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Punkrock-Momente, die in keiner Doku auftauchen: Sham 69

Während nicht wenige der britischen 77er-Punkbands von den Kunsthochschulen kamen, bezogen sich Bands wie Sham 69 mit ihren Fußballchor-Refrains auf ihre proletarischeren Wurzeln und landeten nicht zuletzt deshalb im Skinhead-Umfeld. Sham 69 gelten als Mitbegründer der ursprünglichen Oi!-Szene, die im Verlauf ihrer Entwicklung politisch immer rechtslastiger wurde und somit die Bands vor Probleme stellte: Sham 69 stellten ihre Live-Aktivitäten 1978 sogar für eine Weile ein, nachdem Konzerte der Bands immer häufiger von gewalttätigen National-Front-Anhängern besucht und demoliert wurden.

Sham 69, allen voran ihr Sänger Jimmy Pursey, waren echt, rau, naiv und laut. Und flirteten dennoch hier und da mit dem Mainstream, wie das nachfolgende Video zeigt, das an Absurdität kaum zu übertreffen ist.

Werfen wir aber zunächst einen Blick auf den jungen Jimmy Pursey, der im folgenden Clip aus dem Film Rude Boy vor lauter Aufregung viel zu früh mit seinem Einsatz beginnt, als er 1978 mit seinen Helden The Clash die „Rock Against Racism“-Bühne im Londoner Victoria Park teilt. Wir sehen einen Jugendlichen, der sich, gekleidet wie ein Clown und vermutlich high on speed, von der Energie des Moments ebenso tragen lässt wie Band und Publikum.

Der Clip ist Dokument einer Zeit des Aufbruchs und zeigt eines der ersten großen Konzerte, bei dem sich Reggae- und Punkbands die Bühne teilten, um gemeinsam mit 100.000 Menschen, die gerade als „Carnival against Nazis“ vom Trafalgar Square durch das Londoner East End (einer damals von der National Front geprägten Gegend) zum Victoria Park gezogen waren, um den Rechten den Mittelfinger zu zeigen. Noch heute gilt der Gig als Beginn einer neuen, politischen Jugendbewegung in Großbritannien und als einer der Faktoren für ein Ende der National Front.

Es kann nicht viel später gewesen sein, als Sham 69 ihren Hit „If The Kids Are United“ in einer TV-Show präsentierten. Mitklatschende Rentner und Kinder, die — offensichtlich geplant — als Statisten zur Unterstützung des nicht gerade komplizierten Textes herangezogen werden, eine ganz eindeutig nicht auf Punkrockbands vorbereitete Dekoration und ein Jimmy Pursey, der sich redlich bemüht, nach den Regeln des Big Show Business zu spielen … und dabei kläglich scheitert.

Es ist eine Mischung aus Fremdscham und Verständnis, die einen beim Ansehen des Clips befällt, denn jeder, der selbst mal Musiker war oder ist und dabei in die Verlegenheit kam, einen Fernsehauftritt (in einer Kindersendung?) zu absolvieren, kennt die befremdliche Situation, in der sich die Band befunden haben muss. Kameras, Licht, Deko, ein Studio-Publikum, das der Zielgruppe nicht ferner sein könnte; dazu wahrscheinlich eine Aufnahmeleitung, die den Bandnamen nicht buchstabieren kann und ein Team von Kameraleuten, das möglichst genaue Ablaufpläne braucht …

Als Resultat sehen wie einen versucht galant in die Szenerie schlendernden Pursey, der gute Miene zum bösen Spiel machen will und immerhin live singt — im Duett mit einigen Kids, die, wenn sie united wären, niemals divided werden könnten. Und wir lernen: Jede Band hat Leichen im Keller. Und irgendwo da draußen hat sie jemand auf VHS.

Man beachte auch unbedingt und gleich zu Beginn: Die über den Boden gleitende Gitarristenplattform!

21 Kommentare

  1. 01

    hihihi wirklich klasse. :D

  2. 02

    Das erinnert mich stark an den schrägen Auftritt von Bobby Conn in der Kindersendung „Chic-A-Go-GO“, für den er in letzter Minute den ziemlich eindeutigen Text seines Songs „Never get ahead“ geändert hat (und deswegen auf Nachfrage der Moderatorin in Erklärungsnöte gerät):

    http://www.youtube.com/watch?v=rm9dzLxLvxc

  3. 03

    @#750129: Grandios, danke!

