Foto: Breeblebox
Wenn man auf diese gemütliche, kopfgrippale Art krank ist, schläft man viel und man träumt bunt. Gestern nachmittag beispielsweise war ich Terrorist.
Wie es im Traum so ist, gab es keinen großen Entwicklungsprozess dahin. Auch war mein ideologischer Hintergrund mit „diffus“ noch wohlwollend umschrieben. Ich war nicht im eigentlichen Sinne ein arabischer Terrorist, war aber bereit, auf der großen Popularitätswelle des islamistischen Terrorismus mitzuschwimmen. Ein sehr angenehmes Überlegenheitsgefühl machte sich in mir breit, denn ich wusste ja, dass etwas passieren würde, wovor all die anderen nur eine verschwommene Angst hatten.
Ich würde den niederschwelligen Terror einführen. Ich würde nicht die Bundeskanzlerin erschießen oder den NATO-Generalsekretär, ich würde die Intifada nach Deutschland bringen. Kleine, aber blutige Anschläge, mal hier acht Menschen töten, mal dort zwanzig in den Tod reißen, bis sich niemand mehr sicher fühlen würde.
Langfristiges Ziel des Ganzen war, mich zum berühmtesten Terroristen aller Zeiten zu machen.
Der Coolste war ich schon. Wie ein satter Leopard streifte ich durch die Straßen, gehüllt in eine Retrolederjacke, federnd wie der junge Travolta, kühl wie der noch jüngere Delon. In Reminszenz an den Film „Baader“ dachte ich bei jeder Frau, die ich sah „Fotze“ und war so dermaßen männlich, dass mir jeder Arzt ohne mit der Wimper zu zucken mehr Testosteron bescheinigt hätte als der ganzen Al Qaida.
Ein Anschlagsziel hatte ich bald. Ein Supermarkt, in dem Freitag nachts Musik gespielt wurde. Gebrochene Subkultur. Die Hedonisten würde es am härtesten treffen. Die ironische Generation würde jaulen und vielleicht – vielleicht wäre sie plötzlich zu echtem Pathos fähig.
Ich deponierte meine Sprengladung, arrangierte den Timer und begab mich in den Supermarkt. Pünktlich um acht wurde das Licht ausgeschaltet, ein paar rote Birnen gingen an – und plötzlich befand ich mich in einem Mike-Leigh-Film.
Dieser Club im Supermarkt war nicht ironisch, das hier war die Tanzveranstaltung der Entrechteten, die sich einen Clubbesuch nicht leisten konnten. Tristesse banale.
Ein etwas zurückgeblieben wirkender Junge namens Barney – er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt – fasste sich an diesem Abend erstmals ein Herz und sprach die Kassiererin der zweiten Kasse an. Sie wagten einen schüchternen Engtanz auf ein Lied von Shakira. Ich hatte noch nie Glück in einer so reinen Form gesehen wie auf dem rotbeleuchteten Gesicht von Barney.
Ich ging rechtzeitig vor der Explosion hinaus.
Das Bekennerschreiben unterscheidet den Terroranschlag vom Mafiaverbrechen. Aber ich tat mich schwer damit. Würde ich es in meiner eigenen Sprache formulieren, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis ein Spreeblickleser die Polizei informieren würde, dass er diese seltsame Sprache kenne. Würde ich es absichtlich verstellen und beispielsweise in gebrochenem Deutsch einen Araber simulieren, hätte ich von mir abgelenkt, aber mich gleichzeitig verraten. Und für mich tat ich das Alles schließlich.
Also kein Bekennerschreiben.
Die Medien merkten noch vor der Polizei, dass es hier nicht um die Schutzgelderpressung eines gegnerischen Supermarkts ging. Sondern um das auflagensteigerndste seit Heilmitteln gegen Krebs: Um Terror. Reinen, wunderbaren, chefredakteurserfreuenden Terror.
Sie wünschten mir unbekannterweise den Tod. Malten sich aus, dass ich gefoltert werden müsse, um meine Mittäter zu verraten. Machten mich zur Al Quaida.
Ich verstaute alle Beweismittel, die zu einer beträchtlichen Menge herangewachsen waren (vor allem die verworfenen Bekennerschreiben nahmen viel Platz weg), packte sie in einen Transporter und fuhr nach Charlottenburg. Dort verbrachte ich die Nacht in meinem Transporter und lachte über Osama in seiner Höhle.
Ich fühlte mich unangreifbar.
Und im nächsten Moment wie eine Nacktschnecke, die in einen Stacheldrahtzaun geworfen wurde. Im Vorbeigehen hatte ich in einem Schaufenster einen Blick auf mich erhascht. Ich hatte einen Bart. Verdammt, wie lange hatte ich mich nicht mehr rasiert? Ich hatte einen Bart und hatte diesen Transporter und die ganzen Gutbürgerlichen, die schauten bestimmt schon längst kopfschüttelnd aus ihren Fenstern und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die Polizei alarmieren würden.
Ich musste den Transporter loswerden. Ich brachte ihn zu einem Self-Storage-Service, bezahlte im Voraus, damit es mir nicht so ginge wie Paris Hilton.
