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„When everything’s been destroyed around you, and you’re left, what’s left?“ – Interview mit Moby

Erst letzte Woche tat ich meine begeisterte Meinung zum neuen Album von Moby kund und seit heute könnt ihr „Destroyed“ auch endlich in den echten oder virtuellen Plattenläden eurer Wahl erwerben. Wer noch weitere Entscheidungshilfe benötigt, dem sei die hübsche, interaktive Microsite zur Veröffentlichung wärmstens empfohlen, wo man das komplette Album streamen kann. Was sich Moby ansonsten bei seinem neuesten Werk dachte, das dieses Mal eine Mischung aus Musik und Bildern ist, wie er zu Schlafstörungen steht, weshalb er das Wort „Blog“ nicht mag und plötzlich eine Fotoausstellung auf die Beine stellt, das erfahrt ihr im folgenden Interview:

Spreeblick: Also ich schreibe ja für ein Blog, habe aber auf deiner Seite gelesen, dass du das Wort „Blog“ gar nicht ausstehen kannst…

Moby: Das ist so ein furchtbares Wort.

Weil es auch für einen Hype steht?

Nein, „Blog“ klingt nur besonders im Englischen einfach wirklich unschön. Wenn man das mal aufdröselt enthält es das Wort „blah“, was für Belanglosigkeit steht. Dann wäre da das ziemlich widerliche „clag“ [Anmerkung: Dreckklumpen] und dann hätten wir noch „blob“, womit man ja das beschreibt, was beim Abhusten so hochkommt und dann ausgespuckt wird.

Ich mag Blogs, also die Sache an sich. Ich wünschte nur, es gäbe ein besseres Wort dafür. Wie zum Beispiel: „journal“ [Anmerkung: engl. Aussprache]. Das klingt erstens schöner als „Blog“ und zeigt zweitens auch, dass sich das Weblog weiterentwickelt hat. Ich finde es ist deswegen ebenso an der Zeit, den Begriff weiterzuentwickeln.

Das wäre dann wohl unsere nächste Mission! Aber zuerst will ich natürlich über das neue Album mit dir sprechen. In der Ankündigung erwähnst du, dass die meisten Songs aufgrund von Schlaflosigkeit entstanden sind. Siehst du es in diesem Sinne auch als Konzeptalbum?

Gewissermaßen. Abgesehen davon, dass es letztlich doch vielschichtiger ist. Wenn andere Musiker Konzeptalben aufnehmen, wissen sie ja meist zu Beginn, wonach sie vorgehen wollen. In meinem Fall mache ich Musik, die ziemlich persönlich ist, veröffentliche sie und am Ende ist es ein Konzeptalbum geworden, dessen Konzept ich gar nicht wirklich kenne. Sowohl das Fotobuch als auch die Platte sind beide zur selben Zeit und auf dieselbe Art entstanden, gleichermaßen inspiriert von diesem seltsamen Gefühl der Entwurzelung das man bekommt, wenn man quasi permanent auf Flughäfen und in Hotels wohnt.

All diese komischen, anonymen Orte, an denen man eben lebt, wenn man auf Tour geht. Wo man sich nicht auskennt, aber es sich irgendwie gemütlich machen muss. Diese Form der Entfremdung anzuerkennen und dennoch darin etwas Warmes, Gemütliches für sich zu erschaffen, ist im Grunde die Idee hinter dem Album.

Empfindest du Schlaflosigkeit denn eigentlich als Schwäche? Du bist ja offenbar sehr kreativ, wenn du nicht schlafen kannst.

Ich bin tatsächlich sehr neidisch auf Menschen, die keine Probleme mit Schlafstörungen haben. Eine Ex-Freundin von mir konnte stets auf der Stelle einschlafen, egal wo sie war. Ob sie von Schweden nach Hawaii flog oder von Tokio nach Berlin – sie konnte immer schlafen und ich habe ihr das ehrlich gesagt ziemlich übel genommen, weil ich sie so sehr darum beneidete. Außerdem schlief sie dann immer gleich 8, 9 Stunden, während ich bloß für ein paar Stunden Ruhe finden kann.

Und deshalb hältst du dann auch fest, was dir in diesen Phasen widerfährt?

