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Bundesliga 2

Amanatidids, van Nistelrooy, Christian Schulz, Hamit Altintop, Jäger, Tom Starke, Hans Sarpei: kein Zweifel, der Vollbart ist zurück in der Bundesliga. Jenes miese Hippie-Ding, dessen Abschaffung der einzige modische Verdienst der 80er gewesen ist, und den sich seither außer Islamisten und verwahrlosten Alkoholikern nur noch Paul Breitner zu tragen getraut hat. Mitte dieses Jahrzehnts fristete er ein Nischendasein in den Gesichtern der sogenannten kreativen Kaste in schummrigen Clubs der Großstädte, jetzt aber scheint seine Zeit gekommen zu sein: gepflegter zwar, als es die Kleintierbiotope der Hippiekommunen gewesen sind, aber mit der gleichen Signalwirkung: seht her, sagt so ein Vollbart, ich folge euren Normen nicht, ich verweigere mich der Diktatur des Rasierschaums, ich bin ein Mann, wie ihn die Eiszeit kannte, auch wenn ich mir jeden Tag eine viertel Stunde mit der Nagelschere im Gesicht herumfuhrwerke. Eine der entscheidenden Fragen diese Saison wird sein, ob der Bart geeignet ist, das Tattoo als Männlichkeitsmarker abzulösen, und was Manuel Neuer dann wohl macht.

Herrje, Mainz 05, dachte ich schon viel zu früh, weil sie eine halbe Stunde nach dem Prinzip Brausetablette verteidigten: sobald Wolfsburg begann, flüssiger zu spielen, lösten sich alle Strukturen auf. Dreinull stands, und Dieter Hoeneß freute sich, ein paar Millionen für Diego ausgegeben zu haben, der exakt das gleiche kann wie Misimovic, bloß mit einem Tacken mehr Hacken: versteh es, wer will, die Mainzer jedenfalls verstanden keinen Spaß. „Sie hatten noch ein paar Wörtchen mitzureden“, sagt das große Buch der Fußballphrasen in solchen Minuten, und diese Wörtchen hießen: Fuck you. Viermal. Man ahnt, dass Dieter Hoeneß diese Worte noch häufiger hören wird diese Saison.

Hoffenheims Spiel zeichnet eine nachlässige Eleganz aus, eine schon fast ins dandyhafte Selbstüberzeugung, ein gewisses l’art pour l’art. Ähnlich wie verhätschelte Kinder, spielt Hoffenheim, als müsste, wenn sie nur überzeugend genug gut aussehen, um erfolgreich zu sein: eine Bereitschaft, sich zu quälen, gehört nicht zur Hoffenheimer Grundausstattung. Ihr schlechter Ruf kommt nicht nur aus der Ungerechtigkeit des reichen Erbes eines Dietmar Hopp, sondern dass sie auch genau so spielen: mit der Arroganz und Selbstverliebtheit überversorgter Zöglinge. Und ausgerechnet gegen das tapfere, ungelenke und kraftvolle St. Pauli gewinnen sie mit einem Tor, das man sich eigentlich verdienen muss.

Zu Lautern jedenfalls schweige ich beschämt.

21 Kommentare

  1. 01
    max

    diese vermeintlich verwegenen sechs-tage-bärte sind doch beim besten willen keine vollbärte! ich muss doch sehr bitten. manni kalz und paul breitner trugen vollbärte!

  2. 02
    flubutjan

    Mir persönlich erscheint diese regelmäßige selbstverwirklichende Fußball- und Bundesliga-Affinität bei Euch etwas überproportional. Noch schlimmer wird’s, wenn sie gepaart mit der heutzutage üblichen, breit vor sich hergetragenen historisierenden Kennerschaft modekultureller Äußerlichkeiten daherkommt. Ich kann’s nicht mehr hören/lesen dieses massenhafte selbsterhebende Connaisseurtum.
    Wo sind übrigens die Philosphie-, HipHop- oder Gartenbau-Sequels?
    Ja, stimmt, Fußball ist ja seit einiger Zeit sowas von angesagt, 11 Freunde und so – Trendschläue mit fahlem Nachgeschmack.
    (Habe mich gerade gezofft.)

  3. 03

    Auch wenni ch mich persönlich diese Saison eher um die zweite Bundesliga kümmere (FCA) muss ich doch sagen, dass auch mir diese Bärteetwasse aufgefallen sind. Nun ja, vielleicht, braucht es das, weil so richtig männlich wirken die Spieler der letzten Jahre nicht mehr. ich glaube der Niedergang der Männlichkeit begann mit Beckham, aber wer weiß das schon so genau.
    Tja, aber ich bin auch keine der Frauen die Fußball wegen der Männer anschauen, sondern eher wegen des Spiels und daher Bart hin oder her – Hauptsache Augsburg steigt diesmal auf ;-)

  4. 04

    „Ein Mann muss `nen Bart haben“, ließ Jürgen Haug den jungen Peter Lohmeyer bereits 1984 in ‚Tapetenwechsel‘ sagen. Knapp 20 Jahre später war Lohmeier dann schließlich auch im ‚Wunder von Bern zu sehen‘. Für mich schließt sich damit der Kreis …
    Natürlich ist Fußball als Teil der Popkultur auch immer ‚Mode‘. Wen die nicht interessiert, der kann sie ja für sich ausblenden.

