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Gerichtigkeit

hammer
Foto: Ich

Etwas zum ersten Mal erlebt zu haben ist oft einen Blog-Eintrag wert (es gibt Ausnahmen, viele sogar).

Und gestern stand ich zum ersten Mal vor Gericht.

Um den Inhalt der Verhandlung, in der ich als Kläger auftrat, wird es hier nicht gehen. Geht keinen was an, hat rein gar nichts mit Spreeblick oder Blogs zu tun. Alte, traurige und unschöne Geschichte. Und jetzt endlich vorbei.

Der Termin selbst aber ist ein paar Zeilen wert.

Mit der Juristik geht es mir ähnlich wie mit der Touristik. Ich weiß, wofür man es braucht, aber ich bin ganz froh, wenn ich damit nichts zu tun haben muss. Und für beides benötigt man Dolmetscher.

Die Feinheiten der Rechtskunst, das Vokabular, die Wichtigkeit von Rhetorik und Strategie – alles nicht frei von Faszination. Aber die Klamotten. Wenn wenigstens auch in Deutschland die stilvolle Bedeckung des Haupthaars vorgeschrieben wäre, okay, aber nur die Robe (Vorschrift für Anwälte im Landgericht): Halbherzig.

Schon als wir vor der Tür unseres Verhandlungssaals warteten, musste man den vier Protagonisten (Beklagter und Kläger, jeweils mit Anwalt) ein gewisses komödiantisches Potential zusprechen. Mein Anwalt und ich sahen uns ebenso ähnlich wie die Gegenpartei: Fast Glatze und Nickelbrille bei uns, kurze, aber nicht ganz so kurze, dunkle Haare bei den beiden anderen. Alle im Anzug, na klar, die beiden Anwälte zusätzlich in Robe.

Wir müssen für den Richter, der wiederum wie Jörg Thadeusz aussah und damit eine gewisse Grundgüte ausstrahlte, ein witziges bis lächerliches Bild abgeliefert haben. Ich habe mich dann aber trotzdem nicht getraut, ihm mein natürlich auf „lautlos“ gestelltes Handy in die Hand zu drücken und um ein Foto aus seiner Perspektive zu bitten.

Man muss die ganze Zeit stehen. Rauchen darf man nicht, Getränke und Lebensmittel sind ebenfalls untersagt. Und so schaut man sich suchend nach dem aus Film und Fernsehen bekannten Hammer um und wippt von einem Bein auf das andere, während man der Versuchung widersteht, sich auf die hölzerne Balustrade zwischen Richtertisch und Zeugenstand zu lümmeln. Dabei bemüht man sich vergeblich um die möglichst respektvolle Unterbringung der Arme und Hände in den Varianten Trotzki (zu verschlossen), WM (wirkt ohne Nationalhymne albern) und Rocko Schamoni (zu unentschlossen).

Die Anwälte haben’s da leichter. Die können auf der Suche nach Beweismaterial blättern und während der für mich unerwartet heftigen verbalen Auseinandersetzungen wild gestikulieren: „Aber sie haben doch gerade selbst…“ – „Na das ist ja wohl…“ – „Wenn ich vielleicht mal ausre…“ – „Moment mal, ich habe schließl…“ – „Wenn ihr Mandant…“ und so weiter. Sehr amüsant.

Am Ende fordert der Richter salomonisch zu einem Vergleich auf. Der Prozessverlauf nimmt für etwa 15 Minuten den Charakterzug eines Basars an, man einigt sich, gibt sich die Hand und danach sind vermutlich beide Parteien der festen Überzeugung, das Beste rausgeholt zu haben.

Schon toll, die Juristik. Aber furchtbar anstregend. Eben wie die Touristik.

30 Kommentare

  1. 01

    Diese Kleidervorschriften sind schon ein Witz… da darf man sich ernsthaft fragen, wer denn heute sowas noch einführen würde. Niemand, denke ich mal. Warum behält man es also bei? Tradition? Faulheit?

  2. 02

    Um den dritten Teil kommst du so leicht aber nicht herum!

