17

Music changed my life – The 70s

recordplayer

„There’s so many bands around that don’t mean anything“, beschwerte sich Jonny Fox von The King Blues neulich im Interview, und ich war ein bisschen froh über diesen Satz aus dem Mund eines Mittezwanzigjährigen. Denn ich war davon überzeugt, dass so etwas nur alte Säcke mit eingeschränkter Sicht sagen – sicher gibt es doch genügend junge Bands, die das Leben ihrer ebenso jungen Fans beeinflussen?!

Dennoch hat mich der Satz von Jonny dazu inspiriert, mal ein paar Songs rauszusuchen, die mein eigenes Leben geprägt haben. Nicht nur im Sinne von: Toller Song. Sondern im Sinne von: Ich wäre nicht, wer ich bin, wenn ich diese Songs nicht gehört und geliebt hätte.

Natürlich stellt diese erste Liste, die sich ohne besondere Reihenfolge auf die 70er konzentriert, nur eine beschränkte Auswahl dar, ich könnte sie beinahe endlos weiterführen. Und schließlich: Feel free to add your own…

Als ich ein Kind war, kam Musik übers Radio, viel mehr aber noch über den Fernseher zu uns nach Hause. Ilja Richters „Disco“ und der „Musikladen“ waren die Sendungen, die man nicht verpassen durfte, und glücklicherweise hatten meine jungen Eltern genügend eigenes Interesse an Popmusik und somit nichts dagegen, Männern in viel zu engen Hosen dabei zuzusehen, wie sie ihre Gitarren als Penis-Ersatz in die Kameras hielten.

Ein, zwei Songs pro Sendung waren immer für mich dabei, doch meine Welt änderte sich erst mit dem Glamrock. Die seichtere Variante war meine, für David Bowie (und erst recht für Led Zeppelin) war ich trotz toller Songs zu klein, stattdessen hatten es mir Marc Bolans T. Rex angetan. Und spätestens mit Suzie Quatro im engen Leder-Overall war klar, dass ich nicht mehr im Schlafanzug vor der Glotze sitzen konnte, ohne Peinlichkeiten vor den Eltern zu riskieren. Eine wahrlich aufregende Zeit, in der ich im Alter von 12 Jahren auch mein allererstes Live-Konzert erlebte (die Story dazu gibt es hier):

The Sweet

Als ich ein Teenager war, genügte das Taschengeld für eine LP pro Monat, weshalb selbige wohl überlegt ausgewählt werden wollte. Dazu begab man sich in einen Plattenladen, setzte sich auf eine bequeme Couch, reichte dem meist zurecht etwas genervten Verkäufer einen Stapel von etwa 82 Alben über den Tresen, stülpte sich einen Kopfhörer über und ließ sich die Platten nacheinander vorspielen. Das alles im festen Glauben, der Verkäufer habe nichts anderes zu tun, als alle paar Minuten den nächsten Song anzuwählen bzw. die Scheibe zu wechseln.

„Mach ma‘ die nächste!“ habe ich vermutlich auch 1978 im Alter von 14 Jahren gerufen, bevor der Plattendealer meines Vertrauens das zweite Vibrators-Album V2 auflegte.

Das übliche Knistern der Nadel des Tonabnehmers auf dem Vinyl setzte ein. Dann, aus der Ferne, das Geräusch eines sich nähernden Flugzeugs (nein, die Zusammenhänge mit dem Album-Titel waren mir nicht klar).

Pause. Knistern.

Eine Explosion.

Und dann, wie aus heiterem Himmel und mit mehr Lautstärke als die Geräusche zuvor: Pure Mania.

You’re the psychotic daughter of a psychotic mother
Your father was a megalomaniac
You’ve got an insane brother

Was diese recht neue Live-Version nicht vermitteln kann, ist die Wucht, mit der mich der recht schlichte Song damals traf, und auch, wenn ich mich mit dem Text über eine durch und durch psychopathische Familie nicht wirklich identifizieren konnte, war das alles der reinste Wahnsinn für mich. Gemeinsam mit allen anderen Hits des Albums ist V2 sicher eines der von mir am meisten gehörten Punk-Alben (eifrige Spreeblick-Leserinnen und Leser wissen, wie wichtig mir diese Musik war).

