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Gastbeitrag: Eindrücke vom Subversive Festival 2015

(Vorwort: Das Original-Bildmaterial des vor kurzer Zeit berühmt gewordenen Fingers von Yanis Varoufakis stammte von seinem Vortrag beim Subversive-Festival in Zagreb, das bis dahin wohl nur wenigen bekannt war. Als mich Felix Schilling per Mail fragte, ob ich Interesse an einem Artikel zur 2015er Ausgabe der Veranstaltung hätte, die Felix besuchen wollte, sagte ich gerne zu. Es folgen seine Eindrücke des Events, die Fotos stammen ebenfalls von Felix. – Johnny)

Die meisten gesellschaftlichen Fragen lassen sich heute nicht mehr alleine auf nationaler Ebene lösen. Daher finde ich es interessant, wie in anderen Ländern über einen gesellschaftlichen Wandel diskutiert wird. Im gemütlichen Europakino der Zagreber Altstadt untergebracht, bietet das Subversive Festival eine wunderbare Plattform für einen solchen Perspektivwechsel. Das gesellschaftspolitische Festival behandelte in diesem Jahr nahezu alle politischen Evergreens wie Klimaschutz, Globalisierungsfolgen, Gleichberechtigung oder allgemeine Kapitalismuskritik – stets aus einer politisch links orientierten Perspektive.

Die klare Positionierung, die überschaubaren Zuschauerzahlen und die unheimlich gemütlichen Kinosessel ließen schnell eine familiär-kuschelige Atmosphäre aufkommen. Die renommierten Redner, in diesem Jahr waren unter anderem Kumi Naidoo, Steve Keen und Vandana Shiva vertreten, bezogen meist klar politische Positionen, manche fast kämpferisch. Als Bhaskar Sunkara seinen Vortrag mit „Dear Comrades“ anfing und ein paar Reihen vor mir Lenins Konterfei vom Desktop strahlte, kam bei mir endgültig die Assoziationen zu Dokus über die 68er Studentenbewegung auf. Nur rauchen durfte man nicht.

Von dem meisten Redner bekam man das, was man erwartete: Keen kritisierte die noch immer vorherrschende Rolle der Neoklassik in der Ökonomik und hob die Bedeutung von Überschuldungen für Wirtschaftssysteme hervor. Naidoo unterstrich die Verantwortung der Industriestaaten im Kampf gegen den Klimawandel. Shiva thematisierte das Ungleichgewicht, in dem Mensch und Natur sich befinden und arbeitete sich besonders an Monsanto und seinen Genversuchen an Reispflanzen ab.

Solche Vorträge sind natürlich ganz cool, man kommt inhaltlich gut mit, ein Feindbild ist meist klar definiert. Man muss sich nicht mit komplizierten Positionen herumschlagen, ein Wir-Gefühl kommt im Saal auf. Als ich anfing, mich für gesellschaftliche Fragen zu interessieren, wäre ich von so einem Forum hellauf begeistert gewesen. Besonders das Wir-Gefühl hat seinen Reiz. Nur der Erkenntnisgewinn hält sich stark in Grenzen. Es wurden fast nur Positionen und Ansichten ausgetauscht, die die meisten im Saal wahrscheinlich eh schon hatten.

Noch deutlicher kam diese Harmonie bei den Diskussionsrunden hervor. Da unterhielten sich beispielsweise ein Vertreter von Greenpeace, dem B.U.N.D (Friends of the Earth) und ein grüner Europaparlamentarier über Klimagerechtigkeit. Zentrale Aspekte und Problematiken wurden dabei gut zusammengefasst – nur hatte leider jeder Diskutant die gleiche Meinung. Der Feind war klar definiert: Konzerne, Lobbyisten, Großkapital. Zum Glück saß von diesen jedoch keiner mit am Tisch, sondern, in Form eines deutschen Logistik-Konzerns und einer amerikanischen Großbrauerei, dahinter auf den Sponsor Plakaten. So wurde die revolutionäre Harmonie im Europakino nie gefährdet.

Fairerweise muss ich sagen, dass ich nur das englischsprachige Programm besucht habe.
Beim (serbo-)kroatisch-sprachigen Teil des Festivals, dem Balkanforum, wurde wohl etwas hitziger diskutiert.

