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Brasilien eröffnet die Grillsaison, Frankreich trommelt, Hintergründe zu den Protesten in Spanien

Diese Bilder stammen aus São Paulo, Brasilien, und sie sind bereits über zwei Wochen alt. Rund 55.000 Menschen hatten sich via Facebook zum Grillen in Higienópolis verabredet, einem Reichenviertel São Paulos. Dort nämlich hatten sich 3.500 Anwohner mit einer Unterschriftenliste erfolgreich gegen den weiteren Ausbau einer U-Bahn-Station gewehrt, die, so die Sorge der Elite, „Drogenabhängige, Bettler und ‚andere Leute‘ (different people)“ in ihre Nachbarschaft bringen könnte. Der Journalist Danilo Saraiva von der brasilianischen Website Terra rief daraufhin auf Facebook zum „Barbecue der anderen Leute“ auf und Zehntausende kamen.

Die Bloggerin Maria Frô berichtete von ungewöhnlich freundlicher und zurückhaltender Polizei:

I have attended many demonstrations; in some I got pepper sprayed. But there was no violence in Higienópolis and I saw the young people questioning police in an incisive way that that in a demonstration in the periphery, residents wouldn’t dare to. But the police remained mostly calm, super well behaved, as we would like to see all police.

Mehr Videos hier, mehr Info bei RRW und GlobalVoices, mit Dank an Hakan Tee.

Im Safe European Home gehen derweil die Solidaritätsversammlungen für die in Spanien initiierte „Yes, we camp!“-Bewegung weiter, gestern feierten die Franzosen auf dem Place de la Bastille in Paris, laut @maxzierer wurde der Platz später unter Einsatz von Tränengas geräumt.

Und von wegen „Yes, we camp!“: Einen umfangreichen und sehr lesenswerten Artikel zu den Hintergründen der Proteste in Spanien hat der Tagesspiegel veröffentlicht.

8 Kommentare

  1. 01
    KOPNR

    Mit Vermögen ist man in Brasilien zu Recht um seine Sicherheit besorgt.

  2. 02
    Zehmal

    Ich be täube mich

  3. 03
    Marian

    1. 3500 Anwohner haben sich mit einer Unterschriftenliste erfolgreich gegen ein Projekt gewehrt, das sie nicht wollen. Klingt erst mal ziemlich demokratisch. (Viele Stuttgarter wären wohl froh, so viel Mitbestimmungsrecht zu haben.) Aber zugegeben: Ich habe keine Ahnung, was da in Sao Paolo wirklich los ist.

    2. Wo ist der Zusammenhang zu den Demonstrationen in Spanien und Frankreich? Sind jetzt alle Demonstrationen weltweit Teil einer großen Revolution mit gemeinsamen Zielen? Oder freut man sich als Blogger einfach, dass „die Netzgemeinde“ irgendwie was bewirken kann – ob Grillfest oder Demokratiedemonstration.

    3. Die Demonstranten in Spanien und Frankreich haben jedenfalls meine Unterstützung (auch wenn die sich momentan auf verbalen Zuspruch beschränkt). Wesentliche Forderungen der dortigen Protestbewegung lassen sich auch auf Deutschland übertragen, etwa die Notwendigkeit von mehr demokratischer Teilhabe der Bürger und einem Geld- und Wirtschaftssystem, das den Menschen dient.

  4. 04
    Wastl

    @#788324: Das ist wahr.

    Ich warte allerdings immer noch auf ein Communiqué der G8 und der Europäischen Kommission, dass die Regierungen die Proteste und die Demonstrationen in den Hauptstädten nicht gewaltsam unterdrücken sollen. Es ist das Recht eines jeden Menschen, friedlich gegen Unterdrückung zu protestieren.

    Ach scheisse, die sind ja gar nicht in Nordafrika? Wie, Madrid? Paris? Okay, dann nichts wie drauf!!

  5. 05
    Scott

    Natürlich ist es legitim, sich demokratisch sich gegen Bauvorhaben zu wehren. Was in diesem Fall die Leute auf die Palme gebracht hat, ist der Kommentar einer Anwohnerin, der (bereits im August 2010) in einem Zeitungsartikel zu diesem Anwohnerprotest veröffentlicht wurde: „Ich fahre nicht U-Bahn und würde es auch nie tun. Das wird die Tradition des Viertels zerstören. Haben Sie schon mal gesehen, was da für Leute an den U-Bahn-Stationen sind? Drogenabhängige, Penner, andere Leute…“
    Dieser spontane Kommentar zeigt die unterschwellige Haltung von Leuten, die sich einerseits in Hochsicherheitswohnkomplexen abschotten (verständlich in einem so extrem ungleichen sowie kriminalisierten Land) und sich andererseits als soziale Elite und Wirtschaftsmotor begreifen, während der Rest des Landes (vor allem der arme Nordosten) angeblich von den Almosen der Regierung überlebt.

