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Wie ich Berliner Bürgermeister wurde

Eine etwas längere Kurzgeschichte von Gastautor Björn Braune.

Es begann alles im Frühjahr 2009. Ich lebte zu der Zeit in Berlin und es war ein recht kalter Winter, der zur Freude aller endlich zu ende ging. Wie das eben so ist, wenn das Eis schmilzt, dann tauen auch Dinge auf, die besser gefroren bleiben sollten. Dieser Winter war besonders lang und besonders kalt gewesen, deswegen hatten sich außergewöhnlich viele Exkremente angesammelt. In einer Stadt wie Berlin gibt es einfach viele Hunde, die sich überall in der Stadt erleichtern. Im Sommer ist das schon ärgerlich, aber im Winter, wenn der Regen nichts wegwaschen kann, dann sammeln sich Unmengen von Hundehaufen an. Eine Zeitbombe, die mit olfaktorischer Wucht im warmen Frühling explodiert und den Blütenduft um eine würzige Note erweitert. Doch nicht genug damit, dass es stinkt, dass man sich den Dreck unter den Schuhen mit in die Wohnung trägt, macht das Ganze noch unerfreulicher. Da fasste ich den Entschluss: So kann es nicht weiter gehen!

Der erste Schritt bestand darin, die Haufen zu markieren – nicht nur um zu vermeiden, dass man hineintritt, sondern vor allem, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Da ich damals arbeitslos war, also viel Zeit hatte, bastelte ich aus dünnem Draht und roten Plastikfetzen kleine Kotfähnchen, die ich dann nach und nach Tausendfach an den entsprechenden Gefahrenstellen anbrachte. Nach einigen Monaten war mein Erfolg nicht mehr zu übersehen, und als wäre es eine Kunstaktion vom Reichstagsverhüller Christo, tanzten die kleinen Fähnchen anmutig im Wind. Die Menschen wurden auf mich aufmerksam, man grüßte mich freundlich, ich gab Interviews für Zeitungen und sogar für das Fernsehen. Der Bürgermeister versprach mir öffentlich seine Unterstützung, woraufhin die Stadt mir ein Fahrrad samt der stattlichen Anzahl von 10.000 Fähnchen zur Verfügung stellte. Das war schon recht beeindruckend, aber ich wollte mehr. Die Stadt sollte vom Hundedreck befreit werden und ich hatte dafür auch schon die Lösung.

Meine Idee setzte an einer Stelle an, die noch niemand vorher bedacht hatte. Vor allem sollte das Ganze nicht nur die Stadt reinigen und die Menschen glücklich machen, es sollte mich auch zu einem reichen und geachteten Mann machen – beides Dinge, die mir bisher schmerzlich verwehrt geblieben waren. Es war eine revolutionäre Idee von großer Tragweite, so einfach, dass es schon wieder fast lächerlich war. Aber ich mache es kurz, es ging um das Futter. Ja, um dem Hundekot Herr zu werden, musste man einfach beim Futter ansetzen. Bei meiner Methode mit den Fähnchen war mir nämlich ein großer Haken aufgefallen, den ich nicht wirklich zufriedenstellend hatte beheben können. Tagsüber konnte man die Fähnchen zwar sehen, doch Nachts nützte dieser Schutz rein gar nichts. Ja, unter Umständen konnten die kleinen Drahtfähnchen sogar zu einer gefährlichen Stolperfalle werden. Kleine Lämpchen oder ähnliches waren ungeeignet und zudem auch noch teuer – von der Umweltbelastung mal ganz abgesehen. Nun hätte ich die Plastikfetzen mit fluoreszierende Farbe bestreichen können, doch dann kam mir im wahrsten Sinne des Wortes die Erleuchtung: Es muss strahlen! Genau das war es: fluoreszierende Hundehaufen! Wie das geschehen sollte? Nun, das war nicht ganz einfach… ich experimentierte eine Zeit lang herum – schließlich sollte das Ganze ja nicht giftig sein – und hatte mit einem Extrakt aus Glühwürmchen Erfolg. Wie sich herausstellte, ließ sich deren Leuchtfähigkeit vollkommen gefahrlos und ohne die Käfer millionenweise zu töten künstlich reproduzieren. Das Ergebnis war eine fluoreszierende Farbe, die tagsüber unsichtbar, nachts aber von extrem großer Leuchtkraft war. Jetzt denken Sie wahrscheinlich, dass ich die Haufen alle angepinselt hätte, und ich muss zugeben, am Anfang hatte ich den Gedanken, doch wie gesagt, meine Idee war viel größer!