Dabei musste es gar nicht immer krachen, ich mochte ja Popmusik schon immer. War sie dazu noch mit etwas schrägeren Tönen vermischt und machte sie außerdem noch den Anschein, als habe sie mir etwas sagen, dann war ich im siebten Himmel. Wie bei diesem Klassiker vom grandiosen 79er Album Drums And Wires von XTC:

An Making plans for Nigel muss ich heutzutage, als Vater, sehr oft denken. Nicht etwa, weil ich Pläne für meine Söhne machen würde. Sondern weil sich an der Kernaussage des Songs „Karriere ungleich Glück“ nichts geändert hat und wir in Bezug auf die nächsten Generationen große Fehler machen, wenn wir das Gegenteil behaupten.

Es stimmt: Diese Liste der Siebziger ist sehr britisch geprägt, obwohl es natürlich auch den USA großes zu hören gab. Und lautes. Und schnelles. Und wer nach diesen zwei Minuten nicht davon überzeugt war und ist, dass Rock’n’Roll die Welt bedeutet, der ist doof:

Doch die Amis konnten auch Pop, Blondies Album Parallel Lines zum Beispiel war süß und kantig zugleich. Clem Burke an den Drums, dessen Stil ich später erst als eine Mischung aus Ringo Starr und Keith Moon verstehen konnte, die großartigen Kompositionen von Chris Stein und natürlich: Debbie Harry.

Doch nicht nur XTC oder Blondie haben meine Welt in Sachen Pop verändert, es gab natürlich noch viele andere, von denen einer unbedingt genannt werden muss. Elvis. Costello.

Damals, also lange vor der Aufnahme des oben gezeigten Clips, in dem er einen von seinem Kumpel Nick Lowe geschriebenen Song spielt, war Elvis der Nerd, der Intellektuelle unter den Punks oder vielleicht besser: „New Wave“-Künstlern. Schließlich trug er eine Brille, man konnte also davon ausgehen, dass er lesen konnte. Songs wie „Watching The Detectives“ zeigten außerdem, dass Costellos musikalischer Horizont weiter war als der vieler Kollegen, und so war es sicher kein Zufall, dass er Ende der Siebziger ein musikalisch völlig anderes, dennoch wegweisendes und enorm wichtiges Album produzierte: Das erste der Specials.

Gesellschaftliche Hoffnungslosigkeit und Aggression innerhalb der verschiedenen Jugendkulturen gehörten zu den Hauptthemen der Punk-, New-Wave- oder auch Ska-Bands der Endsiebziger, Musik und Texte waren Ventile für den Alltagsfrust.

Doch dann waren da auch noch vier verpickelte Jungs, die im Alter zwischen 17 und 19 Jahren einen für immer währenden Klassiker aufgenommen hatten, der textlich so gar nichts mit dem restlichen Punk zu tun hatte. The Undertones mussten nicht von Hass und Gewalt singen, um sich aus ihrem Alltag zu befreien, denn Hass und Gewalt waren in Nordirland Alltag. Ihre Heimatstadt Derry hatte traurige Berühmtheit durch den Bloody Sunday erlangt und so hieß „Flucht durch Punkrock“ für die Undertones etwas ganz anderes als für die oft gutbürgerlich aufgewachsenen Kunststudenten Londons. Nämlich „‚Teenage Kicks“.

Die Undertones waren super, fanden wir, in erster Linie, weil sie – ihrem Cover nach zu urteilen – genauso scheiße aussahen wie wir. Wenn die es schaffen konnten, dann konnte es jeder schaffen, das war die Botschaft. Und ganz ehrlich: Es war auch mal ganz entspannend, Liebeslieder zu hören.

Trotzdem und immer wieder: Die Texte, speziell während der Anfangszeit des britischen Punkrocks. Irgendwann liefen die Sex Pistols im Radio, ich behaupte einfach mal, dass es bei Jürgen Jürgens in einer Chart-Show war (in der man auszugsweise auch die englischen Charts zu hören bekam) und ich erinnere mich, wie beeindruckt ich davon war, dass dort eine nichtdeutsche Band von der „Berlin Wall“ sang. Der Rest des Textes war mir damit schnuppe. Was für ein Song!

Ich habe mit Absicht diese Live-Version voller Verspieler ausgewählt, denn das Credo vieler Punks damals, die simple Nachricht: „Das kannst du auch!“ motivierte mich endlos. Es ging nicht um Perfektion, sondern es gab einen einzigen Grund, Dinge zu tun: Weil man sie tun wollte.

