Mai / Juni 2009. Ich hatte mich eigentlich seelisch auf etwas freie Zeit mit und in Finnland vorbereitet aber dann stand die Arbeit doch im Vordergrund. Und zwar mehr als sonst, hatte auch mehr Zeit für die Arbeit als sonst und lustigerweise war es auch interessanter als sonst. Die ganzen finnischen Kollegen (von denen etliche chinesisch, indisch, deutsch oder wer weiß was gewesen sind) machten den Job um einiges interessanter als wenn man normal zu Hause hocken würde. War Klimawechsel, war schon ne andere Welt und ein paar Erfahrungen durfte ich dann trotzdem noch machen, oben bei den kleinen Finnen, man hat ja nicht den ganzen Tag nur gearbeitet:
- ja, es ist in Finnland kälter als in Deutschland (jetzt gerade nicht, aber damals schon).
- Busse muss man selbst anhalten, und zwar per Handzeichen. Die halten nicht von selber. Man guckt doof hinterher wenn man das nicht weiß.
- Die Finnische Sprache ist die Hölle und praktisch nicht erlernbar. Wenn man versucht ein finnisches Wort auszusprechen, z.B. einen Straßennamen, dann hat man spätestens ab der Mitte vergessen wie das Wort angefangen hat. Es ist wirklich sehr schwer. Ausländer, die seit vier Jahren in Finnland leben können sich so einigermaßen auf Finnisch unterhalten (nach eigenen Angaben). Dürfte so ungefähr der Level wie nach einem halben Jahr Englisch sein. Gibt aber auch Genies die Finnisch nach einem halben Jahr gut können. Man unterhält sich aus Ausländer mit den Finnen auch eher auf Englisch als auf Finnisch, selbst im Freundeskreis. Im Büro wird meist eh Englisch gesprochen.
Wenn du dich nun immer noch etwas für Finnisch interessierst, dann seit dir mal der folgende schön ironische Text ans Herz gelegt: Finnisch, die Weltsprache, oder einfach mal schönes finnisches Radio hören. - Finnen haben dagegen kein Problem mit Fremdsprachen. Ab einem gewissen Bildungsgrad ist Englisch fast fließend, auch wenn man noch finnisches Kind ist und noch gar nicht so lange zur Schule geht. Im Kino sind die ausländischen Filme finnisch und schwedisch gleichzeitig untertitelt und laufen im Original. Was sehr schön ist. Endlich mal den Blockbuster unsynchronisiert im fetten Kino gucken und nicht im drittklassigen Fremdsprachenkino. Im Fernsehen dasselbe, es wird nicht synchronisiert und das wertet die ganzen Filme und TV-Serien sogar noch auf, selbst wenn es CSI irgendwo ist.
- Kein Auto ohne Steinschlag in der Scheibe. Insgesamt wird nicht so schnell repariert oder ausgetauscht. Sei es der Bürostuhl mit der kaputten Armlehne, der Frühstückstisch mit dem Brandfleck, die etwas eingerissene Gardine oder die kaputte Fassade. Solange es hält ist’s doch ok.
- Um Mitternacht ist gerade mal Dämmerung (Juni). Hell genug um draußen rum zu laufen. Es gibt aber Sperrzeiten. Je nach Stadtviertel ist um 3-4 Uhr der Laden dicht. Manchmal sogar früher. Um sechs Uhr morgens steht die Sonne schon recht hoch.
- Richtigen Alkohol (also Wein, Schnaps, etc) dürfen nur die Alko-Shops verkaufen. Geht aber ohne Probleme, ist wie ein Supermarkt in dem nur Alkohol im Regal steht. Gibt’s an jeder zweiten Ecke. Macht arm.
- Finnland macht generell arm. Alles ist locker um die Hälfte teuerer als in Deutschland.
- Dafür ist die Landschaft, die Architektur teilweise unglaublich schön. Manchmal karg und reduziert aber sehr stimmig. Überhaupt ist Design sehr wichtig hier. Ein ganzes Viertel in Helsinki beherbergt mehr als 170 Läden, Galerien, etc die sich nur mit Kunst, Design, Klamotten usw. beschäftigen. Die Ecke wurde Design Destrict Helsinki getauft.
Windowshopping deluxe und man kann gar nicht so viel verdienen wie man ausgeben möchte. - Ob die Menschen hier nun aber schön sind? Ich glaube ihr Ruf ist besser als die Leute selbst oder man verwechselt sie mit den Schweden. Klar hab ich mir ein paar Mal den Hals verrenkt aber die Leute gucken schon etwas sonderbar, seltsam und skurril aus. Man merkt die Nähe zu Russland, Sibirien oder ich weiß nicht was für nem Planeten. Ich würde nen Blog machen mit Fotos von so manchem lustigen Passanten, wenn es das nicht schon gäbe.