Durch meinen mittlerweile recht großen Bekanntheitsgrad, der mir ein kleines Einkommen und die Unterstützung diverser dankbarer Bürger einbrachte, gelang es, den Kontakt zu einer großen Hundefutterfabrik in Berlin herzustellen. Es bedurfte einiger Zeit, um das Management von meiner Idee zu überzeugen, die schließlich sehr ungewöhnlich war und die Gefahr einer Schädigung der Marke nicht auszuschließen. Im Erfolgsfalle aber wäre es die einzige Hundefuttermarke, deren Abfallprodukt sogar bei Hundehassern Freude hervorrufen würde. Man einigte sich also mit mir auf eine Testreihe. An dieser Stelle wurde es etwas schwierig, weil mir diverse Tierschutzorganisationen immer wieder Tierversuche vorwarfen, aber ich bestehe bis heute darauf, dass kein Hund jemals Schaden genommen hat – weder bei diesen Versuchen, noch später irgendwann! Und der Erfolg war unglaublich!

Nicht nur, dass die Hundehaufen nun nachts hell leuchteten – sie hatten ja den ganzen Tag Zeit, sich aufzuladen – sogar die Hunde leuchteten im Dunkeln. Natürlich nur, wenn sie voll waren. Das war ein Segen für die Hunde, denn im Dunkeln fielen sie so mehr auf und die Zahl der Unfälle ging deutlich zurück. Aber auch die Hundehalter waren begeistert, denn wenn der Hund leuchtete, wussten sie, dass er raus musste, um sein Geschäft zu erledigen. Was soll ich sagen – nach einem erstem Zögern der Hundebesitzer stellte sich – auch dank einer phänomenalen „Scheiß-Werbe-Kampagne“ ein unglaublicher Erfolg ein! Es war übrigens das erste mal, dass ich dieses derbe Wort verwendete, doch es war nicht zu meinem Schaden. Und ohne das ich es beabsichtigt hatte, löste ich gleich noch ein zweites Problem: Die umweltschonende Beleuchtung von Parks und Grünanlagen war erfunden! Vollkommen CO2-Neutral, biologisch produziert, in endlosen Massen vorhanden, billig und das Ganze wurde auch noch freiwillig dort verteilt, wo es hinsollte. Es war unglaublich! Ich wurde als der Retter der Menschheit gehandelt – was mir zwar schmeichelte, doch in diesem Punkt wollte ich bescheiden bleiben. Ich hatte mich und meine Mitmenschen ja vor nur dem erbärmlichen Gestank und Dreck retten wollen. Und das – so muss ich leider zugeben – war mir immer noch nicht gelungen. Ich war zwar Reich und geachtet, aber meine Erfindung drohte sich sogar gegen mich zu richten, denn schon hatte man Pläne, entlang der Straßen extra Zonen einzurichten, in denen die Hunde ihr Geschäft verrichten sollten. So wollte man auch die Straßenbeleuchtung sparen, ja sogar über die Verwendung in U-Bahnhöfen und öffentlichen Gebäuden dachte man nach. Das stank mir gewaltig und ich hielt es – wie Sie sich denken können – für eine ausgemachte Scheißidee. Damit war ich glücklicherweise nicht alleine. Doch die Vision einer gigantische Hundekackelichtarmee nahmen immer mehr Gestalt an, so dass ich Handeln musste.

