Die nun gebündelt und im Klartext vorliegenden vorgesehenen Befugnisse für das Bundeskriminalamt basieren auf der Angst der Menschen (und wenn man wohlmeinend ist, gesteht man auch den zuständigen Behörden, den verantwortlichen Politikern, der Gewerkschaft der Polizei diese Angst zu) vor Terrorismus, wie er in New York, Madrid und London vorgekommen ist.
Nun gibt es jedoch eine Parallele zwischen Kriminalität und Terrorismus: nicht jeder Ladendieb ist ein Al Capone, nicht jeder selbsternannte Menschheitsbefreier ein Bin Laden.
Auf der re:publica hat Anne Roth, die Freundin von Andrej Holm, der verdächtigt wurde, Mitglied der militanten gruppe zu sein, einen Vortrag gehalten.
Die militante gruppe hat eine Reihe von Brandanschlägen und anderen Straftaten begangen (hier eine Liste der Anschläge), die Beteiligung von Holm an diesen Aktivitäten wurde recht notdürftig konstruiert aus seinem angeblich konspirativen Verhalten (er traf sich mit anderen Verdächtigen, ohne sein Handy mitzunehmen und verabredete sich, ohne den genauen Treffpunkt am Telefon anzugeben, er sagte einfach nur Sätze wie: „Lass uns im Café treffen“), der Tatsache, dass er sich in einem linken Milieu bewegt, seiner Unbescholtenheit und seinen intellektuellen Fähigkeiten, die denen der Bekennerbriefschreiber entsprachen.
Der Bundesgerichtshof entschied am 27. November, dass es sich bei der militanten gruppe nicht um eine terroristische Vereinigung handelt, da die Taten der Gruppe nicht geeignet seien, die Bundesrepublik erheblich zu schädigen.
Die Vorwürfe gegen die Beschuldigten reichen lediglich für den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Ermittlungen wegen einer Reihe von Straftaten, bei denen es bei Sachbeschädigungen (und zugegebenermaßen einem ziemlichen Schrecken für die Empfänger der Drohbriefe) blieb, führten dazu, dass Unschuldige zunächst ein Jahr lang überwacht, dann durch ein Sondereinsatzkommando verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt wurden.
Anna List sagte auf der re:publica, sie sei sich vorgekommen, als sei sie ansteckend.
Menschen, zu denen sie Kontakt hatte, wurden abgehört, Menschen, die zu den Menschen, die zu ihr Kontakt hatten, Kontakt hatten, wurden abgehört.
Am Ende standen die Namen von 2000 Betroffenen in den Ermittlungsakten.
Zweitausend.
Andrej Holm und seine Familie wurden Opfer eines Paradigmenwechsels, der seit dem 11. September stattgefunden hat.
Damals waren die Attentäter unbescholtene Bürger. War bis dahin der erste Schritt bei polizeilichen Ermittlungen, Täter, die vergleichbare Taten zuvor schon einmal begangen haben, zu überprüfen, rückten nun Unbescholtene in das Visier der Ermittler.
Auch bei Holm war die Unbescholtenheit einer der Verdachtsmomente.
Wenn verdächtigt wird, wer sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, gerade weil er sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, dann ist jeder verdächtig. Und jeder, der jemanden kennt. Jeder, der sich mit Freunden trifft, ohne den genauen Treffpunkt zu nennen und ein Handy mitzunehmen. Jeder, der eine politische Meinung hat.
Das ist bei allem Verständnis für Angst nicht zu rechtfertigen.
Bitte unbedingt lesen: Der schwarze Beutel.
Erschreckend. Das Ende ist, wenn Bürger Angst vor den Gesetzen derjenigen haben, die sie selbst wählte.
Aber das BVerfG als letzte „Hilfe“ wird wohl auch nicht „immer“ da sein können, befürchte ich. Dafür haben unsere Politiker viel zu viel Macht die Richter in das „höchste Amt“ zu wählen.
