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Der interne Terror

Vor über einem Jahr schrieb WIRED über die NSA: „(…) the NSA has turned its surveillance apparatus on the US and its citizens. It has established listening posts throughout the nation to collect and sift through billions of email messages and phone calls, whether they originate within the country or overseas.“

Und schon 2009 mussten sich Google und andere Unternehmen der Kritik stellen, dass sie Nutzerdaten an Obrigkeiten weitergegeben hätten. Google-Chef Eric Schmidt machte daraufhin unmissverständlich klar: „If you really need that kind of privacy, the reality is that search engines, including Google, do retain this information for some time. And […] we’re all subject, in the US, to the Patriot Act, and it is possible that that information could be made available to the authorities.“ Schmidt schloss daraus mit Folge der Entrüstung von Presse und Öffentlichkeit:

„If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place.“

Es ist also nicht so, dass wir nicht gewarnt waren.

Auch die aktuellen Veröffentlichungen rund um Prism und die NSA sollten eigentlich keinen Journalisten überraschen, im Patriot Act, dem nach 9/11 von der Bush-Regierung in Rekordzeit durchgewunkenen und von Obama erneuerten Gesetz, geht es um nichts anderes als den legal abgesicherten Überwachungsstaat. Und reden wir uns nicht seit Jahren den Mund fusselig über die fatalen Folgen der Vorratsdatenspeicherung, die zu einer ebenso umfangreichen Überwachung führen wird?

Dass wir im Netz überwacht werden, überrascht vermutlich wirklich niemanden, der sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzt. In welchem Ausmaß dies jedoch passiert und mit welcher Selbstverständlichkeit, das scheint nun bewiesen und erklärt den Schock, der durch die Medien geht. Auch wenn David Simon, Autor der Serie The Wire, diesen Schock nicht nachvollziehen kann (sehr spannende Kommentare unter dem Artikel!).

Es ist zwar noch völlig unklar, wer was wie speichert und wer dann was wie auswertet. Es ist bisher auch völlig unklar, ob eine Überwachung im jetzt öffentlich gewordenen Ausmaß tatsächlich terroristische Taten verhindert, deren Planungen vermutlich über völlig andere und sicher professionell verschlüsselte Kanäle stattfinden. Es ist unklar, ob die NSA und andere Behörden nicht nur die Milliardenbudgets rechtfertigen und verballern müssen, die ihnen spätestens seit 9/11 zur Verfügung stehen. Zu vieles ist unklar.

Spätestens jetzt aber müsste auch dem romantischsten aller Internet-Nutzer bewusst geworden sein, dass das Internet per se kein Garant für mehr Demokratie ist, und erst recht nicht für eine gerechtere oder bessere Welt. So, wie das Internet für demokratisierende Prozesse genutzt werden kann und wird, ermöglicht es eben auch eine Überwachung und Kontrolle von Menschen in einem Umfang, der vorher nicht möglich war; und so, wie das Netz bei der Verbreitung von freier Meinung und guten Taten hilft, erleichtert es auch Propaganda und Kriminalität.

Um Demokratie und Aufklärung die Oberhand behalten zu lassen, bräuchte es in Demokratien einen Schulterschluss und Vertrauen zwischen Bürgern und Staaten, zwischen Wählern und Gewählten, es bräuchte – nun ja, eben: funktionierende Demokratien. Stattdessen stellen demokratische Regierungen ihre Wählerinnen und Wähler unter Generalverdacht und schüren Angst, das Vertrauen der Bevölkerung in seine Vertreter schwindet immer weiter, und ich frage mich, ob man damit nicht endgültig gegen den Terror verloren hat.

Wenn es diesem nämlich gelungen ist, soviel Misstrauen und Angst zu säen, das grundsätzlich demokratische Staaten daran zugrunde gehen könnten. Nicht durch externe Angriffe auf die Demokratie, sondern durch interne.

15 Kommentare

  1. 01
    marcus

    Ja, würde ich auch nicht verstehen, wie man da überrascht sein kann. Wäre ich die NSA oder vergleichbares — ich würde es genau so tun. Und mehr.

    Die Daten liegen ja buchstäblich auf der Strasse. Und was ich habe, das habe ich.

    Welche Folgen das jetzt für mich als Einzelnen haben könnte habe ich noch nicht durchdacht. Vielleicht ist da dann noch mehr Empörungspotential. :)

  2. 02

    Vielleicht bin ich ja blauaeugig, aber ich glaube nicht das Programm ist so weitreichend und erlaubt eine totale Ueberwachung wie manche behaupten. Fuer $20Mio bekommt man nicht viel.

  3. 03

    Was man an dieser Stelle auch betonen sollte ist, dass natürlich nicht nur die Amis uns mit abschnorcheln, sondern unsere Regierung (und die Polizeigewerkschaft!), das nicht nur total cool finden, sondern auch machen (Funkzellenabfrage) oder gemacht haben (Vorratsdatenspeicherung) und bald noch mehr machen (Bestandsdatenauskunft).