Es war das Jahr 2011 mein Wort hatte mittlerweile recht großes Gewicht und auch mein Vermögen war dank der wunderbaren Erfindung auf eine stattliche Größe angewachsen. Doch um wirklich etwas zu bewegen, fehlte mir einfach das entsprechende Amt. Meine Berater, die ich mir inzwischen leisten konnte, rieten mir, als Bürgermeister zu kandidieren – schließlich wäre ich ein wirklich verdienter Bürger dieser Stadt, hätte für Berlin und alle anderen Menschen Unglaubliches geleistet, und da wäre ein politisches Amt doch naheliegend. Es stellte sich die Frage, ob ich dazu einer Partei beitreten sollte, doch so sehr mich alle als guten Menschen und aufrechten Bürger schätzten, so wenig wollten sie auch mit jemandem zu tun haben, der sein Leben dem Hundekot gewidmet hatte und ihm allen Erfolg verdankte. Ich war – dieser Wortwitz wurde überall gemacht – anrüchig. Das war doch verletzend – zumal ich wenigstens von den Grünen erwartet hätte, dass sie mich wegen meiner Verdienste für die Umwelt als Kandidaten akzeptieren würde. Doch bei Scheiße hörte der Spaß auf, bei allen. Es mag an der braunen Farbe der Exkremente gelegen haben, die in Verbindung mit einem politischen Amt alte Erinnerungen wachrief. Ich aber hielt das für weit hergeholt und eine gemeine Diffamierung. So bleib mir nichts anderes übrig, als mich parteilos als Bürgermeister zur Wahl zu stellen.

So sehr ich auch gefürchtet hatte verspottet zu werden, um so mehr wurde ich für meinen Mut belohnt: Die Menschen der Stadt feierten mich, nahmen meine Kandidatur mit Euphorie auf, und bald erreichten meine Prognosen in allen Umfragen schwindelerregende Höhen. Es schien den Menschen Freude zu bereiten, dass „Einer, der sich um Scheiße kümmert“, in die Politik geht (Meine Wahlslogans waren simpel, aber genial!). Bei aller Kritik von Seiten der Politiker wurde ich von den Bürgern immer wieder ermutigt und für meine Ehrlichkeit belohnt. Denn gemeinhin assoziierten die Menschen Politik mit Kot und das ich keinen Hehl daraus machte, kam hervorragend an. Natürlich brauchte ich auch in den anderen Bereichen, die nichts mit Exkrementen zu tun hatten, ein Wahlprogramm, aber das hatten meine Berater schnell im Griff – das war ja nichts neues und die Methoden schnell etwas derartiges zu erzeugen war ja bereits aus anderen Parteien bekannt. Da war es keine große Sache, um die ganze Scheiße ein Wahlprogramm zu stricken – ja, selbst dieser Wortwitz kam bestens an! Endlich konnten die Menschen mit voller Überzeugung sagen: „Ich wähle Scheiße!“. Es schien wie eine Erlösung zu sein. Man erwartete nichts mehr – außer dass ich mich weiter um die Hundescheiße kümmerte – aber das verstand sich ja von selber bei meiner Geschichte.

