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Wo sind die Richter?

Als „Identitätsdienst“ (identity service) sieht Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt also Google+. „Regierungen werden das verlangen“, so wird er im verlinkten Spiegel-Online-Artikel zitiert, und: „Einige Menschen sind einfach böse und wir müssen in der Lage sein, sie zu identifizieren und herunterzustufen“.

Das allein ist die ein oder andere Debatte wert, letztendlich führt es mich jedoch immer wieder zu einer Frage, die ich vor anderthalb Jahren bereits gestellt habe:

Wie kommt es, dass man einem Unternehmen anscheinend oftmals mehr vertraut als einer demokratischen Regierung nebst Kontrollinstanzen? Oke Göttlich formuliert es auf Google+ vortrefflich und wird daher ebenfalls im SpOn-Artikel zitiert:

Es sind also nicht die Regierungen, die das Netz eines Tages kontrollieren, sondern Firmen, die Menschen identifizieren und bewerten können. Aber wo sind die Richter?

Ich weiß, warum ich unserer Regierung in vielen Punkten nicht mehr über den Weg traue, und ich gehe davon aus, dass ich damit nicht allein bin. Ich bilde mir dennoch in unserem politischen System noch etwas mehr Transparenz und kontrollierende und regulierende Instanzen ein, als dies bei Unternehmen der Fall ist.

Wenn eine der Aufgaben von Politik sein soll(te), ausgleichend und fair zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen zu wirken, was passiert dann, wenn Politik diese Aufgabe nicht mehr nur nicht genügend wahrnimmt (wie es zur Zeit der Fall ist), sondern sie ob der Entwicklungen gar nicht mehr wahrnehmen kann? Sondern stattdessen auf die Daten von Unternehmen zugreifen könnte/ würde/ müsste, die wiederum geringer Kontrolle unterliegen und ihre Algorithmen im Safe aufbewahren?

Google, Apple, Facebook, wer-auch-immer als neue, selbsternannte Weltregierungen, per Klick gewählt von den Netznutzern, die ihre Daten abgeben und als Belohnung dafür kostenlose Online-Dienste erhalten?

Stoff für den ein oder anderen Roman. Und ein Grund mehr, ordentlich zu grübeln.

30 Kommentare

  1. 01
    ml

    „Entre le faible et le fort c’est la liberté, qui opprime, et c’est la loi, qui libère.“
    (Rosseau)
    Und genauso halte ich es: so sehr ich der Regierung (wer ist das eigentlich) misstraue, so sehr vertraue ich dem Gesetz, wissend das es unter den gegebenen Umständen auch aus Sicht der Regierung gemacht ist.

    Aber es zu unterhöhlen und sich hinzustellen mit dem Satz „Regierungen werden das von uns verlangen“ … zeigt den Gesetzesbrecher. Nichts gegen Google, Eric Schmidt spricht m.E. nur aus, was gedacht wird und was ja auch schon Praxis ist – Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Ich weiß, die Trommel die ich hier schlage wurde schon oft genug gerührt. Aber naja :)

  2. 02

    Schon abartig. Wir steuern auf Zustände zu, die es vor Jahrzehnten bereits in Romanen und Filmen als üble Fiction gab und das findet nicht mal im Geheimen statt, sondern völlig öffentlich.

  3. 03
    richard

    Was gibt es denn noch so für politisch unverdächtige Suchmaschinen?

  4. 04
    Michael

    ich persönlich bin da auf dem zugegebenermassen sicherlich kurzsichtigen standpunkt unternehmen wollen mein geld und das ist – heutzutage? – ein verständlicheres motiv als macht- und kontrollzwänge in der politik, deswegen bin ich eher bereit gegenüber einem unternehmen offen zu sein als gegenüber einem staat. aber ja kontrollinstanz der unternehmen können nur staat und medien – zusammen zivilgesellschaft – sein bis uns was besseres einfällt.

  5. 05
    Fufu

    @ Michael – umgekehrt wird ein Schuh draus. Der Staat hat eine Legitimation manche Daten über seine Bürger zu kennen. Die Wirtschaft nicht.

    Wenn du sie dennoch freiwillig zur Verwertung preis gibst dann ist das deine Sache. Kritisch wird es nur wenn Firmen heimlich Daten sammeln ohne wissen der Bürger. Sowas gehört massiv bekämpft, egal wo udn egal wie sie das tun. Das umfasst alles, von der Schufa bis zu Facebook. Nicht umsonst hat der Staat hier eine Auskunftsplicht eingeführt.

