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Kirgisistan: Auf Tulpen folgen Rosen

Die neue Regierung macht große Versprechen, aber ich kann nicht sagen, ob es einen wirklichen Wandel geben wird. Es könnte sich wieder nur als Populismus erweisen.

Diese Sätze könnten wohl in jedem Land der Welt ausgesprochen werden, ganz egal, ob Demokratie oder Diktatur. Hier stammen sie von Tolkun Umaraliev, einem Blogger aus Kirgisistan, das gerade seinen zweiten Umsturz in nur fünf Jahren erlebt hat. Schon sind die Helden der Tulpenrevolution wieder aus dem Parlament verjagt und durch neue Gesichter ersetzt worden.

2005 stürzten friedliche Demonstranten den seit der Unabhängigkeit Kirgisistans mithilfe gefälschter Wahlen regierenden Präsidenten Askar Akajew. Der frühere Premierminister Kurmanbek Bakijew wurde mit 89% der Stimmen zum neuen Staatschef gewählt, was zum Teil auf eine Allianz mit Felix Kulov zurückzuführen war. Aber schon damals standen Vorwürfe von Wahlbetrug gegen den Oppositionsführer im Raum. Bei seiner Wiederwahl 2009 waren diese kaum mehr zu leugnen.

Anfangs bedeutete die Machtübernahme Bakijews mehr Freiheiten für die Bürger, sagt Tolkun Umaraliev. Aber schon nach drei Jahren sei davon nichts mehr zu spüren gewesen, stattdessen mehrten sich Menschenrechtsverletzungen. International manövrierte sich Bakijew ins Abseits, weil er Russland im Gegenzug für einen Kredit die Auflösung der amerikanischen Militärbasis versprach, dem aber nach erhöhten Zahlungen der USA keine Taten folgen ließ.

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung allerdings ruht vor allem von der Enttäuschung über den ausbleibenden wirtschaftlichen Aufschwung her. Stromausfälle gehören in der ehemaligen Sowjetrepublik zum Alltag, dennoch stiegen die Energiekosten im Februar um teils mehrere hundert Prozent. Geschuldet ist die Misere auch der allerortens grassierenden Korruption.

Am 6. April stürmten etwa tausend Demonstranten ein Regierungsgebäude in der westkirgisischen Stadt Talas, besetzten es und nahmen kurzzeitig einige Beamte als Geiseln. Am nächsten Tag protestierte eine rasch anwachsende Menge vor dem Hauptquartier der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei in der Hauptstadt Bishkek, die zunächst anrückende Polizei wurde von den Demonstranten überwältigt.

Die Bürger zogen zum Ala-Too-Platz vor dem „Weißen Haus“, Kirgisistans Präsidentensitz. Dort hatte sich fünf Jahre zuvor auch die Tulpenrevolution abgespielt. Kurmanbek Bakijew allerdings befand sich diesmal auf der anderen Seite – und im Gegensatz zu seinem Vorgänger Akajew ließ er auf die Demonstranten schießen, als sie das Gebäude zu stürmen versuchten. 75 Menschen kamen ums Leben.

Nach der Besetzung des Parlamentes und des wichtigsten Fernsehsenders durch die Protestierenden war Bakijew letztlich gezwungen, die Hauptstadt zu verlassen. Er flüchtete in die Stadt Osh im Süden des Landes, wo er seine Hochburg hat. In der Hauptstadt bildete die Opposition eine Interimsregierung, aber auch am 8. April kam es zu Plünderungen und Vandalismus.

Der Umsturz von 2005 hat sich also wiederholt, aber unter anderen Vorzeichen. Nicht nur, dass es Tote gab, die Intelligenzija traut dem Umsturz nicht über den Weg. „Ich glaube nicht, dass eine Revolution der richtige Weg ist“, sagt die Aktivistin Nellya Dzhamanbaeva. Darf man dem Blogger Isken glauben, ist das symptomatisch für ihre Schicht: „Die Einwohner Bishkeks selbst waren nicht dort. Meine gebildeten und kultivierten Freunde waren schockiert von den Plünderungen“. Und auf LiveJournal schreibt „Fotoputeshestviya“:

Die einzigen Leute, die sich in dieser Situation wohlfühlen, sind junge Männer in Adidas-Trainingsanzügen, die mit Bussen aus der Provinz gekommen sind, die Stadt zwei Tage lang geplündert haben und nun hoffen, dass ihre Vertreter Posten in der neuen Regierung bekommen werden, ‚weil wir die Revolution gemacht haben‘. Aber die Städter stehen der ‚Revolution‘ sehr kühl gegenüber [weil sie fürchten, dass sie lediglich] Bakajew’s Clan durch einen anderen ersetzen und sich nichts ändern wird.

Die Hoffnung ruht nun auf Rosa Otunbajewa, die als Interimspräsidentin die Geschäfte des Landes übernommen hat. „Sie ist eine sehr intelligente Frau“, sagt Tolkun Umaraliev. In der Tat kann die 59-jährige auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken. Nach einer kurzen Tätigkeit als Philosophie-Professorin war sie schon in den achtziger Jahren Chefin der UdSSR-Delegation bei der UNESCO in Paris.

