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Telecomix: It’s all about fun

Vorwort der Redaktion: Der folgende Text stammt von Stephan Urbach, der bereits im Rahmen der Aktion „Open Spreeblick“ unser Gast war. Im Folgenden gibt Stephan einen Einblick in seine Aktivitäten bei Telecomix. Links folgen unten im Text, hier gibt es noch ein Interview mit Stephan und hier einen Chaosradio-Podcast zum Thema .

telecomix SyriaIrgendwann um 8:30 wache ich das erste Mal auf. Will eigentlich noch schlafen. Eine viertel Stunde später höre ich meinen Mitbewohner in der Küche. Der erste Kaffeeduft landet in meiner Nase. Irgendwann später schaffe ich es aus dem Bett. An meinem Platz in der Küche steht frischer Kaffee und ich schalte meinen Laptop ein. Email, Jabber, diverse SSH-Verbindungen. Die Nachrichten der letzten Nacht flackern über meinen Bildschirm. Eigentlich will ich duschen. Die ersten Anrufe trudeln ein. Die Handwerker müssen das Bad noch fertig machen, ich gebe ihnen einen Termin. Das Arbeitsamt will mich sehen. Ich vertröste sie auf die folgende Woche. Zu spannend, was da grade in meinem IRC Fenster passiert. Einer unserer syrischen Kontakte hat von der letzten Demo ein Video gemacht, um 11 Uhr ist es hochgeladen und verbreitet sich im Netz. Der Kaffee ist kalt. Egal, austrinken und eine Mate hinterherschütten.

Um 11:30 habe ich mein erstes Telefonat mit Journalisten – ich biete ihnen an, einen unserer syrischen Kontakte zu interviewen. Zwei sagen zu. Ich erkläre ihnen am Telefon, wie sie sich dann zum passenden IRC-Server verbinden und wie das funktioniert. Der Chefredakteur einer Zeitung bittet mich, ihm E-Mailverschlüsselung zu erklären. Irgendwo habe ich doch eine Anleitung, ich muss sie nur finden. Ich stelle fest, dass ich durchaus streng rieche. Also, ab, unter die Dusche. Das wollt ich eigentlich schon nach dem Aufstehen machen.

Jemand, es könnte mein Mitbewohner sein, stellt mir gegen 13:30 was zu Essen hin. Stimmt, Hunger hab ich auch. Seit Stunden untersuchen wir ein Problem mit Verschlüsselungen und gefälschten Zertifikaten. Mails gehen hin und her, die Runde wird größer. Chats, Telefonate und Emails mit Google, Facebook und anderen Anbietern werden geführt. Das ist für Syrien kritische Infrastruktur. Um 15:40 klingelt das Telefon. Ich habe einen Termin vergessen, verschiebe ihn auf morgen und entschuldige mich langatmig. Meine Freunde sind es ja bereits gewohnt. Leider.

Um 18:00 Uhr sind 15 Leute beteiligt, die sich in diesem Moment als Mitglieder der Aktivistengruppe betrachten. Übrig bleiben werden die, die schon immer dabei sind. Ich entscheide mich, mit ein paar Leuten ein Bier zu trinken.

Um 21:15 ruft mich eine Twitter-DM zurück an den Rechner. Ein VPN Server ist abgeschmiert – meiner. Muss repariert werden. Ich nehme mir vor, endlich weiteren Aktivisten Zugriff zu geben. Muss ich mal machen. Wirklich. Irgendwann. Um 22:05 rennt die Kiste wieder, ich mache Meldung im IRC. Der Traffic steigt und ich bin glücklich. Da tauchen wieder die nächsten Probleme auf – ein Kontakt ist verschwunden. Wir machen uns Sorgen, schauen, ob er irgendwo Spuren hinterlassen hat, die ihn verraten. Nein, wir finden nichts. Wurden wir kompromittiert? Sind wir aufgeflogen? Müssen wir uns um uns Sorgen machen? Wir finden, dass wir das nicht müssen.

Um knapp halb eins beantworten wir die Mails verschiedener Pressevertreter. Ob wir Interviews geben, ob wir mal vor laufender Kamera was hacken können. Als ob wir Hacker wären. Ein Dokumentarfilmer möchte mit uns wegen eines Films über Anonymous sprechen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele das schon gefragt haben. Ein Radio wollte uns live vor ein paar Stunden in der Sendung interviewen. Leider brauchen wir dafür Vorlaufzeit und können nicht einfach mal so schnell in eine Sendung springen. Heute hat das mit den Mails lesen und beantworten nur eine Stunde gedauert. Wie schön.

Um halb zwei suche ich unserer Küche nach Essbarem ab, haue mir das Zeug in die Pfanne und öffne die letzte Mate. Während des Essens, es ist kurz nach zwei, lese ich weiter in meinen IRC Logs – Jabber Fenster blinken hektisch. Eigentlich habe ich nur Augen für eines davon – ihres. Wenn ich mal Zeit habe, fahre ich sie besuchen. Auf einen Kaffee oder so. Sie wohnt vier U-Bahn Stationen entfernt – wann soll ich das denn machen? Mein Flugticket nach Schweden kommt per Mail rein – da war ja auch noch diese Konferenz. Das Innenministerium hat geladen, ich lese nochmal schnell die Zusammenfassung zu meinem Talk „Revolutions from the Couch“ durch. Entscheide mich aufzuhören. Mal wieder. Teile es den anderen mit. Mal wieder.

