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Taxisoziologie

leipzig

Im Taxi durch Leipzig, diese Stadt, deren Slang ich erst mögen lernen musste. Ich sitze auf dem Beifahrersitz und erkenne einen Mitesser auf meiner Nase, welche sich in der Stoßstange des Wagens vor uns spiegelt, mein rechter Fuß gräbt sich in regelmäßigen Abständen so stark in die Fußmatte des Wagens, dass ich nur auf rostfreien Zustand des Vehikels hoffen kann. Mit einer Verzögerung von zwei bis vier Sekunden tut es mir der Fahrer gleich, mit spürbar wirkungsvollerem Effekt jedoch, denn unter seinem Fuß befindet sich tatsächlich eine Bremse.

Der durchaus sympathische Mann (ich schätze, er ist fünf oder sechs Jahre älter als ich, also ist er wahrscheinlich zwei Jahre jünger) ist eigentlich Jongleur. Mit der linken Hand hält er ein Handy an sein Ohr und bemüht sich um die Klärung eines Problems mit seinem Steuerberater, eine Berufsbezeichnung, die während der Fahrt eine völlig neue Bedeutung erhält. Denn in der rechten Hand klingelt ein zweites Handy, mit welchem er Kundenanfragen beantwortet. Irgendwie bekommt er es dennoch hin, die Kurven mit erhöhter Geschwindigkeit zu nehmen.

Im Radio läuft ein Bericht über die Vorkommnisse in Mügeln. Ich bitte den Fahrer, das Radio etwas lauter zu stellen.

Als der Beitrag beendet ist (bei gleichbleibender Lautstärke: Cher) folgt, natürlich, ein Kommentar im Wageninneren. Beide Handys stehen still, das Auto alles andere als, während der Fahrer meint, die ständige Verneinung all dessen, was Deutsch sei, nehme solch abartige Züge an, dass sogar Politiker sich nicht mehr trauen würden, irgendetwas gutes über Deutschland zu sagen. Da brauche man sich nicht zu wundern, wenn es zu rechtsextremer Gewalt käme.

Man kennt solche Momente, in denen man, sobald die Fassungslosigkeit über die Äußerung einer Person, die man noch vor sieben Sekunden trotz Handys und Kurven für halbwegs zurechnungsfähig hielt, nachgelassen hat, vor der Frage nach der eigenen Reaktion steht. Man hat weder Zeit noch Lust auf eine Diskussion über die soeben gehörten Fehlersuchsätze. Aber Maul halten? Da fängt’s doch an.

Ich bemühe mich um Behutsamkeit und äußere freundlich formulierte Zweifel an der Richtigkeit der vom Fahrer vermuteten Zusammenhänge. Der jedoch hat eigentlich auch gar keine Lust und beendet das Gespräch einfach, wir sind uns also beide relativ sicher, dass ein gemeinsames Bier eher nicht in Frage kommt. Die Kurven werden dafür noch etwas sportlicher ausgefahren und wir kommunizieren wieder per pedes:

Er gibt rechts Gas, ich bremse.

28 Kommentare

  1. 01

    Games Convention? Wie wars denn?

    Die dumme Äußerung des Taxifahrers kann man unter Alltagnazismus verbuchen oder eben einfach unter Dummheit (klar, so fängts an), ich habe aber mal etwas erlebt, was ich bedeutend beunruhingender fand.

    Ich war vielleicht so 14 und mit meinen im Urlaub im Berchtesgadener Land. Wir machten einen Ausflug mit einem Ausflugsbus nach Salzburg und der Busfahrer erzählte halt so dies und das zur Umgebung und Geschichte. Nun ist es ja sehr bekannt das Hitler sich ebenfalls gerne in dieser Gegend aufhielt und der Busfahrer meinte hinsichtlich der Straßen dort und völlig ohne Ironie und mit voller Ernsthaftigkeit sinngemäß:

    Dies und das hätte Hitler hier gebaut, man solle deshalb nicht immer so böse mit ihm sein.

    Scheint im ÖPNV ziemlich verreitet zu sein, solche Einstellungen.

  2. 02

    Ich glaube, das war weder typisch für Taxifahrer noch für Leipzig, aber im eigenen Umfeld hört man solche Äußerungen halt nie, weshalb sie mich „in echt“ dann doch immer wieder sprachlos machen.

    GC ist voll, laut, bunt. „Rockband“ rockt und dieses neue Wii-Trainingspad, auf dem man stehend balancieren muss, wird der Renner, glaube ich. Sieht zumindest sehr klasse aus, wenn die Leute damit Ski-Weitsprung machen… ;)

  3. 03

    Was Nintendo anfasst, wird immer zu Gold, ja.