Es muss was geschehen. Aber bald.
Zweitausend Leute. Wie geht das denn mit dem ständigen Gejammer der Ermittlungsbehörden zusammen, sie hätten nicht genug Personal?
Anders gefragt: Wie stünden eigentlich Sicherheitsbehörden da, falls wirklich mal was passieren sollte (was wir alle nicht hoffen wollen), und sie sagen müssten „Aber wir haben doch schon 500 Wohnungen von potentiellen Gefährdern gefilmt“?
Ganz ehrlich, ich bezweifle, dass gerade die Politiker und, im aktuellen Fall, BKA’ler so große Angst haben. Die wird nach dem Vorbild von Amerika (s. Kritik an speziell CNN seit 9/11) in regelmäßigen Abständen geschürt, damit sie in der Allgemeinheit am Leben bleibt. Wozu? Um genau solche Gesetze durchzubringen und die Arbeit der Ermittlungsbeamten ‚unproblematischer‘ zu machen. Wenn du alles machen darfst, kannst du nix falsch machen (und so manche Behörde arbeitet ja sowieso schon fernab ihrer Kompetenzen, s. BND). Mit Sicherheit hat das wenig zu tun; bestes Beispiel ist die Sache mit der Überwachung öffentlicher Einrichtungen per Kamera: Bringt bei der Verbrechensaufklärung was, der präventive Nutzen, den die Verantwortlichen damals so beworben haben und der nebenbei der Legitimationsgrund ist, wurde aber schon im Voraus objektiv widerlegt.
Was dabei rauskommt, hat sich ja gestern wieder gezeigt: Das Systemvertrauen, speziell in die regierenden Systeme, ist so weit im Keller, dass die logische Folge eigentlich die wäre, den kompletten Regierungsapparat nebst aller in den Ministerien nachstehenden zu entlassen. Deutschland geht einen zunehmend gefährlicheren Weg; nur gut, dass das Volk noch so träge ist und nicht eingreift..
Es gibt keinen Paradigmenwechsel seit dem 11. September, es gibt keine post 9/11 world. Es gibt nur Feinde der Demokratie und einer freien Gesellschaft die es unter diesem Banner endlich zugeben.
Und leider hat #02 recht. Wenns kracht wird jeder die Behörden zur Rechenschaft ziehen wollen. Ist leider der Preis für die Freiheit, schade dass das keiner dann akzeptieren wird. (Auch wenn nicht mal totalitäre Staaten sicher sind vor Terroristen.)
ot: load comment failed. weiß nicht, was ich an jans kommentar noch korrigieren könnte. ;) ?
Nach außen hin sehe ich die post 9/11 world schon. Die Demokratiefeinde waren zwar vorher schon da, treten jetzt aber mit aller Macht von Verblendung und Beugung der Verfassung in die Öffentlichkeit. In dem Punkt sehe ich einen klaren Schnitt durch 9/11 und das bezeichnet genau das Phänomen der post 9/11 world.
Im zweiten Punkt gebe ich dir Recht. Die Behörden werden es evtl. erstmal abkriegen, allerdings korreliert da die Härte in meinen Augen mit der Größe ihres Kompetenzspektrums. Will sagen, je mehr Freiheit ich abgebe, um den Behörden mehr Möglichkeit zur Arbeit und damit zur Wahrung meiner Sicherheit einräume, desto härter werde ich sie kritisieren, wenn sie die Sicherheit nicht wahren können. Und da muss ich ganz ehrlich sagen: Wenn in Deutschland ein Anschlag stattfinden soll, dann wird er auch stattfinden. Ob die ersten drei Zellen, die ihn ausüben sollten, geschnappt werden oder nicht, spielt da keine Rolle. Der internationale Terrorismus wächst an seinen Aufgaben. Wenn ich den Anschlag verhindern will, muss ich als Staat schon auf die totale Überwachung und Eliminierung aller verdächtigen Subjekte umsteigen. Dass das utopisch ist, steht wohl außer Frage.
