atheismus soll die Abwesenheit politischer Ideologie sein. Gibt es also in keiner Partei einen Atheisten? Nehmen Atheisten also nicht an der demokratischen Meinungsbildung teil?

    Das ist ein Mißverständnis. Ein Atheist kann alles mögliche sein. Das hat aber nichts mit seinem Atheismus zu tun. Natürlich kann ein Atheist auch doof sein oder blöde Sachen machen. Aber nicht deshalb weil er Atheist ist.

    Theisten aber machen oft ganz schön bekloppte und gemeingefährliche Sachen WEIL sie Theisten sind.

    Pass auf, wir machen das ganz einfach:

    Kennst Du den „Mythos von der Datura“?

    Und falls nicht: Hast Du DESWEGEN, weil Du noch nie von diesem Mythos gehört hast, schon einmal irgendetwas Bestimmtes gemacht?

    Und was würdest Du sagen, wenn Angela Merkel sagen würde:

    Wer diesen Mythos nicht kennt, hat keine Werte?

    Und was würdest Du sagen, wenn Du hörtest, dass sich jemand wegen dieses Mythos umgebracht hat und 3000 andere Menschen mit in den Tod gerissen hat?

    Was würdest Du sagen, wenn Menschen, weil sie an diesen Mythos glauben Gehirnwäsche; Frauendiskriminierung; Mißbrauch von Abhängigen; Exorzismus; Ermordung von Abtreibungsärzten; gewaltsame Missionierung; Quacksalberei; Diskriminierung Anders- oder Nichtgläubiger; Einschränkung von Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit; Antiwissenschaftlichkeit; Psychische Störungen durch Glaube an angeborene Sünden, Hölle und ewige Verdammnis, Engel und Geister; Gesundheitsschäden durch Mangelernährung, religiös bedingte Diäten, Verweigerung medizinischer Betreuung, Selbstverstümmelung und angebliche Geist- oder Wunderheilung; Schwulenhass, Steinigung; Beschneidung der Geschlechtsteile männlicher und weiblicher Kinder; Massenselbstmorde; Giftgasattentate; Staatliche Indoktrination; Feudalismus, Bestrafung von „Gotteslästerung“, „Sakrilegen“ und „Blasphemie“ und die massive Einflussnahme mythologischer Fundamentalisten in Staat und Gesellschaft betreiben?

    Würdest Du das alles ignorieren?

  40. 40

    Ich bin ein religiöser Mensch. Mit am meisten Spaß machen mir hier die Beiträge von Sapere Aude – er bestätigt für mich den Gedanken, dass Atheismus für viele Menschen eine nützliche Reinigungsübung darstellen kann.

    Glauben und Religiosität gibt es in sehr unterschiedlichen Formen, übrigens gibt es auch Atheismus in unterschiedlichen Formen. Das ist bedeutend. Denn die Frage lautet vielleicht weniger „Atheismus vs. Religiosität“, und mehr „welche Religiosität?“ bzw. „welche Art von Atheismus?„.

    Glaube kann rigide und wissenschaftsfeindlich verpackt sein, zu Autoritarismus aufrufen, zu Fundamentalismus, sogar zu Krieg – und kurzum: anderen Menschen das Leben schwer machen, zumal dann, wenn er von staatlicher Gewalt und Herrschaft begleitet ist. Glaube kann dazu verführen – ganz anders als es dieser bekloppte Nolte schreibt – sich über andere Menschen zu stellen, und sei es nur, dass mit der religiösen Fürsorge im Kindergarten Indoktrination und Bevormundung einher geht. Nolte und Valin vergessen zu fragen, welcher Glaube bzw. welche Religiosität nützlich sind für den Einzelnen, für die Gesellschaft und nicht zuletzt dafür, dass das Individuum in der Gesellschaft in Freiheit und in einem solidarischen Miteinander leben kann.

    Nebenbei, ich finde es sehr peinlich, dass Nolte nicht auf Bockenförde verwiesen hat.

    Für mich bedeutet Glaube vielerlei – unter anderem eine besondere Verpflichtung zur Wahrheit (denn sie kommt von G~tt bzw. hat etwas G~ttliches…), eine besondere Verpflichtung zum Mitmenschen (was nicht immer gelingt, aber in jedem Menschen sehe ich einen Funken G~ttes…), und – nicht zuletzt – eine ständige Ermahnung zur Demut, schon allein vor der Gewaltigkeit der Schöpfung (wie Einstein es sagte: gemessen an den Wundern in einem Käfer ist Menschenwerk doch recht gering…). Was das Gesellschaftliche betrifft, verstehe ich Glauben als Aufruf zu Gleichheit (Rechtsgleichheit, Chancengleichheit und noch etwas mehr), zur Freiheit (denn diese gab uns G~tt…) und zur Verpflichtung zur Wahrung der Menschenwürde.

    Man sieht: Paul Nolte (der aus der „unsichtbaren Hand“ einen Götzen gemacht hat) und ich haben jeweils einen Glauben auf sehr verschiedene Weise. Jeder muss seinen eigenen Weg suchen und gehen dürfen.

