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Schuld und Sühne

Ob es die Biene Maja war oder Peter Lustig, die Sendung mit der Maus, Kopfball mit Ranga, die Lindenstraße oder Knight Rider, wie viel Anteil Gudrun Pausewangs „Die Wolke“ hatte, The Terminator oder „Die letzten Kinder von Schewenborn“, es lässt sich nicht rekonstruieren. Tatsache ist, dass die Kindheit vieler der heute circa mitte Zwanzigjährigen von theoretischen Endzeitszenarien über die Welt geprägt ist.

Egal, ob es der drohende Dritte Weltkrieg nach Hiroshima, Nagasaki und Tschernobyl war – nur einmal wöchentlich in die Pilze gehen, sonst Krebs! – oder eine terroristische Aktion, die Ebola, Anthrax-Sporen oder das Marburg-Virus in einer europäischen Großstadt freisetzen könnte. Es hätten ebenso vergiftete Flüsse sein können, in denen tödliche Fische schwammen, von der Schwanzflosse bis zu den Kiemen mit Schwermetallen belastet, oder der heimische mitteleuropäische Wald, seit Jahrzehnten durch die Schlote der Fabriken und die Auspuffs der Autos quasi totgepustet, der nur noch still und leise vor sich hin vegetiert, stille Wipfel, vereinzelt grüne Nadeln tragend (warte, bald ruhest auch Du!). Nicht zu vergessen natürlich das Ozonloch und die Schafe in Australien – Hautkrebs und blind! Die lange Liste der Es (E23, E42 bzw. E666) – Komplettkrebs! – war da nur noch das i-Tüpfelchen, um zu beweisen, dass es eigentlich bar jeder Logik sei, dass wir Menschen überhaupt noch lebten.

Hätte es den Regenwald nicht als die grüne Lunge der Welt stets schon gegeben, wir könnten nicht mehr atmen, müssten uns durch die Straßen der grauen Städte schleppen wie Asthmakranke, denen man soeben einen Lungenflügel entfernt hat, nur, damit wir, ächzend und grün vom Leid, eine Brücke erreichten, von der wir uns, die zukunftslosen Kinder, stürzen könnten. Doch auch den Primärwald in Afrika und Südamerika, so haben wir gelernt, holt die Realität bald ein. Während gigantische Firmen, die ganze Staaten faktisch kaufen, als unendlich gierige Holzexploitanten z.B. den Kongo verwüsten, damit wir Europäer (und natürlich die dummen Amerikaner!) gemütlich auf unseren Tropenholzmöbeln Cocktails schlürfen können, wird in Argentinien der Wald für McDonald’s gerodet, damit der gute Burger in Bürgermündern für eine Mark das Stück verschwinden darf.

Wir sind verdammt (und selber schuld)!

Na, sowas? Da glaubten unsere Eltern, dem Katholizismus, dem Evangelismus, dem Christentum überhaupt, endgültig entkommen zu sein und plötzlich kroch da erneut die Schuldfrage aus allen Ritzen des heimischen Küchenbodens, während die Familie, munter beeinandersitzend und frisch angemachten Feldsalat aus dem eigenen Garten mampfend, diskutierte, warum Atomkraft ein „no
no“ sei. Nachmittags, wenn man draußen war und so Zeug machte, das Kinder und Jugendliche so machen, Feuer z.B. oder Hütten bauen, am Mofa schrauben usw., hörte man dann „Karl der Käfer“ von Gänsehaut und hatte? – Genau: Gänsehaut.

Kamen die Eltern nach getaner Arbeit mit der Fahrgemeinschaft nach Hause und es gab nicht die Zeit, noch richtig zu kochen, aß man das alte, harte Brot und die ranzige Käserinde (Gemeinsam! Jeder nur ein kleines Stück, dann haben wir es gleich geschafft!), bevor man zu frischen Dingen griff. Man sollte sich nur mal überlegen, was es hieße, Essen wegzuschmeißen. Die Kinder in Afr…

Tatsächlich, mit zwölf spätestens war ich so weit, dass ich mir überlegte, in diese Welt niemals noch eigene Kinder setzen zu wollen, ja, zu dürfen! Ich rechnete oft durch, wie alt meine Kinder sein würden, wenn die Luft auf der Erde alle wäre. Ich nahm einfach an, dass es 2050 spätestens so weit wäre, vielleicht, weil man in den 90ern oft behauptete, dass das Erdöl noch circa 50 Jahre reichen würde und ich dann mit meiner kindlichen Kausallogik völlig schlüssig zu der Konklusion kam, dass, sobald alles Öl verbrannt wäre, die Luft im Gegenzug völlig verpestet sein müsse.

