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Nüsse

I live by the river!

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Leserinnen und Leser, die bisher kinderlos sind, können keinen Schimmer von den Kommunikationsproblemen haben, zu denen es zwischen erwachsenen und zweieinhalbjährigen Menschen kommen kann.

Wird die ohnehin etwas indifferenzierte Aussprache des Heranwachsenden zusätzlich noch durch die konstante Verstopfung seines Sprachorgans durch einen Schnuller verschlechtert, können aus nichtigen Miss-Verständnissen schnell Familiendramen werden.

„Will Nüsse.“

Zwei gut gelaunte und wunderschöne Kinderaugen sehen über einem orange-grünen Schnuller zu mir herauf. Klarer Fall. Der Jüngste hat den kleinen Hunger zwischendurch. Jetzt heißt es: Schnell handeln.

Mit der Geschwindigkeit und Geschicklichkeit, die nur Väter hungriger Kinder beherrschen, taste ich mit meinen Augen den Raum nach der Nuss-Vorratsbox ab und präsentiere dem Zweitgeborenen binnen weniger Sekunden eine erlesene Auswahl feinster Hülsenfrüchte.

Eine sehr junge Stirn zeigt sehr bedrohliche Falten.

„Will NÜSSE!“

Trotz und ob der Gewissheit, dass der Verlauf der nächsten Minuten einzig und allein von meiner nächsten Reaktion abhängt, spare ich mir den sonst an dieser Stelle fälligen Hinweis „Ich möchte!“ und begehe einen eklatanten Vaterfehler: Ich zögere.

Küsse? Danach hat er noch nie gefragt. Scheidet also aus. Es gibt eine skandinavische Kinderbuch-Reihe rund um einen Jungen namens Nisse, die wir allerdings nicht im Gepäck haben und die ich daher lieber gar nicht erst ins Spiel bringen möchte. Ich bleibe also lieber bei meiner ursprünglichen Vermutung.

„Hast Du Hunger?“

Würde Robert deNiro in einem vierstündigen Hollywood-Epos als Mafiaboss vom Tode seiner innigst geliebten und ihn immer unterstützenden Mama erfahren, könnte er nicht überzeugender zusammenbrechen, als mein jüngster Sohn nach dieser Frage.

In einer Mischung aus Wut, Trauer und Verzweiflung fällt das Kind auf die nackten Knie (körperlicher Schmerz ist in Extremsituationen wie dieser bedeutungslos) und schreit und weint die Ungerechtigkeit dieser Gesellschaft in die spanisch sprechende Welt hinaus. Alle sollen es wissen. Hier findet organisierte Kindesschikane statt.

In meiner Nutzlosigkeit biete ich sogar ein Kissen an (und erschrecke vor mir selbst, als meine Gedanken für eine Millisekunde…), doch selbstverständlich bestätigt dieses weitere Beispiel für komplette parentale Unfähigkeit nur die infantile Misere.

Auftritt älterer Bruder. Mit nonchalanter Gelassenheit betritt der Fünfjährige den Raum, greift ohne Blick auf Vater oder Bruder nach dem Haustürschlüssel auf dem Tisch und drückt ihn dem winselnden Kleinkind in die Hand.

Stille. Ruhe. Glückseligkeit gar.

Ich sehe den herablassenden Blick meines Kleinsten in meine Richtung und stelle ihn mir als Teenager vor, der die Tür mit den Worten „Du hast mich nie verstanden!“ zuschlägt.

Ich werde ihm nicht widersprechen können.

(Update: Es gibt ein Video eines Vortrags dieses Postings, aufgenommen auf der FUTURA BOLD 3.0 am 7.4.2005, zum dritten Geburtstag von Spreeblick sozusagen. Die kleine Quicktime-Version mit knapp 4 MB ist hier, der Sound ist aber viel besser bei der großen mit 15 MB)

9 Kommentare

  1. 01
    David

    Woooaah, schöner hättest du den Post nicht ausschmücken können. Herrlich. Und aufregend zugleich. Kinder: fantastisch.

  2. 02

    Gestern abend erreichte mich mit leiser Verzweiflung der Anruf unseres kurzfristig eingesprungenen Babysitters: „Was um Himmels willen heißt ‚Lala!’… !!!? “ – „Schnuller, eigentlich. Meistens der blaue!“ Und damit war dann gerade so eben ein seltener Abend im Restaurant und das Nervenkostüm des armen Sitters gerettet.

    Meine Tochter fand den gestrigen Abend nach eigenem Bekunden heute morgen übrigens „Duut!“…

  3. 03

    :-)))

    Kinder können schon klasse sein…
    Erlebe ich hier zZt auch immer wieder mal.

  4. 04
    Jean

    Da braucht der Sitter aber noch Nachhilfe bei den Teletubies…… siehe Lala

  5. 05
    fifa

    Supertoll geschrieben, echt erheiternd. Ich sollte eigentlich arbeiten, werde aber mir noch ein, zwei Geschichten von dir gönnen.

    Herzlichen Gruß aus Wien

  6. 06

    Lieber spät als nie. Auch wenn ich mich damit als Nicht-Spreeblick-Leser der ersten Stunde oute – hab die „Nüsse“ erst heute gefunden…
    Schö, sehr schön. Mein Kurzer ist fast genauso alt, wie Dein Jüngster und ich kann das gut nachempfinden.
    Aber, aber: Welcher verantwortungsvolle Vater schiebt denn seinem Zweieinhalbjährigen noch einen Nuckel ins Gesicht??? tzz tzz ;-)

  7. 07

    Keiner. Aber es gab kein Entrinnen. Furchtbar, ich weiß. :)