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Wissen ist Macht

In Gesprächen mit Wikipedianerinnen und Wikipedianern stellte ich ein paar Mal die Frage, ob sich die persönliche Einstellung zur Mitarbeit an der Wikipedia, deren Inhalte frei sind und auch kommerziell verwertet werden dürfen, ändern würde, wenn bspw. die BILD am Sonntag die Wikipedia-Inhalte als kostenlose Beilage in Form eines schick gebundenen Lexikons in Serie veröffentlichen würde. Wenn man als Wikipedianer also über drei Ecken zum Zulieferer des Axel-Springer-Verlags werden und diesem zu mehr Umsatz verhelfen würde.

Die Antworten reichten von „Das wird nie passieren“ über „Dann würde ich meine Mitarbeit einstellen“ bis zu „Das wäre mir egal“, die meisten, so mein subjektiver Eindruck, würden aber weitermachen wie bisher.

Die gedruckte BILD-Wikipedia steht nun (noch?) nicht ins Haus, dafür aber SPIEGEL Wissen, eine Kooperation der SPIEGELnet GmbH und der zu Bertelsmann gehörenden Wissen Media Group.

Die Inhalte des Online-Portals werden aus dem Archiv des Spiegels und von SpOn, den Bertelsmann-Lexika und -Wörterbüchern sowie den Einträgen der Wikipedia bestehen und Nutzern kostenfrei zur Verfügung stehen. Das Finanzierungsmodell ist keine Überraschung, das Portal, das „die umfassendste frei zugängliche Rechercheplattform im deutschsprachigen Internet“ werden soll, wird sich über Werbeeinnahmen finanzieren.

Man darf das Projekt gefahrlos als klugen Zug bezeichnen, dessen Ankündigung evtl. durch Googles geplanten Wikipedia-Clone Knol beschleunigt wurde, denn die bisher kostenpflichtigen Spiegel-Archive sind, vermute ich, kein wirklicher Umsatzbringer und und es ist leicht vorstellbar, dass viele Nutzer in Zukunft ihre Recherche bei „Spiegel Wissen“ starten werden — immerhin enthalten die Ergebnisse Informationen aus verschiedenen mehr oder weniger seriösen Quellen.

Ich bin aber noch völlig unsicher, wie ich die Verknüpfung von Recherche-Ergebnissen aus On- und Offline-Lexika sowie redaktionellen Texten, die ja in den vergangenen Jahren durchaus der ein oder anderen inhaltlichen Ausrichtung unterlagen, bewerten soll. So richtig jubeln lässt mich diese Kombination noch nicht, sei sie auch noch so klar getrennt dargestellt. Sollte sich das Portal als quasi-Standard durchsetzen können, wird das Spiegel-Archiv zum dauerpräsenten Teil des deutschsprachigen Online-Wissens und damit über die kommenden Jahre hinweg auch ein großer Teil neu entstehender redaktioneller Inhalte, egal ob in Blogs oder traditionelleren Medien.

Gespannt bin ich auch auf die Reaktionen der Wikipedia-Gemeinschaft, womit wir wieder beim Intro dieses Textes wären. Denn einerseits ist mit der kommenden Plattform ein weiterer Schritt in Richtung „Freies Wissen für alle“ getätigt, andererseits arbeiten Wikipedia-Autoren nun indirekt für Spiegel und Bertelsmann. Ich kann mir in diesem Zusammenhang zwar vorstellen, dass Teile der Einnahmen durch „Spiegel Wissen“ auch an die Wikipedia gehen — bisher konnte ich zu diesem Thema jedoch keine Informationen finden.

Und so bleibt dieser Artikel vorerst das Angebot einer Diskussion und des gemeinsamen lauten Grübelns.

18 Kommentare

  1. 01
    xy

    Nix wird passieren. Marketing blahblah. Man stelle sich nur mal die riesige Redaktion von 8 Leuten vor, die zuallererst damit beschäftigt sind das Spiegel Archiv zu taggen. Und dann noch: wenn das Archiv offen ist werden die paar Perlen, die wirklich Wissen vermitteln eh von WP aus referenziert – mit einer größeren Redaktion. Und was die Bertelsmannlexika angeht: denke die sind eh auf dem schleichenden Rückzug. Qualitativ waren die nie top und Geld reinstecken wohl auch nie ernsthaft erwogen. Ich denke, da schmeißen 2 ihre Sachen zusammen, die keine Kohle bringen. Und das Ergebnis wird auch in Zukunft kein Geld bringen.