- Die finnische Sauna ist ein kleiner Raum aus Holz mit Ofen, einer Holzbank, einer Schale Wasser und einem großen Löffel. Und heiß. Praktisch jedes Haus hat eine Sauna. Zu Wohnungen ab BJ 2000 gehört die Sauna ins Badezimmer wie das Waschbecken.
- Moi! Dieses Moi kannst du dir merken, falls du auch mal nach Finnland kommst. Es ist das Finnische Servus oder Ciao, geht als Begrüßung wie als Abschied gleich gut. Man kann es schön in die Länge ziehen (Moooooiii) oder auch doppeln (Moi Moi) oder noch öfter am Stück sagen wie die (attraktive) Kollegin im Büro im Nachbarcubicle, die es manchmal am Ende eines Telefonates drei vier mal gesagt hat. Vermutlich um dem Gesprächspartner endgültig klar zu machen, dass nun wirklich Ende ist mit labern. Gerüchten zufolge ist es auch eins der wenigen Worte, das sich die Finnen aus einer anderen Sprache entliehen haben. Die Ähnlichkeit zum norddeutschen „Moin“ kommt nicht von ungefähr. Und somit war es für mich als Norddeutscher auch sehr einfach dieses Moi zu lernen und es funktioniert auch. Man erntet strahlende Gesichter wenn man morgens ins Büro kommt und „Mooooiii“ sagt. Man geht als Einheimischer durch, auch wenn nach dem Mooooiii keine finnischen Wörter mehr kommen, der erste Eindruck zählt halt auch hier.
- Man zahlt viel mit Kreditkarte, auch bzw. gerade in Bars. Es ist kein Problem den ganzen Laden aufzuhalten weil man die 5,80 € für das Bier mit Karte, Unterschrift, etc. begleicht anstatt schnell das Kleingeld auf den Tresen zu legen. Bargeld ist zweitrangig. Man müsste eh nach jedem dritten Getränk zum Geldautomaten rennen bei den Getränkepreisen, von daher geht Kreditkartenzahlung schon ok.
- Betritt man eine Wohnung, zieht man die Schuhe aus.
- Ist man wo eingeladen, bringt man ein Gastgeschenk mit, am besten Wein (Alkohol).
- Reichtum wird nicht sonderlich zur Schau gestellt. Reiche Viertel sehen schon gut und teuer aus, aber nicht sonderlich protzig, sonder eher stilvoll. Ist man reich, behält man es für sich. Protzige Autos sieht man auch vergleichsweise selten. In deutschen Kleinstädten fahren mehr Oberklasseautos rum als im ganzen Großraum der Finnischen Landeshauptstadt. Einer meinte mal, dass es sogar untersagt sein soll, sein exklusives Seegrundstück abzuschotten. Solange man keinen stört darf man als Privatperson auch ans Ufer der Villa (mal versuchen das dem Bonzen mit der Villa am Starnberger See zu erklären).
- Man ist durchaus in der Lage auch teurere und sinnlose Autos zu bezahlen, nur steht generell das Praktische im Vordergrund. Cabrios machen in den langen Wintern ja keinen Sinn und was will man mit nem Porsche der weder ein Schlagloch aushält noch beladen werden kann. Der Fokus liegt einfach auf nützliche Autos.
- Glücksspiel ist Volkssport, in jedem Dorfsupermarkt steht ein einarmiger Bandit. Spielhallen haben nichts von dem ranzigen Alkoholiker- / Versagerimage wie in Deutschland, sondern sind hell und freundlich. Selbst der Businesstyp im Anzug versucht nach dem Einkauf noch mal schnell sein Glück. Wenn man etwas drüber nach denkt, dann passt das auch schon wieder zu den Preisen in Finnland.
- Die gefühlte Hälfte aller Barthaare weltweit wachsen in Finnland.
- Gespräche über das Wetter sind kein Smalltalk, sondern gehen tief in die finnische Seele. Da macht man besser keine Witze. Licht ist essenziell, man hat nur den kurzen Sommer. Wenn man sich vor Augen hält, dass im Winter die Sonne Mittags für vier Stunden kurz über den Horizont blinzelt, durch die tief hängende Wolkensuppe dazu eh kein Licht durch kommt und man so leben muss, dann kann man das einigermaßen verstehen.
- Hasen und Kaninchen sind die Ratten von Helsinki und echt ein Problem der Stadt. Wenn man solch ein Tier sieht dann nicht „oh süß!“ rufen, sondern drauf schießen.
