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Dieser Artikel ist ein Leserbeitrag im Rahmen der Open-Spreeblick-Aktion.

Eine Ansichtskarte

Vorderseite einer Feldpostkarte aus Laupheim

Du bist gerade zwanzig geworden und jetzt hängst du hier fest. Am Arsch der Welt.

Du verstehst kein Wort von dem, was sie euch hier manchmal zurufen, aber das ist auch nicht notwendig. Sie hassen dich. Oder haben Angst vor dir. Oder beides.

Es schneit. Immerhin geht es dir gut, soweit. Auch wenn alles schmerzt. Du kannst kaum sagen, was schlimmer ist: Das tagelange, verkrampfte Warten in der Stellung oder die Nächte auf dem Feldbett, das den Namen Bett kaum verdient. Dein Rücken!

Aber immerhin du bist nicht verletzt. Oder tot. Wie dein Kumpel. Einfach erschossen, nur ein paar Meter neben dir. Eigentlich dachtest du immer, dass du hart im Nehmen bist, aber als gesehen hast, was noch von ihm übrig war, da…

Dabei hast du die letzten Monate eigentlich genug Leichen gesehen. In Straßengräben, hinter Mauern, auf Dachböden. Unter die Erde bringt die keiner mehr. Der Schnee deckt manche langsam zu.

Das Essen ist furchtbar und knapp. Wann du zum letzten Mal wirklich etwas mit Appetit gegessen hast, kannst du nicht sagen. Wenn du nach Hause kommst, soll dir Mutter die doppelte Portion Käsespätzle machen. Oder besser die dreifache. Mindestens. Und das Fleisch, was es morgen daheim geben wird. Sie werden doch trotzdem feiern, oder?

Es wird immer kälter. Die dicken Schneeflocken dämpfen alle Geräusche. Post wird verteilt. Dein Name fällt. Hier!, Heil!, wegtreten! Du schaust an, was du in den Händen hältst. Eine Ansichtskarte von daheim. Sie trägt den Titel »Haus des Laupheimer Scharfrichters«. Du drehst sie um und liest den Text. Dort steht:

Frohe Weihnachten!

Rückseite einer Feldpostkarte aus Laupheim


Ob es so zugetragen hat kann nur gemutmaßt werden. Die Feldpost hingegen ist echt. Bleibt zu hoffen, dass der Empfänger sie nicht so zynisch empfand, wie sie es aus heutiger Sicht ist.

Diese Ansichtskarte ist Teil des Lebenswerks meines Vaters, der seit über 25 Jahren historische Ansichtskarten aus seiner (und meiner) Heimatstadt zusammenträgt. Bei der Digitalisierung dieser Sammlung fallen uns regelmäßig Geschichten in die Hände, die uns staunen lassen.