Der Wahlkampf ging in die heiße Phase, doch immer wenn es die Zeit zuließ, arbeitete ich mit Hochdruck an der neuen Erfindung für die Lösung des Problems. Denn der nächste Schritt sollte noch größer und noch revolutionärer sein als der letzte. Mich beschäftigten immer noch zwei Dinge: Der Geruch und die Entsorgung der Haufen. Dass sie leuchteten war willkommen, doch in der Funktionalität musste das Ganze wesentlich weiter gehen. Dank meiner politischen Aktivitäten verfügte ich über eine Vielzahl von Kontakten in die Wirtschaft, zu Pharmaunternehmen und vor allem zu Unternehmen aus dem Bereich der Biotechnologie. Diese, so hatte ich beschlossen, würde ich jetzt nutzen. In einem streng geheimen und gut bewachten Labor einer dieser Firmen experimentierte ich mit hervorragend ausgebildeten Forschern an einer neuen Variante des Hundefutters, dass nicht nur leuchten, sondern sich neben diesem Nutzen auch noch selbsttätig entsorgen sollte. Nach vielen misslungenen Versuchen kam uns bei einem Arbeitstreffen die Idee Gentechnik zu nutzen. Auch wenn dieser Bereich der Wissenschaft verrufen war, so war unser Credo: Ohne Denkverbote an die Sache herangehen und eine Lösung finden! Allerdings wuchsen auch meine Belastung ins Unermessliche, ständig hetzte ich zwischen Terminen, Labor, Interviews, Hundeshows und Bürgern hin und her, so dass ich einen Großteil der Entwicklungsarbeit meinen Mitarbeitern überlassen musste.

Wie vorhergesagt und von allen Statistiken prognostiziert, wurde ich mit meiner eigens neu gegründeten Scheißpartei am Sonntag, dem 18. September 2011 mit überwältigender Mehrheit gewählt, man sprach nicht mehr vom Erdrutschsieg, sondern von der Kotlawine, die alle anderen Parteien hinweggefegt hatte! An dem Tag meines größten Triumphes sollte es noch besser kommen, denn die Forschungen waren abgeschlossen. Noch auf der Bühne, kurz nach meiner Siegesansprache demonstrierte ich die neue Errungenschaft. Ich kündigte die Vorstellung an und wartete, bis es ganz still im Saal war. Die Techniker dämmten das Licht und dann wurde ein Hund auf die Bühne geführt, der bereits leuchtete. Alle wussten: Er ist voll, gleich wird er sein Geschäft machen. Doch die große und spannende Frage war: Was dann? Leise tuschelten die Zuschauer, der Hund kratze sich nervös hinter dem Ohr, machte einen kleinen Winsler und erst nach einer liebevollen Ermunterung seines Herrchens entschied er sich – trotz der großen Zuschauermenge, die ihm offensichtlich unangenehm war – sein Geschäft auf der Bühne zu machen. Noch niemals in meinem Leben habe ich eine solche laute Stille gehört. Man konnte den Hund leise seufzen hören, als der Haufen seinen Weg auf die Bühne fand. Leise klackerten seine Krallen über den Bühnenboden, während er davontrottete und sich noch einmal verstohlen umdrehte, als wundere er sich über diese Aufmerksamkeit für seinen Haufen. Dann geschah es. Die frische Hundewurst begann sich zu bewegen, erst ganz langsam, dann deutlich sichtbar. Wie ein Räkeln beim Schlüpfen einer Schmetterlingslarve bäumte sich das eine Ende auf und dann… es war kaum zu hören… SPRACH der Haufen leise aber bestimmt: „Vorsicht!“. Mit dünner Stimme sagte dieser Haufen Scheiße tatsächlich „Vorsicht! Haufen!“. Diese zwei Worte immer wiederholend und langsam lauter werdend robbte die Hundewurst vorwärts. Weiter und weiter, bis sie nach einigen Metern vom Bühnenrand fiel. Dort krabbelte die redende Scheiße weiter, um in dem nahegelegenen und extra dafür beleuchteten Gulli mit einem letzten „Vorsicht! Haufen!“ für immer zu verschwinden. Stille.