    Das Sprachloswerden kommt glaube ich vor allem daher, dass die Leute keine bestimmte Motivation haben so etwas zu sagen (im Gegensatz zu einem rechten Politiker), sondern dass sie das einfach so denke, etwa so wie „Das Wetter ist schlecht“.

  4. 04

    Leipziger Taxifahrer wegen solcher Äußerungen zu dissen ist voll schwul.

  5. 05
    Dennis

    Einen ähnlichen Moment hatte ich vor kurzem ebenfalls, als ich auf die U-Bahn wartete.
    Neben mir auf der Bank erklärte ein Kerl seiner Freundin, daß bei einer Abschaffung der Wehrpflicht ja die Gefahr eines Putsches steige, denn dann würden ja nur noch HartzIV-Empfänger und Asoziale zur Bundeswehr gehen und die seien ja schließlich viel leichter zu manipulieren.
    Außerdem fände er es gut, daß die ganzen faulen Abiturienten auch mal richtig arbeiten müssten, wenn sie beim Bund sind.
    Da habe ich auch für einen Moment überlegt, ob ich nicht eine Diskussion vom Zaun brechen sollte, aber die Bahn kam in zwei Minuten und ich wußte, daß meine Meinungsäußerung sowieso nichts an seinem Weltbild ändern würde.
    Also habe ich sie nur ein paar Sekunden direkt angestarrt bis sie es bemerkten, bin aufgestanden und kopfschüttelnd ein paar Meter weiter gegangen.
    Ich glaube, das war effektiver als alles, was ich hätte sagen können!

    Ach ja, übrigens war ich fauler Abiturient an diesem Sonntag gerade auf dem Weg zur Arbeit…

  6. 06

    „Was Nintendo anfasst, wird immer zu Gold, ja.“

    Nintendo ist erstmals seit zwei Hardwaregenerationen wieder Marktführer – und das auch ziemlich überraschend, vor allem wenn man bedenkt, daß es für Wii nach wie vor keine wirklichen Kracher sondern vor allem viel Schrott gibt.

    Das Wii-Konzept ist toll, geht aber an vielen Hardcore-Spielern vorbei. Aber gottseidank gibt es ja eine Auswahl und die Konkurrenz schläft nicht.

  7. 07

    Nee, der Kommentar ist nicht unbedingt typisch für Leipziger Taxifahrer, die Fahrweise aber sehr wohl.

  8. 08

    du haettest auch einfach nur die s-bahn nehmen koennen und waest direkt am messegelaende angekommen ;-)

  9. 09
    lana

    wie konnte das passieren, nachdem ihr doch die eure verlagsinterne vergeltungswaffe erfunden habt: den antifaschistischen blick?

  10. 10
    MakeAMillYen

    Mit Idioten nie diskutieren. Die ziehen einen auf ihr Niveau herunter und schlagen einen dort mit Erfahrung.

  11. 11

    @10: Vielen Dank, den muss ich mir merken

  12. 12

    Bei der letzten GC gab mir ein Taxifahrer ein kärtchen mit der Nummer seines Unternehmens. Hintendrauf waren einige „Notfallnummern“ abgebildet. 110, 112, Krankenwagen, Verkehrsunfalldienst, Jugendnotdienst und: Arbeitsamt. (!!!)

  13. 13
    ick

    ihr seid schon alles ziemlich linke socken. was ist denn so verwerflich und falsch an dem, was taxi-kalle da gefaselt hat? plötzlich ist für die politiker wiedermal klar, dass der rechtsextreme feind der demokratie im osten haust. heute morgen auf einer webseite, die den focus vorgibt: „žRechtsextremismus hat ostdeutsches Gesicht“. ich lach mich tot…so eine scheiße kann man tatsächlich nur von profilierungsgeilen politikern hören…und dann sag mir nochmal, der typ hätte in irgendeiner weise unrecht…

  14. 14
    Leipziger

    Auch wenn die Begegnung mit dem Taxifahrer nicht so berauschend war….

    Herzlich Willkommen in Leipzig, Johnny – Viel Spass auf der GC!
    :-)

  15. 15

    ja, ähm…. willkommen in leipzig.

  16. 16

    @10: Das ist ein wirklich wahrer Satz. Danke.

  17. 17
    caroline

    Es ist doch so:

    Wer auf sein Bundesland stolz ist, ist Besserwessi.
    Wer auf sein Land stolz ist, dessen Geschichte wird auf 12 schlechte Jahre reduziert.
    Wer auf Europa stolz ist hat einen an der Waffel.

    Bleibt nur ein Fußballverein oder das internationale Proletariat für’s offen ausgelebte Zugehörigkeitsgefühl über.