    Mit dem oft recht biestigen und engherzigen Katholizismus, von dem sich viele Rechtsgerichtete und Marktliberale angezogen fühlen, halte ich nicht viel. Der aktuelle Papst ist für mich, pardon, eine üble Witzfigur. Umgekehrt habe ich eine Hochachtung vor Kardinal Kaspar und noch mehr, diesmal auf protestantischer Seite, vor Margot Käßmann.

    Ich denke, dass der Glaube, von dem Margot Käßmann kündet, hilfreich ist auf einem Weg in eine bessere Welt. Nebenbei, ich bin kein Christ. Aber ich wundere mich sehr darüber, dass die Frage Glaube versus Atheismus so stark diskutiert wird.

    Viel spannender ist doch zu fragen, welche Werte und welche Arten von Glauben das menschliche Miteinander erträglicher und erfreulicher machen.

  41. 41
    Karim K.

    Es ist bekannt, dass religiöse Menschen prinzipiell viel engagierter sind und mehr Ehrenämter übernehmen, als das bei Nichtreligiösen der Fall ist.

    Ach ist es das?

    Wenn man engagiert sein und Ehrenämter übernehmen in eine logische Aussage packt ist das sowieso schon mal schlecht. Was wenn der erste Teil falsch, der zweite wahr wäre?

    Das Wort „prinzipiell“ ist auch ziemlich bedeutungslos. Heisst das prinzipiell sind sie es aber praktisch nicht? Die Aussage wird total schwammig dadurch. Vielleicht soll sie das aber auch sein.

    Ich glaube der Gedankengang der dieser ganzen Behauptung zugrunde liegt ist der nur das was man selbst für anständiges Engagement hält als Engagement gelten zu lassen. Nicht mit Religion verstrickte Aktivitäten sind dann per se kein Engagement und die Aussage bestätigt sich selbst.

  42. 42
    Frédéric Valin

    @#743500: „Das Geschrei nach weniger Staat kommt ja auch vor allem von denen, die die meisten Steuern zahlen müssen.“

    Nicht nur. Es ist auch links der Mitte weit verbreitet und kein Alleinstellungsmerkmal der (Neo)liberalen. Die Frage ist tatsächlich, wann man nach weniger Staat schreit (da macht es einen Unterschied, ob bei sozialen Hilfsprojekten oder bei im Strafvollzug). Aber dank des bürokratischen Apparats und der strukturellen Marginalisierung der unteren Gesellschaftsschichten nach Hartz4 hat sich inzwischen in der Linken mehr und mehr eine staatskritische Sicht durchgesetzt.

    Andererseits scheint es so zu sein, dass ehrenamtliches Engagement in situierteren Gegenden häufiger ist. Das würde Deine These stützen.

    „Denn was ist denn das peinliche Räsonement über die „Nützlichkeit“ der Religion sonst?“

    Bei mir ist es die schiere Praxis. Was mich an diesem Thema umtreibt, ist mit Blick auf Neukölln, wo ich wohne, die mangelhafte Umsetzung sozialer Absicherungen. Neukölln ist ein Bezirk, dessen Bewohner maßgeblich vom Staat getragen werden. Die Bezugspunkte für das Leben im Kiez sind die Eckkneipen und die Kirchengemeinden bzw. Moscheen. Es gibt allein im Norden drei verschiedene Tafeln, ein Kirchenasyl, dutzende Beratungsstellen inklusive der Juristen für Anfechtung der Hartz4-Bescheide, es gibt Sprach- und Integrationskurse, Tauschringe, so ziemlich alles.

    Wenn man sich die Kirche wegdenkt, kann man auf den Zusammenbruch des Kiezes hier sicher zählen. Ich hab hier schon mit dem Quartiersmanagement gearbeitet und weiß daher, wie viel Gemauschel und Vetternwirtschaft in solchen Gremien vor sich geht; sie sind ineffektiv und dienen der Alimentierung Alteingessener, gerade bei der Kultur.

    Und ich habe hier die Entstehung einiger Bottom-up-Projekte bewundern dürfen, unter anderem eine Umsonstbibliothek in der Weichselstraße und (aktuell) eines Tausch- und Nachhilferings in der Sonnenallee. Die Umsonstbibliothek ist eingegangen, weil sie über keinerlei finanzielle Mittel verfügte; die Leute, die in der Sonnenallee sich Tag für Tag bis zu 10 Stunden den Arsch aufreißen, verdienen so gut wie nichts.

    Es gibt ansonsten hier im Kiez kaum eine Struktur, die sich sozial engagiert; es gibt kleinere Initiativen, wie der Wirt, der Bier für 1,50 ausschenkt und gleichzeitig eine Hartz4-Beratung anbietet. Nachts am Tresen.

    Aber die komplette Unterstützungsstruktur für viele der durchs soziale NEtz Gefallenen hier tragen Kirchen und Moscheen.