Nach einer ewigen Minute in d die Menge fast im Schockzustand über das soeben gesehene verharrte, kam tosender Applaus. Wie eine Explosion, ein ganzes Meer, das sich über einen ergießt ließen die Menschen frenetisch ihrem Jubel freien Lauf. Es war un-vor-stell-bar! Man hatte soeben eine sprechende Kackwurst von alleine in den Gulli krabbeln sehen – das war das Großartigste und Seltsamste, was die Welt jemals zu Gesicht bekommen hatte. Und ich hatte mich um das Tausendfache selbst übertroffen – niemand hatte mit einer solchen Erfindung gerechnet. Selbst ich, dessen Kopf diese Idee entstammte, war sprachlos und von der Situation tief berührt. Ich hatte sprechende Scheiße erfunden die im Dunkeln leuchtete! Das gab es noch niemals vorher auf der Welt! Es war unglaublich! Die Menschenmenge trug mich, ich wurde auf tausend Armen und Händen hochgeworfen und durch die Stadt getragen, als würde ich in einem Meer aus Menschen schwimmen. Und das alles nur wegen Scheiße, wegen einfacher Hundescheiße, die nun auch nicht mehr stank – was in dem allgemeinen Trubel vollkommen untergegangen war. Aber wer hätte das auch wahrnehmen sollen außer den Personen, die direkt neben dem sprechenden Haufen standen. Es war egal – mein Erfolg war überwältigend! Am nächsten Tag bestand meine erste Amtshandlung darin, das neue Hundefutter per Sonderverordnung allen Hundehaltern vorzuschreiben. Erstaunlicherweise rief das nahezu keinen Protest hervor, die Menschen stießen sich auch nicht daran, dass mir die Hundefutterfabrik mittlerweile gehörte. Ganz im Gegenteil – man beglückwünschte mich von allen Seiten und wünschte mir Erfolg für die Regierungszeit. Und so langsam merkte ich, auf was ich mich da eingelassen hatte.

Um an den Punkt zu gelangen an dem ich nun war, hatte ich mich ausschließlich mit Scheiße beschäftigt – vor allem um diese loszuwerden! Was ich aber nun vor mir hatte, überstieg meine wirklich große Leidensfähigkeit um ein Vielfaches. Ich hätte nie geglaubt, dass es von Scheiße eine Steigerung gibt, denn jeder Superlativ unterstreicht doch nur, dass es sich um übel riechende und unansehnliche Exkremente handelt. Egal ob Super-, Hyper- oder Mega – Scheiße bleibt immer Scheiße. Nun ja, ich will mich nicht rausreden, jedenfalls wurde ich mit der Realität des Regierens konfrontiert und da ich ja sozusagen der Mann vom Fach war, hatten mir das alle zugetraut. Nur ich selber hatte nicht geahnt, was mich da erwartete. So langsam wurde mir klar, dass der Dank dafür, dass ich mich mit Scheiße beschäftigt hatte, darin lag, dass ich mich nun mit noch mehr Scheiße beschäftigen musste. Jeden Tag. Und die Aufmerksamkeit für meine Erfindung ließ nach, sehr stark nach. Um nicht zu sagen: es war mir scheißegal was mit den ganzen Haufen passierte – das Problem war ja gelöst. Kaum kam ein Haufen auf die Welt, krabbelte er – sich die entsprechende Aufmerksamkeit verschaffend – zum nächsten Gulli und verschwand. Nachts leuchteten die Würste sogar dabei, und alle waren glücklich. Ja alle, alle außer den Haufen.