  18. 18
    Stephan

    Wie typisch es für Leipzig ist, weiß ich nicht, aber in Dresden hört man solchen Schwachfug allenthalben auf den Straßen. Und mir tuts immer weh, wenn ich sowas hören muss. Die paar Russen die hier wohnen – und die ich zB. beim Skaten treff – sind alle ok. Ist vielleicht sowas wie gefühlte Überfremdung?! Und wenn ein Politiker meint, es sei ein ostdeusches Problem, stimm ich ihm zu. Ich weiß nicht, wie blind die Medien sind, die Meldungen über verkloppte Ausländer oder irgendwie so aussehende Menschen kommen aus den neuen BL.
    Dresden ist schön, nur die Menschen da…

  19. 19
    heidrun

    @caroline: wer stolz darauf ist, zufällig irgendwo geboren worden zu sein, hat einen an der waffel.

  20. 20

    Wisst ihr, was ich krass finde? Seit gestern abend, 21:16, steht hier ein extrem mieser kleiner kommentar von mir. In dem unterstütze ich nicht nur die Ansicht des Taxifahrers, sondern kanzele Johnnys Kommentar mit einer vollkommen unpassenden, menschenverachtenden, aber leider sehr alltäglichen Beleidigung ab.

    Was passiert? Nix. Außer, dass Johnny per Mail vorsichtig nachfragt, ob dieser Kommentar wirklich von mir sei – das wäre ja total untypisch.

    Und schon bin ich bei Johnny und Thomas (Nr. 1): so fängt’s an. Was vielleicht sogar noch nicht mal so gemeint ist, sondern einfach nur dumm dahergesagt, oder nachgeplappert, bleibt unkommentiert stehen, frisst sich fest, wird wiederholt – und irgendwann wirklich geglaubt. Also, wenn nicht gerade klar ist, dass der einzige Effekt eins auf die nase wäre – immer schön den Mund aufmachen. Wenn’s nur so dahergesagt war, ist die Chance groß, dass jemand wenigstens kurz drüber nachdenkt. Oder man halt feststellt, dass man kein Bier zusammen trinken gehen will. Man hat’s versucht.

    (Und wer wirklich glaubt, Fremdenhass, Rassismus und Rechtsextremismus wären eine natürliche Folge davon, dass „alles deutsche schlechtgeredet“ wird, der hat meiner Ansicht nach mindestens ein massives Problem. Mit seiner Wahrnehmung.)

  21. 21
    heidrun

    ähm, diaet, ich hatte das als ironie aufgefasst. ich lag nicht grad vor lachen unterm tisch, aber wer sollte so nen spruch von dir ernstnehmen?
    davon abgesehen (wenn ich also nicht wüsste, was du sonst so schreibst), ist das hier auch das internet. und da erweisen sich diskussionen in dieser richtung leider meist als fruchtlos.

  22. 22

    Na, wenn der Taxifahrer am Schluß zur Taxameter Gebühr noch das total „erhellende“ Gespräch berechnet hat, dann ist das ja fast wie in dem Stück (Unterwegs) vom Vitásek!

  23. 23
    heidrun

    nochmal davon abgesehen, kenne ich diese perplexität nur zu gut. sie ist beschämend, aber deswegen ist sie ja nicht nicht da. besser, das zuzugeben (und es hoffentlich beimnächsten mal anders zu machen), als wie im moment tausend leute laut krähend mit dem finger beispielsweise auf die einwohner mügelns zu zeigen, warum denn keiner dazwischengegangen wäre. wenn das alles so einfach wäre mit der zivilcourage, dann gäbs das naziproblem auch nicht, denke ich.

  24. 24

    @heidrun: das war die andere Interpretationsmöglichkeit ;)

  25. 25
    Ede

    Frühstückszimmer einer Pension in Weimar.
    Die Berlinerin schwärmt von Pirna. Wir wenden ein, Pirna sei aber auch eine (Neo-)Nazi-Hochburg.
    Und sie, wie aus der Hüfte geschossen: Mit der Mafia ist es aber auch schlimm in Deutschland.

  26. 26

    immerhin konnte der Taxifahrer k e i n e n Soziologie-Abschluss präsentieren, da kann man zwar hoffen, dass es ein Einzelfall ist, aber ein Bauchgefühl sagt dennoch, dass er sich in guter Gesellschaft wähnte …

  27. 27

    diaet: Ich bin davon ausgegangen, dass jemand unter deinem Namen trollt. Und Trolls füttere ich nur noch selten, daher meine direkte Mail an dich.

  28. 28
    ber

    @Tina 26:
    Wieso – wegen Johnnys kurzen Haaren?