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Dieser Artikel ist ein Leserbeitrag im Rahmen der Open-Spreeblick-Aktion.

Das Leben ist live

Was man vor, neben und hinter der Bühne erleben kann:

16. Februar 1991: Anlässlich eines erneuten Gastspiels der U.K. Subs haben sich 299 Punks und ich im Marburger KFZ versammelt. Nach einer Stunde 77er-Klassiker aus der Konserve taucht ein kleiner, alter Mann auf. Mit großer Mühe kämpft er sich durch die lederbejackten Horden, kassiert die eine oder andere hämische Bemerkung und jede Menge verächtlicher Blicke. Schließlich erreicht Charlie Harper die Bühne, greift zum Mikro, und das Konzert beginnt. 299 Punks glotzen dämlich. Ich grinse.

30. Oktober 1991: Die Pogues treten in der Offenbacher Stadthalle auf. Shane MacGowan ist nicht dabei, dafür der großartige Joe Strummer. Nach einem halben Akkord versuchen die Konzertbesucher, sich gegenseitig zu töten. Erste Erfolge stellen sich direkt vor dem Absperrgitter ein: Ich diffundiere Richtung Fotograben. Mein Leben zieht an mir vorbei (was zu diesem Zeitpunkt noch nicht besonders viel Zeit in Anspruch nimmt). Mit physischer Gewalt kämpfe ich mich durch den tobenden Mob. Atmen wird häufig unterschätzt.

27. Juni 1992: Mein einziges Ramones-Konzert dauert etwa anderthalb Minuten. Arm in Gips, keine Schmerztabletten mehr – den Fans ist der Grund für den Abbruch des Gigs reichlich schnuppe. Beim Versuch, die Bühne des Bizarre-Festivals in Alsdorf zu stürmen, werden sie von den Ordnern mit Eisenstangen verdroschen. Nicht schön, aber Punk. Schätze ich.

10. Juli 1993: Nochmal Bizarre, diesmal auf der Loreley. New Order spielen als Letzte, sind aber langweilig. Der Fahrer drängt zum Aufbruch. Aber niemand hört auf mich, weil Jule noch nicht am vereinbarten Treffpunkt ist. Schade eigentlich. Wir warten in der Dunkelheit auf das Ende ihres spontanen Schäferstündchens. Immerhin: Die Levellers, Helmet und Therapy? waren gut.

2. Mai 1997: Die Absoluten Beginner sind ein bisschen aufgeregt. Ihr Debütalbum läuft ganz gut, und nun stehen sie auf der Bühne im KFZ. Ich fotografiere. Ein kleiner Junge spricht mich an und stellt sich als Tourmanager vor. Er befiehlt mir, ihm die Fotos später zu schicken, damit er eine Auswahl treffen könne. Ich schaue auf ihn herab und schlage vor: „Oder ich fotografiere einfach weiter, und du verpisst dich.“ So machen wir es dann.

5. Juli 1997: Jan Eißfeldt ist sauer. Von der Schlossparkbühne aus schimpft der spätere Herr Delay auf etwas, das er „Oberhessenzeitung“ nennt. Diese habe ihren Drummer gedisst. „Er meint mich“, rufe ich fröhlich zurück. Schöner Tag.

12. Oktober 2000: Hätte ich Eintritt bezahlt, hätte ich schlechte Laune. Howe Gelb, Sänger und Gitarrist von Giant Sand, die mich einige Jahre zuvor an gleicher Stelle – im KFZ – begeistert hatten, hat zu viel von allem genommen. Statt zu singen und Gitarre zu spielen, fällt er lallend ins Schlagzeug. Clemens neben mir ist restlos begeistert, erzählt was von „Dekonstruktivismus“ und „Genialität“. Ich beschließe, mit beidem nichts anfangen zu können.

11. September 2001: Bernd Begemann spielt mal wieder im KFZ. Allerdings lieber „Die Apokalypse erreicht Borkhorst“ statt „Die witzige WG“. Zu Hause zu sitzen ist aber auch nicht besser. Die Welt geht unter. Gleich morgen.

23. Juli 2003: Andy „Falco“ Falkous schlägt sich das Mikro ins Gesicht. Als er anfängt, übel zu bluten, beenden Mclusky nach zwei Stunden ihr Konzert im Café Trauma. Kunst?

5. November 2008: „Richard“, ruft Sabine. „Kann der Markus vor dem Auftritt ein paar Fotos machen? Das ist ein netter, befreundeter Journalist.“ – „Soll kommen“, antwortet Richard Rogler. Der Anruf hat sich gelohnt. Das Kabarett-Urgestein (so nennt man seinesgleichen im Bratwurst-Feuilleton) ist ebenfalls nett. Hält still, will was über Marburg wissen. Baut mein Halbwissen ins Programm ein. Auch ’ne Idee: Gagschreiber.