  2. 02

    Man wünscht sich fast, Wikipedia würde unter einer CC-noncommercial Lizenz stehen. Wirklich will ich das nicht, schließlich wären da auch viele Blogs etc. betroffen. Aber diese Geschäftsidee von SpOn und BMG ist schon ein wenig dreist – derart großflächig Arbeiten anderer für ein kommerzielles Projekt nutzen, zu dem man selbst kaum etwas beiträgt finde ich nicht gut. Ich brauche eine derart vermischte Datensammlung nicht – wenn ich Wikipedia-Artikel lesen will, weiß ich, wo ich sie finde. Fremdverwertung auf diese Weise verwässert meine Informationsquellen, anstatt neue aufzutun. Zumal ich nicht sicher wäre, ob die Wikimedia Foundation etwas von den Einnahmen sehen wird – derartiges Fairplay von Seiten SpOn / BMG ist nicht der Normalfall.

    Allerdings mag dieses Geschäftsprinzip für alle, die Wikipedia regelmäßig nutzen, ein deutlicher Fingerzeig auf die aktuelle Spendenkampagne der Wikipedia sein. Denn die dadurch generierten Einnahmen sind wenigstens frei und ehrlich zusammen gekommen.

  3. 03

    Wenn ich mich recht erinnere, stellte sich der Spiegel in einer Podiumsdiskussion auf dem Kirchentag 07 in Köln noch als „Meinungsmagazin“ dar. Objektive Berichterstattung sei nicht wirklich gewährleistet, stattdessen gäbe es mit Meinung gesalzene.

    Ist Spiegel Wissen dann gepfefferte Meinung?!

  4. 04

    Ist das wirklich ein Quantensprung? Wikipedia-Content wird ohnehin ständig in Web-Seiten eingebunden und verlinkt. Ich könnte mir vorstellen, dass der Wikipedia-Content die Wissensschicht darstellt, auf die dann die redaktionellen Beiträge aufbauen.
    Je enger die Verknüpfung allerdings und kommerzieller die Ausrichtung, desto eher wird sich wohl auch die Frage stellen, ob das Modell von der CC-Lizenz noch abgedeckt wird.
    Das gleiche gilt auch für das Google Knol-Projekt.

  5. 05
    michael

    Neu ist das eigentlich nicht. Wikipedia-Content wird schließlich schon bei lexikon.freenet.de und ähnlichen Seiten indirekt oder direkt vermarktet. Von daher ist das also kein richtiger Aufreger.

    Aber als passionierten Wikipedianer, der unzählige Stunden Arbeit in das freie Lexikon investiert hat, wird einem, das muss ich doch gestehen, dennoch etwas mulmig. Die großflächige Vermarktung des freien Wissens ist schließlich nicht DAS Ziel gewesen. Und bei einem Springer-Wiki-Lexika würden manche Wikipedianer bestimmt das große „Erbrechen“ kriegen.

    Nichtsdestotrotz ist freies Wissen nun mal frei. Und jeder sollte es – ausnahmslos – nutzen können. Dass manch einer dieses „ausnutzt“ ist da nun mal nicht zu vermeiden. Ich werde weiterhin an der Wiki mitarbeiten, selbst wenn meine und die Arbeit etlicher anderer beim Spiegel zu lesen ist.

  6. 06
    Daniel

    Die von Wikipedia verwendete GNU Free Documentation License geht schon in Ordnung. Kommerzielle Nutzung ist erlaubt, aber die Text dürfen nicht „entführt“ werden, also ver(schlimm)besserte Artikel stehen immernoch unter der GNU FDL. Insofern mache ich mir darum keine Sorgen.

    Ansonsten sehe ich es ähnlich wie 01. Viel reißen wird eine 8-Mann-Redaktion nicht, über das kostenfreie Spiegel-Archiv freue ich mich im Voraus und wenn es da ist, wird es mir vermutlich bereits egal sein.