  4. 04

    Wunderhübsch. Vielen Dank. Jetzt weiß ich auch endlich, wer da bei Rude Boy auf der Bühne stand.

  5. 05

    Da lob ich mir doch den dicken Peter und seine Reagenzglasbabies: http://www.youtube.com/watch?v=pqUm82U1Kbc !

    (Obwohl auch diese Herren Mitte der 80er einige recht peinliche (Halb)Playbackauftritte im spanischen Fernsehen hatten, die auf einer VHS Kassette bei mir zu Hause schlummern.) Am Ende wollen doch alle ein bisschen Karriere erleben, ob nun Punk, Pop oder Indiebands. Ironische Verballhornung der misslichen TV-Auftritts-Situation war damals sicher noch nicht so einfach wie heute.

  6. 06

    Die Show war soweit ich sehen kann Jim’ll fix it, so eine Art „Wuensch Dir was“ Sendung. Ob das nun die Erfuellung des Wunsches eines der Kinder war habe ich leider noch nicht herausfinden koennen.

  7. 07
    Achso!

    Wow! Jetzt weiß ich endlich, dass ich „if the kids…“ einfach nur immer falsch verstanden hatte. Wirklich unfassbar. Und danke fürs Finden des Livevideos.

    Und die ganzen Youthcrew-HC Bands der späten 80er und frühen 90er bezogen sich eigentlich auf Krabbelgruppen und Kinderhorte.

  8. 08

    @#750138: Oha, danke, klingt plausibel. Habe von der Sendung immer nur gehört damals „¦

  9. 09

    Hihihi, made my day :]

  10. 10
    Heidi

    Haha, sehr schön. Ob ihr’s glaubt oder nicht: habe Sham 69 letzten Sommer auf einem Festival gesehen. War super!

  11. 11
    racke

    bei den derzeitigen sham69 ist aber nicht mehr Pursey der Sänger, der ist ende 2007 ganz aus der Band ausgestiegen.

  12. 12
    Gyroswickler

    Nicht unterschlagen sollte man die deutsche Version dieses Songs. Da hats mir fast die Socken hochgerollt.
    http://www.youtube.com/watch?v=1Tv8sDquOu0

  13. 13

    Ich wusste es schon immer, dass Benny eigentlich ein Punk war …

  14. 14

    @#750253: Du meinst das hier? :)

  15. 15

    @#750232: Oh, hoppla. Hattest du ja schon erwähnt. Sorry.

  16. 16

    @Johnny Haeusler: Wenn ich den unfassbaren Benny von damals sehe (Gottseidank gibte es YouTube), dann denke ich mir (als Wessi), dass sich so die offiziellen DDR-Unterhalter angefühlt haben müssen: Null authentisch, auf jeden Trend hüpfend (Skateboard U-A-A, Punk-Sound), multipel einsetzbar (Fernsehmoderator etc.), und alles immer mit der gewissen Großer-Bruder-gibt-Lebenshilfe-Attitüde …

  17. 17
    Der grosse schreckliche Miauwuff

    Super.

    Richtig gut!

    Punk muss schockieren oder Leute vor verwunerung erstarren lassen. Wurde gerade doppelt erwischt. Respekt! Punk kann also auch mich noch schocken.

  18. 18

    Mit viel Fantasie erblicke ich auf dem Standbild eine in rot gekleidete junge Angela M.
    Die legendäre Rockband spielt 2010 Konzerte und Festivals!

  19. 19

    Mit viel Fantasie erblicke ich auf dem Standbild eine in rot gekleidete junge Angela M.
    Ganz klar gesehen eine Dioptrien bedingte Täuschung.

  20. 20
    Mika

    Man kann auch mit sowas wie fernsehshows sehr kreativ und subversiv umgehen.

    Wie zum Beispiel die Beginner die mit dieser relativ unglaublichen Aktion „the dome®“ auf die schippe genommen haben.