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Brüder im Geiste

Leider werde ich kaum dazu kommen, die Rugby-WM zu sehen: kann also mithin keinerlei Berichterstattung darüber liefern. Dafür greife ich diesen Vorschlag von paulum gerne auf. Merke: Das Leben ist kein Wunschkonzert: Fooligan schon. Manchmal.

Der Volksfußball, den man sich ungefähr so vorstellen darf, datiert wahrscheinlich aus dem 10. Jahrhundert und ist ein durch und durch englischer Sport. Es gab keine Regeln, nur zwei Tore, die miles and miles auseinanderstanden, einen Ball und zwei sich gegenüberstehende Gemeinschaften. Häufig waren das Nachbardörfer, wie beispielsweise All Saints und St. Peters, die sich in den East Midlands ein- oder zweimal im Jahr bis aufs Blut um den Ball kloppten. Beide liegen in der Grafschaft Derbyshire, wo das Spiel hochpopulär war: Daher noch der heutige Name „Derby“ für Nachbarschaftsschlägereien Nachbarschaftsspiele.

Es war ein klassisches Dorfspiel, ein kurzer Ausbruch der Anarchie, wie anderswo der Karneval. Die englischen und schottischen Könige sahen das nicht ganz so gerne, weil das Spiel häufiger Mal bei Beteiligten zu ernsthaften Verletzungen führen konnte, und für ernsthafte Verletzungen nur eines in Frage kam: Ihre Feldzüge gegen Schottland resp. England. König Edward beispielsweise verbot das Spiel 1313 zum ersten Mal, ohne den geringsten Erfolg – es folgte ein Jahrhundert der Verbote und der illegalen Klopperei, bis sich in den späteren Jahrhunderten, da in der Außenpolitik etwas mehr Ruhe eingekehrt war, das Spiel auch beim Adel zumindest auf Akzeptanz stieß.

Dann kam die industrielle Revolution, die Landflucht und die 14-Stunden-Arbeitstage für das Proletariat. In den Städten wurde nicht mehr gespielt, und auch auf dem Land verlor der Volksfußball an Anhängern. Um 1850 war der Sport quasi tot, als ihn die Public Schools wie Eton, Rugby oder Harrow ins bürgerliche Lager hinüberretteten und so sein Fortbestehen sicherten.

In den Public Schools (die übrigens Privatschulen waren) übernahm der Sport schnell eine Zähmungsfunktion: Nach den ersten Regelwerken 1846 in Rugby und 1849 in Eton, die zumindest ungefähr Spielfeld, Spieleranzahl, Spielzeit etc regulierten, galt es für die Mitwirkenden, auf illegitime Gewalt zu verzichten, aber legitime Gewalt einzusetzen: mithin sich zu zivilisieren. die beiden Regelwerke markieren übrigens auch die offizielle Trennung von „the handling game“ und „the kicking game“: Eton verbot im Gegensatz zu Rugby das Handspiel.

Schnell bildeten sich Lager, die je die eine, je die andere Spielart bevorzugten: Mehr aristokratisch geprägte Public Schools schloßen sich mehr oder weniger den Eton-Regeln an, während bürgerliche Schulen die härtere Gangart bevorzugten. Manifest wurde die Trennung in zwei Sportarten mit Gründung der FA 1863, als die einberufene Versammlung mit 13 zu vier Stimmen gegen Handspiel, Beinstellen und Nachtreten aussprach. Der Sprecher der Rugby-Fraktion sagte daraufhin, auch das sei erwähnt: „Auch nach dem Gegner zu treten, das ist wahrer Fußball.“ Falls noch wer nen Spruch fürs Poesiealbum von Guy Demel sucht.

Die Rugby-Vereinigung organisierte sich erst acht Jahre später: Zu dieser Zeit fanden schon die ersten Spiele unter FA-Ägide statt. Das erste Spiel zwischen Barner und Richmond endete übrigens torlos. So viel zum Thema, früher sei alles besser gewesen. Jedenfalls existierten zunächst doppelt so viele Rugby-Vereine wie kicking-Vereine, bis dann in den 1880er Jahren einige Public Schools das kicking übernahmen. Die Gründe waren vielfältig:

Zunächst einmal mangelte es den Rugby-Associations an attraktiven Pokalwettbewerben. Außerdem waren die kicking-Regeln einfacher, das Spiel flüßiger. Und es war in einem gewissen Sinne demokratischer: Während im Rugby beinah ausnahmslos robuste Spielertypen zum Einsatz kamen, fand man im Soccer für weit mehr Körperkonstitutionen Verwendung. Den kleinen Dicken, der nicht singen konnte, stellte man im Zweifelsfall dann ins Tor, statt ihn unangespitzt in den Boden zu rammen.

