Das mit den Virals läuft ja meistens so ab: bekannten Multiplikatoren werden irgendwelche Dinge zugeschickt, bekannte Multiplikatoren schreiben darüber, andere schreiben darüber, was bekannte Multiplikatoren schon geschrieben haben, für fünf Internetsekunden wird darüber diskutiert, wer verantwortlich sein könnte, zwei Tage später ist das Geheimnis gelöst und eine Firma die mass-customized Socken produziert outet sich als cleveres Marketinggenie.
Meistens geht das an mir vorbei, die Faulheit, ihr wisst- ich warte einfach auf die Auflösung- ein Echo bleibt eigentlich nie übrig. Digitales Aufmerksamkeitsdefizit Syndrom. Trotzdem hat mich eine solche Aktion in den letzten Monaten (ja, wirklich, wir reden von MONATEN) so sehr eingenommen, dass ich jetzt einfach nicht anders kann als gebrochen aufzugeben und der verantwortlichen Marketingagentur mein Lob auszusprechen: ihr habt mich. Ich bin ganz Ohr. Ich will es jetzt wissen. Wen muss ich für diese wahnsinnige Schnitzeljagd verklagen?
iamamiwhoami. Im Dezember 2009 wurde ein YouTube Clip veröffentlicht: feuchte Waldatmosphäre und Gruselstimmung. Anfang Januar ein weiteres Video von einer mit Schlamm beschmutzten Frau und einiges an sexueller Konnotation und Eulen und tausend anderen Dingen. Danach noch in regelmäßigen Abständen, viel Natur und immer wieder diese blonde Frau, alle Videos mit seltsamen Nummernkombinationen betitelt die auf ihre Dechiffrierung warteten. Die Videos wurden von User „iamamiwhoami“ auf YouTube hochgeladen, alle hinterlegt mit elektronischer Musik die manchmal an The Knife oder Aphex Twin oder zig andere mögliche Bands und Künstler erinnert, nur nicht an Christina Aguilera – die wurde dann aber immerhin irgendwann zur Hauptverdächtigen gekürt (und wieder verworfen).
Besonders MTV Staff Writer James Montgomery hat es abbekommen- von iamamiwhoami wurde ihm sogar ein Paket zugestellt, eines, dass das Rätsel Anfang März voran treiben sollte. Doch statt Klarheit gab es wieder nur verwirrtes Kopfschütteln.
Because when I opened the envelope, out fell a knot of human hair, a few splinters of what appeared to be balsa wood, and a single strip of paper, bearing the animals featured in the ongoing „Iamamiwhoami“ viral campaign. I just sat there for a second, holding the items in my hand, half wondering if I should get a pair of latex gloves and send them down to CSI for analysis. It was a little terrifying, to be honest. – MTV.com
Klar ist eigentlich nur, dass es sich um einen Musik-Act handeln muss- die Blogosphäre rastet komplett aus und spekuliert:  ist es Trent Reznor, der so eine Aktion nicht das erste Mal starten würde?  Ist es vielleicht wirklich Christina, die dieses Jahr ein neues Album veröffentlicht und wie die Frau im Video blond ist und gerne mit Alter Egos spielt? Oder doch die durchgedrehte Lady Gaga oder das quasi-anonyme schwedische Elektro-Duo The Knife (skandinavischer Wald, skandinavische Musik und dann auch noch diese Darwin-Oper, wäre jedenfalls mein Tipp gewesen). Was ist mit der  Symbolik und den heftig stilisierten Videos, was verraten sie uns?
Christinas Management behauptet jedenfalls dass sie es nicht sei. Macht aber nichts, denn mittlerweile haben die fleißigen Hobby-Detektive aus der Livejournal-Gossip-Community „Oh No They Didn’t“ wohl des Rätsels Lösung gefunden: aufgrund der markanten Ähnlichkeiten zu der Frau (und anderen Hinweisen)Â im zuletzt erschienenem Video mit dem kryptischen Titel „b“, das sogar fünf Minuten lang ist und wie das Intro zu einem Album klingt, Â soll es sich beim Viral-Phantom um niemand geringeres als Jonna Lee handeln.
Moment, wer? Genau, Jonna Lee, eine unbekannte schwedische Sängerin und Songwriterin (Frühlingsklaviermusik, relativ angenehm). Im ganzen Prozess darum, die Teaser zu analysieren und interpretieren, fiel ihr Name nicht ein einziges Mal. Sie scheint es zu sein- doch:Â ihr Management hat auch bestritten, etwas über die Aktion zu wissen und ein frustrierter Haufen Bloggerkids reitet weiterhin auf etwas herum, was eigentlich schon gelöst sein müsste. Oder?
„If Jonna is involved in this, we have no knowledge of such,“ Jamie Jaffe, who works for Lee’s North American management team, Philadelphonic, told MTV News in an e-mail Monday (March 15). „The only upcoming projects we are aware of are the development of her third album and her upcoming SXSW performances.“ – MTV.com
Schaut man sich auch das aktuelle Jonna Lee Video  „Something So Quiet an, kommt man nicht umher die Ähnlichkeiten zu den iamamiwhoami-Videos zu erkennen. Weiterhin soll dieses Meisterwerk der Recherche die Indizien zu Beweisen erklären:
Ist Jonna Lee also die Täterin, die die halbe Musikwelt um den Verstand brachte? Wenn ja, bin ich enttäuscht: elektronische Musik! Einerseits brillant, weil irreführend. Andererseits: wo bleibt der Spaß, wenn man nie eine Chance hatte?
