Foto © Chance Agrella/ Freerange
Piraten-Content ist der neue Lückenfüller zwischen den Werbeblöcken im Privatfernsehen. Wenn ich mich durchs Abendprogramm zappe, sehe ich ständig irgendwelche weitausgeschnittenen Y-Promi-Schnitten zwischen billigen Schaumstoffrequisiten und abgehalfterten Johnny-Depp-Verschnitten, die durch die Gegend flippen, als wären sie aus einer Versuchsreihe länderübergreifend kooperierender, biotechnologischer Versuchsanstalten ausgebrochen, die über die Nebenwirkungen von Apfelsaftersatzstoffen forschen. Nach EU-Maßstäben. Und alles in diesem Fluch der Karibik-Schick. Dabei könnte man Piratengeschichten auch mal ganz anders erzählen. So zum Beispiel:
William Kidd war ein ehrbarer Mann. Er hatte reich geheiratet, war ein angesehens Kirchenmitglied und Händler, bis er überzeugt wurde, für Englands Krone, König und Vaterland französische Schiffe und Piraten aller Nationen zu jagen. So als mobile Eingreiftruppe der Weltmeere. Also verkaufte er, um die Kosten zu decken, sein altes Schiff, erstand die Adventure Galley, heuerte eine Mannschaft an und stach in See. Die ersten Wochen geschah nichts. Auch nicht die ersten Monate. Die Tage auf See zogen sich lange hin, und auch nach Wochen war kein Franzose in Sicht, geschweige denn Piraten. Die Mannschaft wurde ungeduldig, schließlich wurde sie vor allem an der Beute beteiligt, die Heuer war ein schlechter Witz. Wie das in den Callcentern heute auch noch üblich ist. Und dann, endlich, kam ein Schiff in Sicht, und Kidd ließ die französische Flagge hissen. Eine fein ausgedachte Kriegslist, denn das andere Schiff, die Quedah Merchant, hisste ebenfalls die französische Flagge. Nach kurzem Kampf war das 500 Tonnen Handelsschiff in Kidds Händen. Reiche Beute also.
Von wegen. Das Schiff war mindestens so klug wie Kidd und deswegen englisch; der Kapitän verlangte die sofortige Rückgabe. Kidd wäre dazu gerne bereit gewesen, nur: seine Mannschaft nicht. Die hatte inzwischen monatelang auf Beute gewartet, einige Matrosen waren an Skorbut eingegangen, das sollte jetzt vorbei sein. Man wollte das Gold in irgendeiner Hafenstadt versaufen. Und Gold kennt keine Nationalität. Also behielten sie die Quedah Merchant, und Kidd wurde zum Piraten wider Willen.
Es wurde noch bunter. Einige Wochen später traf Kidd zum ersten Mal auf ein echtes Piratenschiff, auf Robert Cullifords Resolution. Er befahl den Angriff: dafür waren sie schließlich losgeschickt worden. Für König, Krone und Vaterland.
Seiner Crew aber war nichts so egal wie König, Krone und Vaterland. Der König scherte sich einen Dreck um sie, warum sollten sie es anders halten. Und Kidds Autorität war nach dem Quedah Merchant-Debakel leckgeschlagen. Also liefen sie über, zum Feind, zu Culliford. Dreizehn Mann blieben Kidd treu. Und eine Buddel voll Rum.
Entnervt und am Ende seiner Kräfte beschloss Kidd, aufzugeben. Nachdem er sein Schiff, die Adventure Galley, angezündet hatte, nahm er mit der Quedah Merchant Kurs auf New York. Heim zu König, Krone und Vaterland. Bevor ich erzähle, was mit ihm weiterhin geschah, werfen wir doch einen Blick auf einen seiner Rivalen, einen echten Piraten, den Kidd zu jagen hatte: Henry Every.
Every war bestimmt kein ehrbarer Mann, sondern der Abschaum, den die damaligen Hafenstädte an die Oberfläche spülten. Über seine Kindheit ist nichts bekannt, und bevor er seine Husarenstreiche verübte, weiß man nicht genau, was er so trieb. Vielleicht war er bei der Bombardierung von Algier dabei, als Soldat der Krone, oder er trieb sich als Bukanier herum, oder als Lastschiffkapitän. Wer weiß.
1694 jedenfalls war er Maat gewesen auf einem Schiff, das französische Schmuggler aufbringen sollte. Nachdem die Crew über Monate keine Heuer gesehen hatte, führte er eine Meuterei durch, in deren Anschluss er zum Kapitän gewählt wurde. Ein Glücksfall für die Crew: Every erwies sich als ausgezeichneter Piratenführer. Er kaperte, er versklavte, tötete, vergewaltigte, folterte, und bald war er Kommandeur einer kleinen Piratenflotille.
Unsterblich aber, unsterblich wurde er erst einige Jahre später, als er im arabischen Meer der Gang-i-Saway auflauerte. Die Gang-i-Saway war das größte Schiff des indischen Großmoguls, mit 600 Pilgern an Bord, die aus Mekka zurückkehrten, und unfassbare Reichtümer, die sich unter Deck türmten. Zum Schutz der Pilger der Schätze befanden sich 62 Kanonen und mehrere Hundertschaften Musketiere auf der Gang-i-Saway, als Avery sie mit seiner Mannschaft enterte und nach zweistündigem Kampf übernahm.
