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Der König

koenig
Foto © johnwilson 1969

Ralf König, der zweite große deutsche Pimmelmaler neben Jonathan Meese, schreibt auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft in zwei Bänden einen Kommentar zum Aufeinanderprallen der Kulturen – und kaum einer bekommt es mit.
Was ist da los?

Jeder Schriftsteller, jeder Kolumnist, jedes dicke Mädchen, das auf seiner Homepage Gedichte veröffentlicht, und jeder Briefbeschwerer haben sich mittlerweile jedem Aspekt der Tatsache gewidmet, dass ein alter Mann, der an einer äußerst erbsensuppigen Sprache leidet, in seiner Jugend eine S- Störung hatte.

Aber zu Ralf Königs „Dschinn Dschinn“ regt sich keine Feder.

Das ist der Fluch der Pimmel, der Fluch der Comics, der Fluch des Aus-unserer-Generation-Stammens – und der Fluch der Albernheit.
Wenn all das zusammenkommt, will sich keiner die blütenweißen Blätter damit schmutzig machen.

Das Generationen-Problem ist auch schon anderen aufgefallen. Man muss in Deutschland den Tod schon um sein Haus herumlaufen sehen, um öffentlich anerkannt zu werden.
Greise dominieren den Zeitgeist, wenn im Bundestag mal ein Sechzigjähriger auftaucht, wird er spontan zum jungen Wilden erklärt.

Comics kommen vor in den Feuilletons, aber fast immer auf Spezialseiten, die Zeit hat mal „Im Schatten keiner Türme“ von Art Spiegelman veröffentlicht, aber dass Comics gleichberechtigt neben Romanen stünden, kann man nur behaupten, wenn man das Zimmer eines Sechsjährigen inspiziert.

Und der Fluch der Pimmel?
Ist nicht der eingangs erwähnte Meese Liebling der Avantgarde?
Der Kunstmarkt hat nun aber das Glück, dass der Mainstreamkonsument sich schon zu einer Zeit genervt vom aktuellen Geschehen abgewandt hat, als Picasso noch Haare hatte.
Daher gibt es in diesem Mikrokosmos der Sektempfänge keine Skandale und keine Geschmacksgrenzen mehr, nur noch Macher und Bieter.
Ralf König aber, der verdiente Verderber der Jugend, muss sich mit dem Pornographieverdacht herumschlagen.

Das Pimmelproblem fällt zusammen mit dem Makel der Albernheit.
Ralf König scheint die Verkörperung der Außer-Rand-und-Band-Gesellschaft zu sein und tasächlich – kaum einer ist alberner.
Wenn im Laufe eines so leidenschaftlichen wie eiligen Bite-a-Bites Sperma an die Wand einer Flughafentoilette klatscht, dann begleitet es König brachialonomapoetisch mit: Spermaandiewandklatsch!

Ich habe schon über Subtileres gelacht, aber selten so laut.

Als ich einmal im Literaturuntericht einen König-Dialog aufführte, bekam mein Lehrer einen roten Kopf und erregte sich über die „flache Kacke“, die wir da präsentierten.
Ja, albern ist er, flach ist er, aber in seinen besten Büchern balanciert er zwischen dieser Albernheit und Tieftraurigem so gekonnt umher wie sonst kein deutscher Schriftsteller. Es verrutscht ihm kein Wort, kein Bild, wenn er das Grauen schildert, das AIDS über die Schwulen gebracht hat, das Hinwegsterben ganzer Freundeskreise wird zwischen Tuntentratsch und Lederhumor thematisiert.
Aber Quatsch!
Albernheit braucht keine Rechtfertigung.
Jeder Künstler und Kunsthandwerker weiß, dass das Lachen die am schwersten hervorzukitzelnde Emotion ist – dass die deutschen Feuilletonisten die Humoristen nicht zu schätzen wissen, müssen sie mal mit ihren Therapeuten durchkauen.

Ralf Königs wahres Dauerproblem und tatsächlich rufschädigend ist die Verfilmung seiner Bücher.
Sein harmlosestes Buch, „Der bewegte Mann“, ist vom harmlosesten deutschen Regisseur, dem Fußballspielenacherzäler Sönke Wortmann, in bewegte Bilder umgesetzt worden, bewegen kann der Film allerdings schwerlich.
Die Verfilmung von Lysistrata habe ich mir gar nicht erst angetan, denn ich fürchte spanische Filme fast so sehr wie Hörspiele.

