Ich habe gerade einen Film geträumt, eine Mischung aus American Pie und 300. Es ging um einen heroischen Soldaten, der eine Ü-30-Party überlebte. Torsten Frings spielte auch mit. Höhepunkt des Films war die Szene, in der der Held seinen am Titel nicht ganz unschuldigen 30-Zentimeter-Penis in den Anführer der gegnerischen Party-Crowd rammte (und vorher die eigentlich für diesen Vorgang vorgesehene Heldin mit eben diesem Penis bedrohte – ja: bedrohte), da nur in dessen Darm das Überleben des Heldenspermas gesichert war.
Aber das will ich gar nicht erzählen. Und Freud bleibt jetzt mal außen vor.
Für mich bemerkenswert war, dass ich während des Films die ganze Zeit gedacht habe: Wie finde ich angemessene Worte für diesen Blick von Torsten Frings, wie beschreibe ich diese Szene. Wie blogge ich das.
Das Elend des Querfeldeinbloggers ist leicht beschrieben:
Wäre ich Stefan Niggemeier, dann würde ich meine Tage genießen und wüsste, wenn ich die Fernbedienung in die Hand nähme: Jetzt beginnt die Arbeit. Wäre ich das Bundesliga-Blog, dann wüsste ich: Klose geht zu Bayern München – mein Fall.
Aber so:
Sehe ich ein riesiges Schnitzel, mache ich ein Foto, lese ich ein Buch, irren meine Augen fiebrig über die Zeilen, um die Blogbarkeit des Inhalts zu prüfen, schreit mein Frittenbudenbesitzer Gäste an, schreite ich ein und sage: „Kannst du das noch einmal wiederholen? Ich muss das bloggen.“
Alles wird auf Blogbarkeit geprüft. Jeder wird auf Blogbarkeit geprüft.
Gestern bekam die Lieblingslektorin eine Mail von ihrer Lieblingsfreundin. Die Lieblingsfreundin wollte wissen, ob die Lieblingslektorin nicht von einem schlechten Gewissen gegenüber der Bekannten geplagt sei, deren StudiVZ-Eintrag ich der Öffentlichkeit preisgegeben habe.
Sie hat ihn der Öffentlichkeit preisgegeben, ich habe mir zu dieser Preisgabe Gedanken gemacht.
Seit einiger Zeit weisen mich Menschen an: „Blog das nicht.“ Ich höre die herrlichsten Skandale, staatszerschmetternde Enthüllungen, spitze schon die Finger, um auf die (nebenbei gesagt: immer dreckiger werdende) Tastatur einzuhämmern – und dann kommt das vorausschauende Veto.
Aber ich kann mir doch nicht das Leben eines anderen zu Inspirationszwecken mieten. Also fälsche ich Personenangaben, verschleiere Details, ergehe mich in Andeutungen. Oder ich schreibe über die RAF.
Und wenn tatsächlich nur gänzlich unbloggbare Dinge geschehen sind von namenloser und die innere Sicherheit gefährdender Unfassbarkeit – dann schreibe ich darüber, dass ich alles auf Blogbarkeit abklopfe.
Ich bin ein Durchlauferhitzer, das Ende der früher lebenden Gattung Mensch, die Dinge einfach nur geschehen lassen konnte, die Dinge einfach nur erlebt hat. Ich bin der japanische Tourist unter den Schreibkräften.
Ich bin ein Blogger.
Das war Haarscharf!
Ach Malte, lies mal David Sedaris oder Augusten Borroughs, die haben das schon thematisiert, als das Web noch ziemlich 1.0 war. Es hat schon nen Grund dass ich Dich mit letzterem verglichen haben :->
Oh Gott, ich habe erst vor Kurzem mit dem Bloggen angefangen. Wächst sich das wirklich so aus?
wie war Torsten Frings da jetzt noch mal genau involviert?