  43. 43

    @Dominik (33): Dein Beispiel ist gar nicht so schlecht. Du hast nämlich – ich unterstelle das einfach mal, um unser Gespräch nicht zu sehr ausufern zu lassen – fassbare Gründe, um die Existenz und die Liebe deiner Eltern für wahr zu halten. Sie sind für dich da, sie behandeln dich freundlich, sie helfen dir, wenn sie können und so weiter. Deine Überzeugung, dass deine Eltern dich lieben, wäre wahrscheinlich auch widerlegbar. Wenn sie zum Beispiel eine deiner Nieren aus reiner Habgier an einen Fremden verkaufen, dich verspotten und beschimpfen würden, begännest du wahrscheinlich, diese Annahme in Frage zu stellen und zu überprüfen, ob sie noch stimmt. (Ich meine das natürlich bewusst als fiktives Extrembeispiel.)
    Das verstehe ich unter kritischem Denken: Nicht anzunehmen, man sei im Besitz ewiger Wahrheiten, sondern die eigenen Annahmen ständig infrage zu stellen und zu überprüfen.
    Der Glaube an einen wie auch immer gearteten Gott ist aber niemals empirisch belegt und prinzipiell auch nicht falsifizierbar – deswegen heißt er ja Glaube und Religion.
    Und weil Religion diesem Prinzip kritischen Denkens zuwiderläuft und in aller Regel aus ihren sinnlosen Thesen am Ende moralische Schlüsse zieht, die Allgemeingültigkeit beanspruchen, finde ich sie durchaus gefährlich und ablehnenswert.
    Sicher konnte ich dich nicht überzeugen, aber vielleicht konnte ich meinen Standpunkt verständlich machen. Ich denke, damit müssen wir uns zufrieden geben.

  44. 44
    Malte

    ich bin ebenfalls religiös. Sozusagen von Haus aus, meine beiden Elternteile sind Pastoren. Ich wurde dazu erzogen, kritisch zu bewerten und immer kritisch zu bleiben gegenüber absoluten Wahrheiten und vielmehr eigene Wahrheiten zu finden. So kann ich für mich sagen, dass es Situationen gab wo (ich für mich) Gott erlebt habe. Einen Beweis brauche ich dafür nicht und (ganz wichtig) ein Missionsauftrag entsteht daraus für mich ebenfalls nicht.

    Ich lebe seit Jahren in Magdeburg und viele meiner Freunde sind Atheisten – so what. War nie ein Diskussionspunkt zwischen uns.

    Allerdings, bitte ich doch – bei aller berechtigten Skepsis gegenüber der Amtskirche – darum, dass man die Arbeit der Kirche in sozialen Fragen nicht zu leichtfertig abtut.

    Die Kirche besteht nicht nur aus Diakonie, Kindergärten etc. die Kirche leistet auch in der Jugendarbeit (Christliche Pfadfinder nur als Beispiel) bei den Tafeln (die vielerorts zumindest die Räume nutzen) in der Arbeit für ältere Menschen (Seniorenkreise, Handarbeitsgruppen) und nicht zuletzt mit ihren offenen Häusern durchaus für viele Menschen wichtige Arbeit.

    Ich habe jahrelang erlebt, wie Menschen einfach bei uns an der Haustür geklingelt haben und um Rat, Geld, Hilfe gebeten haben. Ich erlebe wie meine Eltern als Notfallseelsorger zu Brandkatastrophen etc. fahren und den Menschen helfen. Da geht es nicht um Mission, sondern um Menschen die verzweielt sind, die nicht mehr weiter wissen, die jemanden suchen mit dem sie reden können und vielleicht einfach jemandem mit dem sie schweigen können.

    Auch das gehört zur sozialen Arbeit der Kirche und findet sich nicht in den Prozentzahlen der Diakonie wieder. Zudem wird die Kirchensteuer von den Mitgliedern aufgebracht. Dass diese dann zu 86% (Quelle: Interview mit Margot Käßmann – http://www.rp-online.de/panorama/deutschland/religion/Die-Kirchen-spielen-eine-gewichtige-Rolle_aid_798890.html) verwendet wird, ist m.E. angesichts des Leistungsspektrums des Personals durchaus in Ordnung.

    Nochmal zusammengefasst: Der Missionsauftrag der Kirche ist schwierig – genauso wie die Aggression die dem Glauben hier teilweise entgegengebracht wird.

    Ich finde wir brauchen einen Staat der die Religionen (!) wieder besser in den Gesellschaftlichen Prozess einbindet, aber gleichzeitig auch veränderte Rahmenbedingungen (Mitgliederschwund) mit berücksichtigt und daher traditionelle Rechte (z.B. bestimmte Feiertage) in Frage stellt. Die Leistung der Kirchen auf bestimmten Gebieten ist jedoch aus meiner Sicht durchaus nicht einfach zu ersetzen, auch wenn einige hier das nicht wahrhaben wollen.