    Viel tolles erwarte ich nicht. „Wissen“ als Marke oder Markenteil ist durch schlechte Fernsehshows und Zeitungsbeilagen für mich schon so verwässert, dass ich „Spiegel Wissen“ als Name schon fast verwegen finde.

    In einigen Monaten sind wir alle schlauer.

  7. 07

    Ich finde zunächst großartig, dass sie das Archiv frei zugänglich machen, unabhängig von dem Wissens-Gedöns. Man mag zum SPIEGEL stehen wie man will, das Archiv ist auf jeden Fall ein schönes Dokument der deutschen Nachkriegsgeschichte und es ist ein Gewinn, wenn darin jeder recherchieren kann.

    Und Made-For-Adsense-Wikipedia-Klone gab es ja auch schon. Früher verpesteten die jede Google-Suche. Das hat bisher niemanden daran gehindert, bei Wikipedia Inhalte beizusteuern.

  8. 08

    Ich fände das auch gut, dann würde eine Menge Material zur Zeitgeschichte verfügbar sein, sollen die mal machen, aber auench vor Googles Plänen braucht sich keiner zu fürchten, denn warum sollten die die gleichen Informationen sammeln, ich glaube es wird eine vergrößerte Vielfalt geben.

  9. 09

    Interessante Vorstellung, einen Kommentar von Henryk M. Broder neben einem Wiki-Artikel zu sehen.

  10. 10

    Wissen ist Macht, nichts wissen macht nichts.

    nur mal so am Rande.

  11. 11
    PiPi

    Wikipedia auf DVD

    Manche Printmedien legen ihren Ausgaben Datenträger bei,
    die eine ‚aktuelle‘ Version der WiKi-Einträge beinhalten soll.

    Nutzt oder schadet es, die mühsam verfassten Beiträge als
    ‚Beigabe‘ zu einem Kommerziellen Produkt wiederzufinden?

    Sicherlich erhält die Organisation dafür einen Obolus.

    ;-)

  12. 12

    Wenn man das Ganze mal unter dem – zugegeben recht idealistischen – Standpunkt der Informationsfreiheit sieht, fuer die ja angeblich ueberzeugte Blogger allueberall auf dem Erdball kaempfen, muss man das akzeptieren.

    Informationsfreiheit heisst naemlich zwar natuerlich auch, dass jeder das ganze kostenlos und frei verfügbar bekommt, aber eben auch, dass man (fast) alles damit machen kann, was man will. Nuja. Geld verdienen ist auch eine Moeglichkeit. Das kann man machen wie Wikipedia und Spenden ordern, oder wie Spiegel ueber Werbung und sogar noch Gewinn rausschlagen.

    Man muss letztendlich selbst entscheiden, ob man zum Spiegel geht, weil man da noch Zusatzwissen bekommt aber die Werbung mitschlucken muss, oder bei Wikipedia bleibt – womit wir wieder beim Idealismus waeren.

  13. 13

    Beobachtung am Rande: Neulich sah ich Miriam Meckel im Gespräch auf 3Sat und es ging auch um Wikipedia, wo eine Meckel-Biografie online steht. Sie bemerkte, dass die Angaben dort Fehler enthalten. Frage des Moderators: „Haben Sie die korrigiert?“ – Antwort Meckel: „Nö.“ Wer weiß, bei wie vielen Prominenten das noch der Fall ist. Sie tauchen in Wikipedia auf, wissen um die Fehler, ändern aber nichts, sondern überlassen das der Gemeinde. Ist das souverän? Oder Faulheit? Oder ein Versündigen an der Wiki-Idee?

  14. 14

    Ich halte dies für einen sehr klugen Zug, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Wikipedia vom Informationsgehalt her zwar oft für richtig gehalten wird, dies aber meist gar nicht ist.
    So findet man dort des Öfteren nur die halbe Wahrheit bzw. ganz klar politisch geprägte Sichtweisen oder es schleichen sich sogar verheerende Fehler ein, wie beispielsweise des Öfteren, wie ich mich selbst überzeugen konnte, in chemischen Formeln und Ausführungen.
    Wikipedia ist ja in Studentenkreisen längst verpöhnt, da das Zitieren daraus von den Professoren gar nicht gern gesehen wird bzw. zumeist auch gar nicht anerkannt wird.