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Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin

Im Metronom von Berlin nach Budapest teile ich mir ein Abteil mit einer jungen Ungarin. Sie studiert dank des Erasmus-Programmes für einige Monate Wirtschaft in Berlin. In ihr Heimatland fährt sie wegen der Parlamentswahlen am Sonntag. „Ich möchte die Mitte unterstützen“, erklärt meine Mitreisende, denn in ihrem Land würden nur die Radikalen von links und rechts gehört.

Die Rechten in Ungarn sind stark geworden. „Bei der letzten Wahl gab es eine Katastrophe“, sagt sie und meint den Erfolg der rechtsextremen „Jobbik“. Die vorher in keinem Parlament vertretene Partei holte bei der Europawahl 15% der Stimmen, beinahe genau so viele wie die regierende sozialdemokratische MSZP.

Meine Abteilgefährtin kann den Hass auf Roma, Juden und Ausländer nicht verstehen, mit dem Jobbik erfolgreich um Stimmen wirbt. Immer wieder werden Roma ermordet, erzählt sie mir. Dabei sei Ungarn ein Land der Minderheiten, hier lebten neben den bereits Genannten Deutsche, Kroaten, Slowaken…

Am Bahnhof werde ich von einer Freundin abgeholt. Auch sie ist besorgt wegen des Rechtsruckes in Ungarn, aber wählen gehen will sie nicht. „Kennst du diese Facebook-Gruppen wie ‚Draw a penis on election day‘ oder ‚vote for Attila József‘?“, fragt sie mich. Am 11. April ist zu Ehren des Dichters in Ungarn „Tag der Poesie“. Sie habe überlegt, wählen zu gehen und den Namen von József auf den Zettel zu schreiben. Aber sie ist noch immer weit draußen registriert und zwei Stunden Busfahrt ist ihr eine ungültige Stimme nicht wert.

Eine wählbare Partei gebe es nicht. „Die Liberalen sind vor einiger Zeit explodiert“, sie hätten sich aufgesplittert und stünden nicht einmal mehr auf dem Wahlzettel. Jetzt gebe es eine neue Partei, „Politik kann anders sein“, die auf junge Leute abziele. Aber deren Kandidaten seien „Popstars und Umweltaktivisten“. Sie würde sie ja wählen, wenn sie auf der Liste einen finden würde, der schon einmal einen Vollzeit-Job hatte, scherzt sie.

In den letzten Jahren ist ein neuer Rassismus aufgekommen in Ungarn, sagt meine Freundin. Als vor einiger Zeit Jobbik-Anhänger durch die Straßen marschierten, habe ein Mann an einer Straßenkreuzung gestanden und gerufen, „kommt doch her ihr Juden“, bis ein Passant kam und ihm ins Gesicht schlug. Der sei dann verhaftet worden. Ansonsten habe sich um den Rufer keiner gekümmert.

Die Unkonferenz, für die ich nach Budapest gekommen bin, hat ein großes „No populism“ auf dem Banner stehen. Über ungarische Politik reden dürfen wir in den Sessions aber nicht, so will es das Gesetz. Aber es sind auch kaum Ungarn gekommen, ich treffe – abgesehen von den Veranstaltern – nicht einen einzigen. Das in diesem Land so hochaktuelle Thema interessiert nur die internationalen Studenten der Central European University.

Am Sonntag hat sich meine Freundin dann doch dafür entschieden, wählen zu gehen. Auf einer Webseite hat sie gelesen, dass ein mit Kommentar versehener Wahlzettel nicht als ungültig eingestuft wird. Also wird sie den Namen Attila József und einen Kreis mit Kreuzchen unter die anderen Kandidaten setzen.

Meine Freundin ist Halb-Vietnamesin. Auf der Fahrt zum Wahlbüro entschuldige ich mich, nicht gefragt zu haben, wie sie selbst den Rassismus erlebt hat, und sie erzählt mir, wie sie im letzten Winter mit einem Freund einen Laden betrat. Der stand schon an der Kasse, als ein fremder Mann ihn ansprach: „Warum hast du Kontakt mit Chinesen?“, hörte meine Freundin den Fremden sagen.

Man sagt, Jobbik orientiere sich in Rhetorik, Symbolik und Selbstdarstellung an den Pfeilkreuzlern. Die nationalsozialistische Partei herrschte von 1944-45 in Ungarn und ließ zehntausend Juden und Roma ermorden. Als ich das letzte Mal in Budapest war, habe ich ihr ehemaliges Hauptquartier besucht. Es ist heute ein Museum: Das „Haus des Terrors“.

Am Wahltag, meinem letzten Abend in der Stadt, gehen wir auf eine Demonstration. Sie fordert „Mehr Techno in das Parlament“. Ein paar hundert junge Leute sind gekommen, um für die Rechte der DJs zu demonstrieren, es ist eine offiziell angemeldete politische Demonstration. „Heute ist Wahltag“, sagt einer der Organisatoren, „also wollten wir etwas machen, um die Leute davon abzulenken“.

Die rechtskonservative Partei Fidesz hat die gestrigen Wahlen mit einer absoluten Mehrheit gewonnen, während die Sozialdemokraten mehr als die Hälfte ihres Stimmanteils verloren und nur noch 19% erreichten, knapp vor Jobbik. Auch die Umweltschützer von „Politik kann anders sein“ haben den Einzug ins Parlament geschafft. Wie viele Stimmen Attila József erhalten hat, berichten die Zeitungen nicht.

8 Kommentare

  1. 01
    Juppi

    Was ist in diesem Zusammenhang ein „Metronom“? Ein Zug, okay. Aber ich finde nix über eine Verbindung Berlin-Budapest mit einem Metronom…

  2. 02
  3. 03

    Danke für den Artikel. Es ist richtig und wichtig darüber zu berichten.

  4. 04

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Erschreckend!

  5. 05

    Das traurige ist für mich, dass Ungarn in der Wendezeit so sehr an der Spitze des Ostblockfortschritts stand, mittlerweile aber sogar von Slowenien ausgelacht wird.

  6. 06
    12monkey

    @christoph kratistos
    vielleicht hat das eine mit dem anderen zu tun.

  7. 07
    anka

    also ich kenne Leute von der LMP – „Politik kann anders sein“ die schon mal einen Vollzeitjob hatten…