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Jugendgewalt und die Fallen, in die man tappt

René beschreibt auf Nerdcore eindrucksvoll anhand selbst erlebter Geschichten, dass es Gewalt schon vor der Erfindung von Happy-Slapping-Videos auf Youtube gab und dass es schon damals nicht um die Nationalität oder besser: den Wiegenstandort der Eltern ging. Aber auch wenn ich weiß, dass ich mich im Großen und Ganzen mit René einigen kann, wenn es um gesellschaftliche Phänomene geht – bei einigen Passagen kann ich ihm nicht zustimmen.

Es stimmt schon: Gewalt hängt von den gesellschaftlichen Bedingungen ab. Und es passt so schön zusammen. Da hat man auf der einen Seite die Durchökonomisierung der Gesellschaft und auf der anderen Seite Fortschrittsverlierer, die Rentnerköpfe eintreten. Aber es reicht bei dem Thema Jugendgewalt eben nicht, eine Statistik zu zitieren und zu dem Schluss zu kommen: Es ist rauer geworden da draußen. Was sich erhöht hat, ist die Bereitschaft des Opfers, des Opferumfeldes, der Lehrer, der Schuldirektoren, Anzeige zu erstatten. Das Hellfeld ist größer geworden, dadurch gibt es einen leichten Anstieg der Anzeigen bei Körperverletzungsdelikten. Schwere Gewalttaten und Morde, also die Taten, bei denen das Dunkelfeld schon immer kleiner war als bei den einfachen Körperverletzungen – die sind zurückgegangen.

Die These von der verwahrlosten Gesellschaft lässt sich so nicht halten.

Gewaltfreiheit werden wir nicht mehr erleben. Gewaltfreie soziale Systeme gibt es nicht unter Menschen, hat es noch nie gegeben. Was man erreichen kann, ist eine Absenkung der Gewaltquote. Dafür dienlich ist Verteilungsgerechtigkeit und eine hohe soziale Kontrolle. Das Erste ist wirtschaftlich nicht gewollt, das Zweite aus Gründen des Großstadtlebens nicht.

Zur Erläuterung: Es gibt Studien zur Gewalt bei indigenen Völkern. Dort gibt es deutliche Unterschiede. Bei den einen ist Mord an der Tagesordnung, bei den anderen äußerst selten. Die Gewaltsituation hängt nicht in erster Linie davon ab, wieviel der Gesellschaft insgesamt zur Verfügung steht, wenn auch ein gewisses Wohlleben die Gewaltbereitschaft eindämmt. Wichtig ist, dass der Einzelne sich durch Gewalt keine wirtschaftlichen Vorteile sichern kann. Es gibt Gesellschaften, wo das durchaus der Fall ist, wenn beispielsweise ein hoher Brautpreis zu zahlen ist, es aber nicht sanktioniert wird, wenn der Bräutigam sich das Geld nach unseren Maßstäben unlauter erwirbt, er im Gegenteil als besonders clever angesehen wird, wenn er es sich ergaunert, als besonders mutig, wenn er es sich mit Gewalt beschafft.
Es mag, um das Ganze auf unsere Situation zu übertragen, Schulklassen geben, in denen die Jackenabzieher die Angesehensten sind. Wie überhaupt Bullys oft beliebter sind als ihre Opfer. Diese Tendenz ist aber in den letzten Jahren zurückgegangen.

In den Schulklassen greift die soziale Kontrolle, in den Nachbarschaften funktioniert das in der Großstadt nur bedingt. Auch wir leben hier in Kreuzberg verhältnismäßig anonym. Das ist gut, wenn man gern unbeobachtet vom Nachbarn lebt und schlecht, wenn man von einer benachbarten Gang terrorisiert wird. Ein Deal, wie so Vieles im Leben. Dann braucht man tatsächlich die Polizei und das ist genau der Punkt, an dem die gegenwärtige Diskussion ansetzen sollte: Die Justiz muss in Folge der Anzeige schnell arbeiten, die Täter müssen einer erfahrenen Jugendrichterin/einem erfahrenen Jugendrichter vorgeführt werden und sinnvoll, nicht brutalstmöglich gemaßregelt werden. Ein Besuch bei Gewaltopfern kann da mehr bringen als Jugendknast.

Das war jetzt mal ein Text ohne Links, weil ich das alles auch schonmal gesagt habe. Wer will, der kann das nachlesen.
Wir Mädchen
Die Mehrheit der Schweiger
Wertkonservatives zum Amoklauf des Tages
Manhunt 2 – Recht auf Blutrausch

und von Johnny
Nichts außer Kontrolle

21 Kommentare

  1. 01
  2. 02
    ll

    @vorschreiber:
    was unterschreibst du?

  3. 03

    @#635218:

    ich bin immer noch sehr dankbar für die Funktion „Alle Kommentare von“. ein riesenspaß. bist du hängen geblieben?