  6. 06

    Lieber J.H.,

    bin mir nicht sicher wo der schwarze Peter hingehört.
    Ist es vordergründig der Betreiber der Seite, welcher,
    soweit zumutbar, Löschungen/Zensuren vornimmt?

    Oder geht es so weit, dass der Staat mittels Gewalt
    alles kontrollieren will was sich ein Neunmalkluger
    Beamter im höheren Dienst ersonnen hat.

    Lieber Fufu
    Du wirst es mir nicht glauben wollen, aber ich muss

    (Sollte ich der Auskunftspflicht nicht nachkommen,
    droht man mir mit Sanktionen bis hin Zwangshaft)

    alle drei Monate (Quartal) immerzu die selben An-
    gaben zu den pers. Wohnverhältnissen angeben.

    Werde mich beschweren.

  7. 07

    Hier mal ein standpunkt der ziemlich gut beschreibt wieso weniger google, fb und co das problem sind, sondern die regierungen:

    http://blog.spackeria.org/2011/08/28/datenschutz-als-falle/

  8. 08

    Ich mache mir kaum Gedanken über die „Macht“ von Google, Facebook, Apple und Co, weil ich einfach aufhören kann sie zu benutzen, wenn mir ihr Gebahren nicht mehr gefällt. Das geht mit unserem Staat leider nicht so einfach.

    Deshalb finde ich es alamierend, wenn mich Gesetze einschränken könnten und zucke nur leicht mit der Schulter, wenn Google z.B. Anonyme User verbietet und Apple es mir nicht erlaubt meine Musik einfach so vom iPhone herunter zu kopieren.

    Ich nutze das Internet intensiv und es würde mir schrecklich fehlen, wenn es morgen nicht mehr da wäre. Aber es kommt nicht mal annähernd an den Stellenwert heran, den unser Staat für unser tägliches Leben hat.

  9. 09

    Ein guter Artikel, vor allem dieser Abschnitt „Ich weiß, warum ich unserer Regierung in vielen Punkten nicht mehr über den Weg traue…“ bringt das Problem für mich auf den Punkt.
    Btw: Mich würde interessieren, wie viele Menschen in diesem Fall nach „Regulierung!“ rufen, die bei sonstigen staatlichen Eingriffsversuchen „Netzfreiheit!“ brüllen. Aber das nur am Rande.
    Wie die „datenschutzkritische Spackeria“ im verlinkten Artikel gut darstellt, sind die „Feindlinien“ verschoben und es wird nicht einfacher, sich vor Datenabgriff zu schützen. Ich denke, die größten Konzerne machen das Netz mittlerweile zu einem schwarzen (Daten-)Loch, was alles abgreift, was es in die Hände bekommen kann.
    Und wir User tragen aktiv dazu bei (Stichwort: „Like“-Button).
    Allerdings verharmlost der Spackeria-Artikel meiner Meinung nach ein wenig das Problem der Datenverwertung durch FB & Co. Für den Schreiber ist das Feindbild klar der Staat und die Argumentation, vordergründig den Bürger zu schützen, aber hinter seinem Rücken die Daten zu sammeln, beschreibt zwar die Feststellung zweier Fakten, die korrelieren, aber meines Erachtens nicht unbedingt kausal und in dieser Weise zusammenhängen müssen.
    Zwar sehe ich z.B. die Vorratsdatenspeicherung auch sehr kritisch, aber FB & Co. könnten weit mehr mit Datensammlungen anstellen als nur personalisierte Werbung zu schalten. Um Existenzen zu ruinieren, braucht es nicht unbedingt staatliche Machtinstrumente.
    Und das Primat der Politik gilt ja schon lange nicht mehr, sie rennt ja den Entwicklungen im Netz eher etwas hilflos hinterher.
    Insofern fände ich die Einhaltung einer Datenethik sehr sinnvoll… Aber im Extremfall könnte eine Währung verlorengehen, die bis jetzt funktionierte. Daten gegen Angebot.

