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Bundesliga 8

Nun also ist Dortmund wieder Tabellenführer, und Michael Meier sieht immer mehr so aus, als wäre er kürzlich von einem Zombie angefressen worden. Warum, kann man verstehen, wenn man das Spiel des BVB gegen Köln gesehen hat: Der FC war tatsächlich auf jeder Position unterlegen. Von einem Spielsystem war meilenweit nichts zu entdecken, in dieser Hinsicht ahnte man zwar, dass beide Mannschaften das gleiche meinen: aber das ahnt man bei Stefan Raab einerseits und Elton andererseits auch. In Gelb war Raab, in rot Elton.

Beispielsweise blieb völlig unverständlich, warum Köln bei Ballbesitz mit sechs Spielern auf Weidefeller zulief, wo doch die einzige Variante , die die Mannschaft vorne drin zu spielen in der Lage war, der amokähnliche Alleingang war, wahlweise von Podolski oder eben Lanig. Dass Podolski an diesem Tag mit dem starken Fuß aufgestanden war, übermittelte einigen Reportern die Illusion, Dortmund habe glücklich gewonnen: dabei war der mit Abstand beste Kölner Lucas Barrios, der in diesem Spiel mehr gefährliche Situationen entschärfte als Mohamad in einer ganzen Saison. Es war eine glückliche Niederlage der Kölner.

Immerhin es hatte knapp aussehen können nach diesem fulminarimatösen Ausgleich Podolskis, wenn man neunzig Minuten nur auf das Ergebnis gestarrt hätte statt auf das Spielfeldgeschehen.. „Wir haben gut gekämpft“, hat Podolski nach der Niederlage gesagt, und genau das war der Unterschied: Dortmund hat zwar nicht übermäßig gut gespielt, aber immerhin gespielt.

„Der Blick auf die Anzeigentafel“, das ist so eine in angestaubten Ecken stehende Wendung, die zum Standardrepertoire der meisten Reporter gehört. Dementsprechend konnte man der irrigen Meinung sein, beim ersten Heimsieg St. Paulis habe es sich um ein gutes, mindestens aber um ein spannendes Spiel gehandelt: zweimal Führung, zweimal Ausgleich, dann am Ende das dritte, entscheidende Tor durch Bruns, allgemeiner Jubel. Das interessanteste am Spiel, das ich in einer St. Pauli-Kneipe sah, war allerdings der Käfer auf der Leinwand, der während der erste Halbzeit einmal von rechts unten nach links oben marschierte und dabei immer bildmittig eine kleine Pause einlegte. Fussballerisch sah man das Pendant eines braunen Bobbycars, der stoisch gegen eine rote Türschwelle bollerte: jeder Laufweg ein boulevard of broken dreams, jede der vier Kombinationen (alle über links) verebbte nach der dritten Anspielstation. Freistösse und Ecken habe man übern lassen, hieß es nach dem Sieg, und jetzt weiß man, dass langsam aber sicher die Liga sich wieder konsolidiert: St. Pauli entdeckt die basalen Momente im Fussball wieder, Bayern gewinnt gegen Hannover, Bremen gegen Freiburg und Hamburg in Mainz. Ich hätte mal wieder tippen können.

Beispielsweise Mario Gomez gegen die Stirn. Normalerweise beklagt sich jedermann, dass Fussballer nach Spielen immer nur die gleichen albernen Phrasen zu Füssen der auf Neuigkeiten dürstenden Reporter abwerfen wie Care-Pakete: zu wenig zum Leben, zu viel, um zu sterben. Aber das mag durchaus ein Segen sein, denn sonst würde ich vermutlich bei einem dieser Geplänkel vor Fremdscham sterben. Gestern war es beinah soweit. Mario Gomez sandte Grüße nach Chile und, sprach davon, es müsse wohl „Schicksal sein“, da ja 33 Bergleute gerettet worden seien, was seiner Rückennummer entspricht, darunter auch ein Mario Gomez. Im Zitat:

Ich muss mich bei den Leuten in Chile bedanken. Als ich mitbekommen habe, dass der erste gerettete Kumpel Mario Gomez hieß, da wusste ich: Das Spiel wird für mich laufen. Dass es jetzt so gekommen ist, freut mich sehr.

