Ich weiß gar nicht, welchen Satz ich aus dem elegischen, klugen und zurückhaltend-euphorischem Vortrag Peter Glasers wählen soll, um eine sehr persönliche Zusammenfassung des ersten re:publica-Tages zu schreiben. Vielleicht diesen hier:
Heute ist die digitale Technologie so weit fortgeschritten, dass sie uns nicht nur erlaubt, die alte Unordnung ohne Abstriche in den Computer zu übernehmen, sondern sie weit zu übertreffen. (…) Ziel der Entwicklung ist es, die Unübersichtlichkeit zu universalisieren. Jeder soll alles von überall aus durcheinanderbringen können. In Echtzeit.
Alles durcheinanderbringen. Ein schönes Motto.
(Ich grüße jemanden.)
Identität. Die FAZ hat ein Dossier über Blogger gemacht. Da steht, dass Johnny keine jüngeren Blogger kennt.
Als man ihn am Ende fragt, ob er junge Blogger kenne, ist er genauso ratlos wie jeder andere, den man zuvor gefragt hatte. Keiner konnte Namen nennen. Es ist, als sei da etwas hinter ihnen abgerissen, und sie haben es nicht einmal gemerkt, so beschäftigt waren sie mit sich.
„Keine Ahnung, wo jetzt alle sind“, sagt er.
Ich frage mich, ob ich jetzt schon so alt bin, dass mich nicht einmal die FAZ mehr für jung hält. Bei denen fängt alt doch erst mit 40 an, dachte ich. Die halten doch die Wechseljahre für die bessere Pubertät, dachte ich.
(Tja. Sicherheitshalber schreibe ich Johnny kurz, ich sei auf dem Weg zur Bar.)
Distinktionsbedürfnis. Im S-Bahnhof steht ein Imbiss. Hier gibt es noch „Deutsche Küche“, steht da auf einer Tafel, das „Deutsche Küche“ ist in Anführungszeichen gesetzt. Ich bleibe stehen, weil ich im Gehen nicht nachdenken kann und das Schild einige Fragen aufwirft. Zwei, um genau zu sein.
Erstens: Was sollen die Anführungszeichen rund um das Deutsche Küche bedeuten? Heißt das, die Betreiber sind sich nicht sicher, ob es sich um eine Küche handelt, und schon gar nicht um eine deutsche? Oder ist es dieses moderne Distinktionsbedürfnis, das irgendwie Selbstironie bedeuten soll? „Wissen Sie, das ist schon deutsche Küche, aber die Begrifflichkeit Deutsche Küche ist ja so kontextüberfrachtet, verweist auf so viele Diskurse, Heimatliebe und Nationalismus zum Beispiel, da wollen wir uns natürlich distanzieren, und eine Distanzierungsstrategie ist Ironie, die sympathischste, wie man Altmann et al in ihrem Standardwerk „Distinktion durch ‚Ironie'“ ausgeführt haben, trotzdem verweigert man sich den traditionellen Schemen hier, ja.“
Zweitens: was heißt hier ’noch‘?
Nach Verzehr der Wurst kann ich immerhin zweiteres beantworten. Morgen dann vietamesisch.
(Jemand anderes grüßt mich.)
Der Friedrichsstadtpalast sieht übrigens aus wie das Partydeck der Titanic.
Distinktion. Bier 3,50. Ich sage Bier, dabei ist es Radeberger. Kleine Flasche. 0,33. Wem die re:publica nicht gefällt, der wird sie sich nicht schönsaufen können.
(Jemand nennt mich Markus.)
Identität. Christian Heller spricht über Identitätskriege, Kalkscheune kleiner Saal, es ist voll. Sehr voll. Neben mir sitzen Leute, die sich Notizen in kleine Heftchen machen, ich finde das super. Nicht auf Laptops, in kleine Schulhefte, liniert DinA 6. Es erinnert an selige Uni-Tage. Das passt: Christian Heller, nennen wir ihn plomlompom, hat etwas von einem liebenswerten, ein wenig schusseligen Professor, der unterhaltsam ist, weil er sein Thema liebt. Der aber, weil er sein Thema kennt, gerne auch mal durch seine Thesen springt wie ein Gummiball, und Facebook-Gruppenzugehörigkeiten mit Staatsbürgerschaft gleichsetzt.
