10

Bundesliga 33

Und am Ende kam Rainer Calmund. Der Mann, der nichts schlucken kann, was kleiner ist als eine Melone (Titanic). Dem war es vorbehalten, die Grabrede auf den FC St. Pauli zu singen, mit seiner Opernfigur, und dabei mit den Ärmchen zu rudern, als wäre er ein Tretboot. Calmund als Tretboot, das immerhin hätten gerne die paar verbliebenen Fans gesehen, dann dürften sie ihn straflos mit Füssen traktieren für Sätze wie:

„Sankt Pauli ist ein ganz normaler, professioneller Verein geworden.“ Besonders super findet er die neuen Logen, da sei inzwischen richtig was geboten. Früher hat es immer nur „Da, nochn Bier“ geheißen, und am Ende hat man sich wohl die Wurst auch noch selber holen müssen. Das ist mit Calli nicht zu machen, dem muss das direkt in den Schlund gehächselt werden, nicht umsonst ist Calli einer von drei Prominenten, bei denen die Google-Suchvervollständigung nicht als erstes „schwul“ vorschlägt, sondern „Gewicht“. Die anderen zwei sind Helmut Kohl. Den allerdings hat man noch nicht in den Business-Suites am Millerntor gesehen, gibt zu selten Saumagen da.

Wer Sankt Pauli – Bayern gesehen hat, weiß: Man kommt mit Sankt Pauli nicht zurecht in den Kommentatorenkabinen. Michael Born zum Beispiel, der war völlig konsterniert. Nein, nicht über die fussballerische Leistung St. Paulis, obwohl es da durchaus Grund zu wundern gegeben hätte: Wer lässt schon gegnerischen Stürmern mehr Platz, als ein durchschnittlich großer Löwenkäfig bereithält. Nein, das Publikum war ihm ein Rätsel: als die Zuschauer nach dem Anschluss erst „Jetzt gehts los“ und später „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ sangen, da fiel ihm sinngemäß folgender Satz aus dem Hirn: wenn man jetzt ins Stadion gebeamt würde und nicht wüsste, wies steht, dann könnte man glauben, St. Pauli sei gerade in Führung gegangen.

Ja. Nein. Man wüsste: Das ist jetzt das Millerntor. Und man wüsste: hier gehts nicht nur um Ergebnisse. Das ist jetzt nicht die Allianz-Arena. Jeder wusste: St. Pauli ist weg. Mein Gott, und die Mannschaft fällt jetzt auch auseinander. Stanislawski geht. Sollen denn alle heulen? Ich saß in den Astrastuben, da wurde viel gelacht. Nach dem 0-3 war eh alles wurscht. Ab da feierte man eine okaye Saison, mit Derbysieg und Abstieg, mit zweiterem konnte man rechnen, mit ersterem wird man lange angeben können.

Was solls, einsacht oder nullvier, das macht jetzt auch keinen Unterschied. Dass Holger Stanislawski so nicht denkt, die Spieler so nicht denken: klar. Dass sich die Fans von dem Ergebnis, das im Grunde keines ist, nicht beeinflussen lassen: das spricht eindeutig für ihre Reife. „Weltklassehumor“, sagte Michael Born dazu. „Weltklassehumor“, zwei Mal. Dabei hätte er doch so gerne gesagt, was für eine Katastrophe, was für ein Untergang, was für ein Offenbahrungseid das Spiel der Hamburger gewesen sei. Dass, was der Rest der Medien heute, morgen, übermorgen schreiben werden.

Es war kein Galgenhumor, zumindest nicht in den Astrastuben. Es ging um nichts mehr, es war einfach ein Nachmittag, so absurd wie ein Stück von Ionesco. Die Sängerin hat noch nicht aufgehört zu singen, neunzig Minuten hat sie noch, aber sie ist kahl.

Es ist keine Katastrophe für St. Pauli, abzusteigen, und es ist auch keine Katastrophe, so abzusteigen. Klar ist der Verein in Teilen ganz normal und professionell, aber es gibt noch sehr viele Leute, die zum Fussball und zu Sankt Pauli gehen, um ganz unprofessinell ihre Freizeit da zu verbringen und unnormale Situationen zu schätzen wissen.

Bloß als Calmund dann zu seiner Analyse ansetzte, da schrieen dann doch ein paar vor lauter Ärger.

Man kann ja über Lothar Matthäus sagen was man will: aber inzwischen schafft er es, auf Englisch genau so unzusammenhängend zu klingen, wie er es sich auf Deutsch von klein auf mühsam antrainieren musste. Das war Arbeit, wo er geleistet hat! Das muss man schon mal honorieren. Von demher: Respect!

Früher hörte sich das übrigens so an.

Wie die Arbeit eines Bundesligascouts funktioniert: ein sehr unspektakuläres, entschleunigtes und gerade deswegen angenehm zu lesendes Interview.

10 Kommentare

  1. 01

    Es wird mir wohl für immer ein Rätsel sein,
    wie ein vernünftiger Mensch, Personenkult,
    oder gar Sportligen in den Olymp der Betrachtungsweise hievt.

    Merci Fred

  2. 02
    Maddes

    Aber wenigstens wissen wir, dass die neue Kamera der ARD 600.000 Euro gekostet hat (wurde ja oft genug betont). Die Hasstiraden der Sportschau in Richtung Frankfurter Fans waren fast schon wieder komisch, das hat sich angehört wie ein kleines Kind, dem man das Feuerwehrauto kaputt gemacht hat :D

  3. 03
    S. Schwarzmeister

    Das Interview liest sich wie aus der Neon ( sprich: gefaked. )

  4. 04
    Manuel

    Och, die Frankfurter Fans haben sich schon ihre „Hasstiraden“ verdient.

  5. 05

    ;) „Ja. Nein. Man wüsste: Das ist jetzt das Millerntor.“ – soisses. Dazke.

  6. 06

    Das Schöne beim FC St. Pauli ist ja gerade, dass Entertainment nicht nur bei einem Sieg oder Meisterschaft geboten wird, sondern sich aus den Fans entwickelt. Und 9 Tore in einem Spiel zu erleben, dass ist wahrlich Entertainment.

  7. 07
    -sk

    Die Zuschauer haben nach dem Anschluss gesungen? ’38? Würd man von den Möchtegernpiraten ja so auch nicht erwarten :)

    Verwirrt.

  8. 08

    Ein bisschen weh tut’s schon, wenn sich die eigene Mannschaft derart entblößt. Aber nach so einem Spiel feiernd und gröhlend nach hause zu fahren, so dass die Leute denken man habe gerade die Meisterschaft gewonnen – das ist St.Pauli.

    Etwas, das Fernsehreporter weder vermitteln noch begreifen können: Der Sport ist Nebensache am Millerntor. Die Fans gehen ins Stadion, um sich selbst zu feiern. Trotz VIP-Logen und Bierbecherwerfernauf auf der HT.