  45. 45

    Die von Nolte befürchtete Sakularisierung des Staates ist doch (in meinen Augen leider) in weiter Ferne, gerade die „christlichen“ Kirchen haben in Deutschland mehr Einfluss auf den Staat als ihnen in einem neutralen Staat zustünde. (vgl. z.B. http://www.ibka.org/infos/privilegien.html )

  46. 46

    und gott laechelt aus dem spiegel – nur du kannst mich aendern!

  47. 47
    Frédéric Valin

    @#743470: Dazu kam gerade noch ein Aspekt per Mail:
    Warum weniger in Diakoniestationen als in Kitas investiert wird, liegt wohl auch daran, dass es viel mehr private Unternehmen gibt, die Altenpflege anbieten. Es gibt eben auch weit mehr alte Menschen, die vermögend sind, weswegen das der interessantere Markt ist. Deswegen besteht weniger Bedarf nach diakonischen Stationen als nach Kitas.

  48. 48

    @#743527:

    Ich habe Deinen Beitrag mal umformuliert, so dass er Deine Ausführungen aus einer anderen Perspektive beleuchtet:

    Ich bin Atheist. Sozusagen von Haus aus, meine beiden Elternteile sind Atheisten, so wie meine Großeltern auch. Ich wurde dazu erzogen, kritisch zu bewerten und immer kritisch zu bleiben gegenüber absoluten Wahrheiten die von Autoritäten vermittelt wurden oder wahr sind, weil sie seit 2000 Jahren oder schon immer wahr waren. Vielmehr wurde ich dazu angehalten kritisch zu prüfen und die Fakten von Fiktionen und Wunschdenken zu unterscheiden.

    So kann ich so wie jeder andere ganz klar sagen, dass es keine „Götter“ gibt. Beweise dafür sind bekannt (Siehe z.B. Victor Stenger „God, the failed hypothesis“.

    Aber (ganz wichtig) ein Missionsauftrag entsteht aus dem Fakt, dass Theisten falsch liegen, für mich natürlich nicht. Fakten sind Fakten, und bedürfen als solche keiner „Mission“. Lediglich wenn Theisten zu übermütig werden, erhebe auch ich meine Stimme.

    Ich lebe als geborener Ossi seit Jahren in München und viele meiner Freunde sind Christen — so what. War nie ein Diskussionspunkt zwischen uns.

    Allerdings, bitte ich doch — bei aller berechtigten Skepsis gegenüber dem DDR-Staatsatheismus — darum, dass man die Arbeit der laizistischen DDR in sozialen Fragen nicht zu leichtfertig abtut.

    Die Sozialleistungen der DDR bestanden nicht nur aus der „Volkssolidarität“, Kindergärten etc. die DDR leistet auch in der Jugendarbeit (Junge Pioniere nur als Beispiel) und bei jeder Art von Sozialbehinderung (Obdachlosigkeit gab es in der DDR nicht), in der Arbeit für ältere Menschen (Seniorenkreise, Handarbeitsgruppen) und nicht zuletzt mit ihren offenen Häusern durchaus für viele Menschen wichtige Arbeit.

    Ich habe jahrelang erlebt, wie Menschen einfach zum „Rat der Stadt“ gegangen sind und um Rat, Geld, Hilfe gebeten haben. Ich erlebe wie mein Vater als Notfallseelsorger (er ist Psychotherapeut und wie gesagt, Atheist) zu Brandkatastrophen etc. fährt und den Menschen helfen. Da geht es natürlich nicht um Atheismus oder nicht, sondern um Menschen die verzweifelt sind, die nicht mehr weiter wissen, die jemanden suchen mit dem sie reden können und vielleicht einfach jemandem mit dem sie schweigen können.

    Auch das gehört zur sozialen Arbeit der Atheisten und findet sich nicht in den Prozentzahlen der „Volkssolidarität“ wieder.

    Nochmal zusammengefasst: Atheisten missionieren nicht — und sind gleichzeitig nicht weniger hilfsbereit als Theisten.

    Religionen müssen deshalb Privatsache werden und die üppige Subventionierung des christlichen Missionsauftrags muss unterbunden werden.

    Hilfsorganisationen müssen verstaatlicht werden und die dort arbeitenden Menschen müssen anständig bezahlt werden und nicht ihre karge Freizeit für Notleidende opfern, während sich die Leistungsstarken ihrem Hobby widmen.

    Es ist die Aufgabe des Staates (und damit ALLER Bürger) für seine Notleidenden zu sorgen und es kann nicht sein, das die Not der Menschen dazu mißbraucht wird, Forderungen eines autoritären Religionstifters nach Menschenfischerei zu befriedigen. Denn die einfachsten Opfer für die christliche Mission finden sich unter Bedürftigen und Schwachen … und unter den Kindern.

