Immer haftet der Schönheit etwas vergebliches an: denn die Schönheit ist als Ideal nur ein Abglanz der Wahrheit, die man nicht sehen, nicht verstehen kann, und hinter der sich eine Idee verbirgt, die zu erreichen uns nicht gestattet ist. Die Schönheit jenseits des Kitsches deutet an, was in der besten aller Welten der Gradmesser wäre, obwohl sie doch die Ausnahme markiert, das außergewöhnliche, ja, das jenseitige. Sie wird repräsentativ zur idealen Norm erhoben, bleibt aber tatsächlich außen vor.
Nun ist es so, dass die Schönheit in der Moderne nicht mehr den herausragenden Ruf genießt, der ihr früher einmal zugestanden worden ist: sie ist ersetzt worden durch das Bizarre, das Eigenartige oder das Repräsentative. Darin sieht inzwischen die Kunst ein lohnenderes Merkmal, ein zielführenderes Merkmal, denn mit der Demokratisierung und Entidealisierung der Kunst ist es obndrein notwendig geworden, ganz andere Schichten anzusprechen, als das früher notwendig gewesen wäre. Schönheit kann heute aus zwei Gründen nur vergeblich sein: außer in der Werbung (wo sie dem höheren Zweck des Verkaufs dient und deswegen zur Appetitlichkeit verkommt) weist sie nicht mehr über sich selbst hinaus, und zweitens muss sie sich gegen genau diese Tendenz, die die Werbung ihr aufgezwungen hat, zur Wehr setzen: wahre Schönheit definiert sich über ihre Zwecklosigkeit. Damit ist wahre Schönheit so absurd wie irgend möglich.
Was faselt der da, mag sich nun der ein oder andere denken, und was bitte hat das ganze mit Fussball zu tun. Tatsächlich hat Schönheit im Fussball noch nie eine herausragende Rolle gespielt außer bei der Vermarktung. Effizienz, ja, Erfolg, daran misst sich dieser Sport mit seinen unzähligen Wettbewerben und seiner Star- und Sternchenfixierung. Zugehörigkeit, Kampf, Bemühung, würden Fans hinzufügen, das sind Werte. Schönheit? Kann man sich in die Haare schmieren. Dann sieht man aus wie Cristiano Ronaldo.
Einer, der diesem Stil vollends widerspricht, ist Jonathan Pitroipa. Es sind diese kleinen Haken, die er schlägt: da kommt der Ball raus an die Außenlinie, Pitroipa nimmt ihn an, Außenrist natürlich, dann beugt er den schmalen Oberkörper nach vorne, der Gegner auch, erster Übersteiger, Körpertäuschung, der Gegner steht noch immer da, als wäre nichts passiert, er trippelt bloß ein bisschen, dann nochmal eine Körpertäuschung, dann der Rückpass dahin, woher der Ball kam. Nochmal: Außenrist, Übersteiger, Körpertäuschung, Körpertäuschung, Rückpass. Andere Außen, sagen wir Aaron Hunt, hätten in der Zeit drei Rückpässe gespielt. Jonathan Pitroipa nicht.
Diese raumgreifenden, beinah unkoordinierten Bewegungen. Wenn Pitroipa am Ball ist und in keiner Zeit aus dem Stand beschleunigt, hat man einen Eindruck davon, wie Fussball sein könnte, wenn er ein Tanz wäre, wenn es nur darum ginge, dem Ball Ehre zu erweisen. Wenn es nicht um den besten Pass gehen würde, sondern nur um den schönsten.
Der Wille zur Schönheit ist immer ein Versuch: man weiß vorher nicht, ob es gelingt. Man kann es nicht sagen, man muss es versuchen, und hinterher sieht man, ob es glückt. Man kann sich im Schaffen nicht sicher sein, ob das Schaffen auch gelingt, und überhaupt: das müssen dann andere entscheiden. Ob es gelungen ist. Stürmer, die nach dem Zuspiel das Tor treffen oder nicht. Trainer, die ihre taktischen Vorgaben umgesetzt sehen oder nicht. Journalisten, die staunen oder nicht.