- Das Finnische Staatsoberhaupt (Tarja Halonen) sieht nicht nur so aus, sondern sie hat auch ein ähnliches Image und ist ähnlich lange im Amt wie Helmut Kohl.
- Bei den Schaltern der Post oder bei den Fahrkarten zieht man sich eine Nummer wie man es vom Einwohnermeldeamt gewohnt ist und man wartet dann brav bis die eigene Nummer leuchtet. Ordnung muss sein.
- Wenn es im Standard-Finnlandreiseführer heisst: „People generally avoid small talk. Never interrupt others when they are speaking„, es stimm nicht. Die Leute quatschen und labern als gäbe es kein morgen. Gerade wenn Alkohol im Spiel ist.
- Auch falsch: „Finns are not prone to physical contact (such as greeting one another with embraces)„, kein Unterschied zu Deutschland. Gibt keine besondere Distanz. Im Alltag nicht und mit Alkohol noch weniger.
- Komplett falsch ist zudem: „Finns are generally a quiet people, so don’t be alarmed by long silences in conversation„, es gibt keine langen Pausen in Unterhaltungen, nicht mehr als anderswo auch. Mal kurz am Glas nippen, den letzen Satz sacken lassen, etc… zu solchen Zeitpunkten ist mal kurz Ruhe, aber wo ist das nicht so? Allerdings: wenn man etwas aus der Stadt raus ist und zu den Bären mit den vielen Haaren kommt, Leute die selten Besuch haben und Menschen vielleicht nur aus dem Fernsehen oder aus den Büchern kennen, da könnte ich mir das schon eher vorstellen. Sprache könnte da vielleicht auch generell ein Problem sein, aber so weit bin ich noch nicht ins Landesinnere vorgedrungen.
- „Refer to people by either Mr., Mrs. or Ms. and their surname until invited to address them otherwise„. Diese Reisetipps sind entweder nicht für Finnland gemacht oder stammen aus dem späten Mittelalter. Ich habe nicht eine Person in Finnland mit Nachnamen angesprochen. Selbst Vorgesetzte nicht oder andere Personen die älter/jünger/schlauer/dümmer/reifer/reicher/toller als ich waren. Kann aber auch an meiner Firmenkultur liegen. Englisch ist Unternehmenssprache und damit gibt es schon mal kein „sie“. Jeder soll konsequent mit Vornamen angesprochen werden, auch wenn es der Vorstand ist. Soll Hierarchien und Kommunikationshürden klein halten. Und ja, es funktioniert!
- Richtig dagegen ist, dass es keine ein und zwei Cent-Stücke gibt. Wird alles auf 5 Cent aufgerundet.
- Übrigens: „Do not fold your arms as this may be interpreted as a sign of arrogance. It is impolite to carry on a conversation with your hands in your pockets.“ Richtig ist, dass Arroganz in Finnland nicht geht. Habe auch praktisch keine Arroganz erlebt. Aber laut eigenen Angaben haben Finnen keine Ahnung von Körpersprache und es interessiert sie auch nicht. Wenn die Arme verschränkt werden, dann ist dem Finnen einfach kalt.
Das Hotel war am Ende meiner Reise recht ausgestorben auf den Strassen war wenig los. Am Tag zuvor gab es Staus wie in Deutschland zur Osterreisewelle. Alle wollten weg. Das Büro war am Nachmittag schon leer. Nur ich war da und ein paar andere Versprengte ohne Verwandte oder Familie in der Nähe. Denn die Besucht man zu Mittsommer. Man zieht sich zurück, ins Mökki. Die Banken, Geschäfte, Supermärkte hatten geschlossen. Helsinki City war im Vergleich zu normalen Wochenenden eine Geisterstadt. Nur wenige Clubs und Bars hatten überhaupt geöffnet. Touristen zogen umher, der öffentliche Nahverkehr war eingeschränkt. Es soll dieses Jahr jedoch mehr los gewesen sein als sonst zu Mittsommer. Durch das regnerische Wetter am ersten Mittsommertag sind wohl einige in der Stadt geblieben.
Es ist super wenn man um halb 11 Uhr abends am Wasser mit einem Weinchen in der Hand und Sonne im Gesicht aufs ruhige Meer gucken kann und die Schiffe langsam vorbei ziehen. Der Himmel ist sehr weit in Skandinavien, die Luft ist klar und frisch und es ist insgesamt ruhiger und entspannter. Man hat auch mehr Raum. Platz ist eh der einzig wahre Luxus und das hat man dort oben begriffen. Finnland ist manchmal mit all der Ruhe und Relaxtheit plus einem kreativen und reifen Lebensgefühl nur schwer zu toppen.