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Facebook ≠ Politik

In der vergangenen Woche gabe es einigen Wirbel um die Facebook-Seite(n) von Guttenberg-Unterstützern. Hunderttausende LIKEs, Fans, Friends, whatever: Kann das denn sein?

Peter Berger, Sascha Lobo und andere nahmen sich des Themas ausführlicher an, Saschas Call for Crowd Action brachte innerhalb weniger Stunden knapp tausend Mitmacherinnen und Mitmacher auf den Plan und versuchte, anhand der abgegebenen Zahlen Systematiken zu erkennen, Rückschlüsse darauf, ob die Pro-Guttenberg-Seiten manipuliert sein könnten.

Saschas Fazit von gestern Abend in sehr verkürzter Form:
Sie könnten, es sieht aber nach Analyse der vorhandenen Daten nicht danach aus. Sascha stellt resümierend fest:

Der digitale Marsch der halben Million nach Guttenberg zeigt vor allem eines: jahrelang hat man sich gefragt, wann abgesehen von Mails und Online-Banking das Volk endlich wirklich im Internet ankommt. Und jetzt ist es da.

Das ist sicher nichts anderes als richtig, und für jeden, der selbst einen Facebook-Account hat, schon etwas länger gefühltes Wissen: Obwohl meine Mail-Adresse und mein Name nicht wirklich schwer zu finden sind, bricht erst seit etwa einem halben Jahr und allein über Facebook eine Kontaktanfragenwelle alter, ganz alter und uralter Bekannter über mich hinein, die es vorher nicht gab. Viele dieser Bekannten bestätigen mir nach Rückfrage, dass sie zwar schon länger online sind, aber erst durch Facebook wirklich angefangen haben, online zu kommunizieren.

Das kann man lächerlich oder doof finden, sollte man aber nicht. Denn genau für die Menschen, die vielleicht gar kein Interesse daran oder Zeit dafür haben, mehrere Chat- oder Twitter-Clients zu installieren, sich nach der Arbeit auch noch mit endlosen Mails zu plagen und sich mit Social Fotodiensten oder Videoplattformen auseinander zu setzen, ist Facebook das perfekte Werkzeug. Facebook ist, alle anderen Schauplätze wie Sicherheitseinstellungen und Privatsphäre mal kurz außen vor gelassen, eine recht einfach zu bedienende Kommunikationsplattform, die ob ihrer immensen Verbreitung besser für den digitalen Smalltalk funktioniert als die meisten Konkurrenzprodukte.

Doch eines ist Facebook nicht: Eine politische Plattform. Facebook kann zwar für politische Kommunikation und auch Mobilisierung einiger Menschen genutzt werden, und die Anzahl der LIKEs einer Seite mag derzeit noch relevant für die ein oder andere Berichterstattung sein. Doch glücklicherweise wird noch nicht auf Facebook gewählt und es gibt auch keine Zwangsmitgliedschaft: immer noch gibt es sehr viel mehr Menschen in Deutschland, die Facebook nicht nutzen, als Leute, die aktive Mitglieder sind.

Aus ähnlichen Gründen, aus denen man Wahlcomputer ablehnt, kann einem daher am Ende auch die Anzahl der Unterstützer irgendeiner Facebook-Gruppe ziemlich schnuppe sein. Zu anfällig für Manipulation sind die Systeme, die im Fall von Facebook auch noch viel zu einfache Partizipation zulassen, als das man von echtem politischem Engagement sprechen könnte. Noch einmal Sascha: „Es (gibt) kein niedrigschwelligeres ‚politisches Engagement‘ als ein Klick auf Facebook.“

Ob Guttenberg nun also eine halbe oder drei Millionen Facebook-Unterstützer hat oder nicht, das ist vielleicht ein bisschen interessant, aber in Wirklichkeit ebenso minimal wichtig, wie die Menge der Unterstützer einer Anti-Netzsperren-Gruppe. Politik wird nicht bei Facebook entschieden, sondern in einem gesellschaftlichen Prozess (und, auch dem Zyniker in mir soll hier Platz gegeben werden, durch diverse Lobby-Gruppen und Wirtschaftskräfte), den viele Faktoren mitbestimmen. Der Fall von Guttenberg erfolgte durch Aufklärung und Recherche, durch ein Zusammentreffen von Druck aus Politik, Medien und Online-Kollaborationen, nicht durch die Mitgliedszahlen einer Facebook-Gruppe.

Und darüber bin ich auch ganz froh.

UPDATE Felix sieht die Sache etwas anders.