Der frühe Punkrock war eine unfassbar aufregende Zeit in West-Berlin, zwei bis drei Konzerte pro Woche, alle waren sie hier und hauten uns ihren Sound um die Ohren. Dennoch stellte ich eine gewisse Eindimensionalität fest und konnte mich weder mit der Uniformität noch der Gleichgültigkeit vieler Punks anfreunden.

Zum Glück gab es The Clash, welche die Energie des Punkrocks im Verlauf ihres Schaffens mit musikalischen Einflüssen aus aller Welt vermischten und mir durch Coverversionen alter Reggae-Klassiker oder auch durch eigene durch Reggae beeinflusste Songs endlich die Ohren auch für schwarze Musik öffneten.

Ich habe Dutzende von Bands weggelassen, die mich damals auf die Spur gebracht haben und auch dafür gesorgt haben, dass ich mit 14 Jahren selbst eine Gitarre in die Hand genommen und drei Wochen später den ersten Gig klar gemacht habe – wir hatten schließlich schon zwei Songs im Programm. Doch alle Künstler dieser Zeit kann man nicht erwähnen, und schließlich ging es in den folgenden Jahren ja noch weiter – denn über die Frisuren der 80er muss man schweigen, über die Musik nicht.

(to be continued…)

17 Kommentare

  1. 01
    ichglaubeshackt

    Hilfe! Mir wird ganz blümerant. Mein erstes Konzert.: Die 8. WDR-Rocknacht in der Gruga-Halle: The Undertones mit Fergeal Sharkey, Mink Deville und Black Uhuru. Menschwerdung, Schweiss und Bier gingen da noch Hand in Hand.

  2. 02

    So ein Satz wie „Der frühe Punkrock war eine unfassbar aufregende Zeit in West-Berlin…“ macht mich als Düsseldorfer, der zwischen 1976 und 1980 Stammtrinker im Ratinger Hof war, natürlich lokalpatriotisch grinsen: Ihr ward doch immer so acht bis zehn Monate hinterher ;–))

  3. 03
    ichglaubeshackt

    Was Rainersacht ist völlig korrekt!

  4. 04
    Ingo

    Übrigens, die Sheena-Perfonmance stammt vom kompletten Konzert der Ramones im Musikladen von Radio Bremen 1978 !!!! und ist nun auf DVD plus CD erhältlich. Der erste Auftritt der Ramones in Deutschland. Sensationelle Energie, steht der It´s Alive in nichts nach.

  5. 05
    hugo von krapendorf

    „Ich wäre nicht, wer ich bin, wenn ich diese Songs nicht gehört und geliebt hätte.“

    Meiner Ansicht nach macht die geschickte Ausnutzung oder Inszenierung eben dieser Verbindung zum Pathos Popmusik so lukrativ.

  6. 06

    Wenn sich nicht im zweiten Teil noch Überraschungen auftun, werden Johnny und ich uns wohl nie auf einem Konzert begegnen. :) Meine einzige Berührung mit Punk beschränkte sich auf ein Album von Bad Religion, was ich aber irgendwann wieder verkaufte.

    Wenn ich Deine Aussage: „Ich wäre nicht…“ für mich auf ganze Alben anwende, glaube ich, dass zwei für mich prägend waren: „The dark side of the Moon“ von Pink Floyd und „Badmotorfinger“ von Soundgarden. Das eine verträumt, surreal und „spacig“, das andere brachial, wütend und schräg. Zwei sehr unterschiedliche Kandidaten :)

  7. 07

    „Und wer nach diesen zwei Minuten nicht davon überzeugt war und ist, dass Rock’n’Roll die Welt bedeutet, der ist doof“ Genau!

  8. 08

    Meine erste Schallplatte war soweit ich weiss eine ABBA Best of. Bei irgendeinem Sparkassen Gewinnspiel gewonnen, glaube ich. Und aus irgendwelchen unerfindlichen Gruenden meine ich mich daran erinnern zu koennen als Kind in den 70ern Vadder Abraham und die Schluempfe gehoert zu haben.

    Glaube nicht dass mich eines der beiden besonders gepraegt hat. Trotzdem finde ich Thank You for the Music irgendwie cool und hier jetzt passend.