Vielleicht bin ich es einfach als deutscher Bachelor-Student nicht gewohnt, einfache Antworten auf große Fragen zu bekommen und klar angreifbare Positionen von Vortragenden zu hören. Ok, wenn Vorträge zu trocken sind und sich niemand festlegen möchte, würde ich auch wieder rumnörgeln… Trotzdem sollte eine mehrtägige Konferenz in Vorträgen auf komplexe Fragestellungen wie Klimagerechtigkeit über die pauschale Formulierung von Kritik am System hinausgehen.

Interessant finde ich, dass Sozialismus meinem persönlichen Empfinden nach in Kroatien deutlicher mehr in der Mitte der Gesellschaft beheimatet ist als in Deutschland. Vielleicht aufgrund seiner jugoslawischen Geschichte? Ob das jetzt gut oder schlecht ist, muss jeder selbst beurteilen – es zeigt für mich viel mehr, wie stark der Begriff „Sozialismus“ in Deutschland mit unserer BRD-DDR Geschichte gleichgesetzt wird. Wenn man da, wo ich wohne, in einer Altherrenkneipe den Begriff „Sozialismus“ fallen lässt, muss man wirklich sehr schnell trinken, um das nächste Bier noch vor einer Brandrede über den Solidarzuschlag, die Renten und ostdeutsche Autobahnen zu genießen.

Außerdem ist mir auf dem Subversive Festival der auch in Deutschland inzwischen sehr verbreitete Trend aufgefallen, Vorträge komplett zu filmen und ins Internet zu stellen. Meine Erfahrungen vor Ort haben mich darüber nachdenken lassen: Ich finde es natürlich toll, dass ich mich über Netzpolitik informieren kann, ohne selbst auf einer re:publica in Berlin gewesen zu sein. Es ist sicher auch gut, dass jeder Leser mit etwas YouTube-Recherche selbst nachvollziehen kann, ob meine Gedanken zum diesjährigen Subversive Festival in Kroatien völlig aus der Luft gegriffen sind. Auch eine Geste (und ihr eigentlicher Kontext) sind für die Nachwelt dokumentiert.

Jedoch stelle ich mir die Frage, ob die verschiedenen Formate nicht auch unterschiedliche Herausforderungen (und Möglichkeiten!) mit sich bringen. In den gemütlichen Sesseln des Europakinos bringe ich beispielweise viel mehr Geduld für die Themen auf, als ich es beim Durchklicken auf YouTube könnte. Wenn ich mir die vergangen Festival-Videos anschaue (in denen kein griechischer Finanzminister-Finger zu sehen ist), scheine ich mit meiner Ungeduld nicht allein zu sein. Von bekannten Rednern wie Keen oder Shiva lässt sich im Netz wirklich viel finden. Wird ihnen ein weiteres YouTube-Video, jedoch ohne Kinosessel und Festival-Stimmung, gerecht?

Vielleicht ist es eine etwas naive Hoffnung, dass ein Vortrag individueller und lebendiger werden könnte, wenn er später nicht beliebig oft wiederholbar ist. Ich finde eine bewusste Unterscheidung von (reinen) Live-Auftritten gegenüber Material, das fürs Internet erstellt wird, erstrebenswert. Klar, professionellen Rednerinnern mit teilweise mehr als hundert Vorträgen im Jahr ist es schlicht nicht möglich, sich auf jeden Vortragsort individuell vorzubereiten. Doch auch vor dem Hintergrund, dass viele Referenten um die halbe Welt fliegen, um im Altstadtkino zu sprechen, sollte man den Zweck der Veranstaltung reflektieren. Wenn der Inhalt ihrer Vorträge bereits von anderen Konferenzen online steht, dann kann man das Reden auch gleich sein lassen und nur Selfies mit den Revolutionspopstars machen.

Dass ich am Subversive Festival überhaupt rum zu nörgeln habe, ist für mich die große Stärke des Festivals. Es ist nicht farblos, hat den Mut, klare Positionen zu beziehen und dadurch angreifbar zu sein. Wie die Veranstalter es seit Jahren schaffen, so viele renommierte Referenten nach Zagreb zubringen, ist mir rätselhaft. Da Kroatien im Mai generell eine gute Idee ist (es ist schon warm und die deutschen Touristenmassen besetzten die Adria erst ab Juli/August), kann ich einen Besuch des Subversive Festival auf jeden Fall empfehlen.

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