    Es ist kein Zufall, dass Staaten, die über hohe Sozialbudgets verfügen zu den gottlosesten gehören. Menschen, die sich keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz, um Ihre Gesundheitsfürsorge oder ihr Obdach machen müssen, brauchen keinen „Trost“ in der Illusion eines jenseitigen Paradieses. Die USA gehören zu den gottesfürchtigsten Ländern der Welt – dort streitet man derzeit ernsthaft über die Einführung einer allgmeinen Krankenversicherung. Und mit welchem „Gegenargument“? Genau, Sozialismus!

  49. 49
    Malte

    @ sapere aude

    Du schreibst: „Atheisten missionieren nicht“ – wenn du die Diskussion und auch deine eigenen Beiträge nochmal anschaust, musst du denke ich zugeben, dass diese Aussage so nicht haltbar ist, jedenfalls wenn man „missionieren“ mal etwas freier nämlich als „allgemeine Bekehrung zu einer Meinung“ übersetzt. Ich finde, da ist die atheistische Diskussion hier tw. schlicht unehrlich mit sich selbst.

    Ich stimme dir aber zu, dass in Folge eines gesellschaftlichen Wandels die Veränderung der Volkskirchen zu „Gemeinschaftskirchen“ über die Förderstrukturen nachgedacht werden muss und hatte gehofft, dass ich das in meinem letzten Beitrag deutlich machen konnte. Kirchensteuer ist das eine, Subventionierung etwas anderes. Übrigens geht auch meine Mutter davon aus, dass es im Zuge der Mitgliederaustritte entweder zu einer Ethiksteuer vs. Kirchensteuer oder aber zu einer Abschaffung der Kirchensteuer und ersetzt durch eine Art „freiwilligen Mitgliedsbeitrag“ kommen wird.

    Aber, ich würde dir wiedersprechen, dass alle sozialen Aufgaben dem Staat zugesprochen werden sollten. Ehrenamtliche Arbeit ist m.E. ein hohes Gut und sollte nicht nur unter dem Gesichtspunkt „hier spart der Staat Geld und Arbeitsplätze“ sondern auch unter dem Gesichtspunkt „Freude der Mitarbeitenden an ehrenamtlicher Arbeit“, „Gemeinschaft“ und sogar „Persönlichkeitsbildung“ gesehen werden.

    Mir persönlich würde ein wichtiger Teil im Leben fehlen, wenn die Aufgaben die ich übernommen habe komplett von staatlichen Organisationen und bezahlten Mitarbeitern geleistet würden. Die Arbeit ist nicht nur eine Belastung sondern auch eine Erfüllung.

    Ich lebe ja nicht nur um zu arbeiten (Beruf) sondern freue mich meinen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Geld würde ich dafür nicht nehmen wollen.

  50. 50

    @#743538:

    Du schreibst:

    Die Heimstatistik wies für Deutschland für das Jahr 1997 knapp 656 000 Plätze aus. 429 609 davon (65%) wurden von den Kirchen betreut: http://is.gd/67zr9

    Die Kirche ist das größte Privatunternehmen Deutschlands. Größer als Siemens oder Daimler-Crysler. Die Arbeit der Wohlfahrtsverbände wird zu weit über 90% aus staatlichen Mitteln bzw. den Sozialversicherungen finanziert. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Leistungsentgelte (z.B. aus der Pflegeversicherung), teilweise gibt es auch pauschale Zuschüsse.Der Deutsche Caritasverband und das Diakonische Werk sind in den vergangenen Jahrzehnten zum weltweit größten privaten Arbeitgeberverbund aufgestiegen. Im Bereich der christlichen Wohlfahrtspflege werden bei etwa 1,5 Millionen Beschäftigten jährlich rund 45 Milliarden Euro umgesetzt. Die Kirche beschäftigt also die meisten Arbeitskräfte und bezahlt diese nicht selten unter Tarif – Gewerkschaften sind in kirchlichen Einrichtungen faktisch nicht existent.

    Die Kirchen selbst erhalten außerdem Milliarden an staatlicher Unterstützung von denen nur ein Bruchteil in die Fürsorge geht (Über 57% der Einkünfte der Caritas kommen vom Staat und aus Spenden – lediglich 9% (!) kommen von der Kirche):

    http://www.carstenfrerk.de/diakonie.htm

  51. 51
    Frédéric Valin

    (Hin und wieder werden Kommentare nicht veröffentlicht. Das ist keine redaktionelle Entscheidung, sondern ein Problem des Spamfilters. Ich muss die manuell freischalten. Ich sehe zwar regelmäßig nach, wem das aber zu langsam geht, der kann mich kruz anschreiben: frederic at spreeblick punkt com Sorry.)

  52. 52

    @#743540:

    Du schreibst:

    „Du schreibst: „Atheisten missionieren nicht“ — wenn du die Diskussion und auch deine eigenen Beiträge nochmal anschaust, musst du denke ich zugeben, dass diese Aussage so nicht haltbar ist, jedenfalls wenn man „missionieren“ mal etwas freier nämlich als „allgemeine Bekehrung zu einer Meinung“ übersetzt. Ich finde, da ist die atheistische Diskussion hier tw. schlicht unehrlich mit sich selbst.“

    Wenn ich als Privatperson in einen Weblog schreibe, dass es keine „Götter“ gibt, ist das in meinen Augen etwas anderes, als wenn eine milliardenschwere Organisation systematisch(!) das Schicksal von Benachteiligten zur massenhaften Verbreitung seiner Botschaft nutzt.