Ich bin vorsichtig dabei, hier das Finale zu deklarieren, immerhin hat sich noch niemand zu diesem Spannungs-Spektakel bekannt. Egal wer es ist: über fast vier Monate hinweg so viele Menschen zu beschäftigen ist eine Glanzleistung, und ich bin begeistert (und frustriert). Oder ist das doch eher Trolling auf ganz hohem Niveau? Mal sehen. Jonna Lee wird so schnell jedenfalls niemand mehr vergessen.
Wer auch immer es ist, das Prinzip ist sowas von geklaut aus Pattern Recognition. Leute, die sich über Monate mit einem viralen Video beschäftigen heißen dort „footage heads“. Ein großartiges Buch, lesen!
ging wohl an mir vorbei… warum nur? ah stimmt ich hab ja ein „real life“…
Wenn’s wirklich Jonna Lee ist, hat sie einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht – vor allem musikalisch. Das war vorher angenehm spannender Songwriter-Kram mit geringer Tendenz zum Krach. Wer aber Nitzer Ebb und MGMT covert, darf auch mit IDM hantieren.
@#750114: Word!
Nebenbei: Aphex Twin ohne „s“. Ist auch keine Band, sondern nur eine Person.
@#750119: argh, my bad, wird sofort repariert ;)
@#750114: real life, was ist das?
@#750120: Witzig. Unbewusstes Blogroulette. Du sitzt am PC, ich sitze am PC. Genauso, wenn E-Mails direkt beantwortet werden. Als Kind kam immer der Gedanke: „Was macht wohl Michael Jackson gerade.“ (was macht er wohl gerade ;-))
„Real life“: Es wäre doch durchaus einmal interessant, zu gucken, wie sehr wir als Konsumenten mittlerweile z.B. passive Produzenten geworden sind. Die Reproduktion all dessen, was um uns ist, durch uns, im Versuch wie hier „etwas zu verstehen“. Ist es überhaupt möglich, im Internet bzw. mithilfe des Internet etwas zu verstehen oder ist die Erkenntnis, die man durch das Internet erlangt nicht oft, meist oder gar immer scheinbar? Beschäftigen wir uns daher stets nur mit uns selbst, anstatt „hinaus“ zu gehen und „wirklich“ zu gucken? – All die in Gänsefüßchen stehenden Wörte sind nur Krücken, aber ich will hier auch nicht zehn Kilometer schreiben, so früh am Morgen.
Btw: das ist nicht OT, sondern bezieht sich direkt auf das/den Viral.
Haha Super,
jetzt bin ich aber auch verdammt neugierig
wer das veranstaltet hat, am Ball bleiben
wa.
lg
mehl.
Ob es nun Joona Lee ist oder nicht, dass ist mir relativ egal. Was ich allerdings wirklich faszinierend finde ist der Effekt, den diese „Aktion“ gebracht hat und davor ziehe ich den Hut. Denn in dem Web-Dschungel auf seriöse Art und Weise eine sich abhebende Awareness zu erhalten ist per se schon eine Leistung.
Ich finde das cool, die Leute haben schon immer gerne geforscht und entdeckt und Rätsel gelöst. Da finde ich sowas immer eine willkommene Abwechslung, und auch wenn es am Ende nur Marketing ist, who cares.
Ein gut gemachtes Viral. Die sonst so bekannten werden für meinen Geschmack leider immer viel zu schnell aufgelöst und geraten dadurch – wie du schon schreibst – sehr schnell in Vergessenheit. Ich bin gespannt was dabei rauskommt.
Björk?
Schweden? Viral-Marketing? Dann vermutlich GoViral aus Dänemark. =)
@Volker: Unwahrscheinlich. Björk arbeitet zwar aktuell mit Michel Gondry an einem „Scientific musical“ (whatever …), aber ich schließe aus, dass sie darüber blond und gesichtsschmal geworden ist. :-)
hmm… nicht mal jetzt bin ich willens das video anzuklicken. irgendwo hakt diese multiplikatoren these noch… aber vielleicht bin ich auch nicht zielpublikum.
@#750114: An mir ging das auch vorbei (was ich nicht bedaure). Und dabei habe ich kein Real Life.
man sollte vielleicht noch erwähnen, dass die zahlenreihen zahlencodes sind und kurze titel ergeben wie etwa „educational“, „officinarium“, „welcome-home“,“negativeeffec“ und „itsme“. ich fand auch den hinweis auf chris cunningham interessant, das würde schon sehr gut passen. spannend auf jeden fall ein neues kapitel in der großen bibel des hype.
This is TOO sick and TOO good, the first MASHUP of iamamiwhoami:
http://www.youtube.com/watch?v=U9Yj4VjDx8g
Es gibt ein neues Video: n http://www.youtube.com/watch?v=N0BsI8R4izQ
Aber immer noch keine Auflösung :/
Altes bewährt sich und die Idee ist sehr gut adaptiert worden.
Daher können wir uns doch freuen auf eine neue Band, die a la Fever Ray/The Knife mal immer öfter in den Hintergrund ihrer Musik sich stellen und nicht tauende Fotoshootings für sich sprechen lassen. Nebenher das Video ist sehr gut gemacht
Auf ArtiBerlin habe ich dazu einen weiteren guten Artikel gefunden.
http://www.artiberlin.de/article/Iamamiwhoami_Glitschige_Waldatmosphre_und_Gru
http://www.youtube.com/watch?v=22R9FOv_lRI
Ich vermute das Karin Dreijer Anderson ( The Knife, Fever Ray ) dahintersteckt, da die Musikart und das Spiel um Identität schon immer Ihres war.
Alles in allem wahnnsinnig geile Musik………..Chapeau!!!