  4. 04

    Bezüglich der letzten Absätze: Schon Thomas Jefferson wusste, dass nicht Vertrauen, sondern Misstrauen der Grundpfeiler der Demokratie ist. Sobald die Bürgergesellschaft aufhört misstrauisch und wachsam Staat und Regierung zu kucken, ist die Demokratie verloren. Und auch wenn ich ganz d’accord mit David Simon die aktuellen Reaktionen auf den NSA-Skandal für heillos weltfremd und übertrieben halte, weiß ich doch, dass das ein notwendiger Prozess ist. Wer Heimeligkeit und Vertrauen will, muss in die Monarchie zurück. In der Demokratie sind wir der Souverän, und Misstrauen ist unser Job.

  5. 05

    Der Grundgedanke von Demokratien ist grundsätzlich ein positiver. Es kann nicht angehen, dass die Vorstellung von Glück und Sinn unseres Daseins das Mißtrauen gegen alle unnd jeden sein soll.
    Das bedeutet in der Konsequemz auch, dass wir immer für mehr vertrauensvolle Koexistenz streiten müssen – trotz und gegen demokratiewidrige Exzesse staatlicher Institutionwn.

  6. 06

    Zum internen Terror passt auch, dass die Offenlegung der Daten jetzt – wie bei Wikileaks auch – von innen heraus geschah.

    Für mein Verständnis muss es dabei noch gar nicht um Demokratie oder Mitbestimmung gehen, sondern einzig um Systeme, die sich selbst irgendwann erlegen. Diese Mischung aus Macht und Instabilität macht mir die meiste Angst.

  7. 07

    Ich habe nicht von Misstrauen gegen alle und jeden gesprochen. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass entgegen der ganzen „das wichtigste an der Demokratie ist das Vertrauen“-Floskeln, Misstrauen ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen Prozesses ist. Ein vertrauensvoller „Schulterschluss“ zwischen Wählern und Volksvertretern ist in einer Demokratie weder möglich noch wünschenswert. Man darf das notwendige Grundvertrauen in den demokratischen Prozess nicht mit dem Vertrauen in die Regierung oder eine Parteifraktion verwechseln. Ja, Misstrauen ist anstrengend. Aber das ist die Bürde und Verantwortung, die man als Bürger eines demokratischen Staates übernimmt.

  8. 08
  9. 09

    @#813170: Point taken. Als Regulativ ist Misstrauen wichtig, stimmt. Wenn das aber nicht nur für die Bevölkerung gilt, sondern auch für Regierungen (untereinander und der Bevölkerung gegenüber) ist Wettrüsten die normalste Sache der Welt, oder? Wer reguliert Verhältnismäßigkeiten? Und warum lassen wir uns dann nicht gleich von Gerichten regieren?

  10. 10

    Niemand wird etwas ändern. Leute werden weiterhin Skype und DropBox statt Gajim und SparkleShare nutzen. Gelegentlich wird das damit begründet, dass „diese Frickelsoftware ja nun wirklich unbenutzbar“ wäre, in Wahrheit ist Privatsphäre ihnen nicht einmal 3 Euro pro Monat wert. Am Ende werden alle fol traurik™ tun – weil sie ja nun wirklich genug gebloggt haben, wie schlimm das alles wird, wenn nicht endlich jemand (anders) etwas tut!

    Beweist mich falsch.

  11. 11

    Du hast natürlich völlig recht, dass das Misstrauen des Staates gegenüber den Bürgern auf einem ganz anderen Blatt steht. Gerade mit dem Wort „Wettrüsten“ wirfst du eine interessante Frage auf, nämlich die nach der Spannung zwischen grundlegenden sozialen Bindemitteln wie Identifikation und Vertrauen und der notwendigen operationalen Kälte eines modernen Staates. Ich wüsste auch nicht, wie diese Spannung aufzulösen wäre.

  12. 12
    ber

    Das lässt die Stasi mit ihrem Karteikartensystem aussehen wie dumme Jungens. Montagsdemos anyone?

  13. 13
    yenz

    „über völlig andere und sicher professionell verschlüsselte Kanäle stattfinden“

    Das tun sie sicherlich, und damit machen sie sich auch verdächtig. Moderne Terrorfahnder und Fahnder für Online Kriminalität nutzen Algorithm mit welchen sie Personen heraus filtern welche Verdächtig wenig Spruen im Netz hinterlassen.

    Paypal hat ein Startup gekauft welches solche Algorithmen entwickelt hat um Kreditkarten Betrüger zu finden – die Gründer haben vorher beim Israelischen Militär Terroristen online gejagt. (Nachzulesen im Buch Startup Nation Israel)

  14. 14

    Das einzig terrormäßige hier ist die fiese Karpfenfresse von Eric Schmidt. Sorry aber das musste mal in aller Deutlichkeit gesagt werden!

  15. 15

    Montagsdemos wären echt eine gute Idee. Bei solchen Freunden wie den USA braucht man doch eigentlich keine Feinde mehr oder?