    In kirchlichen Wohlfahtseinrichtungen dürfen keine Atheisten arbeiten. Sogar ehrenamtliche Tätigkeit ist untersagt. Wenn es der Kirche um Altenpflege und Kinderbetreuung ginge, wäre das komplett egal.

    Die Kirche und ihre Mitglieder haben einen MissionsAUFTRAG.

    Ich habe so etwas nicht.

    Ich schreibe in einem Weblog über die Fakten. Wenn ein Prof in einer Vorlesung über Gravitation spricht, würdest Du das auch als Missionierung bezeichnen?

    Du schreibst:

    „Ehrenamtliche Arbeit ist m.E. ein hohes Gut und sollte nicht nur unter dem Gesichtspunkt „hier spart der Staat Geld und Arbeitsplätze“ sondern auch unter dem Gesichtspunkt „Freude der Mitarbeitenden an ehrenamtlicher Arbeit“, „Gemeinschaft“ und sogar Persönlichkeitsbildung“ gesehen werden.“

    Klar, Persönlichkeitsbildung! Erklärst Du mir, wieso man seine Persönlichkeit in einem unbezahlten Job als Altenpfleger besser bilden kann als bei einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Altenpfleger?

    Wie sollte man sich nach einem 9-10 Stunden-Job und mit einer Familie noch ehrenamtlich engagieren, wenn der Chef mit dem drei- oder vierfachen Gehalt das auch nicht macht und stattdessen lieber auf den Golfplatz geht?

    Du schreibst:

    „Ich lebe ja nicht nur um zu arbeiten (Beruf) sondern freue mich meinen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten. Geld würde ich dafür nicht nehmen wollen.“

    Eine solche Aussage kannst Du Dir leisten, wenn Du Schüler oder Student bist und von Deinen Eltern (und damit vom Staat und damit auch von mir) alimentiert wirst.

    Spätestens wenn Du Familie und einen 8-10-Stunden-Job hast, überlegst Du Dir das mit dem Ehrenamt nochmal.

  53. 53

    @#743545:

    Ja, Danke.

    In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass bitte meine Antwort an Dominik nicht untergehen sollte:

    http://www.spreeblick.com/2010/01/11/paul-nolte-religion-und-burgergesellschaft/comment-page-2/#comment-743513

  54. 54
    Anonym

    Bei der MISSION geht es um Rekrutierung für eine Organistion. Die Kirchen brauchen Kirchensteuerzahler.

    Wenn Atheisten sich öffentlich kritisch äußern, dann wollen sie damit niemanden zum Eintritt in einen Verein überreden, bei dem sie Mitgliedsbeiträge zahlen müßten, sondern es geht allein um die Suche nach der Wahrheit.

    Als Atheist erkenne ich an, dass ich falsch liegen könnte. Ich diskutiere deshalb gern über diese Fragen und lasse mich von guten Argumenten überzeugen. Aber ich will natürlich auch schlechte Argumente widerlegen dürfen. Und das hat NICHTS aber auch GAR NICHTS mit Mission zu tun.

  55. 55

    Nur noch mal am Rande:
    Ich habe im letzten Jahr kostenlos im Wert von 1700,- EUR für eine Obdachlosenorganisation gearbeitet. Ich bin Atheist, aber da diese Organisation einen kirchlichen Träger hat, wird vermutlich meine Spende als „christliche Spende“ verbucht – ob ich will, oder nicht.

  56. 56
    anonym

    Wenn hier gesagt wird, daß die Kirchensteuer von den Kirchenmitgliedern gezahlt wird, dann ist das leider nicht die ganze Wahrheit. Es gibt eben Fälle, wo andere Personen (Nichtmitglieder der Kirche) die Kirchensteuer bezahlen müssen bzw. der Staat Geldleistungen gegenüber Personen zurückhält, mit der Begründung, bei Auszahlung einer gewissen Summe wären diese Personen (Nichtmitglieder der Kirche) bessergestellt gegenüber Personen, die ihre Kirchensteuer davon bezahlen müssen. Daß das hier nicht erwähnt wird, deutet m. E. darauf hin, daß die Religionsverteidiger dies nicht wissen oder eben vorsätzlich verschweigen.

    Interessant sind solche Fälle aber auch deshalb, weil sie zeigen, daß vieles, was die Kirchen behaupten, nicht stimmt. Daß die großen Kirchen ihr Geld vom Staat eintreiben lassen, ist nicht so unproblematisch, wie sie behaupten. Daß seit mehr als 80 Jahren Staat und Kirche in Deutschland getrennt sind, aber die Praxis oft ganz anders aussieht, wird von den großen Kirchen ebenfalls in einer Weise thematisiert, die ich lediglich als verlogen bezeichnen kann.

