Internet-Firmen, Startups, Social Networks – Software-Hersteller also – produzieren längst mehr als technische Leistungen. Startups sind die neuen Bands, und Apps sind ihre Songs. Und die Popkultur des Netzes ist emotional so umstritten wie sonst nur die Musiklandschaft.
Facebook kauft Instagram (dass dies passieren könnte, vermutete man übrigens schon Ende 2010, also quasi beim Instagram-Start), sogar die Tagesschau berichtet darüber, und viele Instagram-Nutzer sind nicht besonders erfreut über den Deal, denn das Facebook Böses mit unseren Daten anstellt, weiß jeder STERN-Leser.
Dabei man die Sache auch emotionslos betrachten: Wenn jemand eine Idee hat (dies gilt nicht ausschließlich, aber ganz besonders für den digitalen Lebens- und Handelsraum), steht oft genug tatsächlich eben jene Idee im Vordergrund, ein Umstand, mit dem sich einige Ökonomen zwar schwer tun. Denn der gängige und akzeptierte Prozess im Wirtschaftswesen ist: „Ich entwickle eine Idee, um damit Geld zu verdienen“. Ein seltenerer, bisher eher in der Kultur, seit Jahren aber auch verstärkt bei Dienstleistungen und anderen Waren im Netz vorhandener ist: „Ich habe eine tolle Idee, die nicht zum Geldverdienen gemacht ist, und brauche nun einen Plan, wie ich an Geld komme, um die Idee umsetzen und am Leben halten zu können“. So funktionierte bisher – mit sehr unterschiedlichem Erfolg – eher Kunst, so funktionieren manche kulturelle Aktivitäten. So funktionieren aber seit Jahren auch viele Ideen „im Internet“.
Allerspätestens seit Google YouTube gekauft hat, gehört zu den legitimen Überlegungen der Refinanzierung einer jungen Idee das Ziel, den eigenen Laden irgendwann an einen Giganten zu verkaufen und bis dahin von Investoren-Geld zu leben, das später vergoldet wird. Soll sich dann halt der neue Besitzer den Kopf zerbrechen, wie man den Kram finanziert.
Das klappt natürlich selten, denn auf ein Instagram kommen tausende kleinerer Buden, die nach einigen mittelmäßigen bis erfolglosen Jahren baden gehen, aber auch hier gibt es die Parallele zur Musik: Die Chance auf einen Hit ist klein, doch sie ist vorhanden.
Ebenso wie der Zwang zum Geldverdienen. Man kann ein Blog, eine Band oder andere Ein-bis-zwei-Mann-Selbstausbeutungsunternehmungen eine begrenzte Zeit lang als Hobby ohne Finanzpläne führen, wer aber bei einem Dienst wie Instagram wirklich geglaubt hat, die Macher dahinter hätten den magischen Trick entdeckt, wie man ein Dutzend Angestellter und sicher beachtliche Serverkosten bezahlt, ohne von den Nutzern Geld dafür zu kassieren, Werbung einzublenden oder die gesammelten Daten auszuwerten und sie zu monetarisieren, dem sei der Auszug aus dem Hotel Mama ans Herz gelegt. Man musste sich doch zwangsläufig fragen, wie Instagram die vielen Millionen zurückzahlen will, die Dritte bisher in den Dienst investiert haben, und ein Verkauf war eine logische Antwort, denn direkte Werbung innerhalb der Instagram-App wäre mindestens schwer integrierbar gewesen. Twitter versucht es abgesehen von den Investoren (noch) ohne Facebook oder Google und will anscheinend lieber selbst Gigant sein (ich bezweifle, dass das funktionieren wird), und solange nicht „Apple“ oder ein anderer bekannter Name drauf steht, interessiert ja auch kaum jemanden, in wessen Tasche er twittert.
Auch um die Herkunft und Ziele der bisherigen Instagram-Investoren hatten sich Nutzerinnen und Nutzer eher wenig gekümmert, auch nicht um die Frage, was Instagram mit den Geo- und Bilddaten anstellt, welche die 30 Millionen Nutzer liefern. Nun aber, da Facebook eine Milliarde Dollar für Instagram auf den Tisch gelegt hat, wird Interesse am Finanzmodell und dem Datenschutz der Foto-App angemeldet, einige Nutzer kündigen den Dienst und löschen ihre Bilder in der Hoffnung, dass diese dann tatsächlich aus den Datenbanken verschwunden sind.
Was zeigt: Instagram-Nutzer sind Fans. Und Apps sind Popkultur. Ebenso, wie wir es früher der geliebten Indie-Band übel genommen haben, als sie den Major-Deal unterzeichnet hat, sind Nutzerinnen und Nutzer von bestimmten Apps oder Online-Diensten heute sauer, wenn ein weiteres „cooles“ Unternehmen in den Klauen von Facebook, Google, Apple oder Amazon landet und das Spiel nur noch Sold-cial Media heißt.
