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Musikzelten Teil 2

Natürlich gab es bei Camp Music nicht nur Diskussionen zu hören, sondern auch Musik. Die (übrigens sehr klasse koordinierte) Veranstaltung schien sich darum zu bemühen, eine Art Popkomm für elektronische Musik zu werden. So gab es neben den drei Musikzelten auch ein Zelt, in dem sich Labels und Musiker vorstellen konnten.

Der Freitag Abend begann für mich um etwa 1.30h. Nachdem ich mich eigentlich bereits zu Bett gelegt hatte, siegte die Neugier über die Müdigkeit und so stapfte ich doch noch den umständlichen Weg (das Ganze fand auf dem Gelände des Motopark Oschersleben statt, einer Motorrad- und Autorennstrecke) zu den Zelten.

Ich bin ja sowieso kein Freund von Raves dieser Größenordnung, aber die Leere, in die ich in den drei Musikzelten blickte, schreckte mich noch einmal mehr ab (und damit ist nicht die Anzahl der Besucher gemeint). Nicht meine Welt, sorry. Vom Hauptact des Abends, Sven Väth, habe ich mir dann auch nur berichten lassen, hatte aber das Gefühl, nichts verpasst zu haben. Wenn man von dem sicher sehr amüsanten Eindruck absieht, den 2.000 Menschen abgeben, die mit ihren Fotohandies versuchen, ein Bild von einem DJ zu machen.

Ich verzog mich also in das Label-Zelt, in dem ich auf den alten Berliner Bekannten Dimitri (u.a. Tresor) stoß, der immer für einen netten Plausch gut ist und der mir Katrin vom Raveline Magazin vorstellte. Beide verlor ich nach einer Weile aus den Augen, was auch ok war, denn die Neugier überließ nun der Müdigkeit die komplette Kontrolle über meine Person. Außerdem musste ich ja um 12h fit für das Panel am folgenden Tag sein (siehe „Musikzelten Teil 1“).

Der nächste Abend (besser: Die nächste Nacht) erschien mir etwas spannender und ich freute mich auf Funkstörung, International Pony und Goldfrapp.

Funkstörung spielten im mittelgroßen Zelt vor recht wenigen Leuten, waren schmutzig und laut, hatten aber nicht ihren besten Tag. Man darf von den beiden Herren schon erwarten, dass ihre Hände halbwegs im Rythmus auf die Midi-Controller hämmern, finde ich, und nicht alles, was Krach macht, ist gut. Da ich Funkstörung schon einmal gesehen habe, weiß ich, dass die das besser können. Trotzdem barg der Auftritt eine Offenbarung, denn neben dem sehr guten New Yorker Rapper Tes, der auch auf der neuen FS CD „Disconnected“ zu hören ist, trat Enik auf und lies mich ungläubig und mit offenem Mund staunend zurück. Vermutlich habe ich auch etwas gesabbert.

Enik singt einige wundervolle Songs auf der neuen FS CD, macht jedoch auch seine eigene Geschichte und hat gerade „Without A Bark“ veröffentlicht. Die CD ist nichts für sanfte Gemüter – düstere Klänge und ein Gesangsstil, den man vorsichtig mit „männliche Björk auf LSD“ umschreiben könnte. Wenn die CD intensiv ist, dann ist Enik live ein Trip. Der junge Mann rotzt ins Mikro, umgarnt es, schreit es an, nur um es in der nächsten Sekunde zu liebkosen. Und so war es auch kein Wunder, dass der Anteil an weiblichem Publikum im Zelt enorm zunahm, als Enik eine Performance bot, die ich von einem deutschen Sänger so noch nicht erlebt hatte. Absolut beeindruckend.

Funkstörung und Gäste waren Punk, und auf meinem Weg zum großen Zelt dachte ich darüber nach, dass schließlich auch der nächste Act, International Pony, durch seine Fischmob Wurzeln irgendwie irgendwo irgendwann etwas mit Punk (als Einstellung, nicht als MTV-Playlist Kategorie) zu tun haben.

Die Songs, die ich bis dato von International Pony kannte, fand ich nett. Nicht mehr und nicht weniger. Doch das, was die drei Hamburger Herren live boten, machte mich zum sofortigen Fan. Man muss bedenken, dass ich von einer Veranstaltung berichte, bei der ca. 2.000 Techno-hungrige in einem entsprechend großen Zelt am Abend vorher noch Sven Väth feierten. Wenn nun also ein gut gelauntes Terzett wild mit Samples aus allen Musikgenres um sich wirft, darin süße Melodien einbettet und es sogar dann und wann wagt, Humor zu zeigen (Humor! Auf einem Rave!), dann kann das entweder komplett in die Hose gehen oder neue Maßstäbe setzen. Letzteres war mit IP der Fall.

Selten habe ich so charmant produzierte und performte Tanzmusik gehört, selten hat es mir soviel Spaß gemacht, Leute beim (hauptsächlich) elektronischen Musizieren zu beobachten. IP kennen die Regeln des Genres in dem sie sich bewegen genau so gut, wie Fischmob die Regeln des HipHop kannten, und genau wie Fischmob bedienen sich IP dieser Regeln, machen sie sich zu eigen und passen sie ihren eigenen Bedürfnissen an. Wir bekommen die Bassline, wir bekommen den Beat, und immer fühlen wir uns belohnt und sind IP dafür unendlich dankbar.

Sehr überzeugend.

Goldfrapp waren dann die erste „Band“ im klassischen Sinne auf der gesamten Veranstaltung. Bass, Drums, Keyboards und eine (igitt!) elektrische Geige, dazu Alison Goldfrapp im nicht unironischen, lasziv-verruchten Outfit mit Pferdeschwanz (und zwar am Arsch, nicht am Kopf) und der unverkennbaren Stimme in guter Form. Frau Goldfrapp motivierte mit ihrem Outfit dann auch unfreiwilliger Weise drei kahlköpfige Herren vor mir zu „Titten raus!“ Chören, was mich widerum dazu motivierte, den Standort schleunigst zu wechseln und meine Meinung „Große Raves sind nichts für mich“ noch einmal bestätigt zu sehen. Ziemlich eklig, und sowas kann einem schnell den Abend verderben.

Tat es dann aber nicht, mein neuer Standort ließ mich das spannende, wenn auch teilweise etwas unterkühlte Goldfrapp Konzert genießen und so konnte ich mich gegen irgendwann Richtung Hotelbett bewegen.

Unglücklicher Weise blieb ich auf dem Weg dorthin aber noch im Backstage Zelt hängen, glücklicher Weise traf ich da noch die Jungs von International Pony (die ich durch frühere Radiointerviews mit Fischmob „kenne“), unglücklicher Weise trank ich dann im Gespräch mit DJ Koze noch viel zu viel Wodka, glücklicher Weise er auch, unglücklicher Weise überredete er mich, nochmal in die Zelte zu schauen, glücklicher Weise stellte ich dort fest, dass ich nichts verpasse, unglücklicher Weise torkelte ich dann völlig besoffen viel zu spät ins Hotel und ich weiß nicht mehr, ob er auch oder nicht.

Glücklicher Weise musste ich mich nicht übergeben.

Unglücklicher Weise musste ich vier Stunden später im Zug nach Berlin feststellen, dass es wahrscheinlich besser gewesen wäre, ich hätte.

Hat trotzdem Spaß gemacht.

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