Mitbedenkend – ich war selbstverständlich nicht völlig naiv, nein! – dass sich die Erwachsenen bei wichtigen Angelegenheiten immer etwas verrechneten, nahm ich eine mittlere Abweichung von zehn bis 20 Jahren an. So kam ich dann eben auf dieses – auch sehr runde und sich zudem äußerst zukunftsträchtig anhörende – Datum: 2050, das Jahr, in dem die Erde untergeht (ich wusste damals nicht, dass der Mayakalender längst alles viel besser berechnet hatte).

Die Vorstellung, dass meine Kinder einst grün von Gift und röchelnd zu einer Brücke taumeln müssten, um sich einsam in die Vergessenheit zu stürzen, konnte ich nicht aushalten. Als verantwortungsvoller Vater in spe, das wusste ich mit zwölf, würde ich meinem (potentiellen) eigen Fleisch und Blut diesen Kummer ersparen.

Generation Freiheit?

Wir Kinder unserer Eltern haben sehr viel sehr früh mitbekommen. Unsere Erziehung war viel offener als die vorheriger Generationen. Wir konnten mit unseren Eltern (relativ) offen über Sexualität sprechen, wir konnten mit ihnen über die Gefahr von Drogen diskutieren, wir wurden nicht verprügelt und unsere Väter waren keine Kriegswracks, die nur ihre Ruhe haben wollten. Wir wussten um die Nazivergangenheit unserer Omas und Opas und wir haben häufig auch mitbekommen, wie unsere Eltern kämpfen mussten, um sich aus den Fängen des staubigen Alltags der 50er, 60er und 70er Nachkriegsjahre zu befreien. Man denke nur an Gesetze, wie das wider die Kuppelei, ein Gedanke, der uns heute so fern ist, wie die Vorstellung, dass unsere Zukunft den fossilen Brennstoffen gehört.

Gerade aber weil wir so viel mitbekommen haben und weil unsere Erziehung in vielen Bereichen eine Offenheit hatte, von der unsere Eltern selbst nur träumen konnten, wurden wir Kinder aber auch mit Problemstellungen konfrontiert, denen wir nicht gewachsen waren. Ich konnte die mögliche Gefahr eines mit Biowaffen geführten Kriegs überhaupt nicht begreifen. Auch heute – egal ob die Gefahr größer oder kleiner geworden ist als vor zwanzig Jahren – habe ich keine Ahnung, was es wirklich bedeutet, dass es eventuell verrückte Typen gibt, die mit Pilzsporen herumspielen und theoretisch ganz Berlin auslöschen könnten. Ich kann aber heute verstehen, dass es mir nichts einbringt, wenn ich den ganzen Tag Angst deswegen habe. Als Kind war indes allein der Gedanke für mich schon so groß, dass er alles Andere verdrängen konnte.

Wenn ich meine Großeltern besuchen fuhr, ging es mit dem Auto stets am AKW Grafenrheinfeld vorbei. Allein das Hören seines majestätischen Namens war für mich stets schon der Beginn der Materialisation des absolut Bösen, des Imperators der dunklen Seite, sozusagen. Wenn dann die Kühltürme auftauchten, war ich völlig in ihren Bann gezogen. So groß, so gefährlich, so unbegreiflich – und wie schnell konnte sich Tschernobyl wiederholen! Zu wissen, dass Deutschland voll von solch potentiellen Weltenzerstörern war, ließ mich auch bei meiner Oma nicht immer ruhig schlafen.

