Es sind ja die seltenen, äußerst abstrusen Auswüchse des Fahntums, die selbiges erträglich machen. Der nach dem Klick folgende Zoom auf das obige Bild zeigt ein besonders hübsches Exemplar davon.
Die liebevolle Hülle für den Zettel, die (sich, quasi) beschwerenden Säckchen, das weiß gepunkete Herz als i-Tüpfelchen und natürlich: Die Botschaft! Die Botschaft! Einfach fantastisch.
Und wer hätte gedacht, dass jemals ein Wimpel in den deutschen Landesfarben an unserem Auto flattern würde? Ich jedenfalls nicht. Aber verbiete ich das dem begeisterten älteren Sohn, der heute morgen vor der Schule seinem Kumpel, dem Sohn eines Kurden und einer Türkin, mit den Worten „Los, komm, wir können über das Spiel quatschen!“ in die Arme fiel? Natürlich nicht.
Tatsächlich habe ich inzwischen mit einigen türkisch- und kurdischstämmigen Eltern und Nachbarn gesprochen, von denen die meisten etwas erleichtert schienen über das Ausscheiden der Türkei aus der EM. Speziell einigen Kurden, aber auch vielen Türken waren die großen Mengen an Türkei-Flaggen deshalb langsam ein Dorn im Auge, weil der Freudestaumel der letzten Tage wohl häufig von Mitgliedern der Grauen Wölfe in Beschlag genommen wurde. Nicht nur die Deutschen thematisieren also das berühmte Maß der Dinge.
Wie gut also, dass es den Kriegstreibern in den Boulevard-Medien nicht gelungen ist, nächtliche Schlachten zwischen Deutschen und Türken herbei zu schreiben. Wir bekamen noch kurz vor dem Spiel Anrufe von ahnungslosen Verwandten, die uns ernsthaft empfahlen, das Auto umzuparken, damit es nicht von wütenden Türken zerkloppt werden könne — ob das im Fall eines Sieges oder einer Niederlage der Fall sein würde, konnte aber niemand beantworten, und natürlich wurde der Wagen nicht nach Grunewald gefahren. Die Anrufe jedoch zeigten einmal mehr, wie weit Medienberichte und Realität auseinander liegen können. Bitte merken, für’s nächste Mal.
OMG. Wie eingebildet das klingt … aber recht haben sie. *fg* Bin schon mal auf Sonntag gespannt.
Grüße
Sebastian
Leerzeichen vor Satzzeichen und „multiple exclamation-marks“… also ich will jetzt natürlich nicht zum Rechtschreibnazi werden, aber irgendwie bestätigt das meine Meinung über den durchschnittlichen Fussballgucker nur. :-/
Ich hatte eh vermutet, daß Deutsche die schlechteren Verlierer wären. Daß sie aber auch schlechtere Gewinner sind, ist schade.
@#680728: Der Verantwortliche arbeitet vielleicht nicht in einer Marketing-Agentur oder beim DUDEN, man sollte das also verzeihen können. Und letztendlich ist Bildung auch ein gewisser Luxus, den nicht jeder genießen kann oder konnte.
Und dann noch: Es ist ein Zettel an einem Fenster.
Übrigens muss im Fall deines Kommentars ein Leerzeichen vor die Horizontale Ellipse (die Auslassungspunkte), der Bindestrich bei „exclamation marks“ ist falsch und „Fußball“ schreibt man mit „ß“. ;)
Fussball schreibt man nur dann so, wenn man das Zeichen grade auf der Tastatur hat… eine Ersetzung durch ss ist auch durchaus legitim ;-)
ist aber auch eigentlich völlig egal, ich wollte halt eher mal wieder Allgemein meinem Unmut über die ganze Fussballverrücktheit zur Zeit Ausdruck verleihen als ernsthaft was kritisieren. In diesem Sinne entschuldige ich mich natürlich.