Dass sich in der Gesamtmenge der Fans von Instagram mit dem Kauf durch Facebook tatsächlich etwas ins Negative bewegen wird, darf dabei bezweifelt werden, denn die meisten Nutzer werden sicher abwarten, was jetzt passiert. Erst kürzlich öffnete sich Instagram für Android-Nutzer und sorgte damit für einen neuen Schwung an Nutzern. Auch zum weiteren Aufstieg von YouTube nach dem Kauf durch Google muss man nicht viel tippen, und New Model Army sind auch nicht erfolgloser geworden, nachdem sie zu EMI gegangen sind – was wiederum gar nichts über die tatsächliche spätere Qualität von Bands oder Online-Diensten aussagt, denn Erfolg hat eher selten etwas mit Qualität zu tun (womit ich gleichzeitig nicht sagen will, dass New Model Army später schlecht waren). Dennoch ist der Vergleich von Software mit der Popkultur auf der Fan-Ebene in vielen Punkten spannend:
Der angebliche Einbruch in den Umsätzen der Musikbranche hat – das ist keine ganz neue Vermutung – wohl mehr mit einer Verlagerung zu tun als mit einem tatsächlichen Rückgang. Während die Jugend meiner Generation ihr Taschengeld in Sachen Unterhaltung und Kultur in erster Linie in Musik und Literatur investierte, sind heute eben noch Apps, Handy-Verträge und natürlich Videogames hinzu gekommen.
Und vielleicht gibt es beim Fan-Dasein der Nutzer von Online-Diensten auch noch einen anderen Aspekt, nämlich den der Unwägbarkeit ihres Verhaltens bzw. der hohen Abhängigkeit desselben von der Art, wie sie behandelt werden. Da schwingt jetzt ein bisschen Hoffnung in meinen Zeilen mit, aber vielleicht ist die Tatsache, dass Unternehmen wie Instagram, aber auch Facebook, Apple und Google, eher Fans denn reine Konsumenten haben, am Ende des Tages die bessere Kontrollinstanz. Denn wer es sich mit den Fans versaut, der steht eben auch ganz schnell wieder ohne sie da. Es gibt ja genügend andere Bands, und täglich werden es mehr.
Wenn wir heute schon die historische Reflexion auf das Internet machen, und das ist bei einer Halbwertzeit von zum Teil nur wenigen Monaten in der PC/Netztechnologie durchaus legitim, dann stellen wir fest, dass schon die alten Unix Nutzer mit ähnlichen Tendenzen konfrontiert waren.
Sold out, that’s the way we want it. Wenn der einzelne dabei drauf geht, so what! Gibt ja genug davon.
Unabhängig von diesem porvokanten Statement ein Literatur Tipp zu Hartmut Winkler, der sehr interessante wissenschaftliche Analysen zum Thema Internet veröffentlicht, teilweise auch Texte zum download für alle und umsonst. ;-)
http://homepages.uni-paderborn.de/winkler/
Plonk.
Wir müssen abwarten, was nun mit Instagram passiert. Zuckerberg schreibt, es wird als eigenständige Community fortgeführt und weiterentwickelt. Mal sehen.
Mal ganz ab vom Milliarden-Deal. Ich habe nach meinem gestrigen Kurz-Interview auf SPON auch noch einmal ein paar Gedanken zur Handyfotografie und meinen Zugang zu Instagram aufgeschrieben:
http://boschblog.de/2012/04/11/instagram-meine-kleine-geschichte-der-handyfotografie/
Die obige Analogie zwischen großen und kleinen online services und major und indie labels ist echt gut; dito die Sache mit den Fans.
als fotograf sehe ich die ganze handy foto kultur mit gemischten gefühlen. klar ist der gedanke seine fotos sofort allen zeigen zu wollen verständlich, aber das endergebnis ist der mediale overkill. früher war ein foto noch ein mit bedacht erstelltes abbild eines momentes.heute ist die fotografie zum wegwerf-lösch-post-produkt mutiert. vielleicht sehe ich das zu eng – vielleicht aber auch nicht.
@#803120: Ja, alle wollen allen alle Bilder zeigen, und zwar am besten gestern; man weiß nicht, wo man zuerst schauen soll; ein overkill an Bildern – und zu wenig Kuration.
Wer erwartet künstlerisch wertvolle Snapshots?
Die Apps orientieren sich anhand der debilen Grundeinstellung.
Das bequeme Nachbearbeiten mittels kostenloser Software am
Rechenknecht scheint vielen nicht bekannt zu sein.
by PiPi
Nachtrag zu #07
Siehe:
http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=10200232
Der QuickScan ist mit dem Opera Browser nicht kompatibel.
@#803120: Die Tatsache, dass früher mutmaßlich mit mehr Bedacht fotografiert wurde, ist wohl auch dem geschuldet, dass die dafür notwendigen Ressourcen knapp und der Aufwand hoch waren. Ein Bild zu „schießen“, umständlich zu entwickeln und es einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, war ein relativ langwieriger Wertschöpfungsprozess, der sich heute durch ein paar Klicks realisieren lässt. Das Archiv gibts per Cloud quasi-gratis dazu. Danke, digitale Welt.
Dass dabei nicht nur „Kunst“ herauskommt, steht außer Frage. Das sollte die Berufs- oder auch ambitionierten Fotografen doch aber nicht davon abhalten, weiterhin mehr geistige Arbeit in seine Werke zu stecken, als es der Durchschnitts-Instagram-User tut.
Persönlichkeitsrechte
Habe vor vielen Jahren analoge Bilder aufgenommen,
mittlerweile digitalisert. Das Problem: Kenne die Personen nicht,
um nachträglich eine Erlaubnis zur Veröffentlichung einzuholen.
Schwarze Balken ruinieren den eigentlichen Bildinhalt. Blöde Sache.
Wobei die Aufnahmen an einen öffentlichen Ort entstanden sind, die
Passanten somit akzeptieren müssen fotografiert zu werden.