So spielt Jonathan Pitroipa, und er ist einer der ganz wenigen, die noch so spielen dürfen in einer Absolutheit, die neunzig Minuten dauert. Ein wenig dieses Elements ist im Grunde in jeder Mannschaft, außer bei Schalke vielleicht und bei Köln, aber niemand spielt es so konsequent wie Pitroipa. Ein Übersteiger, zwei Körpertäuschungen, ein Rückpass.
In Pitroipa kommt das Spiel zu seiner Schönheit, gerade dann, wenn er nur den Pfosten trifft: es geht nicht nur um das Ergebnis. Es geht in erster Linie um die Idee.
Eine Idee, die außen vor bleibt.
A propos Klischee
Zitat Frédéric Valin:
„wo sie dem höheren Zweck des Verkaufs dient und deswegen zur Appetitlichkeit verkommt“
–
Wo sie dem höheren/heheren Zwecke dient und deshalb zur Appetitlosigkeit verkommt.
In Respe(c)kt
Bitte um Nachsicht für meinen Kommentar, der wirklich nicht böse gemeint ist.
Sehr gerne verfolge ich dein ‚Geschreibsel‘. Kann eigentlich nur dazu lernen.:-)
der beste pass ist der schönste – zweifellos. insofern geht es im fußball ausschließlich um schönheit, um eine andere allerdings als beim lustigen strandkick. kurzum: eine furiose 4:3 niederlage mit doppeltem übersteiger ist unterhaltsam, schön ist der souveräne 2:0 sieg. oder worin besteht die idee des fußballspiels?
Wäre die Symbiose aus schönem Spiel und effektivem Tun nicht der Idealzweck? Verfolgt ein Mijnheer van Gaal eben nicht dieses Ziel, in dem er totale Konktrolle des Balls mit edlen Pässen bevorzugt, die am Ende den Lohn – sprich den Sieg – in sich tragen?
@#773659: Ich glaube, es ist ein anderes Ideal. Der perfekte Pass ist nur dann perfekt, wenn er a) schön ist und b) ankommt.
Sowas gibt es nicht oder nur ganz selten. Es gibt keine Gleichzeitigkeit von Zweck und Mittel, das eine ordnet sich dem anderen immer unter. Das Mittel ist gerade beim Fußball dem Zweck nachgestellt. Der PAss muss zuerst ankommen, ob er schön ist oder nicht, ist zweitrangig.
Das Ideal der Perfektion bereichert das Ideal der Zweckmäßigkeit also nur um ein Detail, nämlich das der Schönheit oder sogar nur der Ansehnlichkeit.
Du hast insofern Recht, als dass Du von Mannschaften sprichst: Spieler wie Pitroipa müssen die Ausnahme bleiben, mit elf derart orientierten Spielern kann man keinen Blumentopf gewinnen, egal, wie talentiert sie sind. Leider sind wir inzwischen dahingekommen, dass Spieler wie Pitroipa nicht mehr nur vereinzelt auftreten, sondern Pitroipa beinah die einzige Ausnahme ist in der Bundesliga, die sich sowas wie überflüssige Schönheit noch leistet.
Ja, ich mag den Pitroipa auch, verkörpert er doch eine Leichtigkeit beim Spiel, die etwas kindliches hat. Er spielt um des Spielens willen, dass endet zwar zuweilen in einem Häufchen Elend, wenn er die besten Chancen nicht reinhaut, aber es macht mir Spass seinem Spass am Spiel zuzuschauen. Erfolgsorientierte denken anders über ihn und er ist micht Sicherheit ist der archetyp Spieler, den sich ein Van Gaal wünscht, nur ist die Spielfreude ein Indiz für erfolgreichen Fussball. Wenn der Ball wie bei Barca in den eigenen Reihen zirkuliert spürt man förmlich die Freude der Spileer daran. Alles schön unverkrampft, es läuft halt oder neudeutsch, die Spieler sind im „Flow“. Pitroipa hat halt den Makel des Toreverhindereres, wer weiß, wo er anderenfalls spielen würde.