Er sagte das, fürchte ich, völlig ironiefrei. Es ist nicht überliefert, ob Gomez Christ ist oder sonstwie gläubig, ausschließen kann ich aber nicht, dass er nachmittags auf seinem Sofa saß, gebannt die Bergung der Verschütteten verfolgte und dachte: Gott, der Weltgeist, Uli Hoeneß schickt mir ein Zeichen. Die Rettung der Kumpels haben sie so lange verzögert, bis ich wieder in der Startelf stehe. Damit wollen sie mich motivieren und mir zeigen: es geht. Wenn man 33 Leute aus 700 Metern Tiefe wieder ans Tageslicht befördern kann, ist es durchaus denkbar, dass ich das Tor mal wieder treffe.

Ich würde gerne ein Interview führen mit den chilenischen Bergleuten und sie fragen, was sie davon halten, 69 Tage in einem Bergloch zugebracht zu haben, damit in Deutschland ein Mann mit alberner Frisur mal wieder den Ball ins Tor bekommt.

18 Kommentare

  1. 01
    Besucher2778

    Auch Fußballer mit ner scheiss Frisur können trocknen Humor haben, da sollte man mal nicht so überheblich sein.

  2. 02
    Frédéric Valin

    @#773064: Wenn das Humor war, was ich nach mehrfachem Schauen des Interviews nicht glauben konnte, obwohl ich mir ganz fest vorgenommen hatte, es ganz dringend als Humor zu nehmen, muss ich mich natürlich entschuldigen. Allein: ich finde keinen Hinweis darauf, nicht einen.

  3. 03
    Besucher2778

    Na dann musses natürlich am minderwertigen ausländischen Erbgut von Gomez liegen.

  4. 04

    das mit dem gomez wusste ich aber noch nicht. 33 leute, einer heißt auch noch so und dann auch noch drei buden: was willste denn noch?

  5. 05
    Typ

    Habe es, ehrlich gesagt, auch als Ironie verstanden, er grinste auch so schelmisch. Kommt mir insgesamt geistig auch recht fit vor, der Gomez.

  6. 06
    René

    Der chilenische Mario Gomez gratuliert Bayern Mario Gomez und möchte eingeladen werden:

    http://www.bild.de/BILD/sport/fussball/bundesliga/vereine/bayern/2010/10/18/mario-gomez/gratuliert-mario-gomez.html

    Lustig, oder?

  7. 07
    Frédéric Valin

    @#773081: Und albern. Und irgendwie auch ein bisschen tragisch.

  8. 08
    Manfried

    Großartiger Spieltagsbericht. Danke.

    Aber Obacht. Dein Tippschein ist gefälscht – Hamburg spielt erst in zwei Wochen in Köln.

    Wird aber am Ergebnis nichts ändern.

  9. 09
    Frédéric Valin

    @#773086: Oha! wie man an der Alster sagen würde. Hab ich manl nachgebessert, vielen Dank!

  10. 10
    Danny Wilde

    Als jemand, der schon das eine oder andere Interview mit Mario Gomez (dem Fußballer) gesehen hat, bin ich der Meinung, dass es sich bei ihm noch um eines der clevereren Exemplare unter den Berufsfußballern handelt.

    Außerdem lehrt mich dieser ungeheure Erfahrungsschatz, dass sich Herr Gomez gern mal schlagfertig und ironisch, auch selbstironisch gibt, was ihm mal besser und mal schlechter gelingt.

    Ich könnte mich zu der Zustimmung durchringen, dass es ihm diesmal eher schlechter gelungen ist, verteidige ihn aber vehement gegen die Annahme, er könnte zwischen den Ereignissen in San José und München ernsthaft mehr gesehen haben als eine Koinzidenz.

    Was die Hinweise auf Humor in seinen Aussagen angeht, wissen wir doch alle, dass Witze nur noch halb so witzig sind, wenn man allzu deutlich durchblicken lässt, dass man sie witzig meint, oder?

    Auch wenn der Mario Gomez-Vergleich hier daneben ging, sollte man als Fußballfan froh sein um jeden Spieler und Trainer, der ausnahmsweise mal NICHT auf jede erdenkliche Frage immer nur denselben Textbaustein aus dem Rethorikseminar runterrattert, sondern noch halbwegs authentisch rüber kommt. Dazu gehören dann halt auch Fehltritte.

    Wer die frühen Interviewperlen eines Lukas Podolski mit seinen heutigen Antworten von der Stange vergleicht, weiß was ich meine.

    Darum bin ich dankbar für Existenzen wie Mario Gomez, Philipp Lahm oder Tim Wiese. Und für Trainer, die Journalisten mehr oder minder deutlich auf die Dämlichkeit ihrer Fragen hinweisen.

