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Dann hau doch ab, Du Arsch!

Nebenan, in Frankreich, tobt eine neue Debatte um den Präsidenten, Nicolas Sarkozy. Wieder einmal. Auslöser ist diesmal ein verbaler Ausfall während eines Messebesuches.

Im Vollkontakt mit den Bürgern, fährt er einen Mann an, der sich nicht von ihm die Hand schütteln lassen will:


Direktausfall

Das Originalvideo gibt es beim Parisien Online, lässt sich allerdings nicht einbetten.

Mann: Eh, nein, fass‘ mich nicht an.
Sarkozy: Dann hau ab!
Mann: Du beschmutzt mich!
Sarkozy: Dann hau doch ab, Du Arsch!*

Soweit so unappetitlich. Dass nun in Frankreich darüber gestritten wird, ob Sarkozys Impulsivität das Amt des Präsidenten der Republik beschädigt, ist verständlich, verdeckt aber eine ganz andere Frage, die ich für interessanter halte:

Welche Konsequenzen wird es haben, wenn jede halböffentliche Bemerkung eines Politikers aufgezeichnet und per Internet verbreitet werden kann?

Natürlich: Das Phänomen ist nicht neu. Vor ein paar Jahren kostete eine unbedachte und verunglückte Äusserung während einer kleineren Wahlkampfveranstaltung einer deutschen Justizministerin das Amt (und dabei spielte, soweit ich weiss, das Internet gar keine Rolle), aus Frankreich sind ähnliche Fälle aus dem letzten Präsidentschaftswahlkampf bekannt.

Werden Politiker in Zukunft noch glatter, noch medientrainierter sein und nur noch extrem kontrolliert öffentlich agieren, um bloß keine Angriffsfläche zu bieten? Kann man das wollen?

Und was genau ist Öffentlichkeit und was der kleine, halb öffentliche Rahmen, wenn Worte selbst aus kleinsten Veranstaltungen im Handumdrehen in die Welt getragen werden?

Im Zusammenspiel zwischen Politik und alten Medien scheint es so etwas wie ungeschriebene Gesetze zu geben. So werden zum Beispiel nach Ende des offiziellen Programms auf Festveranstaltungen keine Fotos mehr gemacht, keine Videos mehr gedreht. Oder wenn es diese Aufnahmen gibt, werden sie nicht verwendet. Aufnahmen von rauchenden und trinkenden Spitzenpolitikern haben Seltenheitswert, um nur mal ein harmloses Beispiel heranzuziehen.

Wie wird sich die Politikkultur ändern, wenn dieser Konsens an Bedeutung verliert, weil jede an einer Veranstaltung anwesende Person eine andere Person leicht und nachhaltig kompromittieren kann?

Ich fürchte, wir sind mitten drin im Wandel und ich bin gespannt, welche Auswüchse dieser Art wir in politischen Auseinandersetzungen zukünftig sehen werden.

* In deutschsprachigen Meldungen wird „pauvre con“ mit „Idiot“ übersetzt. Für mein Sprachempfinden ist das allerdings eine viel zu schwache Übersetzung. Auf jeden Fall jedoch stammt „pauvre con“ aus der untersten Schublade des französischen Sprachrepertoires.

19 Kommentare

  1. 01

    Ähnliches kennen wir doch schon von Wolfgang Clement, der die Nummer unbeschadet überstanden hat. Also: politisch unbeschadet.

    Aber die Fragestellung ist natürlich schon berechtigt, bezieht sich aber nicht nur auf Politiker. Letztlich braucht man gar keine staatliche Überwachung mehr, wenn die Bürger das alles selbst übernehmen.

  2. 02
    jochen

    ob begruessenswert oder nicht, auf jeden fall bekommt man so einen vollkommeneren eindruck von den personen die man sonst evtl. nur von antrainierten oder nachbearbeiteten interviews und den üblichen auftritten kennt.

  3. 03

    Ja allerdings sind die Franzosen da etwas anders. Affären oder auch mal etwas Schwarzgeld da regt sich keiner auf. Aber dass war das einzige über was sich unser Franzosen im Büro überhaupt unterhalten haben. Und ich muss Andreas zustimmen, Idiot war hier nicht gemeint, sie meinten das englische Equivalent wäre „Get lost you bastard“. und dann is ja woll alles klar.

  4. 04

    Es fragt sich natürlich auch, wieso sich jemand in einer Menge in die Nähe von Sarkozy drängelt, nur um sich dann zu beschweren, wenn er von ihm berührt wird.

    Davon abgesehen sind diese „Bäder in der Menge“ sowieso purer Dumpfsinn. Da sollte sich jeder mal genau fragen, warum er sowas macht und was es über ihn aussagt.

  5. 05

    Das ganze wird ja auch gefordert/ gefördert, wenn man sich Mal die Bild Leserreporter Aktion anschaut. Und ohne jetzt die Einzelfälle beurteilen zu wollen würde ich mich schon dem Helmut Schmidt anschließen. „Politiker sollen auf ihrem Felde Vorbild sein, aber nicht auf sämtlichen Feldern menschlichen Lebens. Das ist zu viel verlangt.“

    Nun kann man sich natürlich bei obigem fragen ob es nicht auf seinem (Sarkozys) Felde geschehen ist. Zumindest menschlich war die Aktion aber.

