Ein denkwürdiger Abend mit Tanz: Gestern in der Volksbühne. Jetzt mit Fotos.
Einleitung für Nicht-Berliner (und Nicht-Berlinerinnen!):
Die Berliner Volksbühne ist seit geraumer Zeit mit Jürgen Kuttner, Fritz-Radiomensch, Allround-Talent, sehr geschätzter Freund und Kollege von mir (und ja, er ist ihr Vater) eng verbunden und steht ihm für seine immer wieder großartigen Videoschnipselvorträge zur Verfügung. Unter anderem.
Radiohörer (und -hörerinnen!) verehren Kuttners Sendung „Sprechfunk“ (jeden Dienstag von 22h bis 1h auch als Real-Stream bei Fritz zu hören) und stellen sich mit beinahe sadistischer Euphorie immer wieder gerne seinen in feinster Ostberliner Mundart vorgetragenen Fragen (im besten Fall).
Gestern lud Jürgen Kuttner zum „Ein-Euro-Abend ohne Kuttner“ bei freiem Eintritt in die Volksbühne. Und rund 700 Menschen kamen und versammelten sich in der immer wieder wunderschönen Theaterhalle.
Wer zu früh kommt, den bestraft die Kälte
Natürlich ging der Abend doch nicht ganz ohne Kuttner, der die Anwesenden zu Beginn der Veranstaltung mit der ihm eigenen Art inklusive Exkursen zur Brechtschen Theatertheorie auf die kommenden 55 Minuten vorbereitete. So lange nämlich (eine Stunde am Stück, abzüglich fünf Minuten Zigarettenpause am Ende) sollten die Besucher im Theater verweilen. Und – zum Beispiel – nachdenken.
Wer das durchhielt, würde danach gegen Vorlage seiner Eintrittskarte einen Euro an der Kasse erhalten.
Nachdem Kuttner auch den dümmsten Anwesenden die Parallelen zum Ein-Euro-Job klar gemacht hatte („Ick soll hier fegen? Is‘ doch janich dreckich! Na ejal.“), hatte er auch schon die Bühne ver- und den Saal dem Publikum überlassen.
Zunächst setzte nun eine Mischung aus Kneipengetuschel und peinlich berührtem Gekicher ein. Dann besetzten einige junge Menschen im wahrsten Sinne des Wortes und unter wüsten Beschimpfungen von Teilen der Sitzengebliebenden („Schmeißt die Hippieschweine runter!“) die Bühne, machten Schattenspiele im Spotlicht und versuchten, den Kapitalismus für sich zu nutzen, indem sie denjenigen, die vorzeitig den Saal verlassen wollten, 50 Cent für ihre Eintrittskarte boten (gar nicht so schlecht: „Ich geb dir 50 Cent und deine Freiheit!“).
Die Liebste und ich taten das, was wir tun sollten. Wir dachten nach. Und verließen dann trotz größter Neugier auf die weiteren Ereignisse den Saal. Die Schmach, am Ende zu den Deppen zu gehören, die sich als offensichtlich bereitwilliges Futter für Ein-Euro-Jobs selbst erkennen sollten, wollten wir uns nicht geben. Wie hatte es Jürgen Kuttner zu Beginn so treffend und richtig vorhergesagt (frei zitiert):
Ich weiß nicht, was hier in den nächsten 55 Minuten passieren wird, aber ich bin mir jetzt schon sicher, dass sie alle dieses Theater um einiges klüger verlassen werden. Und so soll ja Theater auch funktionieren.
Natürlich waren wir nicht die Einzigen, die den Weg ins Foyer suchten, doch ich schätze, dass sich etwa 90% des Publikums tatsächlich den Euro abholten.
Experiment gelungen.
Es folgte der Umzug in den Roten Salon, ein Nebensaal der Volksbühne, Fassungsvermögen etwa 150 Leute und ebenfalls sehr schön. Ein Salon eben. Rot. Hier folgte die „sozialkritische Disko mit Moderation“, zu der mich Jürgen eingeladen hatte. Abwechselnd moderierten und spielten wir sozialkritische Songs jeder Art und bemühten uns, das anwesende Volk trotzdem zum Tanzen zu verleiten.
Mütze, Kuttner, Haeusler, Lenin, Marx (v.l.n.r.)
Es liegt an euch, den musikalischen Abend zu beurteilen, falls ihr dort wart. Ich kann auf jeden Fall behaupten, dass ich eine Menge Spaß hatte und ob der streckenweise doch nicht gerade zielgruppenfreundlichen Musikmischung („Hey Boss, ich brauch mehr Geld“, „Summertime Blues“, „Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn“, „Neue Zähne“, „Anarchy in the UK“, usw.) von der fast ausnahmslosen Begeisterung der Bleibenden (schätzungsweise 100 Leute bis 2h) sehr positiv überrascht war.
Gegen Ende haben wir dann nur noch hemmungslos gerockt, ein Mensch mit Clash T-Shirt war da, einer im Anzug, ein paar unbewegt kritisch Guckende mit Baseballmützen, die ziemlich früh gingen (Dschamba Mitarbeiter? ;)) und dann hat noch Der Alex hallo gesagt. Prima Abend.
Das Haus, rockend.
Ob wir das nochmal machen?
You bet!
wär gern gekommen, hatte aber Hechelkurs mit meiner Liebsten und waren der der Tiefenentspannung sowas von entspannt, dass wir es nur noch ins Eigneheim geschafft haben.
Hoffentlich beim nächsten Mal.
Zu Deinem Betreff fällt mir da doch dies hier ein: „Neu, absolut NICHTS für mehr als 12.000 Pfund“.
Siehe http://cgi.ebay.co.uk/ws/eBayISAPI.dll?ViewItem&item=5552296812#description
Rerun, ist „Hechelkurs“ was mit Sex?
ja, bitte, macht’s nochmal! war wirklich grosse klasse! thx!
Also ich vermute, das es eine Folgeerscheinung ist, die mehrere Monate nach Sex auftreten kann, wenn man es will :D
@uwe
mittelbar ja – das ist das, was man knappe neun Monate nach dem Sex macht um zusammen mit der Liebsten eine gut Figur im Kreißsaal zu machen ;-)
A, verstehe. Sind doch aber 10 Monate. Hihi, und Du denkst daß DU der Vater bist… ;-)
@uwe
ah, ein Auskenner ;-) Stimmt natürlich mit den 10 Monaten. Dann weißt Du ja auch, dass man den Kurs eben ein paar Wochen vor dem Tag X macht – so wie wir grade.
Ich kenn mich damit nur theoretisch aus, weil ich bisher nur potentielle Kinder in die Welt gesetzt habe, keine realen.
Man hätt’s früher wissen müssen.
Lieber Johnny,
was für ein schöner Bericht! Vielen, vielen Dank. Das große Ereignis ist völlig an mir vorüber gegangen. Schade, gern hätte ich doch auch mal wieder nachgedacht.
Und was für eine Überraschung, hier jetzt den guten, alten Rerun zu treffen. Und dazu noch hochschwanger. Meine Güte, Erinnerungen werden wach… Was ist mit Dear, stena… Wo seid ihr? Gibt es euch noch?
Freue mich über Lebenszeichen jedweder Art (ElsiePie@web.de) von allen, die damals (meine Fresse, das ist jetzt auch bald schon acht Jahre her, oder?) mit von der Part(y)ie waren.
Lieber Gruß ~ Ex-Elsie (was für ein bescheuerter Nick, den ich mir damals ausgesucht hab… *augenroll*)