  4. 04

    Der Kern des Problems wird doch deutlich, wenn die Politik und von ihr vorgeschrieben eben auch die Justiz diese Menschen als „Ausländer“ bezeichnet und behandelt. So kann das nix werden. Das ist verdammt nochmal unser Problem, unsere Jugendkriminalität. Wenns nicht so traurig wäre, könnte man da ja mal ne Parallele zu Marco ziehen. Würde mich wundern, wenn die Türkei den jungen Mann da aus München haben wollte. Wieso denn auch, aus deren Sicht ist er Deutscher.

  5. 05
    Lothar

    Unsere Gesellschaft verweiblicht und die Zahl des Gewalttaten sinkt trotz steigender Anzeigebereitschaft insgesamt stetig. Fast noch nie war unsere Gesellschaft so friedlich wie heute. Wenn dann trotzdem das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Menschen sinkt, mag das etwas mit den bösen Medien und den bösen Politikern zu tun haben, die jenes instrumentalisieren. Ich glaube aber nicht nur.

    Zum einen hängt der Rückgang an Gewaltstraftaten in den letzten Jahren mit dem stark schrumpfenden Anteil junger Männer an der Gesamtbevölkerung zusammen. Von denen geht nun mal fast exklusiv die Gewalt aus – nicht von Frauen und nicht von Älteren. Ich würde mal tippen, dass die Zahl der jungen Männer zwischen 15 und 30 in Deutschland gegenüber seinem Höhepunkt vor einigen Jahrzehnten bis heute auf eine Viertel gefallen sein dürfte. Rechnet man diesen Effekt raus, sieht die Sache schon ganz anders aus.

    Zum anderen gab es früher Regeln bei der Gewaltanwendung (…nicht gegen Jüngere/Schwächere/Frauen/am Boden Liegende/ Blutende), die heute immer weniger gelten.

    Ich glaube, das „žgesunde Volksempfinden“ in Form der „žWilmersdorfer Witwe“ registriert nicht, dass ihr bei der Fahrt mit der U-Bahn sehr viel seltener eines diese Subjekte begegnet, das vor lauter Testosteron in den Beinen kaum laufen kann. Sondern darauf, dass, wenn es ihr begegnet, die Wahrscheinlichkeit gestiegen ist, dass es dann auch wirklich schief geht.

  6. 06

    Unsere Gesellschaft verweiblicht und die Zahl des Gewalttaten sinkt trotz steigender Anzeigebereitschaft insgesamt stetig.

    @Lothar, ich hoffe ja sehr, dass du „verweichlicht“ meintest, sonst können wir hier gleich noch eine andere diskiminierungsdebatte beginnen…

  7. 07

    die hohe soziale kontrolle einer schulklasse – so es sie denn gibt – führt doch aber auch nicht zu einer absenkung der gewaltquote, wie du es behauptest? oder wird das klassenkollektiv jetzt eine insel der friedfertigkeit?

  8. 08
    danielj

    @martha dear
    was ist an der bloßen Behauptung der Verweiblichung diskriminierend? Ist Deine (implizite) Wertung nicht viel eher diskriminierend?

  9. 09

    @danielj: ich habe den kommentar vorhin in einem anderen kontext gelesen. mag missverständlich sein. diskriminiert wird hier von mir jedoch niemand.

  10. 10

    @#635477:
    was soll das überhaupt mit der sozialen Kontrolle?.. Was ist das? Wie soll das gehen? Man kann die Lehrer einer Rütli-Klasse dazu zwingen, auf einmal Einblick ins Privatleben der Schüler zu bekommen, um evtl. Straftaten vorzubeugen. Geht doch nicht. Macht auch keinen Sinn… Die Klassenspaltung wächst ständig, die Intoleranz kriegt man immer mehr mit, und ich will echt nicht wissen wie es alles so weitergeht. Wird Berlin in naher Zukunft von Banlieu-Riots erschüttert? Oder bilden wir es und alle ein?

  11. 11

    von mir stammt das argument nicht, daher zitiere ich mal aus dem eintrag:

    „Was man erreichen kann, ist eine Absenkung der Gewaltquote. Dafür dienlich ist Verteilungsgerechtigkeit und eine hohe soziale Kontrolle.“

    „In den Schulklassen greift die soziale Kontrolle, in den Nachbarschaften funktioniert das in der Großstadt nur bedingt.“

    daher meine nachfrage an malte, wie soziale kontrolle, absenkung der gewaltquote und das in einer schulklasse zusammenhängen. würde die soziale kontrolle in einer schulklasse funktionieren und ein mittel sein, um gewalt einzudämmen, dann müsste die schulklasse entsprechend ein friedlicher ort sein. ist er aber nicht.