„Wir sind kleine Räder in der Maschinerie der Revolutionen“ schallt es durch den IRC Channel. Von allen Ecken. Wir sind in einer tiefen Sinnkrise. Ausgebrannte Aktivisten säumen unserern Weg. Die Nerven liegen blank. Ich bin seit 20 Stunden wach. Wir motivieren uns mit Durchhalteparolen – weitermachen, um jeden Preis. Unser Opfer ist nichts gegen das der Menschen auf der Straße. Unsere Freunde sind da draussen, bereit, sich für den nächsten Protest zu formieren und vielleicht nie wieder heimzukehren. Es ist 4:30 – ich gehe ins Bett und bin immer noch ein Teil der Aktivistengruppe.

„It’s all about fun!“ Mit einfachen Worten wurde ich zu diesen Aktivisten gelockt. Wer will das nicht? Spaß haben und dabei vielleicht noch was bewegen. Seit Januar arbeiten wir an verschiedenen Fronten, dabei bin ich schon länger. „Wir“, dass sind die Aktivisten, die zu „Netzerbauern“ hoch geschrieben wurden. Wir haben doch nur das getan, was getan werden musste. „We rebuild“ ist unser Slogan. Ja, wir bauen neu, mit viel Spaß an der Sache. Wir haben die schwedischen Jungen Piraten getrollt, ein paar europäische Parlamentarier ebenso und haben generell viel zu lachen. Halt. Hatten. Bis Februar 2011.

Denn da wurde Ägypten plötzlich vom Netz genommen. Einfach so. Naja, was heißt einfach so. Die Revolution war in vollem Gange und Internet ist das Letzte, was der lokale Diktator zum Machterhalt gebrauchen kann. Aber weil wir daran glauben, dass jeder einen Zugang zum Internet haben dürfen muss, legten wir diesen, mit piepsigen Modems. Wir gaben denen, die danach verlangten, das, wovon wir glauben, dass es ein Menschenrecht ist. Und auch wenn wir vielen nicht helfen konnten, haben wir zeigen können: Wir sind nicht alleine. Wir wollen frei sein. Wir werden kämpfen. Wir sind überall.

Wichtig ist das. Doch sich mit lokalen Diktaturen rumzuärgern ist nicht wirklich Spass. Schlafmangel und hohe Konzentration sind nicht förderlich, wenn man wieder was zu lachen haben will. Viele von uns haben nicht aufgepasst und ihr Leben dreht sich nur noch um den Aktivismus, um die Sache. Einige bekommen mit, wie das Aktivstenleben so abläuft – in Stücken, Fragmenten. Ich schreibe diesen Blogbeitrag nicht, um Mitleid zu erhaschen, denn schnell kann man auch in Selbstmitleid abdriften. Ich habe dieses Leben so gewählt. Freiwillig. Und ich tue es gerne und voller Stolz auf das, was wir geleistet haben.

We are from the internets. We come in peace. Let there be freedom for all people and computer.

Wir sind Telecomix – und eigentlich haben wir geschlossen.

Mein Name ist Stephan Urbach und ich bin ein Telecomix Agent.

Mit freundlicher Hilfe von Julia Schramm und Klaus Peukert, welche Mängel in Formulierung und Struktur ausgemerzt haben.

6 Kommentare

  1. 01
    Feuertinte

    Hi Herrurbach, ein sehr schöner Text. Es ist kein Wunder, dass die Presseleute dich alle sprechen wollen. Du hast was zu erzählen, was uns alle bewegt.
    Aber wenn du nicht bald mal ne Woche Urlaub machst, dann nÜtzt du bald keinem mehr und hast dich ruiniert.
    Also los jetzt: Aus herurbach muss herrurlaub werden. Du hast nicht nur Verantwortung für andere, sondern auch für dich.

  2. 02
    Grumpy

    Und was wahrscheinlich wieder niemand bemerkt oder verstanden hat: it’s all about fun bedeutet in diesem fall auch, dass herrurbach das für lau macht – wahnsinn <3

  3. 03
    dopey

    wow, respekt. ihr habt einen unterschied gemacht!
    oder: you made a difference! ;)

  4. 04

    Sehr geehrter ‚Herr Urbach‘,

    schön, dass Sie sich die Zeit nehmen können.

    Alles Gute

  5. 05
    pinselpoet

    HEY Herr Urbach,
    habe Sie mal ein wenig über das Netz verfolgt und einiges Ihrer, HUTAB – Aktivitäten gelesen. Bitte weitermachen. In einem anderen Bericht habe ich gelesen, dass Sie aufhören wollen.
    Menschen wie Sie sind wichtig für die die tägl. Ihr Leben riskieren und eine neue Welt in Freiheit.