Schönen Dank!
Allerdings heiße ich nicht Anna List – das tut nur mein Blog. Warum, steht hier: http://annalist.noblogs.org/post/2007/09/30/welcome. Annalist heißt ChronistIn..
@#674511:
den kunstwortcharaker habe ich schon durchschaut, allerdings dachte ich, dass das wort als name verwendet wird. entschuldigung:)
Wer die (wirklich gute) Folge von Quarks&Co. über „Terrorabwehr“ gesehen hat, der kennt die Zahlen. Sehr beeindruckend wurde visualisiert, dass es tausendfach wahrscheinlicher ist, in einem Krankenhaus durch eine Infektion zu sterben als an einem Terroranschlag.
Wovor haben die Menschen denn dann eigentlich Angst? Sterben kann jeder, immer, jeden Tag. Sei es nun durch einen Autounfall, einen Herzinfarkt oder ein im Hals steckengebliebenes Stück Brot.
Das (in meinen Augen herausgeschmissene) Geld und die Energie für diesen ganzen Überwachungsapparat sollten besser investiert werden. Aber auf mich hört ja keiner :)
OT: Zu #09 fällt mir, abgesehen von Zustimmung, ein, man sollte endlich Betten verbieten, weil offensichtlich lebensgefährlich. Immerhin sterben die meisten Menschen, während sie im Bett liegen. Viel akutere Gefahr, als die durch Terroristen ;)
@#674514: Also diese Äpfel und Birnen-Vergleiche… ich weiß ja nicht. Klar kommt es woanders zu mehr Todesfällen – sei’s nun im Straßenverkehr, im Krankenhaus oder sonstwo. Allerdings steht da nunmal keine Absicht dahinter. Denn wenn wir ehrlich sind, hätte ein Terrorist die Möglichkeiten, Massenvernichtungswaffen zu benutzen, er würde es tun – oder etwa nicht?
Wer’s geschafft hat bis hierher zu lesen soll noch gesagt bekommen, dass ich der Meinung bin, der Kampf gegen den Terror ist eine Gratwanderung, die in DE und vielen anderen Staaten leider in einen Fall in post-überwachungsstaatliche Verhältnisse geendet ist.
Klar ist für mich, es muss etwas gegen den Terror getan werden – unklar nur, was genau.
Und deshalb kann ich die Politiker und „Beschützer“ der westlichen Welt schon verstehen, wenn sie versuchen, alles zu berücksichtigen was passieren könnte. Gutheißen tue ich dies jedoch nicht, da oben erwähnter Grat überschritten wird.
Denn wie sollen sie einer Kultur beikommen, bei der Kinder schon im frühesten Alter eingetrichtert bekommen, irgendwo mit nem Bombengürtel zu sterben?
In der die westliche Welt und/oder andere Religionen als das Star-Wars-like Imperium dargestellt werden, das es mit allen Mitteln zurückzuschlagen gilt?
Man müsste diese Kultur insgesamt verändern – das Denken dieser Menschen. Ein langwieriger Prozess, der auch nur unter bestimmten Bedingungen durchführbar wäre.
Der „schnelle“ Weg, den der große Affe aus dem weißen Haus gewählt hat, nämlich durch Krieg eine Kultur erst einmal total zu zerstören, um sie anders wieder aufzubauen, ist keine Alternative. Einfach weil Krieg niemals eine Alternative ist. Und weil’s bewiesenermaßen nicht geklappt hat.
Eine Revolution des Volkes da hinten, ja, das wäre etwas, was mir gefallen würde. Und der einzige Weg, denke ich, zukünftigen Terror wirklich zu unterbinden.
Just my opinion.
ps: Ich muss gerade ein Politikreferat zu der Leitfrage „Terror – ist jedes Mittel recht?“ verfassen, wer sowas schonmal gemacht hat, kann sich gern mal bei mir melden ;-) Fände es nett auch mal andere Perspektiven zu lesen.