„Wie die Karnickel“ wurde gar von Sven Unterwaldt verfilmt, dem Mann der schon „7 Zwerge“ und den jüngsten Tom-Gerhardt-Streifen verbrochen hat.

Hat Ralf König keinen Agenten? Oder erkennen die deutschen Regisseure, deren Filme man anschauen kann, nicht das Potenzial der Geschichten?

Für das nächste Jahr wünsche ich mir, dass Oskar Roehler „Konrad und Paul“ verfilmt.
Dann wird alles gut und der Clash of Cultures lässt sich besser ertragen.

Nun aber zum Stein, an dem sich niemand stößt.
Die Geschichte beginnt zur Zeit Karls des Großen.
Ein Mullah, der nach einer nächtlichen Begegnung mit einem Erzengel sein Dorf tyrannisiert und vor allen Dingen: talibanisiert, wird von einem schwulen indischen Schuhhändler zum Liebesdiener verwunschen.
Als Lampengeist muss er die Haremsdamen des grassgreisen Großwesirs beglücken.

Über Umwege landet er in der WG von Jürgen, einem wohlbeleibten Gummifetischisten und Dörte, in der zwar die Emanzipation noch leise Echos hallen lässt, die aber Männerprobleme hat wie die Frauen aus „Sex and the City“.
Die ganze Geschichte ist eher Schmunzelhandwerk als der ganz große Durchlacher, aber König zeichnet präzise wie ein Landvermesser die Grenzen unserer Toleranz.

Die islamische Welt hat auf die Bücher reagiert wie das deutsche Feuilleton – gar nicht.
Keine weltweiten Proteste und es brannten auch keine Botschaften, nicht einmal kleine.
Obwohl beide Bände implizit behaupten, dass es Homosexualität in der muslimischen Welt geben könnte. Aber selbst ein hasserfüllter hasspredigender Berufshasser täte sich schwer zu übersehen, dass keinerlei Religionsbesudelung in den Büchern vorkommt.
Die Botschaft ist näher bei dem späten John Lennon als bei Huntington, plakativ am Ende des Buches als Schlusswort, naiv wie aus Kindermund – und daher wahr.

Einst […] schickte […] Karl der Große eine Delegation mit Geschenken unter der Führung eines jüdischen Kaufmanns namens Isaak […] an den Hof Harun ar Raschids.
Fünf Jahre später kehrte Isaak nach Aachen zurück, überhäuft mit Geschenken des Kalifen für den Frankenherrscher.

„Sie tauschten Geschenke!
Welcher friedliebende Mensch unter des friedliebenden Gottes friedliebendem Himmel seuftzt über diesen kurzen Augenblick der Historie nicht tausend sehnsuchtsvolle Seufzer?“

Das Schlusswort darf aber ausnahmsweise nicht das Ende sein.
Denn Tanja sagte, als ich von „Dschinn Dschinn“ erzählte, etwas, das zwar ganz und gar nicht stimmt, aber dafür ganz und gar großartig ist:

Da schreibt er doch bestimmt wieder nur über dicke Hisbollahs.

20 Kommentare

  1. 01

    Mensch Malte, wie steh‘ ich denn jetzt da?
    Und Roehler die Verfilmung für „Konrad und Paul“ zu überlassen- jamais!
    Andreas Dresen ist unser Mann für unpeinliche Umsetzung unfreiwilligen Alltagswitz und zwischenmenschliche Katastrophenkomik.
    DAS wäre aber mal toll!
    Toll aber auch, was du da so von dir gibst.

  2. 02

    Erbsensuppe? S-Fehler?

    Die Erbsensuppe nehme ich mit, den S-Fehler nicht – da habe ich ganz andere Assoziationen – aber wurschti – is dein Text Malte.

    Seine (die von der Erbsensuppe) Gedichte sind chauvinistisch. Punkt.

    Kommen wir zum Eigentlichen.
    Da sind wir mal wieder bei meinem Lieblingsthema – Was ist eigentlich Literatur? – bzw., wer bestimmt, was Literatur ist – gelandet.

    Woran kann man das festmachen?

