Illustration: Tante
Hoffen und beten, recht viel mehr darf man offenbar nicht erwarten. Die Verantwortlichen vor Ort relativieren, Pofalla schreit nach Zivilcourage (und hält sich dabei die Hand ans Herz an die Brieftasche) und Beck nach dem NPD-Verbot. Mehr wird da wohl nicht mehr kommen. Das ist es also, was eine einigermaßen funktionierende Demokratie rechter Gewalt entgegenzusetzen hat.
Fast nichts. Mit solchen Losungen stellt man vor allem eines sicher: Dass sich solche Vorfälle in absehbarer Zeit wiederholen. Mügeln ist ja schon die Wiederholung der Wiederholung. Lichtenhagen, Potsdam – man war sich hinterher immer einig, dass diese Vorfälle auf irgendwas verweisen. Nur auf was? Sind sie Ausdruck der Perspektivlosigkeit im Osten, dass Menschen aus Frust und mangelnder Möglichkeiten in rauhen Massen der Rechten anheimfallen? Wiederholen sich da DDR-Handlungsmuster, als Ausländer in Ghettos weggesperrt wurden und die Menschen keine staatsbürgerliche Eigenverantwortung übernahmen? Ist es eine Reaktion auf das Patriotismusverbot, dass anscheinend seit 1945 in jeder Kneipe neben den Ausschankbedingungen zu hängen hat?
Antworten auf rhetorische Fragen sind einfach, deswegen werden sie gerne gestellt. Wann immer etwas passiert, braucht es die schnelle Lösung, den Satz, der problemlos in die Tagesschau geschnitten werden kann, die einfache Forderung. The simple way. 1992, direkt nach Lichtenhagen, beschloss die Regierung die Verschärfung der Asylgesetzgebung – das war kein Ausdruck einer „rechten Gesinnung“, sondern der Wunsch nach einer einfachen, problemlosen Lösung. Übrig bleibt die Hoffnung, dass sich die Sache von selbst erledigt, wie sie sich früher schon häufiger von selbst erledigt hat.
Beispielsweise Ende der sechziger Jahre, als die NPD nacheinander in Bayern (7,4%), Hessen (7,9%), Rheinland Pfalz (6,9%), Schleswig Holstein (5,8%), Niedersachsen (7,0%), Bremen (8,8%) und Baden-Württemberg (9,8%) in die Landesparlamente einzog. Als die NPD dann allen Prognosen zum Trotz bei den Bundestagswahlen 1969 mit 4,3 % nicht ins Parlament kam, war sie bald Geschichte. Zerfressen von der Machtgeilheit ihrer Funktionäre, zerbrach sie. Vorläufig zumindest. Die DVU trat an ihre Stelle, dann die Republikaner, und jetzt also wieder die NPD. Der reinste Rotationsradikalismus.
Den es übrigens nicht braucht, um rechtsradikale Positionen salonfähig zu machen. Sie sind es schon längst, ob es sich nun um gediegen-bürgerliche Variationen wie Politically Incorrect handelt, oder um den netten rechtsradikalen Nachbarn, der zu Hitler und den Ausländern eben eine andere Meinung hat. Die beunruhigenden Meldungen, rechtsradikale Verbände unterwanderten systematisch Vereine wie Sportclubs, Musikkapellen und Freiwillige Feuerwehren und rekrutierten ihren Nachwuchs auf den Schulhöfen, sind keine qualitative, wohl aber eine quantitative Steigerung.
Da hilft kein NPD-Verbot, und vor allem hilft nicht der Ruf nach mehr Zivilcourage. Wer jemals das Missvergnügen hatte, auf irgendeinem beschissenen Dorffest dem Aufmarsch einer Gruppe Neonazis beizuwohnen, weiß, dass man sich, wenn man alleine ist und links aussieht, lieber schnell vom Acker macht. Nicht jeder ist zum Märtyrer geboren, und im Fall der Fälle kann man sich nicht auf die Umstehenden verlassen, die gerade noch besoffen am Tresen hängen.