  12. 12

    Hier muss ich aber schnell was einschieben – ein sicherer Ort war die Schule nie, insbesondere der Schulhof. In meiner Zeit wurde ab und zu sogar das Messer gezogen, die Fressen wurden regelmäßig poliert und schön war es alles nicht. Aber das ist immer unter uns Jungs geblieben. Jeder kam auf die Idee, den Lehrer zu verprügeln, und keiner hat sich getraut. Ich bin in Russland unter Russen und Kaukasiern und Ukrainern aufgewachsen, dann später hier in dem Multikulti-Mix. Überall war es so. Es gab einfach Grenzen. Lehrer haben es irgendwie geschafft, Autorität aufzubauen. Aber es war auch ein Gymnasium, und da ist es anders. Ich weiß. Aber trotzdem. Die Hauptschulkinder sind nur 10 Jahre jünger als wir – die können doch nicht vom anderen Planeten kommen. Da ist was faul. Mit den Lehrern? Mit dem System?

  13. 13

    ich finde, dass lothar(5) das sehr gut beantwortet hat. „damals“ gab es sowas auch, aber heute sind die medien dafür sensibilisiert und gewalt an schulhöfen ist ein politikum geworden, mit dem man im besten falle ein paar stimmen gewinnen kann.
    trotzdem glaube ich auch, dass es probleme mit der anerkennung von autoritäten gibt.
    einen schuldigen kann man nicht ausmachen, denn zu viele faktoren beeinflussen die sozialisation der kinder und jugendlichen und vielleicht ist der einfluss der eltern dabei der geringste geworden.

  14. 14

    Ich glaube nicht, dass Verteilungsgerechtigkeit ein Kriterium für eine friedliche Gesellschaft ist. Ich halte eher die Zufriedenheit bfür entscheident. Wenn es allen ziemlich gut geht, ist den Meisten egal, dass es manchen exorbitant besser geht – es geht einem selbst ja gut. Sobald es einem ziemlich gut geht und man nicht zufrieden ist, sondern mit den anderen hadert, denen es exorbitant besser geht, handelt es sich nur noch um Neid und Missgunst.

  15. 15

    @#638568:

    wenn alle nichts haben, dann macht das die gesellschaft natürlich auch nicht friedlicher. aber ob du es neid und missgunst oder gerechtigkeitssinn nennst: menschen richten ihre zufriedenheit nicht allein danach, wieviel sie objektiv haben, sondern eben auch danach, wieviel ein anderer hat. lange zeit ist man davon ausgegangen, der homo oeconomicus sei rational – ist er aber nicht. im gegensatz zu schimpansen ächten sie unfaire angebote, auch wenn sie selbst auf gewinn verzichten müssen.

  16. 16

    vor kurzem sah ich einen vortrag über die einkommenszufriedenheit in deutschland, der sich damit beschäftigte, ob der mensch nur im vergleich zu seiner referenzgruppe zufriedenheit empfindet. die ergebnisse verwunderten, denn für die menschen aus den alten bundesländern spielt der einkommensvergleich bei der eigenen einkommenszufriedenheit KEINE rolle. im osten dagegen schon. also richten genug menschen ihre zufriedeneheit danach, wieviel sie objektiv besitzen, ohne auf den nachbarn oder kollegen zu schielen. irgendwie beruhigend.

  17. 17

    Malte, ich behaupte, dass das Experiment bei den meisten Menschen heute nicht funktioniert – weil sie nicht wirklich etwas verlieren. Affen sind sich nicht sicher, dass sie später etwas zu Essen finden. Man sollte das Experiment mit wirklich armen Menschen durchführen, die ebenfalls nicht wissen, wie sie den nächsten Tag an Geld/Essen kommen.

    Aber angesehen davon und auch abgesehen davon, dass ich den homo oeconomicus für ein ziemlich dummes Konstrukt im Zusammenhang mit den Sozialwissenschaften halte (er hat bei den Wirtschaftswissenschaften als Modell seine Berechtigung), sprach ich auch nicht von allen Menschen „arm“ oder gleich, sondern von allen Menschen mindestens auf einem Level wo es ihnen ziemlich gut geht. Eine Grundvorraussetzung für Freiheit und auch Frieden bleibt vor diesen Punkten, dass es der Gesellschaft gut geht.

  18. 18
    PiPi

    Bei Allem Respekt

    Die angesprochene Zielgruppe wird Eure
    Beiträge nicht mal lesen wollen/können!

    „Bin isch voll angepisst mit euer klugscheiss“

  19. 19

    @#640165: Ist auch so klar. Zu viele Buchstaben, dit kennwa. Is so, is auch imma so gewesen. Aber wenn es wenigstens jemand interessiert und beunruhigt, können wir doch mal drüber reden… Ich denke eh nicht, dass es den, um die es geht, gut tun würde, sich das durchzulesen…