    Ich würde behaupten Qualität! Das gutgemachte – also gut erzählte und natürlich auch gut gezeichnete – Comics dazugehören, steht für mich außer Frage.

    Lysistra habe ich von einer lieben Freundin zu meinem achtzehnten Geburtstag bekommen und ich habe es geliebt, mehrmals gelesen und ich war ihr echt dankbar dafür.

    Später habe ich selbst zusammen mit jemandem versucht eine Comicgeschichte für Kinder (er – Zeichner, ich Erzählerin) auf die Beine zu stellen. Das braucht Talent für kurze prägnante Texte, einen klaren Erzählstrang und so weiter und so weiter…, welches ich übrigens nicht hatte.

    Das ist harte Arbeit und will gut durchdacht sein, egal an welche Leserschaft man sich wendet. Es gibt viele gute – also belgische und französische – von mir aus auch japanische und amerikanische Comics – und viel Schund – also genauso vielfältig wie bei Literatur ohne Begleitbildmaterial.

    Viele haben schon versucht – Photogeschichten/romane/gedichtbände (nicht jetzt Bravo oder so) zu erzählen – aber das funktioniert einfach nicht. Comics hingegen haben eine lange Tradition, sind thematisch zum Teil vielfältiger als Literatur ohne Zeichnungen und so gesehen natürlich zeitgemäßer.

    ja – so erst einmal

  3. 03

    Ein schöner Artikel! Kleiner Hinweis, König schreibt sich Ralf, mit F. :)

    Ich finde es auch immer etwas traurig, daß seinem Werk wesentlich weniger Presseaufmerksamkeit zuteil wird, als anderen Autoren. Selbst im Comicbereich, befasst man sich dann doch lieber ausführlich mit dem neuen Werner-Band oder den Adolf-Comics des geschätzten (und mit König befreundeten) Walter Moers, als mit den Werken des Knollnasen-Zeichners.

    Klar verkaufen sich Königs Werke sehr gut, aber wirklich gewürdigt werden sie doch eher selten. Was schade ist, denn er liefert nicht nur eine sehr treffende Beobachtung schwulen Alltags, auch in den düsteren und tragischen Momenten, sondern ist wirklich guter Geschichtenerzähler, dessen Langstories eine beachtliche Komplexität aufweisen.

    Besprechungen von Dschinn Dschinn und Trojanische Hengste:

    http://www.nochetwassalz.de/batzlog/2005/10/23/letztes-lesezeichen-dschinn-dschinn/
    http://www.nochetwassalz.de/batzlog/2006/05/16/letzte-lesezeichen-2x-ralf-konig/

  4. 04

    Mh, Deine Feuilletonkritik verstehe ich nur zum Teil: Comics kommen zwar in den Zeitungen nicht so oft vor, aber wieso erwartest Du, daß die Zeitungen jetzt ein Werk besprechen, das vor einem halben Jahr erschienen ist?

  5. 05
    Malte

    @ Batz
    Das ist mir dann doch peinlich, ich habe alle Bücher von ihm, auch die alten, und immer wird er mit f geschrieben. Hält mich nicht davon ab, ihn 27 Mal falsch zu schreiben.
    Deinen Artikel hatte ich übrigens schon im Text verlinkt;)
    @ stralau
    Sie sollen sie nicht jetzt besprechen, sie hätten es irgendwann tun sollen. Dann hätte ich auch früher gemerkt, dass es sie gibt :)
    @ sunny
    jenauestens!
    @ tanja
    Ich biete Hans Weingartner

  6. 06

    Ich lese ja nicht alles, aber in der Frankfurter gab es schon im Februar einen Vorabdruck.

  7. 07
    Malte

    Ja, bei SpOn stand auch was. Aber ich rede hier von Gewichtung. Da ist ein junger schwuler Autor, der sich mit dem Islam auseinandersetzt. Und – wow – tatsächlich wird er irgendwo erwähnt.
    Ich möchte das umgekehrte Verhältnis: Eine Randnotiz:
    Gelegenheits-Schriftsteller gesteht: Ich war dabei.
    Und eine Riesenmörderdebatte mit Tagesschau und Kanzlerinnenwort zu Ralf König.

  8. 08

    @Malte

    Wups, das mit dem Link hatte ich gar nicht gemerkt, danke!