Malte,
das ist doch kein explizites Blogger-Problem. All den Handtelefondigitalfotografierern geht es doch genau so. Erlebnisse werden nicht mehr erlebt sondern fotografiert. Wichtig ist nicht mehr, dass man es selber sieht, sondern dass man später zeigen kann, dass man es gesehen hat.
Die Leute werden mehr und mehr zu Berichterstattern ihres eigenen Lebens. Jeder ist seine eigenen Antonia Rados. Live und in Farbe.
Nach dem Rauchverbot kommt das Blogverbot… und die Ursache solcher Träume klingt auch nicht ganz legal ;)
Und wie ich Sie verstehe… Hoffentlich ergeht es Ihnen nicht wie mir, als ich im vorigen Januar mein vorheriges Blog einfach entnervt entfernte, weil ich auf anderen Wegen kein Downshifting schaffte. Alles wurde auf Blogbarkeit überprüft (sehr treffend bezeichnet!) und mein Verhalten erhielt die Züge einer Zwangsneurose.
Ääähh..
..
(Ja, was „Äh“? – Weiß nicht, sag du es mir. – Aber ich weiß nicht was! – Ja, was weiß ich! Ach, egal, blog es einfach!)
Ich bin clean.
Malte, was Du beschreibst, treibt schon seit Jahrhunderten Schriftsteller in den mit Alkohol gewürzten Wahnsinn.
Zwar leicht pathetisch, aber immerhin vor fast auf den Tag genau einem Jahr, was gefühlte Äonen her ist, schrieb ich in der Richtung:
The revolution will not be blogged…
Schlimmer als dieser Zwang zum Bloggen ist der Zwang, Blogs zu lesen. Ich muß mich langsam befleißigen, diese Unsitte abzulegen.
Früher oder später landen Menschen wie Du an der Blogbar, lieber Malte.
Manchmal bin ich froh über Dinge, wenn ich sie nicht bloggen muss.
Wir ham doch keine Zeit.
Aber ich ertappe mich des Öfteren wie ich sehr bewusst Motive auf Eignung für meine Lieblingscommunity prüfe.
Kommt mir bekannt vor, das Leben des Blogaholikers wird durch den Blogblick (Blogblig?) gefiltert. Banalste Erlebnise — Spaziergang, Kinofilm — werden auf Zweitverwendung abgeklopft. Ein Gespräch unter Freunden wird zum Interview (wobei sich beide Seiten gegenseitig interviewen, und das dann auch noch sowohl als Blogtranskript, Newsletter, Video, und Podcast raushauen, was dann ungefähr 8fach-Verwertung des Moments ergibt).
Früheren Autoren ging es sicherlich ähnlich, wobei die vielleicht einen längeren Blickwinkel hatten? Kein Buch ging 1907 täglich in die Presse — oder wo ist da die richtige Analogie? Das Cafehaus? Gab es Vollzeit-Cafehaus-Anekdotenerzähler?
aus dem durchlauferhitzer tröpfelt heraus, er sei „das Ende der früher lebenden Gattung Mensch“. heute erwacht homo bohemiensis nach jedem geträumten furz und pupst ins keyboard. so bloggt sich Malte in die endstation der evolutionsgeschichte. schreibend geht alles durch, sogar der durchlauferhitzer über 30 als pubertierender jungbrunnen.
@ „lana“
ich bewundere menschen, die unter jede fröhliche blähung eines bloggers einen verquälten furz setzen. schau dir doch lieber sachen an, die dir gefallen, da freut sich der darm.
Ja.
Aber: Die Beschäftigung mit diversen Eindrücken („Blog ich’s oder blog ich’s nicht“) führt zuweilen auch zu einer sonst nicht stattgefundenen Tiefe selbiger, unabhängig von der letzendlichen Verwertbakeit.
Will sagen: Ich schätze immer wieder die neuen Impulse, die sich spinnennetzartig durch die intensive Beschäftigung mit einem konkreten Gedanken entwickeln. Auch wenn es hinterher nicht im Blog landet.