Ja. Außerdem ging es beim Buch sowie der Platte darum, diese Form der seltsamen Erfahrung zu vermitteln. Meistens sind komische Erfahrungen ja auch eindeutig als solche zu erkennen. Wenn man jetzt zum Beispiel nach Indien geht, um dort in einem Aschram zu leben, ist das ein sehr eigentümliches Erlebnis, wo sofort jeder nachvollziehen kann, dass es merkwürdig ist. Beim Touren hingegen – und ich beschwere mich keinesfalls, denn loszuziehen, um Musik zu spielen, ist großartig – ist diese Seltsamkeit weitaus weniger offensichtlich. Da reist man in Länder, wo man die Sprache nicht versteht, das Essen und die Kultur fremd sind und wo man sich permanent in einer Umgebung bewegt, die jemand anderes erschaffen hat. Dein Zuhause ist ja auch immer Ausdruck und Teil deiner Selbst. Doch wenn man viel reist, befindet man sich stets in fremden Räumen, die aber vollkommen normal wirken wollen.

Man ist trotzdem seiner Routine entrissen.

Genau. Es geht quasi um die Frage, wo dein Selbstempfinden eigentlich herkommt. Für die meisten Menschen ist es das Ergebnis von Sprache, Kultur, Freunden, Familie, ihrem Zuhause – doch wenn du das hinter dir lässt, bleibst ja nur du übrig. Der Punkt ist also: wer bist du eigentlich, wenn du von all diesen Dingen getrennt bist, die normalerweise dein Leben ausfüllen? Daher kommt jedenfalls auch der Titel zum Album. Wenn alles um dich herum zerstört wurde und nur du übrig bist, was bleibt dann?

Das Fotobuch hast du dennoch nach Orten kategorisiert…

Stimmt, aber unter dem Bild hier steht zum Beispiel „Chicago“ und die Ironie dabei ist, dass das auch genauso gut ganz woanders sein könnte. In den meisten Fällen sind die Orte irrelevant.

Fasziniert dich denn die Vorstellung, dass du ähnliche oder gar identische Dinge an den Plätzen vorfinden kannst, die du so besuchst?

Ich schätze, das hat auch eine Menge mit der Globalisierung zu tun. Vor 150 Jahren wären die Unterschiede zwischen Städten wie zum Beispiel Berlin und Tokio noch viel größer gewesen. Heutzutage haben sie alle die selben Hotels und ihre Starbucks Coffee Shops. Diese Städte sind tausende von Meilen voneinander entfernt und haben mittlerweile doch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Keine Ahnung, ob das gut oder schlecht ist. Ich empfinde es lediglich als komisch, wenn man um die ganze Welt reist, 14 Stunden in einem Flugzeug verbringt, sogar in eine andere Hemisphäre fliegt und am Ende an einem Ort landet, der so ziemlich jenem ähnelt, den man gerade verlassen hat.

Aber das klingt geradezu so, als hättest du das Gefühl, gar nichts Neues mehr entdecken zu können?

Nun, die Welt ist immer noch groß genug. Außerdem beschreibe ich damit nur meine Erfahrung auf Tour. Wenn ich Kinder hätte, würde ich mir wünschen, dass sie Mode- oder Reisefotografen werden. Da wird man an all diese wunderschönen Orte geschickt, vom Strand bis hin zum Gebirge. Als Musiker auf Tour zu gehen ist super, allerdings landet man dadurch immer nur in Städten.

Wenn ich zum Beispiel an Berlin denke, dann bin ich zum ersten Mal 1990 hierher gekommen, kurz nachdem die Mauer fiel. Seitdem bin ich in den 21 Jahren vermutlich gut 150 mal hier gewesen. Damals legten Westbam und sein Bruder in New York mit mir auf und luden mich danach hierher ein. Ich hatte die Staaten bis dato nie wirklich verlassen und erinnere mich noch ganz genau wie seltsam es sich anfühlte, außerhalb Amerikas zu sein. Zu der Zeit hatte man als Amerikaner sowieso den Eindruck, dass Deutschland das politische und historische Zentrum schlechthin war. Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg – hier passierte einfach alles. Deswegen erwarteten die meisten von uns damals auch einen sehr düsteren, ernsten und merkwürdigen Ort und waren dann ziemlich perplex, wie normal doch alles in Deutschland ist. Die Leute gingen hier auch zur Arbeit, verbrachten Zeit mit ihren Kindern, tranken Bier, aßen Spaghetti und tanzten zu House. Ich bin ja nun kein Deutscher, aber mir scheint dass die Deutschen sich auch sehr nach dieser Normalität gesehnt haben, nachdem der Kalte Krieg vorbei und überhaupt das gesamte 20. Jahrhundert für sie so eigenartig war.