Einer meiner Freunde konnte nie von den Johannisbeersträuchern am Straßenrand der Hauptstraße naschen – wegen Schadstoffbelastung! Gibt Krebs!. Man muss wissen, dass unser Heimatort etwas mehr als 1000 Einwohner hat und man mit Glück seinen Mittagsschlaf auf dem Mittelstreifen halten kann ohne überfahren zu werden. Wenn wir heute in Berlin Obst und Gemüse an der Hermannstraße, Sonnenallee und Karl-Marx-Straße kaufen und uns daran erinnern, müssen wir beide lachen. Völlig irre, vor welchem Mist wir Angst hatten.

Völlig irre, vor welchem Mist wir Angst hatten.

11 Kommentare

  1. 01
    David

    Was mir (nach deinen Schilderungen bin ich dann „nächste Generation – die, die du fürchtetest zu vergiften.) dabei einfällt: Völlig irre, vor welchem Mist wir uns Angst gemacht wird.

  2. 02

    Hallo,

    finde ich übrigens gar nicht so irre. Die ganzen Horror-Szenarien von damals haben mich geprägt und es fällt mir (jetzt: 40) häufig schwer, Jüngeren zu erklären, wie das denn damals mit der allgemeinen Bedrohungslage wg. Atomkrieg, Tschernobyl usw. war. Heute kann man ja sogar im Rhein wieder baden. Dagegen ist die Klimakatastrophe verhältnismäßig abstrakt.

    Gruß.

  3. 03
    Sebastian

    Tja da sind wir im Osten wohl glücklicher aufgewachsen. Weil wir wussten, dass es Euch da drüben in Eurem System der Ausbeutung und Unterdrückung durch das imperialistische System viel schlechter ging. Und Eure Fernsehserien haben wir auch geschaut.

  4. 04
    rob rob, der robert

    Aber das Ölleck im Golf bringt uns diesmal wirklich alle um!

  5. 05
    Heiko

    Hallo Kindheit, habe schon lang nichts mehr von dir gehört.

  6. 06
    oehi

    Rückblickend eher erstaunlich, daß wir vor Angst nicht verrückt wurden:
    Ganz Schleswig-Holstein war ein Waffenarsenal, die gesamte Wirtschaftsstruktur lebte vom Militär. Allein im Landesteil Schleswig gab es 4 Militärflugplätze, auch Autobahnen konnten im Handumdrehen umgerüstet werden, alle Brücken und Tunnel waren mit Sprengschächten versehen. Dies war uns – Kindern – bekannt.

    Dann kam 1980 die Reagan-Doktrin „Victory is possible“. http://www.forum.lu/pdf/artikel/1418_67_Anonym.pdf

    Einhergehend mit öffentlich auch bekannt gewordenen Fehlalarmen, die in ihrer Gefährlichkeit der Kubakrise in nichts nachstanden:

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14326622.html

  7. 07
    ellebil

    Die Bücher dieser eingangs erwähnten Frau Pausewang haben mich so runtergezogen, dass ich danach als 12-jährige mehrere Tage gedacht habe, dass ich die nächste Woche wahrscheinlich nicht überleben werde. Der Gefahren bewusst werden, ja klar. Aber warum man sowas in der Schule lesen muss ist mir unerklärlich. Frau Pausewang hat in den 80ern (?) eine komplette Reihe an verstörender Literatur für Kinder geschaffen, die mich anfang der 00er immer noch stark mitgenommen hat. Insofern volle Zustimmung zu diesem Artikel.

  8. 08

    kann mich dran erinnern, dass ein mitschüler mal in die schule kam mit ner kleinen blessur am arm, für die er einen große tropfen des (sauren) regens am vortag verantwortlich machte. :D

    ich wollte ihm das irgendwie aber damals schon nicht glauben

  9. 09

    Ich finde es alles nur Panikmacherei, und dafür verantwortlich sind meiner Meinung nach die Medien. Klar war es früher anders als heute, aber ich denke die Zeiten sind vorbei und wir sollten uns weniger Gedanken um Atombomben u.ä. machen, als z.B. um Naturkatastrophen, die wirklich jeden betreffen können.