  3. 03

    Fing der Name des Richters zufällig mit „M“ an? Deine Beschreibung lässt mich zu dieser Frage kommen …

  4. 04

    Es gab Mal eine Zeit in der jeder Radio/Fernsehtechniker wie Mediziner gehült in einen weissem Kittel durch die Gegend geflitzt sind ;)

  5. 05
    MC BASTARD

    ich finde die kleidungsordnung sollte beibehalten werden, wenn ich mir vorstelle einen richter in baggypant oder jogginghose bei einer verhandlung zu sehen, wird mir schlecht. durch ihre höhrere position spiegeln sie auch die gesellschaft wieder und wenn man dann so ein schlampiges aussehen hat, wirft das kein gutes bild auf unsere bevölkerung…

    bei meiner täglichen arbeit muss ich auch die dienstkleidung meiner firma tragen und es ist schon von weitem erkenntlich welchem verein ich angehöre… dadurch wird mir auch respekt entgegen gebracht… wenn ich in alten jeans und poloshirt kommen würde, wär das glaub ich anders…

  6. 06

    Nun, der Zusammenhang mit der Touristik bleibt mir schleierhaft.

  7. 07

    MC BASTARD:
    Bin kein Freund von baggypants, aber nehme Roben ähnlich war wie diese: Löst bei mir keinen Respekt aus, sondern eher Belustigung ob der albernen Bekleidung.
    Gut, aber ’normal‘ gekleidete Juristen, das wäre für mich ein positives Bild. Alberne Roben aus vergangenen Jahrhunderten aufgrund irgendwelcher Vorschriften dagegen…

  8. 08

    Ick finde Jerichte jut. Am liebsten welche mit Fleisch. Aber Nudeljerichte mag ich auch. Ok.Ok. Ich hör schon auf damit. Aber im Ernst, das ist doch toll. Ich bin ja des öfteren mal der Vergeklagte während ich selber zu geizig bin um zu klagen. Ich hab nichts gegen mein Geld. Dann sitze ich da auf der Banke. Überpünktlich, in Verkleidung, also mit Krawürge. Dann geschieht nichts. Gar nichts. Mein Anwalt kommt nicht, der Gegenanwalt kommt nicht der Nebenverklärgeranwalt, auch die Gegenpartei fehlt. Nur icke, icke bin da.

    Janz Berlin war eeene Wolke, nur icke war zu sehen. Dann kommt der Aufruf. Ich rein. Der Richter versucht um mich rumzukucken, ob sich da noch welche verstecken. Ich meine Platz wäre ja genug. Nix. Ick bin alleine.

    Dann klären wir meine Persönlichkeit. Name, geboren, warum. Der Richter sieht immer noch zur Uhr. Versucht Rechtsanwälte und Prozessgegner herbeizudenken und wird immer langsamer. Dann muss er mich ansehen und ich sage das böse Wort. Versäumnisurteil. Machen die nur ungern ohne Anwälte. Aber was hilft es, Ich bin so dick und groß und außerdem schaue ich so böse. Er sagt er wolle noch etwas warten, dem Gegner eine Chance geben. Ich lächle. Das macht ihn nervös.

    Dann öffnet sich die Tür. Er schaut hoffnungsfroh. Aber das sind die Müllers, die kann er erst später verurteilen, Die sehen nicht so aus als ob die Versäumnisurteil sagen könnten. Der Richter seufzt. Ich grinse. Er urteilt Versäumnis.

    Natürlich ist die Sache damit nicht erledigt. Wiedereinsetzung in den alten Stand. Dem widerspreche ich. Klage hin, Klage her nun wird es bunt. Wer so eine Sache richtig pflegt, der hat für Jahre Spaß. Ich habe mich drei Jahre und 8 Monate immer wieder mal mit einem Wasserschaden von 160 Euro beschäftigt.

    Jerichte sind klasse. Egal ob Teller- Zivil- oder Strafjerichte. Aber man muss et möjen.

  9. 09

    Gibt es eigentlich Richterroben-Versandhandel-Kataloge?