Das und die besonderen Umstände nach der Industrialisierung machten den Fußball zum Massensport, vor allem, nachdem die Blackburn Olympic als erster Arbeiterverein überhaupt ein FA Cup-Finale gewann. In der Folgezeit zogen sich die Public Schools aus den Wettbewerben zurück, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, eine Schlacht im Klassenkampf auf dem grünen Rasen zu verlieren. Fußball war billig, einfach und abwechslungsreich – der ideale Ausgleich zur monotonen Fabrikarbeit. So kam der Sport von der (agrikulturellen) Unterschicht nach einem kurzen bürgerlichen Intermezzo zurück zur (proletarischen) Unterschicht.

Für den endgültigen Siegeszug des Fußballs, also seiner weltweiten Verbreitung, war aber eine andere Gesellschaftschicht bedeutsam: Auswanderer und Soldaten. Nach den Gründungen von Fußballclubs in Great Britain (zunächst Schottland, dann Wales, dann Iralnd) breitete sich der Sport nach Europa aus. Im Fahrwasser des britischen Imperialismus erlebte der Fußball seine erste Globalisierung.

Englische Enklaven organisierten sich ab den 1860ern all over Europe zu Vereinen und fanden bald Nachahmer unter den Einheimischen. Seeleute trugen den Ball nach Argentinien und Uruguay, während Brasilien bedeutend später von Festlandeuropäern bekehrt wurde. In Afrika und Asien wurde das Spiel mitunter zur „Domestizierung“ der einheimischen Bevölkerung zwangsverordnet.

Währenddessen setzte sich Rugby vor allem in Gebieten durch, die direktere Bindungen zu England unterhielten, also Südafrika, Neuseeland, Australien und die USA. Der Sonderfall war Indien, wo dem früheren englischen Volkssport Cricket gefröhnt wurde.

Jetzt fällt mir kein gutes Ende ein. Is aber auch egal, dann eben so: Ende.

Oder so:

Danke, steffi!

Der Artikel basiert in großen Teilen auf dem Buch „Fußball – zur Geschichte eines globalen Sportes“ von Dietrich Schulze-Marmeling.

Keine Kommentare

  1. 01

    wenn ich kein ende weiß, setz ich ein bild hin. ich hab mal ´n mädchenrugby-training fotografiert. sieht wild aus. mal schicken?

  2. 02

    Au ja, schick mal.

  3. 03

    aber dann hier auch veröffentlichen

  4. 04
  5. 05
    grenzgaenger

    danke für das essay

  6. 06
    Samuel

    Blöd nur, dass der Fußball eigentlich viel früher in China erfunden wurde ;). Und ich muss noch mal nachlesen, es gibt auch Stimmen die behaupten, er stamme eher aus Italien, ganz unabhängig jetzt vom aktuellen erschlichenen status der Itacker.

  7. 07

    Es stimmt, dass es andere Ballsportarten, die (ganz ganz ungefähr) mit Fußball vergleichbar sind, andernorts vor dem englischen Spiel schon gab, in China und in Südamerika. Ich mein, liegt ja auch nahe, mit nem Fuß gegen ne Schweinsblase oder sowas zu hauen. Bloß ist das nicht die Sportart, die sich über die ganze Welt verteilt hat, sondern der englische Fußball.
    Was Italien anbelangt behaupten ziemlich viele Soziologen (Marmeling übrigens auch), dass die Italiener im Nachhinein (also nachdem sie das englische Spiel übernommen haben) nationale Vorläufer gesucht und deswegen auch gefunden haben, um das Spiel zu latinisieren. Dafür spricht, dass es keine spezifisch italienischen Fußballregeln gibt, dass der erste italienische Fußballclub (Internazionale Football Club Torino) die englische Bezeichnung für Fußball im Namen trägt und vom Geschäftsmann Eduardo Bossi gegründet wurde, der beruflich viel in London war, von wo er den ersten verbürgten Fußball mit nach Italien brachte. Der zweite Club, in Genua, wurde dann von Engländern gegründet.

  8. 08
    Wetten?

    Interessant… hab ich so gar nicht gewusst. Sehr aufschlussreich- danke :)