  57. 57
    anonym

    Ach, noch was, und zwar zum Thema „Aggressionen“. Ich bin dafür, daß jeder an kleine grüne Männchen (oder auch an blaue bzw. rote) glauben kann, die ihn jede Nacht besuchen. Das ist mir völlig wurscht.

    Was mich lediglich stört, sind Personen und Institutionen, die ihren Glauben wie eine Monstranz vor sich hertragen (da kann sich jetzt jeder vorstellen, was er möchte). Und wenn diese genannten Personen dann glauben, mich angreifen zu müssen, weil sie genau zu wissen glauben, was ich denke und glaube bzw. nicht glaube. Wenn zum Beispiel der frühere Bischof von Berlin-Brandenburg bzw. Joe Lieberman im amerikan. Präsidentschaftswahlkampf vor einigen Jahren sagten, daß Nichtgläubige ja natürlich nicht moralisch handeln können, weil sie keine theoretische Grundlage dafür haben, dann wird das von mir und anderen als unnötige und ungerechtfertigte Attacke empfunden. Das zur „Aggression“. Clean up your own backyard.

  58. 58

    @ Mart

    Nein, deine Arbeitsleistung in der Obdachlosenarbeit wird nicht als „Spende“ u.ä. bilanziert. Man muss Kirchen nicht mögen, aber maches, was sie bzw. ihre Mitglieder machen, ist schon sinnvoll.

  59. 59
    Florian

    @#743501: „Verachten“ ist kein gutes Wort. Niemand sollte hier jemanden verachten. Schon gar nicht auf Grund seiner Weltanschauung. So verstehe ich die Religionsfreiheit. Und so weit waren wir schon, dachte ich. Keine moderne Religionsgemeinschaft verachtet Andersdenkende. Umso bemerkenswerter, dass jetzt gerade die, die von sich behaupten, sie würden an gar nichts glauben, hier einen neuen Kreuzzug starten.
    Ich glaube, dass viele Menschen durch Religion sozialen Halt bekommen. Das unterscheidet diese Menschen dann von mir, würde mich aber niemals dazu bringen, mich ihnen in irgendeiner Art überlegen zu fühlen.
    Der Staat soll mit Sicherheit nicht missionieren, aber für mich gehört zu seinen Aufgaben, die freie Religionsausübung sicherzustellen. Und um die Frage zu beantworten, ob wir einen religionsfreundlichen Staat brauchen: Ja. Genau wie einen meinungsfreundlichen Staat, einen diskussionsfreudigen Staat, einen menschlichen Staat. Anders formuliert steht das auch so im Grundgesetz.

  60. 60

    Florian hat hier m. E. das perfekte Schlusswort geliefert.

    Man könnte ggf. noch ergänzen, dass der überteuerte Essays verkaufende Polemiker Paul Nolte, wenn er in seinem typischen neokonservativen Neusprech vom „religionsfreundlichen Staat“ schreibt, nicht etwa unseren freiheitlichen Staat meint, sondern einen anders gelagerten Staat, der Religionsausübung massiv fördert. Mir ginge das zu weit. Die Freiheit des Glaubens und Nichtglaubens gerät in Gefahr, wenn der Staat als struktureller Missionar fungiert. Paul Nolte tut so, als ob die „bürgerliche Gesellschaft“, die er sich als Konservativer wünscht, von tiefer Religiosität abhängig ist. Paul Nolte geht es auch stets darum – das sollte man als Subtext zu seinen Texten lesen – dass sich der Staat gefälligst aus dem sozialen Bereich zurückziehen sollte, zwecks Entfaltung eines angeblich nur in ungehemmter bzw. deregulierter Gestalt modernen Kapitalismus. Tjanun, und da glaubt Paul Nolte, dass eine allgemeingesellschaftliche Rückbesinnung auf Religiosität ein dazu passender Baustein eines von ihm gewünschten gesellschaftlichen Umbaus in Richtung Minimalstaat sei. Anders gesagt, Paul Nolte propagiert ein ungeeignetes Mittel (Religion) für einen ungeeigneten Zweck (Minimalstaat). Ich halte Paul Nolte einen Satz von Ludwig Erhard entgegen: „Ein moderner und verantwortungsbewußter Staat kann es sich einfach nicht leisten, noch einmal in die Rolle des Nachtwächters zurückversetzt zu werden. Diese falsch verstandene Freiheit ist es ja gerade gewesen, die die Freiheit sowie eine segensreiche freiheitliche Ordnung zu Grabe gebracht hat.“ Lieber Frederic: DAS ist modern! Paul Nolte ist es nicht.