Was an langfristigen, weitsichtigen Lösungen zu erwarten ist, zeigt jetzt das Geschachere ums Geld: 2001 hatte Rot-Grün 19 Millionen Euro jährlich für das Aktionsprogramm mit dem sperrigen Namen „Jugend für Toleranz und Demokratie — gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ bereitgestellt. 2006 ist das Programm ausgelaufen, und jetzt sollte die Kohle auch anders verteilt werden, je nach Bedürfnissen, wie es heißt. Also auch für Integration junger Migranten, und gegen Linksextremismus und Islamismus. Kurz gesagt: eine Beschneidung der Mittel. Das war übrigens nicht nur von der Leyens Schuld, aber immerhin hat man jetzt einen Vollidioten ausgemacht, der sich die Scheiße ins Haar schmieren darf.
Was ja auch wieder eine einfache Antwort ist.
Man braucht nicht mal Neonazis, um sich bei so manchem ländlichen Dorffest irgendwie komisch zu fühlen. Zitat: „Der Hitler war schon ganz gut, immerhin hat der die Autobahnen gebaut.“ Nach dem fünften Bier kommt auch bei denen die Gesinnung raus, von denen man sonst nichts Verfängliches gedacht hätte. Auf so einem Boden wachsen Neonazis natürlich besser als anderswo.
Ich frag mich ja auch, wie man so lange drüber diskutieren kann, ob dieser Vorfall in Mügeln einen rechtsradikalen Hintergrund hat. Aber scheinbar gibt es viele Möglichkeiten mit soetwas umzugehen: Aussitzen, abstreiten, mit unrealistischen Vorderungen die Diskussion in eine andere Richtung lenken…
Erschreckend ist in der Tat, dass der Extremismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Stefan Herre sieht nun auch nicht wie der typische Neonazi aus, eher wie der nette Sportlehrer von Nebenan. „Ziegenficker“, Linke und Grüne verprügeln zu wollen gehört da noch eher zu den harmloseren Dingen.
sehr traurig zu lesen, dass sich in diesem ort gerade das abspielt, was sich überall abspielt. dass sie aber vor allem darüber empört sind, wie man sie sieht, als sie eigentlich sind.
auf:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,502114,00.html http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsextremismus/Rechtsextremismus-Rechtsextremismus;art2647,2366326
ganz gut nachzulesen.
Drei Hinweise auf Texte aus den letzten Wochen:
NPD-Blog über die Versenkung der Debatte
Ein FAZ-Artikel vom Sonnabend, in dem auf mehrere Studien verwiesen wird, die besagen, daß der Anteil rechtsextremer Einstellung unter Jugendlichen im Osten nicht höher als im Westen, wohl aber das Verhältnis zur Gewalt ein anderes
Widerlich-arrogante Artikel bei Spiegel-Online, die nach Mügeln fahren und dort genüßlich die alkoholisierte Unterschicht am Marktplatz denunzieren
Rechtsradikaler Müll ist nicht nur bei PI mainstreamig. Als Kurt Beck vor einigen Tagen nach einem Profil für seine Partei suchte und gegen die Pläne von CDU-Granden, den Fachkräftemangel in der BRD durch einfachere Arbeitsbedingungen für Ausländer zu lindern, wetterte, sagte er auch, dass er das angesichts von all den deutschen Arbeitslosen nicht vertreten könne. DAS ist Mainstream-Nationalismus. Und dumm dazu auch. Ein ungelernter deutscher Hilfsarbeiter wird nunmal kein Maschinenbauingenieur. Beck hat zwar im Gegensatz zu Lafontaine nicht mit Nazi-Begriffen um sich geworfen, aber gemeint hat er das gleiche: Arbeit zuerst für Deutsche. Wir brauchen weder Mügeln, noch die NPD. Nicht mal die Filbinger-Fans der CDU sind nötig für braunen Sumpf. Den besorgt auch der SPD-Vorsitzende.
das ist so deprimierend. das ist so, so deprimierend. ist es nicht eigentlich inzwischen eine binsenweisheit, dass man auf schulhöfen ansetzen sollte? stattdessen immer die „perspektivlosigkeit im osten“, tja, da kann man nicht so viel machen, ne, da müssen einfach arbeitsplätze her, dann ist das erledigt. narf.
@ björn: genau, das hat so einen unterton von „ein guter deutscher“ hilfsarbeiter kann das immer noch besser als so ein dahergelaufener indischer ingenieur. wie blind kann man sein? und wie kann man sich so dermaßen selbst bescheissen?
@ stralau: Mit dem Bürgermeister und den anonymen Blubberern hat man natürlich dankbare Abnehmer für Schuldzuweisungen. Noch ein paar Haare für die Scheiße, die man an den Händen kleben hat. In Mügeln und Umgebung dürfte die Medienberichterstattung wohl nur einer Gruppe gefallen: den Rechten.