Das Fotobuch, was du nun mit dem Album herausbringst, wird auch als Ausstellung in Galerien auf der ganzen Welt zu sehen sein. Wirst du ebenfalls die Kuration übernehmen oder überlässt du das dann den Leuten vor Ort?

Im Prinzip schon. Es wäre ja auch schwierig, denen zu sagen was sie machen sollen, wenn ich in Los Angeles sitze und die Galerie vielleicht in Jerusalem ist. Ich schicke ihnen einfach die Bilder und hoffe, dass sie etwas Gutes daraus machen.

Schon komisch, ich fotografiere seit ich 10 Jahre alt bin, habe Filme gedreht, als Fotoassistent gearbeitet und mich trotzdem lange Zeit nicht dabei wohl gefühlt, jemandem meine Arbeiten zu zeigen. Aus irgendeinem Grund hat sich das nun geändert. Nach den 35 Jahren die ich mittlerweile schon fotografiere, habe ich meine Sachen mal Künstlerfreunden gezeigt, die mich sehr in meiner Arbeit bestärkten, weswegen ich nun kein Problem mehr damit habe sie auszustellen. Außerdem sind Buch und Album ja Teil eines Konzepts – was auch immer das nun wirklich sein mag. Vielleicht ist es einfach die Vorstellung von Geborgenheit als auch Entwurzelung innerhalb anonymer Orte. Wofür dies wiederum als Metapher menschlichen Befindens steht, vermag ich allerdings nicht zu sagen.

In Berlin wird die Ausstellung zu „Destroyed“ vom 21. bis 27. Mai in der Made Gallery (im Haus des Reisens) zu sehen sein.

· Microsite zu „Destroyed“ mit Albumstream und Fotos auf moby.com
· Albumstream von „Destroyed“ bei Soundcloud

Partnerlinks:

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„Destroyed“ (CD und Fotobuch) bei Amazon
„Destroyed“ bei iTunes
„Destroyed“ (Deluxe Version) bei iTunes

17 Kommentare

  1. 01

    Schönes Interview, hab damals (vor 10 Jahren) die Musik von Moby sehr gerne gehört, sogar mal bei einem Konzert in der Arena Berlin dabei gewesen!

    Zu den anderen Teilen des Interviews kann ich nur sagen, dass ich keine Schlafstörungen habe, stelle es mir auch unangenehm vor! Und das Neuigkeiten-Problem ist wirklich ein Globalisierungsthema!

  2. 02
    jan

    spricht moby deutsch oder habt ihr das übersetzt (reines interesse – ich hätte ganz natürlich angenommen übersetzt, aber „„journal“ [Anmerkung: engl. Aussprache]“ hat mich überrascht).

  3. 03
    Mi

    Moby erzählt so schön, dass man sich fast wünscht, er würde ein Buch schreiben. Ich höre seine Musik ja gar nicht, aber wegen dem Gedanken, den er in Punkto Selbstempfinden und Identität beschreibt, werde ich auf alle Fälle mal in „Destroyed“ reinhören.

  4. 04
    Anne Wizorek

    @#786868: Das Interview fand auf Englisch statt und wurde von mir ins Deutsche übersetzt.

    Zum „journal“: die Anmerkung ist da, weil eine deutsche Übersetzung mit „Tagebuch“ oder „Journal“ nicht ganz abdecken würde, was im angloamerikanischen Raum mit „journal“ bezeichnet wird und entsprechend ja auch nicht das, was er hier als neuen Begriff für „Weblog“ etablieren möchte. Da steckt einfach mehr Inhalt drin und deswegen habe ich es quasi als englischen Begriff stehen lassen. Hoffe das hilft. :)

  5. 05
    jan

    @#786870: macht sinn, danke! ist ja auch nicht ganz einfach zu entscheiden was man jetzt wie übersetzen oder lassen soll, grade da wahrscheinlich fast alle die hier mitlesen englisch gut verstehen aber je nachdem wo sie’s gelernt haben unterschiedliches mit den worten assoziieren. translator, traitor…

    ps super interview, werd mal schauen ob ich hier irgendwo in das neue album reinhören kann.