  11. 11
    nelder

    St. Pauli hat Ecken und Freistöße geübt, und laut Herrn Asamoah haben Ebbers und er an diesem Training gar nicht teilgenommen. Was bleibt ist der Blick auf die Tabelle und die langsame Vorbereitung auf die nächste Saison im internationalen Fussball.

  12. 12
    Frédéric Valin

    @#773099: An dieser Stelle bin ich beinah schon geneigt, zuzustimmen. Aber nachdem ich mich einmal um mich selbst gedreht habe, muss ich sagen: ich bin einer anderen Ansicht, auch wenn diese problematisch ist.

    Es ist doch so: die Klartexter vermisst man deswegen häufiger, weil sie diese ganze Heititeiti-Wohlfühlscheiße, zu der die Sky-Berichterstattung verkommen ist, durchbrechen, diese Berichterstattung, wo selbst „kritisches Nachhaken“ nach der samtplüschweichen eines Teddybären klingt und wo jeder Journalist nichts mehr fürchtet, als sich den Unmut eines von seinem Sender zum Helden hochstilisierten Spieler oder Trainer zuzuziehen, noch nicht einmal, dass ihr Name von einem Kollegen falsch ausgesprochen wird.

    Ist dieses Aufbrechen des Sky-Wolkekuckucksheim bereits ein Wert an sich? Ich finde nicht. Ich finde, man braucht die klaren, unklaren, eigenen, nicht ohne weiteres verwechselbaren Stimmen dafür, um sich daran zu reiben, ihnen zu widersprechen oder beizupflichten, darüber aufzuregen oder zu lachen, je nachdem. Erst dann haben sie einen Wert.

    (Man könnte hier die Parallele zu Politikern machen, sagen wir (um meinem Argument, die notwendige polemische Schärfe zu verleihen) Roland Koch: über den hieß es auch häufiger, dass der zwar Stuss rede, aber endlich mal Klartext, weswegen ihm dann auch alle Zeitungen hinterhertrauerten und vom Ende des Typus ‚Vollblutpolitiker‘ lamentierten, als er dann gegangen war. Ähnliches gilt, um noch einen Meter weiter zu spucken, für das Rénommé der Bild, die zwar scheiße blöd ist, aber immerhin mit Haltung.)

    Für Haltung allein gibt es von meiner Seite aus keinen Applaus, obwohl ich nichtsdestotrotz froh bin um jeden Satz, der nicht fließbandgefertigt und ohne Umweg über Hirn oder Charakter zwischen den Zähnen herausfällt. Aber nur, weil ich damit arbeiten kann. So in etwa, wie ich (als Koch, nicht unbedingt als Esser) einer Keule immer der Sülze vorziehen würde: aus einer Keule kann man noch allerhand hervorzaubern. Bei einer Sülze geht das nicht.

    Inzwischen bin ich übrigens auch der Meinung, dass, selbst wenn Gomez hier witzig war, und ich das aus schierer Blödheit übersehen habe (ein Szenario, das ich ganz und gar nicht für undenkbar halte), er trotzdem keinen Kommentar zum Verhältnis Mario Gomez – Mario Gomez geliefert hat, sondern nur eine (meinethalben ironisch eingefärbte) Illustration den verbreiteten Größenwahn, alles auf der Welt beziehe sich immer auf einen selbst, insbesondere, wenn man Woche für Woche in der Zeitung steht.

  13. 13

    — Korinthenkackermodus —
    @nelder Standart –> Standard
    — / Korinthenkackermodus —

    http://de.wikipedia.org/wiki/Standart

    ;-)

  14. 14
    nelder

    @#773105: Danke, geändert.

  15. 15

    Der FC wird absteigen, leider. Der Heilsbringer Poldi hat mehr mit sich als mit dem Ball zu tun und die Vereinsführung wurschelt vor sich hin. Am Ende will es keiner gewesen sein, Poldi sitzt irgendwo auf der Ersatzbank bei einem neuen Club und freut sich auf Jogi und ein Spiel gegen Moldawien.

  16. 16

    GRoßartig Fred, besonders deine Gomez-Vergleiche. Schade, dass durch diese vier Treffer binnen fünf Tagen jetzt das wunderbare Adjektiv „gomesk = vor dem Tor total unfähig“ auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Worte gesetzt werden muss.

  17. 17
    earl grey

    Danke, nach Lesen dieses Artikels wusste ich wieder, warum ich gelegentlich Spreeblick lese.