@ Björn: Ja, aber populistischer Nationalismus ungleich Rechtsradikalismus.
Wiederholen sich da DDR-Handlungsmuster, als Ausländer in Ghettos weggesperrt wurden
Deswegen gibts hier(Ostsachsen) soviele Ungarn die mit Deutschen verheiratet sind? Alles DDR Fremdarbeiter, die Kubaner dagegen sind vor allem durch Messerstecherreien in Diskos aufgefallen.
und die Menschen keine staatsbürgerliche Eigenverantwortung übernahmen?
Das sah man ja an den x Millionen IMs und daran das man nichts machen konnte ohne verpfiffen zu werden.
Ist es eine Reaktion auf das Patriotismusverbot, dass anscheinend seit 1945 in jeder Kneipe neben den Ausschankbedingungen zu hängen hat?
In ostdeutschen Kneipen musste man eher als Linker aufpassen keine aufs Maul zu bekommen. Das schlimmste Schimpfwort war „Jude“. Abgeholt wurden die Leute dann hier von der NPD nach der Wende, mit finanz. Unterstützung des Verfassungsschutzes und dem wegsehen der CDU. Letztere ist zumindest teilweise aufgewacht. In der Zeit war vor 2-3 Wochen ein Beitrag über den Bürgermeister von Pirna, der etwas gegen Rechts macht. Es gibt aber auch überall eine Gegenöffentlichkeit zu den Nazis und diese muss gestärkt werden. Der verlogene Spiegel z.B. macht aus Ratlosigkeit – Beschwichtigen und Wegsehen, weil es so schön in sein überhebliches, zynisches Weltbild passt. Das Geschmiere unterscheidet sich ja kaum von ND Hetze vor der Wende.
Überhaupt vermisse ich die Unschuldsvermutung, für mich einer der wichtigsten Teile der Demokratie. Was da läuft ist wie in Sebnitz damals und am Ende kommen die Nazis wieder gestärkt davon. Wenn die Polizeiberichte fertig sind bilde ich mir meine Meinung über Mügeln, nicht vorher.
Wenn die Bullen mal nur ihren Job tun und aufpassen wuerden, dass keinem was passiert, waere schon viel geholfen.
einen für den mainstream ungewöhnlich klaren kommentar gabs dazu übrigens in der FTD
http://www.ftd.de/meinung/kommentare/:Kommentar%20Liebe%20Politiker/243597.html
Apropos „einfache Antwort“:
Mich persönlich machen solche Ereignisse wie die Menschenhatz in Mügeln nicht nur deshalb jedes mal so traurigzornig, weil einerseits Leben und Gesundheit von Menschen direkt bedroht wird und andererseits unzählige meiner Mitmenschern in permanente Angst versetzt werden (btw wer ohne den neudeutsch sogenannten ‚Migrationshintergrund‘ kann sich eigentlich wirklich vorstellen, wie das ist, wenn man in ständigem Misstrauen gegenüber den meisten Menschen um sich herum leben muss, weil man jederzeit und überall der nächste sein könnte, gegen den sich diese unbegreifliche Wut von Leuten richtet, die man persönlich nicht kennt und denen man nie auch nur das Geringste angetan hat?).
Ereignisse wie dieses zeichnen mir darüber hinaus auch ein sehr hässliches und zutiefst entmutigendes Menschenbild. Sie sprechen nämlich dafür, dass wir (als Gesellschaft) aus unserer Geschichte bisher nicht besonders viel gelernt haben. Denn sie demonstrieren mir: Sobald der Wohlstand vieler merklich schrumpft, Arbeitsplätze knapp, individuelle Erfolgsaussichten schlechter und der soziale Druck größer werden, suchen wir wieder vermehrt nach Prügelknaben (oder lassen sie uns vor die Nase setzen), an denen wir unseren Alltagsfrust und unsere Existenzängste abragieren können. Und das sind dann eben ‚die Anderen‘, die gesellschaftlich in der Minderheit und damit schwächer sind als die mehrheitliche Masse, in die wir uns immer dann eingruppieren, wenn wir uns ein bisschen sicherer fühlen wollen im (vermeintlichen) Schutz des Rudels.
Und in solchen Momenten denke ich oft: „Homo homini lupus“ („Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“). Manchmal sieht die Wahrheit wirklich einfach aus …aber nicht unbedingt schön einfach.