  10. 10
  11. 11
    MC BASTARD

    @ Peter:

    wenn man den text markiert, fällt einem was auf…

    scheint wohl nicht so der burner zu sein, die seite :D

  12. 12

    Elite, Die Robe für höchste Ansprüche! *lach*

  13. 13

    Das mit dem „žStehen müssen“ ist aber mittlerweile eher a-typisch. Ich musste noch nie stehen, ob als Anklägerin, Beklagte oder Zeugin „¦

    In meiner ersten Verhandlung (da war ich die Beklagte nach einem Autoverkauf) gab es einen Termin bei meinen RA und zur Verhandlung trat dann sein „žAzubi“ an, der war lustig. Kurzgeschorene Haare im Leopardenlook gefärbt und einen Mantel dabei, denn er schon mal drei Nächte lang als Kopfkissen benutzt haben musste. Wir haben trotzdem gewonnen „¦ ;-)

  14. 14

    Warum musste man stehen? Das hab ich noch nie erlebt.

    Ansonsten: mir ging die Vergleicherei auch immer auf die Nerven. Irgendwann hab ich dann beschlossen, dass das auch ohne Gericht und Anwälte geht. Jeder, der da schon mal dabei war, weiß, dass es am Schluss auf einen vergleich hinausläuft. Deshalb kann man sich mit den meisten Menschen gleich auf eine mittlere Lösung einigen (kalppt allerdings nicht bei Scheidungen)

  15. 15

    @ Simon Columbus:
    Zur Einführung der Robenpflicht kam es, als König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1726 mit der ihm eigenen Ironie die Einführung einer einheitlichen Juristentracht in den Gerichten seines Territoriums anordnete:

    „Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, daß die Advokaten wollene schwarze Mäntel, welche bis unter die Knie gehen, unserer Verordnung gemäß zu tragen haben, damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennt.“

  16. 16
    Patrick

    Ich stand auch kürzlich vor Gericht und muss da wohl demnächst noch mal hin. Allerdings nicht als Kläger, sondern als Beklagter zu 2). Die Geschichte ist lächerlich und so sah das auch der Richter, der beim ersten Mal schon mehr Gelächter denn Ernst für die Gegenpartei aufbrachte, aber das hindert die Klägerin nicht dran, weiter gegen mich zu klagen, in der Hoffnung irgendein Richter möge Unrecht sprechen, was sie als Recht ansieht. Nun ja. Komplizierte Geschichte, aber ich kann und will hier natürlich keine Details veröffentlichen. Nun wo rauf ich eigentlich hinaus möchte: Wir haben gesessen. Und es ging schnell. Und es sollte auch auf einen Vergleich hinauslaufen. Aber die Parteien sind ja zu stur. Also Klägerin und Beklagte zu 1). Nun was solls. Gehe ich halt noch mal dahin und langweil mich.

  17. 17

    … Und gestern stand ich zum ersten Mal vor Gericht.

    Um den Inhalt der Verhandlung, in der ich als Kläger auftrat, wird es hier nicht gehen. Geht keinen was an, …

    Abschalten – Story kaputt!

  18. 18

    @Patrick (16): der Ablauf kommt mir bekannt vor, allerdings ist unserem Kläger wegen ebensolcher Lachhaftigkeit die Klage dann abgewiesen worden.

    Als wir ihn daraufhin verklagten, lief es allerdings hinaus auf: richtig, einen Vergleich…

  19. 19

    Streitbares Völkchen hier. Hätte vielleicht doch Anwalt werden sollen, so wie hier rumgeklagt wird.

  20. 20

    Habe mal mit einem Richter auf einer Fete gesprochen, der das super findet die Robe anzuziehen, weil er dadurch in seine Rolle schlüpft. Hat er sie an, ist er der, der sich bemüht Gerechtigkeit herbeizuführen, auf denr Grundlage der Gesetze und möglichst neutral.

    Legt er sie wieder ab, ist er wieder der Privatmann, der subjektiv entscheiden kann. Es hat also scheinbar für die, die die Roben tragen einen psychologischen Effekt, der meinem Bekannten sehr wichtig ist.

  21. 21

    Amtskleidung ist gut, finde ich. Den psychologischen Effekt kennt man doch selbst auch. Ein guter Anzug fühlt sich anders an als eine Jeans.

  22. 22
    Gene October

    Respekt, über 40, mind. eine Band und verschiedene Plattenverträge gehabt, mind. eine Firma aus dem aktiven Leben geführt, sicher schon den ein oder anderen Mietvertrag unterschrieben, evtl. auch schon mal Auto gefahren oder eine Reise bei der Touristik gebucht und jetzt zum ersten mal vor Gericht – Respekt, Respekt, Respekt. Wenn ich mir alleine überlege gegen wieviele Gesetze Bands so verstossen. Und dir fallen in diesem Zusammenhang nur die Klamotten auf – alter Styler.