  10. 10

    Sicher: Man muss weder Google noch Apple nutzen, im Gegensatz zur Regierung hat man eine freiere Wahl. Aber wie lange noch? Trifft nicht auch online die Mehrheit die Wahl für alle? Man muss Facebook nicht nutzen, da sich aber sehr viele Leute auf den Dienst geeinigt haben, ist man geradezu sozialer Außenseiter, wenn man sich FB verwehrt. Für meine heranwachsenden Jungs ist Facebook (im Moment, das kann sich ändern) eine völlig klare Sache, denn da sind alle ihrer Freunde. Es gibt keine funktionierende Alternative.

    Gleiches gilt für Google, allein schon die Tatsache, dass die Suchmaschine Nummer Eins nur einen Bruchteil des Netzes abbildet, ist bedenklich. Und so weiter…

  11. 11
    hendrik

    Dies ist ein „Stimme zu“-Button. Klick.

    :)

  12. 12
    Petra

    Zu Ende gedacht ist das Dilemma ein moralisches.

    Einfach: Ich misstraue an erster Stelle globalen Konzernen mit dem Ziel Aktionäre glücklich zu machen!

    Doch nicht einfach: Was, wenn ich selbst solche Aktien habe (oder wahlweise ein Konto bei einer Bank)?

    Freiheit und Gesetze sind für manche Gegensätze :)

    Je globaler die Möglichkeiten der Firmen und der einzelnen Menschen werden, desto wichtiger werden globale Verabredungen darüber, was richtig und falsch ist. Verabredungen darüber, wo die Grenzen sind. Grenzen für einzelne Menschen, für Firmen, für Organisationen oder Staaten. Steiniger Weg, aber da führt nichts dran vorbei.

  13. 13

    Wir müssen uns alle im Klaren darüber sein, dass die Antworten auf deine richtigen Fragen immer eine Regulierung des Netzes durch die Politik bedeuten. Markt-Regulierung (die es heute schon gibt) und Netz-Regulierung, die kommen wird. Auch die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität wäre eine regulierender Eingriff, um ein weiteres Tangenten-Thema einfach mal so einzustreuen.

    Mir ist bei diesem Thema nur wichtig, dass uns der permanente Ruf „Politik, Finger weg vom Internet!“ und alles Aufschreien nicht weiterhilft, wenn wir uns genau diesen, von dir beschriebenen Fragestellungen widmen wollen. Wichtig ist nur, dass Regulierungen gestalten werden müssen – und dazu braucht es auch kompetente Richter. Uns alle, in unserer Kompetenz-Klamotte.

  14. 14

    Das Problem sehe ich durchaus, halte es aber für einen jetzt schon halbvergammelten und morsch und brüchigen Holzweg, die staatliche Regulierung dagegenzusetzen. Nationalstaaten sind allen wesentlichen Belangen gerade an ihre Grenzen gestoßen und in der bisherigen Form ein Auslaufmodell, vor allem was den Bezug zum Internet angeht.

    Stattdessen müssen wir die Politik direkt in die Konzerne und deren Plattformen hereintragen. Dort spielt jetzt nämlich die Musik. Dafür muss man aber erstmal aufhören die Unternehmen per se als den Feind zu begreifen, sondern als Verhandlungspartner in die Pflicht nehmen.

    Ich weiß, dass das sicher nicht leicht ist, aber ich sehe diese Prozesse bereits an ihrem Anfang. Es gibt nur leider noch keine Strukturen und Institutionen der Nutzerbeteiligung, aber das kann sich ja ändern. Und das muss sich auch ändern. Und weil es auch im Interesse der Plattformbetreiber ist, dass ihr Handeln gegenüber der Community legitimiert wird, wird es sich auch ändern.

  15. 15

    @#792650: Ein schöner Satz „Stattdessen müssen wir die Politik direkt in die Konzerne und deren Plattformen hereintragen.“ Aber was meint er?

  16. 16

    @mspro: Viel Spaß beim „Politik direkt in die Konzerne“ tragen – und viele Grüße an die „Türsteher“ des Unternehmens. Die Konzerne werden dir was husten, da du ihr Geschäftsmodell einschränken möchtest.

  17. 17

    @Mathias Richel – mach doch die Augen auf. Es gibt Leute, Aktionen und zivile Kampagnen, die sich an das Gebaren von Plattformen richten. Und sie werden gehört (was natürlich nicht heißt, dass sie 1 zu 1 umgesetzt werden, aber sie werden zunehmend ernst genommen). Das heißt, es gibt bereits Politik auf diesen Plattformen. Was fehlt sind Strukturen und Institutionen. Nutzerrat oder Nutzerparlament finde ich zu kurz gedacht, aber da sind sicher einige Optionen offen.