(Man müsste mal seinen Vortrag auseinandernehmen nächstens, also nach der re:publica. Wenn da nicht die oberste Prokrastinationsregel wäre: Sätze, die mit „Man müsste…“ beginnen, haben mit „… sich noch ein Bier holen.“ enden.)
(An der Bar steht der Typ, der mich Markus genannt hat.)
Identität. Nachdem Gira Grant über Chatroulette ein paar kaum erigierte Schwänze auf der Bühne gezeigt hat, betrat Sascha Lobo dieselbe. Auch das ist ein Ausdruck der Vielfalt der re:publica, die Markus Beckdahl bei der Begrüßung beschworen hatte.
Mir tat Sascha Lobo ein wenig leid: wie will man gegen eine Frau ankommen, die live Schwänze vorführt – und dafür beinah standing ovations bekommen hat? Ha!
(An der Bar. Ich nenne den Typen, der mich Markus genannt hat, auch Markus. Er nickt.)
Hier kommt ein junger Blogger. Nicht berühmt, aber jung.
stichwort junge blogger. ich bin selber jung. aber eben kein blogger. die meisten die ich kenne, lese ich aus gutem grund nicht, sie schreiben wie ich: gewollt, geschwurbelt, haben keine lösung, hätten gerne eine und obendrein meistens keine ahnung… wir brauchen da wohl noch ein paar jährchen – der eingangszitierte text (glaser?) weist uns auch schon darauf hin: soviel chaos in echtzeit, das muss man erstmal soweit sortieren bis man etwas älter ist… ;-)
(die jungen blogger übrigens, die nicht an oben genannten leiden, leiden an absoluter überflüssigkeit, wer braucht schon linsk zu – sagen wir – arsenal- barca… da schau ich lieber hier rein und gebe mir die fussball zusammenfassung ;-)
tschüß
Gibts eigentlich keine Video Mitschnitte von der re:publica?
fand christian hellers beitrag leider zu wirr und begrifflich fragwürdig. auch seine herleitung und unterschiede von individuum und gesellschaft .. naja. recht hat er sicherlich damit, dass wir durch das internet an ganz deine identitätsangebote gelangen und sich die anzahl derer damit potenziert. aber deswegen ändern sich noch grundsätzlich keine identitäten oder die gesellschaft fällt in anomie. der begriff identität war einfach völlig falsch gewählt, denn eigentlich erzählte er über launische kurzweilige interessen und konsumlaunen aber nicht über identitäten.
sascha lobo hat über seine „shitstorm“-gedanken referiert. rhetorisch sehr gut, analytisch interessant, aber eine ursächliche dimension für den selektiven öffentlichen hass gegen ihn hat dann doch gefehlt: nämlich er selbst. nichtdestotrotz, sehr interessant
es braucht wohl dann doch #rp10 um schönere blogbeiträge zu schreiben-
würde die beiträge sehr gern auch im nachhinein noch sehen, live-stream war heute nicht wirklich live.. link?
Ach Bernd.
Lauf jetzt bitte nicht Amok!
AH – jetzt weiß ich endlich, was die komischen Zahlen auf den Profifotos vieler Twitterer bedeuten. Ich Dummerchen!
Geh ich mit 21 noch als jung durch?
Schöne Zusammenfassung. Bier gibts beim Kiosk 15 Meter vom Haupteingang weg für die Hälfte und ne gute Wurst noch dazu!
@#751936: ach komm schon nicht jede kritik ist gleich hass! man kann seine ideen und puplikationen auch einfach voellig daneben finden: das ist doch nicht persoenlich gemeint! [ich bin ihm schon mal auf dem fahrrad begegnet (morgenz(!) in boerlin) da machte er auf mich menschlich einen sehr netten eindruck!] aber dieses ‚wir nennen es arbeit‘ und das ‚digitale bohéme‘ gemache ist doch -fuer mich- mehr als peinlicher ziemlich belangloser schnickschnack!
Also ich bin für zucht und Ordung im Internet ;-)
Hm? Unordnung? Bei Youporn ist doch schön alles in Kategorien sortiert…
:)
@#751959: hab ich auch gar nicht behauptet !?
Geniesse soeben den Live Stream aus dem Friedrichs
Danke :-)))
@Frédéric Valin (Was sollen die Anführungszeichen rund um das Deutsche Küche bedeuten?):
Anführungszeichen auf Imbißschildern haben keine inhaltliche Bedeutung, sondern dienen lediglich der Hervorhebung, so wie eine Unterstreichung oder Fettdruckung. Nichts weiter.