11 Kommentare

  1. 01
    Merkosch

    Jetzt mal ehrlich: Wir sind doch alle froh, dass die überwältigende Mehrheit der Guttenberg-Supporter ihre Konzentration bereits vor der nächsten Bundestagswahl wieder auf andere Sternchen lenken wird (im April/Mai wird beispielweise der neue RTLsche „Superstar“ gekürt).

  2. 02

    Ein „Gefällt mir “ bei Facebook ist in meinen Augen, und gerade bei diesen Fan-Seiten, eine zeitlich arg begrenzte Sympathiebekundung. Das allerdings Nachrichtensendungen wie Tagesschau und Heute-Journal unreflektiert auf die schiere Zahl der Fans abgefahren sind, das hat mich doch erstaunt.

  3. 03

    Wenn ein Journalist herausgefunden hätte, was Sascha herausgefunden hat, nämlich das große Vielleicht, na dann wär hier was los gewesen. „Weitgehend echte Fans“. Holla! Über die Überraschten bin ich am meisten überrascht.

  4. 04
    Martin

    Was mich verwundert ist dieses elitäre Selbstverständnis von einigen. „Wir sind nicht mehr allein“. Was ein Quatsch. Blogs in Deutschland sind vergleichsweise ein Mikrokosmos in Deutschland. Wir wollen mal nicht so tun als hätte Sascha Lobo die politische Netzkultur in den letzten jahren geprägt.
    Facebook war doch von Anbeginn kein Hort von netzaffinen Menschen.

  5. 05
    Ben

    So ein bisschen schizophren ist das ja schon.
    Einerseits glaubt man fast zwanghaft daran, dass das Internet die Welt verbessert, dass es per Definition anderen Medien überlegen ist: Man prahlt gerne mit Zahlen, Seitenaufrufen, Downloads, Petitionsunterzeichnern, Fans, Gefolgsleuten… wenn dann allerdings der politische Gegner ähnliches vorweist, wird gleich messerscharf Manipulation vermutet.

  6. 06
    mackenzen

    @#783564: ‚glaubt man fast zwanghaft daran, dass das Internet die Welt verbessert‘

    fast?! es ist GLAUBE und es ist ZWANGHAFT! egal welche seite…

  7. 07
    Carsten

    Ich glaube, was viele Menschen vor allem verwundert hat, sind zwei Dinge:

    Erstens: Zum einen hatte man ja lange geglaubt, dass man unter seinem Klarnamen eher darauf achtet, was man schreibt

    Zweitens: Wenn man handfeste Argumente vorzuweisen hat, kann man andere Menschen überzeugen.

    Beides wurde durch diese Facebook Gruppe gnadenlos widerlegt. Vernunft wird eben überschätzt.

  8. 08
    anonym

    Teile die Meinung dieses Eintrags. Und sehe das naturgemäß noch etwas radikaler: Facebook ist überflüssiger als ein Kropf.

    Der Fall AOL jetzt hat mir Hoffnung gemacht: Früher (also vor 2000) redeten alle von AOL, dann verschwand es, niemand dachte mehr daran – und jetzt tauchte es wieder als die Ruine auf, die es die ganzen Jahre war. So wie manche Menschen, die als Nervensägen (z. B. im TV) urplötzlich verschwanden, und man hat nicht mehr eine Sekunde an sie gedacht, geschweige denn sie vermißt – bis sie dann nach vielen Jahren wieder erwähnt wurden. Und man hatte den Gedanken, daß man ohne ihre publizierte Existenz die ganze Zeit gut ausgekommen war.

    So wird es Facebook auch gehen (hoffe ich zumindest).

  9. 09
    xconroy

    @#783570: mhm… ich finde, die Betonung sollte hier auf „Seite“ liegen. Leute, die sich mit einem gewissen Maß an persönlichem Zeit/Energie/Emotionsaufwand für „Seiten“ engagieren, sind per se anfällig dafür, Informationen so zu filtern, daß sie für sie selber Sinn machen. Man könnte das als menschlichen Alias-Effekt verstehen ;-)

    Das soll übrigens nicht irgendwie „von oben herab“ klingen. Anfällig dafür sind wir alle, außer vllt die, die tatsächlich zu gar nichts eine Meinung haben, und das ist dann vermutlich schon ein psychisch nicht unkritischer Zustand. Nur sollte man diese Anfälligkeit reflektieren können… und da sehe ich die Internetoptimisten bei aller teilweisen Naivität doch deutlich im Vorteil.

  10. 10

    #02
    Richtig

    Gleichsam dem Internet zu entnehmenden Berichten zu ‚Pro Guttenberg‘
    fanden sich bei den Demos mehr Kritiker als Befürworter für die sofortige
    Rückkehr ein.
    Evtl. ein Indiz für die nicht blöden Bürger. Auch Wähler genannt.