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Beamter in Zivil

Heute, früher Abend, Skalitzerstraße Kreuzberg:

Die Familie hat mich mit dem Auto aus dem Büro abgeholt, wir wundern uns alle (naja, der Kleinste vielleicht nicht) über den Wagen, der mitten auf der nicht gerade kleinen Straße steht. Fahren langsam an ihm vorbei und sehen einen Mann auf dem Beifahrersitz, der mit seiner rechten Faust immer wieder in das Gesicht der Frau am Steuer schlägt.

Was hättet Ihr an unserer Stelle getan?

Na klar, das haben wir auch getan:

Rechts ran, Tür auf, hin rennen. Während meine Frau versucht, die Polizei anzurufen, renne ich zu dem Wagen und komme mir total bekloppt vor, als ich beim Rennen mein Handy aus der Tasche ziehe. Ich sehe den Mann weiter schlagen und bin mir nicht sicher, was ich vorhabe.

Ich reiße die Beifahrertür von dem Wagen auf, darin das Paar, etwa Mitte 50, das mich erschrocken ansieht. Eine Wolke von Alkoholausdünstungen legt sich über mein Gesicht. Der Mann brüllt, ich solle abhauen und beginnt, aus dem Wagen zu klettern. Die Frau weint.

Nun bin ich erstens kein Held und völlig ungeübt im non-verbalen Nahkampf, sondern auch noch zweitens nicht so wild darauf, auch auf die Nase zu bekommen.

Also schiebe ich mit meiner linken Hand den Mann in den Wagen zurück, der sich heftig wehrt, während meine rechte Hand 110 wählt. Tuten. Nichts. Mein Blick zur Liebsten einige Meter weiter verrät mir, dass ihre Anrufe auch nicht erfolgreich sind.

Die Frau weint, der Mann will aus dem Wagen. Und ich stehe da wie ein Bekloppter und kann die Bullen nicht erreichen, die ansonsten binnen Sekunden neben mir stehen, wenn ich an illegale MP3 Downloads denke.

Die Frau weint lauter, der Mann fängt an zu pöbeln. Die Situation wird absurd, ich muss mir was einfallen lassen.

„Setzen Sie sich sofort in den Wagen zurück, und Sie da, stellen Sie den Motor ab! Ich bin Beamter in Zivil!“

Fast muss ich über meine eigene Stimme lachen, bin dann aber doch von meiner ‹berzeugungskraft durchaus angetan, denn die Beiden sitzen nun brav in ihrem Wagen und sie hat den Motor abgestellt!

Irre!

Ich frage, was das hier soll (bitte beim Lesen immer daran denken: Die ganze Zeit versuche ich die verdammte Polizei zu erreichen, aber es tutet und tutet und tutet…), er sagt, es sei nichts passiert, ich sage na klar ist (tut) was passiert, sie haben die Frau wiederholt geschlagen, er sagt, sie seien verheiratet, ich erwidere (tut), dass das ja wohl überhaupt keinen Unterschied mache, sie mischt sich ein und meint, doch, das mache einen Unterschied (tut), ich finde, das wird mir langsam (tut) zu blöde.

Ganz artig erklären sie mir (nennt mich bitte ab heute „Herr Wachtmeister“), dass sie sich gestritten hätten und sie würden sich bei mir sehr bedanken aber ich möge sie doch jetzt bitte weiter fahren lassen.

Tut.

Mann.

Da will man mal helfen und dann sowas. Nicht nur, dass man die Polizei nicht ans Telefon bekommt, sondern das Opfer verhält sich völlig unopferisch und der Täter sagt Dankeschön.

Was hättet Ihr getan?

Ich habe aufgelegt, zu dem Typ gesagt, dass er aufhören soll, seine Frau zu schlagen und bin wieder zu meiner Familie gegangen.

Beim Wegfahren winken die Beiden noch ein „Danke“ in unseren Richtung.

Jetzt (erst jetzt!) erreicht meine Frau die Polizei und flötet dem netten Beamten die Story inklusive Kennzeichen des Wagens vor mit der Frage, ob ihn das jetzt noch interessiere. Der antwortet, dass die Frau, die geschlagen wurde, die einzige Person sei, die Anzeige erstatten könne. Wir also nicht.

So.

Und erklärt das jetzt mal ’nem Fünfjährigen.

7 Kommentare

  1. 01

    „Ditte is Balin“, hör ich die Leute bei sowas immer sagen. Aber gut dass Sie zur Stelle waren, Herr Wachtmeister.

  2. 02
    der alex

    hallo.
    hmm.. irgendwie doof, dass man in solchen Situationen die Autoritäten nachzuspielen versucht, die man doch im Grunde ablehnt.
    Aber hätte nicht der Alkoholgeruch allein gereicht um sie festzuhalten bis man die Freunde in Grün erreicht?

    gruß.

  3. 03
    johnny

    ja, voll doof, dass man sich als polizist ausgeben muss (aber hab ich ja nicht wirklich. „beamter in zivil“ kann ja auch… ein mitarbeiter der agentur für arbeit sein :)).

    ich lehne autoritäten übrigens nicht ab, ich stelle sie nur dauernd in frage. :)

  4. 04
    Jean

    Gab es da nicht einmal den Hauptmann von Köpenick…..

  5. 05

    Oh, das ist wirklich eine erschreckende Geschichte – vor allem das die Plizei nicht erreichbar war und die das eh nicht interessiert hat. Deine Reaktion ist aber klasse. Sollte ein Kurzfilm oder sowas werden ;-)

  6. 06