  5. 05
    advocatus diaboli

    „Prinzip Brausetablette“ – grandios!
    Bitte aufrecht erhalten, diese Spieltagsbeschreibungen heben sprachlich auf erfrischende Weise vom biederen Sportjournalismuseinerlei ab!

  6. 06
    ovit

    frauen lieben männer mit 3-tage-bart:

    http://www.bz-berlin.de/erotik/horner/frauen-lieben-maenner-mit-drei-tage-bart-article940986.html

    „Ein schöner Gesichtspullover lässt also Mann sympathischer, schlauer und attraktiver wirken. „

  7. 07
    Besucher2778

    @#769750: oh man ich hab tränen in den augen, danke ! :)

  8. 08
    daniel

    und dabei hab ich mich doch gerade auf das geschreibe über lautern sooo gefreut (auch unabhängig der vorhergegangenen saisonprognose).
    naja.
    ….der fck is wieder da!

  9. 09
    neongrau

    beschämt schweigen?
    bei der Prognose *g* …spätestens wenn der FCK sein nächstes Spiel auch gewinnt ist Kreide fressen angesagt ;)

  10. 10
  11. 11
    TFünke

    Muss hier leider flubutjan zustimmen, Fußball an sich ist zwar ein schönes Thema, aber bei Spreeblick heißt Fußball meist Pseudowitzigkeit und ein paar maue Spitzen. Man muss ja nicht nur reine Informationen liefern (dafür gibt es Kicker & co), aber ein wenig mehr als Ausschlachten und Popkultur könnte es schon sein.

  12. 12
    Aha-Moment

    Ich gestehe: mir sind die Bärte auch aufgefallen (Van Nistelroy). Aber dennoch kann ich die These nur unterstützen, dass diese geziemte Arroganz in manchen Artikeln besonders in Fußball-artikeln sehr aufgesetzt und „ambitioniert“ wirken. Diese Art Arroganz und Ironie die die Vollbärte in den Clubs der Großstädte hervorgebracht hat.. *gähn*

    sorry.. aber Fußball ist eben einfach nur Fußball.. und Vollbart tragende Fußballer sind einfach nur Männer die dem aktuellen Trend folgen der in den Großstadtclubs geboren wurden. (zumal ich Thierse ohne Vollbart furchtbar fänd ;-) )

  13. 13
    peter

    die vollbärte der kreativen kaste. so’n bart…

  14. 14
    Frédéric Valin

    Völlig falsch ist hier natürlich, wer der Meinung ist, Fussball sei einfach nur Fussball. Völlig falsch ist hier auch, wer glaubt, Fussball sei nicht auch Pop. Wer außerdem glaubt, hier würden Witze zum Selbstzweck gerissen, hat das Konzept nicht verstanden, worum es in einer alternativen Berichterstattung jenseits von Kicker einerseits und andererseits jenseits von Fandasein geht. Einige wenige Gedanken dazu sind hier angerissen worden, vor der WM:
    http://www.spreeblick.com/2010/06/11/podcast-316-fusball/

    Selbstverständlich muss man diesen Ansatz nicht teilen, aber, um @#769764 zu zitieren, „ein wenig mehr als“ jedesmal die selben puristischen Kommentare und ‚Fand ich jetzt nicht sehr witzig, und somit also niemand auf der Welt‘-Statements „könnte es schon sein.“

    Wir können uns gerne darüber unterhalten, warum Fussball Pop ist und warum nicht. Wer alternative Berichterstattung sucht, es gibt hunderte von Blogs über die jeweiligen Vereine. Spreeblick ist ein Popblog, hier wird also auch fürderhin Pop stattfinden.

    (Entschuldigung. Ich habe heute sehr schlechte Laune.)

  15. 15
    flubutjan

    @#769750: So sozialverträglich, lustig und elegant wird man (wenn ich das jetzt richtig verstanden habe) wohl sehr selten als (kohlensäurehaltige) Flasche bezeichnet (und auch noch höflich, denn: Flasche voll).

    Ich habe gestern das Wort „selbstverwirklichen“ irgendwie negativ verwendet. Das tut mir Leid. Ich will niemandes Selbstverwirklichung beschmutzen oder so. Selbstverwirklichung ist toll. Tschuldigung.

  16. 16
  17. 17
  18. 18

    Zu Bayern schwieg der Bayern-Fan, der vorher noch lockere Sprüche klopfte, auch sehr beschämt, nachdem ich vor ihm sitzend das zweite Mal die Hände jubelnd über mein Lautern-Trikot geschmissen hatte. ;)

  19. 19
    flubutjan

    @#769771: … und Hippie-bashing erst!

    Gestern habe ich dann noch in einem internen Wettbewerb im ‚Produzieren von Aussagen, die für niemanden außer dem Urheber relevant sind und die auch niemanden interessieren, sondern im Gegenteil die wenigen, die sie aus Versehen doch zur Kenntnis nehmen, nur nerven, die aber trotzdem, auch wider besseres Wissen, nicht zurückgehalten werden können, auch auf die Gefahr hin, danach endgültig als egozentrischer Volldepp dazustehen‘ mit folgendem Satz einen guten zweiten Platz hingelegt:

    „Ich hatte das mit der Brausetablette NICHT richtig verstanden.“

  20. 20
    Frédéric Valin

    @#770026: Respektabel!

  21. 21
    flubutjan

    @#770029: (:-D, Lol, prust) Vielen Dank.