    Es ist also der Indiz für sozialen Dünkel, und die massenhafte (und sehr kreative) Reaktion zeigt, daß das ein ziemlich wunder Punkt ist.

    Letztes Jahr im Herbst gab es das schon mal in noch größer, als nach dem Sieg der Arbeiterpartei bei den Präsidentschaftswahlen eine frustrierte Jurastudentin, auch aus São Paulo, twitterte: „Nordostler sind keine Menschen, tu São Paulo einen Gefallen und ersäufe einen Nordostler.“

  6. 06
    xconroy

    @#788326: dein Punkt 2. wird ja in den letzten Tagen von diversen Autoren kritisiert, soweit ich das mitbekomme (und das ist ja auch ein ganz logischer Effekt, das mußte irgendwann passieren).

    Ganz falsch ist das auch nicht: die Ereignisse in Ägypten haben *im Grunde* nichts mit denen in Spanien zu tun und erst recht nicht mit denen in Brasilien, genaugenommen auch nichts mit den vorherigen in Tunesien.

    Aber: die derzeit gerne kleingeredete „einzige Gemeinsamkeit“ der Organisation via social media ist – imho – tatsächlich ausschlaggebender, als viele denken. Natürlich wird die Revolution nicht getwittert, genausowenig wie sie televised wird (R.I.P. an dieser Stelle, GSH… immer die Besten, immer so früh…), nur: diese neuen Kommunikationsmöglichkeiten machen zwei grundsätzliche Unterschiede zu allem, was vorher so als Revolution durchging:
    – erstens und offensichtlichstens die eigentliche Organisation, die dadurch viel schneller und effektiver gestaltet werden kann als früher
    – und zweitens und etwas weniger offensichtlich die quasi „nachgeschaltete“ Identifikation vergleichbarer Initiativen rund um den Globus. Da alle wissen, was in den arabischen Ländern passierte und immer noch passiert, liegt es nahe, Aktionen im eigenen Land daran inhaltlich und kommunikativ anzuschließen – und der dadurch erst mal nur entstandene *Anschein* einer globalen Bewegung kann allein dadurch, daß alle Beteiligten daran „glauben“, eine solche zu sein, tatsächlich zu einer werden. Und inhaltlich sind ja durchaus Übereinstimmungen zu erkennen.

    Für einen Politikwissenschaftler oder Soziologen wäre es ein lohnendes Thema, jetzt herauszuarbeiten und zu begründen, warum das zeitgleiche bzw. schnell aufeinanderfolgende Auftreten solcher „Aufstände“ – dazu mit ziemlich ähnlichen, sehr friedlichen Abläufen, zumindest seitens der Demonstranten – eben KEINE zufällige Korrelation ist. (das Gegenteil zu begründen wäre natürlich auch möglich, würde aber mmn eher rhetorische statt analytische Fähigkeiten erfordern ;-)).

  7. 07
    Marian

    @#788344: Vielleicht gibt es auch gar kein besonders gehäuftes Auftreten von friedlichen Protesten, sondern sie erhalten derzeit einfach ausnahmsweise einmal viel Aufmerksamkeit, weil sie sich (scheinbar?) in das Bild der „Twitter-Aufstände“ einfügen. (Das Phänomen kommt ja häufig vor, wenn ein Thema mal im Fokus der Aufmerksamkeit steht.)

  8. 08
    xconroy

    @#788369: kann gut sein, nur: ich halte es für nicht unwahrscheinlich, daß daraus eine Eigendynamik entsteht, soll heißen: die Aufmerksamkeit sorgt überhaupt erst dafür, daß sich die Teilnehmer der Proteste als Teil eines größeren Ganzen verstehen – und dadurch genau dazu werden können.

    Ohne Twitter/Facebook wären die Proteste in DIESER Form wohl nicht abgelaufen… und ohne den medialen Fokus auf die Rolle von Twitter/Facebook (der diese Rolle sicher oft übertreibt, aber eben ein gemeinsames Element schafft) hätten die Proteste nicht die „vereinigende“ Klammer, die zb. dazu führt, daß sich Teilnehmer des Protestes B auf die des Protestes A beziehen – auch wenn Spanien im Grunde nichts mit Ägypten zu tun hat, dürften die Agierenden Ägypten *im Hinterkopf* haben, und das ist ein Ort, an dem vieles möglich wird… ;-)