  18. 18

    @#792719: Und bis dahin? Bis alle Utopien greifen, besser die bestehenden Strukturen links liegen lassen? Legislative, Exekutive und Judikative ausklammern, bis Spackeria und Datenschutzarmee ihren Sieger ernannt haben? Ich kann mich irren, aber ich glaube, dass es dann mindestens zu spät ist …

    Ich kenne übrigens nur einen Fall, in dem sich Google bisher der Mehrheitsmeinung der Nutzer gebeugt hat – beim eindampfen von Google Wave. Hat nämlich keine Sau genutzt, hat deshalb dem Konzern nichts gebracht.

    Bei den ganzen Nutzerprotesten, Beschwerdepostings und den vielen Blogbeiträgen, die von so vielen geplust wurden, in denen es um die Klarnamenspflicht bei Google ging, hat sich das Unternehmen keinen Inch bewegt. Im Gegenteil, mit Statements, wie dem von Johnny zitierten, haben sie diese Pflicht inhaltlich sogar noch verschärft.

    Der Konjunktiv bringt uns nicht weiter. Ich bin nicht überzeugt.

  19. 19

    @mspro: Also so etwas wie eine Nutzer-Gewerkschaft?

  20. 20
    gis

    Ja, Johnny, aber trotzdem sind sie da, die Twitter-, Facebook-, +1- und anderen Buttons.

    Faust in der Hosentasche ein bisschen geballt und gebloggt – bringt schliesslich Traffic …

  21. 21

    Die von Johnny angesprochene Mehrheitsentscheidung hängt ausschließlich am Vorhandensein von offenen Standards und Federation (Vernetzung von Systemen).

    Beispiel 1 (offene Standards): Es interessiert mich einen Dreck, welche Email- oder Jabber-Clients andere Leute benutzen, weil die Protokolle sowohl offen spezifiziert, als auch ohne Einschränkungen benutzbar sind (fehlt eines, klappt es nun einmal nicht). Gleiches gilt in weiten Zügen für Webbrowser. Skype hingegen geht nur mit dem Skype-Client. Das Protokoll ist geheim. (Drin bevor: „Oh Hilfe, Spam.“. Billiges Drecksargument, das auch schon beim App Store nicht hält.)

    Beispiel 2 (Federation): Facebook benutzt XMPP (das Jabber-Protokoll) und kann meines Wissens nach mit einem Jabber-Client wie etwa Adium benutzt werden (korrigiert mich, falls ich falsch liege). Im Gegensatz zu GMail, Web.de, jabber.ccc.de ist es aber absichtlich nicht interoperabel – ich kann keine Nachricht an Facebook-Accounts schicken.

    Die von mspro geforderte Nutzerbeteiligung verkennt, dass der Code der Plattformen deren eigentliche Gesetze macht (Lessig) – kein Verhaltenskodex kann ihn nachhaltig übersteuern.

  22. 22
    Nerd

    Drei Punkte:

    1. Die Motive eines Unternehmens sind um Größenordnungen transparenter als die Motive des Staates. Was wollte Zensursula? Was um Himmels Willen will Ziercke? Die Motive der ausführenden Organe und der Menschen darin sind noch undurchschaubarer. Wer erinnert sich an den englischen Beamten, der seine Frau auf die No-Fly-List gesetzt hat?

    2. Ich muss weder bei Google+ noch bei Facebook Mitglied werden. Und tatsächlich bin ich es auch nicht.

    3. Auch bei der absurden Machtkonzentration bei Google und Facebook, kann auch ein derart großes Unternehmen von heute auf morgen weg vom Fenster sein. Und das wissen die auch. Aber wie würde man ein VDS-Gesetz wieder loswerden?

  23. 23

    ‚Facebook-Führerschein‘

    In letzter Zeit wird auf nahezu allen zu lesenden Medien darauf eingegangen.
    J.H. behauptet, dass seine Jungs mehr oder minder genötigt sind sich in dem
    Usability zu behaupten. Ob das notwendig ist entscheidet der Fortschritt.

    Um mit den Fachjournalisten in ein Horn zu blasen:

    Eltern haften nicht für ihre Kinder, sie sind verantwortlich.