Nach der Unabhängigkeit Kirgisistans war Otunbajewa unter beiden bisherigen Präsidenten Außenministerin, dazwischen besetzte sie prestigeträchtige Botschafterposten in den USA und Großbritannien. 2004 gründete sie eine eigene Partei und unterstütze ein Jahr später die Tulpenrevolution, stellte sich aber schon bald in Opposition zum neuen Machthaber Bakijew, dem sie eine Rückkehr zu den Repressalien seines Vorgängers vorwarf. Zuletzt war sie seit 2007 Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei. Das alles, wohlgemerkt, in einem Land, in dem Frauen in der Politik eine Seltenheit sind.

Otunbajewa wird in der nächsten Zeit viel zu tun haben. Das ihr nachgesagte Geschick für das Aushandeln von Kompromissen dürfte ihr dabei zugute kommen. So wird sie zwischen den traditionell widerstreitenden Landesteilen einen Ausgleich finden müssen. Derzeit versucht der frühere Machthaber Bakijew noch, im Süden Unterstützung gegen die Interimsregierung aus dem Norden zu finden.

Kirgisistan findet sich auch in einer Position zwischen den Weltmächten. Sowohl Russland als auch die Vereinigten Staaten haben Militärbasen in dem Land. Obwohl sie Moskau deutlich näher steht als Washington, betonte Otunbajewa im Interview mit Al-Jazeera, die Verpflichtungen gegenüber den USA einhalten zu wollen.

Die entscheidende Frage wird letztlich sein, ob die neue Regierung im immernoch von Clan-Strukturen geprägten Kirgisistan eine demokratische Kultur etablieren kann. Ansätze dazu gibt es: Schon unter dem diktatorisch regierenden Präsidenten Akajew hatte das Land – sichtlich zu Unrecht – den Ruf als „Schweiz Zentralasiens“ inne.

Tolkun Umaraliev meint gar, die im Vergleich zu Nachbarstaaten wie Turkmenistan oder Usbekistan größeren bürgerlichen Freiheiten in Kirgisistan hätten die vergangenen Umstürze überhaupt erst ermöglicht. Dennoch sollte nun eine echte Demokratisierung stattfinden, die Revolutionen durch freie Wahlen unnötig macht.

Als ersten Schritt in diese Richtung will Interimspräsidentin Otunbajewa gemeinsam mit den anderen bisherigen Oppositionsparteien eine neue Verfassung ausarbeiten, denn die derzeitige „ändert die Menschen an der Macht“. Das ist im Moment sie selbst – und sie muss aufpassen, nicht angesteckt zu werden, denn wie sie gut genug weiß: „Politik ist ein Virus“.

Weitere Informationen: Das Gruppenblog NewEurasia berichtet ausführlich auf Englisch aus Kirgisistan; die Interimspräsidentin Otunbayewa twittert.

9 Kommentare

  1. 01
    Hanoi

    Wer ist Simon Columbus? Bitte öfter schreiben! Danke.

  2. 02
    ber

    Wer denkt sich eigentlich immer diese Namen aus? Das grenzt ja mittlerweile an Branding-Maßnahmen. Die Tulpen Revolution, die orangene Revolution, die samtene Revolution …

  3. 03
    Nicole

    es muss kirgistan heißen :)

  4. 04
    Simon Columbus

    @Hanoi danke!

    @ber in dem fall steckt dahinter eine lustige anekdote: es war ausgerechnet der später abgesetzte präsident akajew, der sagte, es werde keine solche farben- / blumen-revolution in kirgisistan geben

    @Nicole nö. siehe WP:Kirgistan (was eine weiterleitung auf WP:Kirgisistan ist)

  5. 05
    Thomas Benle

    @#751881: Dem ist nichts hinzufügen. Was hier bisher von Simon zu lesen war, hat mich alles sehr positiv überrascht. :)

  6. 06
    Nicole

    @Simon Columbus ich vermute, das wollen Kirgisen trotzdem nich hören.

  7. 07
    joe

    @Nicole Worauf stützt sich denn Deine Vermutung?

  8. 08
    Simon Columbus

    @#751986: Sorry, aber ich schreibe hier nicht für Kirgisen.

    Das mag etwas abfällig klingen, gemeint ist es aber pragmatisch: Ich schreibe hier für ein deutsches Blog, also verwende ich die in Deutschland gebräuchlichen Schreibweisen. Das heißt im Übrigen auch für mich häufig, unliebsame Abstriche bei der Korrektheit zu machen, etwa bei der Schreibweise arabischer Landesnamen (Irak anstelle der richtigen Transkription Iraq etwa oder Bagdad statt Baghdad). Warum tue ich das? Weil es für die Leser einfacher ist. Ungebräuchliche Schreibweisen stellen einfach einen Stolperstein dar. Und wollte ich ganz korrekt sein, dürfte kaum jemand mehr verstehen, wovon die Rede ist – oder sagen dir Zh?nghuá Rénmín Gònghéguó, al-?umh?riyya al-?az??iriyya ad-D?m?qr??iyya aš-Ša?biyya oder Daehan Minguk etwas?

  9. 09
    Nicole

    @joe weil es nur eine abwandlung des namens der Region (Kirgisien) in der ursprünglichen SU ist. Da sich Kirgisen aber als selbstständigen Staat sehen, hören die das nicht gern.

    @Simon wenn ich gewusst hätte, was es für eine welle auslöst, hätt ich das gelassen. es war auch nur ein kleiner hinweis, vielleicht ein bisschen unfreundlich interpretierbar, war aber nicht meine absicht… ich verstehe natürlich das argument. ich wollte nur aufklären, dass Kirgistan wohl die günstigste Bezeichnung ist.