Das machte jetzt überhaupt keinen Spaß mehr, alle schauten mich an, jeder könnte zum Handy greifen und dann würden sie mich foltern, weil sie mir nicht glauben könnten. Nicht glauben dürften. Ständig flackerte Barney in mir auf.
Ich beschloss, aufzuhören mit dem Terrorismus, die restlichen Sprengladungen in dem Self-Storage-Service zu lassen, immer gut rasiert zu bleiben, wegzuziehen in eine mittelgroße bayerische Stadt und Verfasser von IKEA-Katalogen zu werden. Ich würde jedes Raster unterlaufen.
„Und außerdem“, sagte ich zu meiner Freundin, die plötzlich auftauchte und ein wenig stolz auf mich war, gleichzeitig aber die Vernunft meiner Abkehr vom Terrorismus unterstützte, „außerdem bereue ich doch wirklich.“
äääh, wars die Grippe oder die Medikamente dagegen die sowas auslösen?
auf zu neuen ufern! (einen habe ich noch, genau einen kommentar)
matz-o-man: Lies es nochmal, dann verstehst du es vielleicht.
da isser ja wieder.
Jetzt direkt: Alles Gute! Ich wünsche Dir im neuen Lebensjahr, dass Du Dich NICHT von Otto Schily verteidigen lassen wirst. Aber egal wie es ausgeht, KLAR kommst DU nach 15 Jahren wieder raus!
Krank bin ich nicht, aber faul. Diese Faulheit wird mich vermutlich noch entweder in die schüttere Geheimratsecke der Prostitution oder des Terrorismus treiben. Wie dem auch sei.
Während man sich früher als Frau entweder Ensslin oder Meinhof zuordnete, welches zum einen durch das Äußere und zum zweiten durch das Innere bestimmt war, ist es als arabische vermummte Terroristin sinnlos, ein formvollendetes Gesicht zu besitzen. Die Kleidung spiegelt die politische und religiöse Haltung wider und ein toter Sohn bleibt ein schlechter Sohn, auch wenn er vielleicht nach der Explosion Zugang zu ungehemmten Sex hat.
das war mein letzter kommentar gewesen!
Nun ja, ich war ja faul gewesen. Also brauchte ich einen Sinn in meinem Leben und entschied mich dazu, ein Pamphlet zu schreiben, in dem ich erklärte, warum ich all die Jahre über so faul gewesen bin.
Ich hatte Zugang zu allen möglichen Jobs, konnte mich kaum entscheiden und platzierte deswegen mein Gesicht in der medialen Öffentlichkeit. Meine Güte, diese 90er. Lauter Girlies, Riot – Girls und Fashionvictims. Das wurde mir zuviel und ich wurde radikal. Mein Haus, mein Kind, mein Mann.
Meine Schwestern und Zwillingsschwestern waren aufgebracht. Als naturwissenschaftlich gebildete Mutter der Nation suchte ich einen Ausweg. Gesundheit für alle schrieb ich mir auf die Fahnen und beglückwünschte mich selbst zu meiner Gemüseaffinität. Das ist ein Ausweg, sagte ich mir und mein Mann stimmte mir zu, während ich in ein gieriges Kameraauge blickte und meine eigene Mittelmäßigkeit bedauerte.
Shake hands, shake hands.
Lächeln. Provokativ sein. Standpunkt beziehen und Nacktschnecken in Stachelzäune werfen.
Bitte mehr Johnny statt Malte…ansonsten:
Gute Besserung.
Nehmt Malte doch mal die Tabletten weg.
Nee, wenn solche Texte dabei rauskommen, dann gebt ihm ruhig mehr davon.
ich hab ernsthaft („auch“) mal getraeumt, dass ich terrorist war. vielleicht war ich ja ein jünger deiner, malte. oder dein sprengstoffspezialist.
Ne, also wirklich Malte: Der Text ist toll!
Und erinnert mich total an das Buch, das ich grade lese:
„Spinnerkind“ von Heiko Wolz.
Kennt Ihr Euch? Wirklich sehr ähnlicher Schreibstil und Hang zum Absurden :-)
Weiter so!
Gruß, Patrick
Mehr Johhny statt Malte, das würde ich auch unterschreiben. Wobei der Text heute ganz schön zu lesen war. Aber dieses „Ich bin Dadaist, Zyniker oder sonstwie total anders als der Mainstream“ von Malte find ich einfach nicht besonders unterhaltsam. Da gibts auch genügend Blogs, die auf diese Weise nach Aufmerksamkeit hecheln. Johnny hat oft so eine erfrischende Neugier und Raffiniertheit in seinem Umgang mit der Welt. Macht irgendwie mehr Spass.
Aber dennoch: Gute Besserung Malte. Und nicht böse sein, jeder hat halt seinen eigenen Geschmack.
Mir träumte letztens, dass ich einen Stempel mit der Aufschrift „Das Bier ist schal.“ anfertigen liess. Den habe ich dann mit in die Kneipe genommen um bei Bedarf Bierdeckel damit stempeln zu können.