  23. 23

    Die Basaranalogie ist treffend und m.E. auch kennzeichnend für ein ausgewogenens Rechtssystem. I.d.R. liegen auf beiden Seiten berechtigte Gründe vor, daher ist ein Treffen in der Mitte – mal mehr auf der einen, mal mehr auf der anderen Seite – wohl am gerechtesten.

    Ein kleiner Seitenhieb auf Kommentare zu anderen Spreeblick Beiträgen; das erkennt man aber nur (kann nur erkennen), wenn man keinen fundamentalen Standpunkt einnimmt.

    Die archaische Kleiderordnung (weiße Krawatten, DarthVader Mäntel – die mit Borte finde ich besonder drollig (Vorsicht Walddorfschüler!))sind halt noch rituelle Überbleibsel, aber oft auch hilfreich, da sich der eine oder andere Streithansel von dem Brimborium einschüchtern läßt.

  24. 24
    Mirko

    Wenn die Anwälte laut werden und so tun als ob, dann ist das oft auch nur Show für die Mandanten. Erfahrene Richter lässt das kalt. Hauptsache Vergleich, bloß kein Urteil. Das würde ja Arbeit bedeuten.

  25. 25

    naja das mit der richterrobe kann man so und so sehen, aber zumindestens die anwälte könnte man doch von diesem firlefanz befreien. in den states(ok sind nicht immer ein gutes beispiel aber manchmal)gibts doch auch kein problem damit in normalen anzügen zu kommen. ps: existiert das wort juristik wirklich ?

  26. 26

    Haluka, frage ich mich auch. Ich hab’s einfach benutzt.

    Gene: Ich glaube, ich hab noch nie einen Urlaub so richtig „gebucht“, vermutlich bin ich deshalb um’s schlimmste drumrum gekommen… :)

    Was den Vergleich angeht: Ich denke, es ist in vielen Fällen der einzige Weg. Alles andere dauert oft Jahre und am Ende bleibt alles unklar.

  27. 27
    PiPi

    Zeugenaussage:

    Verhält sich genauso wie in einem Blog,
    achtet auf jedes Wort das Ihr von Euch gebt.

    Dümmstenfalls landet Ihr plötzlich auf der Anklagebank.
    Mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen.

  28. 28

    @ 25 – Haluka: In Amerika ist es möglich auf richterlichen Beschluss Menschen zu töten. In meinem Augen Grund genug die amerikanische Rechtsprechung eher als Negativbeispiel zu sehen, als alles andere oder?

  29. 29

    Vergleiche sind manchmal zu was Nütze, stimmt…

    manchmal aber auch nicht.
    Beispiel?

    ok
    Meine Freundin wurde im 5. Monat schwanger gekündigt
    Bevor wieder ein paar Leuts kommen…
    ja, das geht nach deutschem Recht nicht, stimmt…

    also treffen wir uns hier in Berlin im Arbeitsjericht und warten unendlich lange, bis wir mal in den Raum dürfen…

    im schnelldurchlauf:
    „Worum gehts?“ -> div. Antworten
    „Wollen Sie die Beklagte wieder einstellen?“
    „Nein“
    „Können wir uns auf einen Vergleich einigen?“
    unser Anwalt sagt, das wird wohl die beste Lösung sein, oder wollen sie da wieder arbeiten? -> „eigentlich nicht, aber n popliger Vergleich ist ja auch nichts…“
    -> keine Antwort

    -> also Vergleich

    so isses, die Chefin freut sich halbtot (die andere Hälfte wollte ich ihr geben)
    meine Freundin bekam ne lächerliche Abfindung (klar, bei 1,5 Jahre) und schon ist Recht gesprochen und der Bürger verarscht

  30. 30

    … alberne Bekleidung … Firlefanz … ich möchte ja keinem Kommentator zu nahe treten, aber es erhebt sich schon die Frage, ob die Meckerer die Justiz überhaupt noch ernst nehmen. Wahrscheinlich erst dann, wenn sie selbst betroffen sind.