Was mir nämlich entging, war die Tatsache, dass die Haufen mitnichten einfach verschwanden. Ganz im Gegenteil – sie lebten im Untergrund weiter. Doch damit nicht genug, denn es wurden ja immer mehr, die sich da in den Eingeweiden der Stadt versammelten, dort mutierten und lernten. Ja, sie lernten dazu! Es begann damit, dass sie nachts aus dem Untergrund krochen und nicht mehr nur noch „Vorsicht! Haufen“! sagten, sondern Dinge wie „Hab mich lieb!“ oder „Küss mich!“. Ich weiß – eine absurde Vorstellung. Ein Haufen der spricht, ist schon seltsam genug, aber einer, der Liebe und Zuneigung einfordert, nimmt sich doch recht surreal aus. So wurden auch erste Berichte von den Liebeshungrigen Haufen als Halluzinationen abgetan und den Phantasien der alkoholisierten Obdachlosen zugeschrieben. Doch irgendwann trauten sich die Haufen auch tagsüber aus ihren Verstecken, sie schienen zu wachsen oder sich zu vereinigen, jedenfalls wurde die Presse aufmerksam, als sich ein besonders großes Exemplar auf einem Kinderspielplatz im Prenzlauer Berg Gehör verschaffen wollte. Es war aus der offenen Kanalisation einer nahegelegenen Baustelle gekrabbelt und hatte auf dem Weg zum Spielplatz eine hässliche Schleimspur hinterlassen. Und da passierte es… er hatte eine Mutter mit seinen Liebesforderungen belästigt, die ihm ohne hinzusehen aus Gewohnheit einfach einen Schnuller in die schmierige Sprechöffnung gedrückt hatte. Das erste Mal war die Forderung eines Haufens nach Aufmerksamkeit und Liebe erfüllt worden! Fast biblisch muss es angemutet haben: „Klopfet und euch wird aufgetan werden!“ Ich persönlich glaube, dass dieses besonders große und ekelhafte Exemplar wieder zurückkroch und seinen Haufenfreunden davon berichtete. Es muss wie ein Erweckungserlebnis gewirkt und eine Art evolutionären Sprung verursacht haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Haufen plötzlich auf der Strasse erschienen – nicht einzeln, sondern in Massen!

Es gab regelrechte Haufendemonstrationen, Riesenansammlungen von Scheiße, die durch die Strassen zogen und nach Liebe, Aufmerksamkeit und der Erfüllung ihres Willens brüllten. Sie entwickelten sich rasant, wuchsen, lernten und – das war das Schlimmste von allem – begannen wieder zu stinken. Erbärmlicher und grauenerregender als jemals ein Haufen zuvor gerochen hatte. Kaum dass man einen Haufen erblickte, brannten einem die Augen, es legte sich ein grünlicher Film auf die Zunge und schnürte einem die Kehle zu. Es war unerträglich! Man konnte nur noch flüchten. Währenddessen war die intellektuelle Entwicklung der Haufen so weit vorangeschritten, dass sie nach Rechten verlangten, nach Mitbestimmung, nach Wohnungen und – ja, es klang noch absurder als die Forderung nach Liebe – nach Essen. Scheiße, die etwas leckeres Essen will… es war… einfach nur ein Alptraum, es war MEIN Alptraum, denn es war meine Erfindung. Es dauerte nicht lange, bis man mich belagerte, ich solle dieses grauenvollen Kreaturen ausrotten, die Stadt davon befreien, etwas tun, IRGENDETWAS. Doch ich konnte nicht mehr denken vor Angst und Grauen. Vor allem kam noch dazu, dass die Haufen irgendwo gehört hatten, ich wäre ihr Schöpfer. Überall lauerten sie mir auf, riefen nach mir „Vater! Hilf uns! Befreie uns aus unserem Leid! Führe uns aus dem dunklen Tal!“. Wenigstens verlangten sie nicht, dass ich sie aus der Scheiße ziehen sollte. Aber das war auch der einzige Trost. Mir blieb nichts anderes übrig als zu flüchten. Denn mittlerweile standen wieder Wahlen an, und die Haufen stellten eine der stärksten Parteien. Die anderen Parteien verhöhnten mich – die Geschichte würde sich nun wiederholen und an mir rächen, die braune Soße käme wieder zurück in die Politik und ich sei der Führer der Scheiße, der sie alle in das tausendjährige Reich der großartigen Gülle geleiten sollte. Ich versuchte aufzuwachen, aber ich schlief nicht. Leider. Es war alles tatsächlich wahr. Ich flüchtete, die Stadt wurde überrannt, dann das ganze Land.