  6. 06

    @#670304: Hast Du zufällig eine Quelle für das Schmidt-Zitat zur Hand? Danke! :)

  7. 07
    Frédéric Valin

    @#670304: Ich denke, das Schmidtsche Wort hat zwar seine Berechtigung, aber nicht bei Sarkozy. Wer sich in dieser Form ständig und immer bei jeder Gelegenheit ins Rampenlicht zu drängen sucht und keine Gelegenheit auslässt, sich selbst bei boulevardesken Themen unterster Kajüte zu profilieren, der kann, finde ich, auch als das bewertet werden, was er ist: nicht als Politiker, sondern als Medienphänomen.

  8. 08

    @Andreas: Ja, habe ich:

    http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,535051,00.html

    @Frédéric: Würde ich nicht widersprechen. Ich meine auch mit menschlich nicht unbedingt nachvollziehbar oder berechtigt.

  9. 09
  10. 10

    „pauvre con“ würde ich mit „armer Irrer/Idiot“ übersetzen. Also da spielt halt dieses „du bist zu bedaueren“ auf jeden Fall noch mit.

  11. 11

    Es könnte sich auch in genau die andere als von Dir vermutete Richtung entwickeln. wie Weinberger im aktuellen ElektrischerReporter-Interview ( http://www.elektrischer-reporter.de/index.php/site/film/58/ )ausführt, führt die Allmacht und Intimität des Internets dazu, dass die Politiker zumindest in den USA langsam zu begreifen scheinen, dass sie das nicht kontrollieren können. Ihr Bild, die öffentliche Wahrnehmung von ihnen ändert sich, sie werden wieder als Menschen wahrgenommen. Das würde dann auch letztlich zu einem Rückgang der Floskelisierung führen.

    Ob das sich so entwickeln wird, werden wir sehen. Zu wünschen wäre es. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der bei jedem Politikerinterview im TV die Wörter Theater und Travestie im Kopf rumschwirren hat.

  12. 12
    Südallee

    Okay. Und weiter? Wen interessiert’s? Derartige Worte fallen jeden Tag Millionenfach auf französischen Strassen.
    Glauben die, wenn man Präsident eines Landes wird ist man plötzlich ein Heiliger?

    Nächstes Thema.

  13. 13

    @#670341: Na, darum geht es doch eben nicht.

  14. 14

    Das hat doch alles nichts mit Politik zu tun. Das ist wie mit Clinton und Lewinsky. Nebenschauplätze ohne politische Relevanz. „žMacht des Internets“ hin oder her.

  15. 15
    Lothar

    Im Gegenteil: Man kann die politische Relevanz der Ereignisses gar nicht hoch genug einordnen. Als Medienöffentlichkeit müssen wir uns entscheiden, ob wir wirklich Sprechblasenmaschinen wollen, die sich in der Öffentlichkeit immer und zu jeder Zeit unter Kontrolle haben. Sowohl verbal wie auch was Gestik und Mimik angeht. Victoryzeichen von Herrn Ackermann? Gesichtsentgleisungen von Frau Merkel? Alles wegtrainiert! Denn unsere Mediengesellschaft ist nun mal so gestrickt, dass in erster Linie solche Dinge relevant sind, die gegen jemanden verwendet werden können – und nicht solche, die für jemanden sprechen. Denn Skandalisierung schafft Aufmerksamkeit, Wohlabgewogenheit – bei Politikern ebenso wie bei Journalisten – führt zum Jobverlust. Diesem Skandaliserungsdruck entgeht nur der angriffsfläche-minimierende PR-Profi. Auf Dauer tauschen wir Politiker gegen als Politiker getarnte Pressesprecher. Natürlich ist es ironischer und zynischer Teil der Mediengesellschaft, sich hinterher über genau den Zustand zu beklagen, den sie vorher selbst mit geschaffen hat. Ich glaube im Übrigen daher, dass es eine Renaissance der Hinterzimmer geben wird. Die eigentliche Debatte im überschaubaren und möglichst beherrschbaren Kreis der Wenigen, die an differenzierter Auseinandersetzung interessiert sind. Und dann die politisch immer hochkorrekte Sprechblasen-Akrobatik nach aussen. Strauss oder Wehner wären schon im heutigen System undenkbar und würden politisch korrekt ausgemerzt. Schmidt hätte seine jungen Jahre als „Schmidt-Schnauze“ im heutigen Parlamentsbetrieb auch eher nicht überlebt. Auch ein gezielter rhetorischer Amokläufer wie Sarrazin ist ein Auslaufmodell. Damit wäre vielleicht manches gewonnen – aber noch viel mehr verloren.

  16. 16
    Matthias (the one and only)

    Ich finde, die Frage muss noch viel Allgemeiner gestellt. Politiker sind nur ein Spezialfall der Spezies Mensch, das oben angesprochene Problem gilt doch für uns alle.

    Was passiert mit uns, wenn jede unserer Äusserungen im Internet nachzulesen ist? Werden wir medientrainierte, fühlen wir uns überwacht? Haben wir überhaupt eine Chance Google-Cache, Archive.org und Konsorten zu entkommen?

  17. 17
    xconroy

    @#670388:

    Wenn die Bedingungen für alle gleich sind, ist doch wieder alles okay. Sagt der Arbeitgeber: nö, dich woll mer net, wegen [besoffene Partyfotos/zwei Sekunden Armausstrecken = Hitlergruß/whatever], hat der Arbeitnehmer postwendend das Video des Personalers mit der Chefsekretärin zur Hand.