  61. 61

    @Florian (59): Du hast Recht. Verachten ist kein gutes Wort, und deshalb habe ich es bewusst nicht auf religiöse Menschen bezogen. Für die religiösen Organisationen allerdings stehe ich zu der Formulierung, aus den schon genannten Gründen, die ich hier sicher nicht wiederholen muss. Weltanschauung ist eine Sache, aber das bewusste und systematische Verbreiten von teilweise gefährlichem Schwachsinn ist für mich durchaus verachtenswert, insbesondere, wenn man sich daran in so unverschämten Maße bereichert, wie es bei unseren Kirchen der Fall ist.
    Dein Vergleich mit der Meinungsfreiheit hinkt meines Erachtens. Wir brauchen einen Staat mit Meinungsfreiheit, ja. Aber das ist kein Staat, der jeder Meinung freundlich und unterstützend zur Seite steht. Unser Staat sollte den Glauben an irgendeinen Gott genausowenig fördern wie den Glauben an Pumuckl oder den Glauben an Monster unterm Bett.

  62. 62
    anonym

    Nein, das annoncierte Schlußwort ist leider ungeeignet. Gerade das Wort „Verachtung“ paßt doch so gut, wenn es um Religionen geht. Denn in der Praxis ist doch die vielbeschworene Toleranz eher nicht zu Hause. Religionsvertreter verachten ihre Konkurrenz (selbst innerhalb einer Religion), Religiöse verachten Leute wie mich, die keine Religion haben (und damit zufrieden sind), und äußern das öffentlich – und, das gestehe ich hier ein, ich verachte ganz im Innern Leute, die es nötig haben, um ihr Leben zu bewältigen, den Halt einer Religion zu suchen. Und natürlich verachte ich die Eiferer, die mit Tricks verhindern, daß in Bussen in Berlin steht „Es gibt keinen Gott“, während sie überall den öffentlichen Raum mit den Botschaften ihres infantil-lächerlichen Aberglaubens zupflastern möchten. So und nicht anders ist die Situation (wie sie sich mir darstellt). Von Toleranz ist also wenig zu bemerken, besonders dann nicht, wenn die Religion auf der Bühne erscheint.

  63. 63
    Frédéric Valin

    @#743663: Du verachtest Augustinus, Thomas von Aquin, Kant, Rousseau und Hobbes? Einfach so? Wegen ihres „ihres infantil-lächerlichen Aberglaubens“?

    Interessant. Da ist dann wohl noch Raum für Ausdifferenzierung.

  64. 64

    @#743752:

    Stimmt, Frédéric, man sollte nie soweit gehen, Individuen wegen des Unfugs, den sie zeitweise zu glauben bereit sind, zu verachten.

    Das ändert nichts daran, dass Unfug Unfug ist und dass mancher Unfug Verachtung verdient.

    Es ist plausibel an Götter zu glauben. In etwa so plausibel wie an Astrologie, Alchemie und Aderlass zu glauben.

    Das hat es alles mehr oder weniger etabliert immer schon gegeben. Millionen haben daran geglaubt – darunter so prominente Namen, wie Newton, Kepler oder Washington – und glauben noch heute daran.

    Aber warum sollte man solchem – inzwischen als Unfug entlarvten Unfug – eigentlich mit Verachtung begegnen?

    Muss man nicht. Kann man aber dann, wenn aus Unfug offizielle Politik wird, die uns alle betrifft.

    Man stelle sich vor, es gäbe eine Aderlass-Partei oder eine Astrologisch Demokratische Union. Und man stelle sich vor, diese würde die Bundeskanzlerin stellen.

    Absurder Gedanke, oder?

  65. 65

    Was passiert, wenn 2000 Jahre alter Monotheismus auf Neuen Atheismus trifft, ist hier mal veranschaulicht:

    http://tumblr.ryancoleman.ca/post/334569230/how-to-demonstrate-50-years-of-evolution-in-car

  66. 66

    @#743498:

    „Auch sind Religiöse Menschen nicht besser als Atheisten oder Agnostiker. Und homophobie und elterliche Vorurteile sind mit Sicherheit bei religiösen Menschen ebenso verbreitet wie bei nicht-religiösen, da kann man noch so viele dolle Anekdoten aufzählen von verrückten Christen.“

    Woher kommt diese Erkenntnis? Ich nenne diese Behauptung eine Lüge! In meinem Freundes- und Bekanntenkreis haben sich nur so genannte ‚gläubige Menschen‘ in widerlichster Weise gegen ihre eigenen Kinder gestellt und diese Verletzt, statt sie einfach zu akzeptieren wie sie sind – die erste Pflicht aller Eltern.
    Und angesichts des jüngsten Beispiels dieser Art
    http://warfare-delightful-dreary-life.blogspot.com/2010/01/rather-have-gay-child-than-dead-child.html
    finde ich Deinen Beitrag schlicht ekel erregend!

    (Ceterum Censeo: Ich teile im Übrigen nicht die Ansicht, dass solchen Eltern Verständnis und Mitgefühl entgegengebracht werden sollte. Wer sich an seinen eigenen Kindern vergeht – in welcher Art und Weise auch immer – verdient nur eines: Verachtung!)