Sie wissen ja, dann gab es diesen Scheiß Krieg und es nahm alles ein beschissenes Ende – sogar diese Geschichte endet mit platten Wortwitzen, anders kann man dieser Scheiße wohl nicht beikommen. Ich muss mir mein Scheitern wohl eingestehen, mein Lebenswerk ist verpfuscht, das Klo runtergespült und ich lebe heimlich versteckt in der Kanalisation wie meine Scheiß-Erfindung. Aber ich habe gelernt, dass man selbst Scheiße nicht unterschätzen sollte. Niemals. In ihr verbirgt sich die Kraft des Lebens, die, einmal erwacht, sich immer ihren Weg suchen wird. Wer weiß… vielleicht krieche ich auch eines Tages wieder aus meinem dunklen Versteck im Kanal hervor und dann…

16 Kommentare

  1. 01
    blitzkid

    Eine sehr nette Geschichte! Vielen Dank dafür.

    Ist Ihr werter Nachname eigentlich Zufall, oder wurden sie entsprechend inspiriert?

  2. 02
    marcel

    applaus für scheiße!
    ;¬)

  3. 03
    Björn Braune

    @#793686: Vielen Dank für den Applaus! Ich muss zugeben – der Name ist echt und ob ich daraus Inspiration beziehe… also, ich denke da sollte ich vielleicht mal eine Geschichte drüber schreiben ;)

  4. 04
    Fab

    Nice one ! Ich glaube Du hast deine Berufung gefunden: Schmierige braune Popaganda !

    Weiter so !

  5. 05
    Björn Braune

    @#793689: Ich lach mich tot… Braune Propagana… die Domain sollte ich mir gleich sichern… böse aber lustig! ;-)

  6. 06

    Wunderbar durchkonjugierte Scheisse! Hundekackelichtarmee sollte Wortschöpfung des Jahres werden!

  7. 07
    weiter.

    schöne geschichte /
    und ich bin immer wieder glücklich nicht im falschen Teil Berlins zu wohnen.
    (Ja es gibt auch ein schönes Berlin (ohne Touristen&Kacke&Touristenkacke))

  8. 08

    Alter Verfalter. Was für ne schöne Scheisse (sorry) Mein Beifall!

  9. 09

    Ich habe, glaube ich, noch nie eine schönere Geschichte über Kot gelesen. Sehr gut! :)

  10. 10
    Floda Nashir

    Ach naja. Ich find’s pubertär. Aber soll ich das jetzt hier hinschreiben?

  11. 11

    Oh was für ein Spaß! Das war richtig schön zu lesen! Vielen Dank.
    Leider muss ich mich kurz fassen, weil mein Hund muss kacken gehen ;-))))) Tschüüsssss…….

  12. 12

    Finde erstmals Braunes Gedankengut interessant.

  13. 13
    Björn Braune

    Wer gedacht hat meine Geschichte sei weit von der Realität entfernt, wird, so wie ich gerade, eines besseren belehrt… es gibt ein Startup in New York, dass Punkte für eingesammelte Hundehaufen gibt, so genannte Poopons. Die Nähe zu Groupon ist sichtbar, das Geld zum Greifen Nahe, aber ob es was mit dem Ruhm wird? Ich kann ja nur vor solchen Exkrementen warnen…

    http://t3n.de/news/poopons-gutscheinaktionen-basis-hundekot-330932/

  14. 14
    Frau Netto

    Hahaaaaaaahahahahahahaaaaaaaahhahahahahaaaaaa :D Saugut!

  15. 15
    Björn Braune

    Und noch ein Hinweis das meine Geschichte nicht so realitätsfern war… der Taqgesspiegel mit seiner Karikatur zum 18.9.11

    http://www.tagesspiegel.de/mediacenter/karikatur/karikaturen-von-stuttmann-und-schwalme/3994.html