„Der Text ist toll! Und erinnert mich total an das Buch, das ich grade lese: „Spinnerkind“ von Heiko Wolz.“
LOL, den merk ich mir. Superbissig: „Das hast du gut gemacht. Erinnert mich an ein Buch, das ich gerade lese: Der Dilettant.“ Oder so.
wenn du noch mehr solcher träume haben willst, empfehle ich GLAMORAMA von bret easton ellis.
schön detailierte schilderung von terroranschlägen. wirkt bestimmt gut auf grippe. und überhaupt ein hervorragendes buch.
@3 (Valentin): Ich hab den Text schon verstanden. Ich frag ja nur ob die Grippe solche Träume auslöst oder die Medikamente dagegen… Wenns die Medikamente sind bitte ich um Namen derer. ;)
Und wenn du immernoch meinst ich habe den Text nicht verstanden, dann hätte ich gerne einen Hint!
Bin ich der einzige der sich fragt was das Bild damit zutun haben soll?
@drexen:
die gehobeneren Modelle dt. Automarken waren in den 70ern beliebte Fortbewegungsmittel der RAF. Andernfalls hätte das Denkschema Käfer=Studi=Terrorist gewirkt.
@ Peter und Karla
Ich weiß nicht, ob euch das jetzt tröstet: es würden hier nicht mehr Texte von Johnny erscheinen, wenn von mir nichts käme.
@ Mart
hehehe
@ Robin
Ich will nicht glauben, dass es hier so hinterhältige Kommentatoren gibt.
@ mc-o
Wahrscheinlich Sprengstoffspezialist. Habe mich auch schon gewundert, wie ich das hinbekommen habe.
@ sunny
Das war doch jetzt nicht tatsächlich dein letzter Kommentar?
@ Björn
Otto Schily hat jetzt anderes zu tun.
@ Pat
Und vielen Dank für den Text :)
Eigentlich würd ich Malte ja von Herzen gute Genesung wünschen, andererseits, wenn durchs Grippedelirieren solche Texte zustande kommen…
Creutz, du machst es einem schwer!
Dennoch gute Besserung und Bon Anniversaire!
Ein wunderbarer Text. Nur verstehe ich nicht, wie einige hier das nicht unterhaltsam finden können. Natürlich, es ist kein witziger Text, nichts für nebenher, quasi Snack. Aber für mich ist auch Nachdenken Unterhaltung…
Ansonsten, trotzdem, gute Gesundung!
Schöne Geschichte.
…
wow, mehr hab ich dazu gar nicht zu sagen :) Hat mir gefallen. Punkt. ;)
@Robin: LOL, so hab ich das gar nicht gemeint, das Buch heißt wirklich so. Aber stimmt, so gesehen wär der Spruch auch gut.
@Malte: Hast du schon nen Verlag? Wär mal Zeit, einen zu suchen und den deutschen Buchmarkt aufzumischen :-)
Gruß,
Patrick
gelbe scheinwerfer?
tipp 33 aus der terrorismusbroschüre: gehen sie rechtzeitig vor der explosion hinaus. aber echt jetzt, hinaus am besten. kapiers halt! hinaus gehen, dummer terrorist. hinaus! sonst gehst du mit drauf und deine karriere ist vorbei. aus und vorbei.
Mehr oder weniger Johnny, Tanja, Malte? Baut euch doch ne Pipe. Oder lest einfach nur http://www.spreeblick.com/index.php?s=malte und so. Doch denkt dran: Lieber oefter mal was Neues denn die Mischung machts.
p.s. Hab derzeit auch wilde Traeume kopfgrippaler Art. Ob da ne Ibu hilft?
Äh, Malte, darf ich Dein Prätorianer sein?
DL-77-34, ich sag bloß DL-77-34
Ich würde sogar meinen: 1970er Mercedes 280 S (fofografiert [geträumt] in Amsterdam)
Terrorgedanken sind die normalsten Gedanken der Welt – in einer Zeit die in die Verrücktheit getrieben wird und die das Normale als auch das Wir bekämpft!
In einem Land der gebildeten Facharbeiter währen die Möglichkeiten dazu beinahe unendlich!
Nur gibt es keine zweckmäßigen Ziele – weder auf Sachen noch auf Menschen – dennoch könnte ich mir Drehbücher vorstellen die diese Möglichkeit als Exzellenz erschaffen. Blut und Tot oder Zerstörung ist es jedenfalls nicht!
mehr johnny und malte weiterhin soviel. das wärs für mich.
wenn ich den malte so lese, denk ich mir oft „der sollte dringend mal ein buch schreiben“. das nämlich würde ich sehr gerne. hätte sogar ne story, nur leider hab ichs nicht annähernd so drauf.
:-)
#1 Terroristen. Das geht mir doch ein bischen zu weit. Wie wär’s denn mit Piraten? (Freibeuten, für einen guten Zweck versteht sich!) :
http://www.seashepherd.org/leviathan/leviathan_video.html
#2 Bestes Motiv im Text : „eine mittelgrosse bayerische Stadt“