Man mag sich nicht vorstellen, was danach an Bord vor sich gegangen ist, nachdem die Piraten das Kommando übernommen haben. Die Passagiere wurden gefoltert, um ihre Goldverstecke preiszugeben, Frauen wurden vergewaltigt, andere sprangen ins Meer, um nicht in die Hände der Piraten zu fallen. Nach dieser Orgie der Gewalt verfrachteten die Piraten Gold und Frauen auf ihr Schiff und ließen die Gang-i-Saway abtreiben. Was mit den Frauen geschah, weiß man nicht – manche vermuten, sie seien als Sklavinnen verkauft, andere, sie seien ins Meer geworfen worden.
Während sich die Piraten die größte Beute in der Geschichte des Seeräubertums teilten (sie hatten innerhalb von zwei Stunden mehr verdient, als ein Seemann an Heuer in seinem ganzen Leben), stellte der Großmogul alle Handelsbeziehungen mit der East India Company ein und forderte Reparationen. Gleichzeitig wurde ein Kopfgeld von 500 Pfund auf jeden Piraten, der am Überfall auf die Gang-i-Saway beteiligt gewesen war, ausgesetzt. Damit hatte er die Hoffnung der meisten Piraten zerstört, durch ein königliches Pardon rehabilitiert zu werden. Das lief damals häufig so: Der Kapitän ging zu irgendeinem Gouverneur, der sagen wir auf den Bahamas saß, brachte Juwelen für die Gattin mit und einen Teil der Schätze für den Herrn. Der stellte dann ein Pardon aus, und die Piraten konnten rechtlich nicht mehr belangt werden. Da aber jetzt die East India Company ob ihrer horrenden Verluste äußerst erbost war, fiel diese Lösung für Every aus.
Der störte sich nicht daran, besetzte ein Schiff mit ein paar seiner Männer und segelte gen England. Anscheinend landeten sie an der irischen Küste. Später, an Land, wurde das Gros seiner Mannschaft aufgebracht, einige gehängt, andere verbannt. Nur Every hatte sich früh genug von seiner Mannschaft abgesetzt und verschwand in – um auch einmal eine dieser schmalzigen Formulierungen, die populäre Geschichtsschreibung, wie dies eine ist, durchziehen, zu verwenden – in den Nebeln der Geschichte. Manche sagen, er sei als reicher Mann an Altersschwäche gestorben, andere, er sei betrogen worden und in Armut elendiglich verreckt. Wissen tut es keiner.
Zurück zu Kidd, dessen Ende ich noch schuldig geblieben bin, obwohl es schnell erzählt ist. Nachdem er New York erreicht hatte, wurde Kidd festgesetzt und in Ketten nach England überführt. Hier klagten ihn König, Krone und Vaterland der Piraterie an, befanden ihn für schuldig und versuchten, ihn zu hängen. Bei den ersten beiden Durchgängen riss der Strick, und erst der dritte Versuch beraubte Kidd des Lebens. Danach wurde sein Leichnam geteert und monatelang in einem Käfig an der Themse aufgehängt – zur Warnung für Piraten, denen es in den Sinn kommen könnte, König, Krone und Vaterland zu dienen.
Wer eine Moral findet, mag sie behalten.
happy end
Daraus könnte man glatt einen 3-teiler für das ZDF machen. Allerdings müsste die Geschichte dafür noch deutlich gestrafft, Piraten oder Piratenexperten vor einer schwarzen Wand mit schräger Beleuchtung interviewt we… ähm, was ich eigentlich sagen wollte … gut geschrieben …
Der Piratenstoff in seinem inneren Ernst erzählt von selbstgewählter Demokratie – von militärisch effizienten Angriffsstrategien – vom Bedrohen eines Wirtschaftssystems in dem man das Währungssystem in Gefahr bringt (Gold) – der Piratenstoff scheint im Kinde selbst angelegt zu sein.
Die Geschichte wie eine schwächelnde Seemacht die allseits gejagten Piraten legalisiert – kostete keinen Cent aber brachte viele Pfund ein – und somit zu einer Seeweltherrschaft aufsteigt.
Das dieses Denken noch immer im politischen Raum zu finden ist!
Warten wir also auf die Legalisierung der Mafia und der Triaden!
Es ist aber auch die Geschichte von einem der gerne weises Bier trank – was staatlich verboten war – und somit in schlechte Gesellschaft kam – zum Pirat wurde – und die Hanse bekämpfte!
Das Strandpiratentum wurde aber nie wirklich abgeschafft.
Der „Stürz den Becher“ (Bier) – Störtebecker – er rang dem Gericht noch eine Wette ab – er wollte mit abgeschlagenen Kopfe noch einmal vom Richtblock (ohne Kopf) aufstehen und an seinen Kameraden vorbei laufen und an Jedem an dem er vorbei kam der sollte frei sein.
Er stand auf und ging vorbei – ohne Kopf – nach dem Ersten – warf der Henker einen Klotz ihm vor die Füsse.
Das Piraten hier und Heute aktiver als je‘ sind – ist Unromantisch!
Jepp, bei nem ZDF 3-Teiler wäre ich sofort dabei
:)
weiter so!
Schön geschrieben.
Moral gibt es nicht. Sind ja schließlich Piraten.
Wobei die besten Piraten immernoch von Monkey Island kommen.
Ich glaube jetzt kenne ich den Grund warum der Nilz bei diesem Piratendummgetrisse nicht mitmachen wollte. Als die das Konzept vorstellten, hat es ja noch ganz ansehnlich, im wahrsten Sinne des Wortes geklungen, aber was die daraus gemacht haben. RTL halt und am Ende landen dann alle auf dem Jauch Stuhl.
Gruss R.l