    So.

  9. 09
    earl grey

    Empfehlung: 3Sat-Mediathek (oder Oldschool TV jeden Samstag) „Tonspur“

    Grundidee der Sendereihe: Ein Prominenter (von Sophie Hunger bis Joschka Fischer und Roger Willemsen waren schon eine Reihe interessanter Gäste dabei) nennt 8 Titel, die sein/ihr Leben veränderten, sie präg(t)en etc.
    Ein Team von drei Musikexperten versucht über die Titel herauszubekommen, wer hinter der Titelliste steckt – mit erstaunlich hoher Trefferquote.

  10. 10
    Tom

    Schöne Idee! Sehr „intim“. Zwei Anmerkungen zum Song von XTC, den ich bis eben nicht kannte (was definitiv ein Fehler war):

    – Ein Kommentar unter dem YT-Vid, der einen wichtigen Part (nicht von jedermanns) Erziehung ausmacht: „I thank my dad for raising me on this music. I’m completely addicted to this song. Again :D“

    – So ein Song muss sich nicht mal an Väter richten… Er kann sich auch an Leute richten, die einfach keinen Plan haben, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen.. ähem. :)

  11. 11
    Hotte Neumann

    Ganz schöne Poserliste hast Du da am Start.
    Bei mir liegt natürlich Karel der Gott mit Biene Maja ganz vorne.
    Danach kam Abba, Smokie und die BüüGüüs.
    Wenn ich heute beim Radiohopping mal auf 88,8 vorbeispringe ist das wie bei Oma essen gehen.
    Eine schöne Erinnerung an die Kindheit.

  12. 12
    flubutjan

    Ha! Suzie Quatro erlebte als Steppke auch ich bei ihren TV-Auftritten in der von Dir angedeuteten Richtung inclusive eines in dieser Weise später nur selten wieder eintretenden Überwältigtseins. Ich hatte als Acht-Jähriger dabei auch irgendwie Angst vor dieser Frau, und das machte es gerade so scharf (tiefblickenlass).

  13. 13

    Ich habe natürlich massig andere Musik gehört als Kind und Teenager. Queen waren ganz groß. Status Quo habe ich mehrmals live gesehen. Und sogar Supertramp. Viel früher natürlich auch Abba, logo.

    Aber nichts davon hat mich so beeinflusst wie das viel simplere Zeug da oben.

  14. 14

    In ganz jungen Jahren, also Anfang, der 70er habe ich noch die Musik der NDR Internationalen Hitparade auf Cassettenrecorder aufgenommen und diese dann auch dem Schulweg gesungen. Nicht schön, aber voller Inbrunst Suzy Quattro, The Sweet usw. intoniert. Dann die NDW und die Independent Charts des NME rauf und runter. Die erste EP der Sisters of Mercy ist immer noch meinem Plattenschrank. Musikalisch bin ich immer noch in dieser Zeit beheimatet.

    Hier eine kleine Geschichte zum Thema (nichtkommerzieller Link) aus dem London der 70 er –
    http://goodnewstoday.de/gute_nachrichten/2010/09/18/aber-damals/

  15. 15

    Spannend, quasi mit V2 von den Vibrators den Artikel zu beginnen. Auch für mich die erste Punk-Platte, die Anganf der 80er on Heavy Rotation bei mir war. Ich habe sie mir neulich als CD zugelegt und mich gewundert, wie simpel die Musik doch ist. Wie Johnny habe ich mich mit den Texten kaum identifizieren können – aber Musik und Text drückten eine Auflehnung gegen das Establishmet aus, die mir damals gefiel.

    Ansonsten: Blondie: ja. The Undertones: ja. Elvis Costello sowieso!

    Mit anderen Worten: der Artiekl spricht mir aus der Seele. Diese Überhöhung nehme ich gerne in Kauf.

    Johnny: Sulphate und 24-Hour-People waren meine Favoriten von V2.

  16. 16
    Plinthe

    Ja, genauso wars. Ich liebe das Knistern des Vinyls. Teenage Kicks hat einen um den Verstand gebracht und natürlich auch Generatin x und…….

  17. 17

    Antworten

    Barry Manilow war wie Frank Zappa
    Uppss
    scheisse, da macht mein Cursor nich
    mit.

    Bitte ungehindert weitermachen. ;-

    ‚The Midnight Special‘