    Allgemein: Auch wenn König ab und zu mal besprochen wird, ist die Resonanz dennoch im Vergleich zu dieser Grass-Promo-Aktion (und nichts anderes ist sie) oder auch nur dem Bohei der um jeden neuen Asterix-Band gemacht wird, ziemlich erbärmlich.

  9. 09
  10. 10

    Batz: Wenn ich mehr Geld zur Verfügung hätte, würde ich mir viel mehr kaufen oder schenken lassen. Punkt.

  11. 11
    Malte

    @ sunny
    Wenn du mehr Geld hättest, dann würdest du dir mehr schenken lassen?
    Matthäus-Prinzip?
    @ Oliver
    Den Raab wollte ich auch erwähnen (aber der Text ist ja so schon arg lang), das „Gespräch“ habe ich gesehen, der König hat mir sehr leid getan.

  12. 12

    Malte: Bring mich nicht aus dem Konzept. Ich wollte nur andeuten, dass meine Freunde (die zwei/drei) NOCH nicht über genug Geld verfügen, um mich stündlich mit Büchern zu überhäufen. Naja, dann muss ich das wohl selbst in die Hand nehmen.

  13. 13

    Birger: So was nervt mich. Es gibt genug junge Autoren und Journalisten, die klare Positionen beziehen – nur weil sie nicht für 80 Millionen stehen, werden sie nicht beachtet. Oder anders herum, das Volk will den Moralisten gebracht bekommen. Meine Güte – man kann seine Helden doch beim abendlichen oder morgendlichen Bücher oder Zeitung lesen sich selbst aussuchen. Ich brauche keinen Staatsmoralisten.

  14. 14
    Malte

    Birger, natürlich könnte man meinen, dass Qualität sich halt durchsetzen muss und es daher nur fair ist, dass man (pauschal gesagt) von unserer Generation nichts hört.
    Aber ist denn der Wettbewerb um mediale Aufmerksamkeit tatsächlich einer mit Chancengleichheit?
    Mir geht es gar nicht in erster Linie um das Alter der genannten Autoren. Mich stößt die ritualisierte Debattenkultur mit dem ewiggleichen Themenkreis ab. Was wurde im letzten Jahr die Hochhuth-Äußerung über Irving breitgetreten – ich kenne niemanden, der an solchen Geisterdebatten ein ernsthaftes Interesse hat. Äußert sich aber ein Autor aus unserer Generation zu einem Thema, das für uns von Interesse ist, schallt ihm das erwähnte Schweigen entgegen. Das liegt nicht nur daran, dass die meisten Verantwortlichen – gerade in den Öffentlich-Rechtlichen (aber auch Herr Mohn ist kein junger Mann) – kurz vor der Pensionierung stehen, mehr noch liegt es an einer Denkfaulheit und Unlust, sich mit neuen Problematiken auseinanderzusetzen. Hat man einmal gelernt, was man zum Dritten Reich sagen darf und was nicht, kann man prima 30 Jahre bundesrepublikanische Debatten bestreiten, was soll man sich da noch mit der Generation Praktikum herumärgern?

  15. 15
    oehi

    ist doch wie mit allen Buchverfilmungen: Je besser das Buch, desto schwieriger die Verfilmung — umso größer auch die Entäuschung. Wem fällt eine gute Verfilmung einer Comicvorlage ein?
    Asterix? Werner? Kleines Arschloch? Da waren schon die Trailer Grund genug, das Kino schleunigst wieder zu verlassen.

  16. 16

    Schönes Foto! Wo kann man sowas fotografieren?

  17. 17

    @oehi:
    Naja, also die Verfilmungen von Asterix sind, mit Ausnahme von „Operation Hinkelstein“ und „Sieg über Cäsar“, alle ziemlich gut wenn nciht sogar seeehr seehr gut! :)

  18. 18

    Wo steht denn dieses schöne Schild??? Doch nicht etwa in TUNTENHAUSEN, wo doch bezeichnender Weise der Papst gerade rumgeschlichen ist!!!

    Kisses

    Holger

  19. 19
    hartefelder

    wieviel hat Herr Meese für den Link seines Namens auf das Interview mit Grass zum Thema Waffen-SS gezahlt?

  20. 20
    Malte

    @ hartefelder
    So, der Fehler ist behoben, danke.