  6. 06

    Das Album gibts aktuell hier (http://3voor12.vpro.nl/speler/luisterpaal/44723762#luisterpaal.44723762) im Stream. Und reinhören lohnt in jedem Fall.

  7. 07
    mzet

    Jau da beneidet man dich ja glatt mal Johnny, mit so einem feinen Menschen reden zu können, und dann hat der meist auf wirklich noch was zu sagen.
    Ich mag Moby sehr, seine Musik,seine Einstellung und Ansichten…naja, manchmal doch schwer nachzuvollziehen, aber jut,jut. Klasse Interview,sag ich dam mal, nech? ;)

  8. 08
    sebi

    Das neue Album ist einfach nur entspannt!
    Ich habe mich gefühlte 2Std. durch die Fotos auf der Homepage geklickt (http://destroyed.moby.com/) – auch wenn viele mehrmals kamen – die Musik passt einfach perfekt. Genau das richtige für einen Freitagabend an dem man nichts zu tun hat. Danke für das Interview, ich mag Moby.

  9. 09
    Anne Wizorek

    @#786871: Dankeschön! Das freut mich natürlich auch sehr. :) Das Album kannst du entweder über die oben verlinkte Microsite streamen oder ansonsten direkt auf Soundcloud anhören: http://soundcloud.com/thelittleidiot Ich empfehle übrigens auch sehr, die Videos zu „Sevastopol“, „Victoria Lucas“ und „Be the One“ anzugucken: http://vimeo.com/moby/videos

    @#786881: Hehe, der Chef in allen Ehren, aber das Interview habe ich nicht nur übersetzt, sondern auch geführt. Dein Kompliment nehme ich natürlich trotzdem gerne an. ;) War auf jeden Fall ein äußerst nettes Gespräch mit einem unglaublich entspannten und duften Typen.

    @#786884: Wunderbar. So soll’s sein. :)

  10. 10
    Felix

    Schade das man als Nicht-iPhone-Nutzer ausgeschlossen wird.

  11. 11

    Der ist ja schon fast existenzialistisch, der gute Moby! Ich mag ihn ja auch scnon seit seinen frühen Tagen, aber das Interview hier hebt das noch einmal auf eine ganz neue Stufe, was ich von ihm halte. Das ist auch sehr toll geführt, gut Fragen gestellt und behutsam mitgegangen.

  12. 12

    Wirklich schön das neue Album. wie sebi ja schon geschrieben hat: Freitagabend, nix vor und Moby hören! (Aber ich habs heute auch schon am frühen Sonntagnachmittag probiert (es läuft gerade ;) )und es war auch um diese Tageszeit super.) Fazit: ein Album für das gesamte Weekend!

  13. 13

    Interessantes Interview. Was leider nicht auf seine Musik zutrifft.

  14. 14

    Interessantes Interview (danke!) und (so mein Eindruck nach dem ersten Hören) auch feines Album.

    Ach ja: Gibt’s irgendwo das englische Original des Interviews?

  15. 15
    Anne Wizorek

    @#786970: Danke dir! Genau dieser Gesprächscharakter war mir auch sehr wichtig. Schön, dass er weiterhin rüberkommt.

    @#786977: Hehe, na dann freue ich mich ja, wenigstens den schriftlichen Teil für dich spannend gemacht zu haben.

    @#786986: Dir auch vielen Dank für das Kompliment! :) Ich hatte leider bisher immer den Eindruck, dass die englischen Originale (entweder in Video- oder Audioform) nicht so gut angenommen wurden, deswegen lasse ich die mittlerweile weg. Oder meinst du, dass dies in Zukunft wieder anders gemacht werden sollte?

  16. 16
    sebi

    @#787147: Ich würde mich auch über den englischen Originaltext freuen. Vielleicht kann man bei sowas ja sowohl die deutsche als auch optional die englische Version online stellen? Die Originalversion mit Button zum Aufklappen oder so?

  17. 17
    sebi

    Hm, der Originaltext kommt wohl leider nicht mehr :(
    Schade…