@#680729: Ist der Transfer einiger betrunkener Vollidioten (da findet man mit Sicherheit in jedem Land ein paar) und Rechter, die immer einen Grund finden, auf „die Deutschen“ im Allgemeinen wirklich ernst gemeint?
Alles schlimm genug, na klar, aber deine Schlussfolgerung finde ich völlig albern, sorry.
@#680732: Was hast du denn für eine Tastatur?? :)
Schon okay, ich hatte ja auch extra eines dieser Emoticons hinter meinem Zurückgestänker. Alles entspannt.
@#680733: Da verstehst Du mich jetzt etwas miß. Da steht Deutsche, nicht „ždie Deutschen“. Und das ist auch so gemeint — dort wo ich das Spiel gesehen habe, ist ja zum Beispiel nix passiert, und an fast allen anderen Stellen auch nicht.
Aber auch wenn das bedauerliche Einzelfälle sind: ich versteh’s nicht. Die Italienerin, bei der ich mein Mittagessen einnehme, ist nach dem Halbfinale 2006 nur von wildfremden Menschen beschimpft worden, das war schon übel. Bei zerstörten Dönerbuden trifft es zusätzlich wirtschaftliche Existenzen.
Auch wenn das natürlich nichts über die Mehrheit der Deutschen aussagt, kann man einen Teil von ihnen als die schlechteren Gewinner bezeichnen — da man ja von türkschen Ausschreitungen gar nichts hört.
@#680732:
Hast Du eine Schweizer Tastatur oder wieso fehlt bei Dir das „sz“? Umlaute scheinst Du ja zu haben.
(Mir fehlt dank UK-Tastatur beides, also kann ich die Ausrede wenigstens guten Gewissens benutzen)
PS: Falls das noch jemanden interessiert, zumindest einem auslaendischen Besucher sind die Flaggen nicht negativ aufgefallen.
Armin ich bin öfters mal mit meiner Ansteck-Tastatur zu meinem schönen, alten HP Jornada 520 unterwegs, Marke „Stowaway“.
Das Ding ist jetzt nicht ganz so groß wie eine Notebook-Tastatur und hat normalerweise ein leicht reduziertes, englisches Layout.
Umlaute kann ich aber über die Function-Taste tippen (z.B. für Ä [fn]+[:], [shift]+[a])
ß geht eigentlich auch, ist aber noch aufwändiger, daher lass ich das meistens.
@#680736: Ich hab‘ mich auch schon gewundert. :)
Die Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „die Deutschen“ ist dennoch ein bisschen „¦ naja. Ich finde schon, dass dein Satz auch ohne „die“ wie eine Verallgemeinerung klingt. Ich jedenfalls möchte einigen Deppen (gerade den verlinkten nicht!) nicht soviel Aufmerksamkeit gönnen, dass ihr Tun für Deutsche generell gelten soll. Ich nehme dafür lieber die positiven eigenen Erfahrungen aus dem eigenen Umfeld, die du auch beschreibst. Was die Ausnahmen angeht: Ich bin von ein bis zwei Personen in fast jedem Ausland auch schon für meine Herkunft blöd angemacht worden. Mit den anderen 99,9% Amis, Engländern oder Russen bin ich trotzdem gut klargekommen. ;)
Ach, Nachtrag: Verstehen kann ich solche Auswüchse sowieso auch nicht und ich werde sie auch nie verstehen.
Ich weiß nicht, Johnny, irgendwie scheint es mir schon ein echtes Spreeblick-Problem/Phänomen zu sein, dass Ihr – nomen est omen – echt immer nur Eure Kreuzberg/Prenzlberg/Mitte/Friedrichshain-Realität wahrnehmen könnt.
Deine positiven Erfahrungen im Umfeld hin oder her bzw. in allen Ehren, aber natürlich hätte es enorm geknallt, wennDeutschland das Spiel verloren hätte. 2006 hat es das auch, da hat die Polizei nach dem Halbfinale an vielen Orten mit einem massiven Aufgebot an gepanzerten Einheiten dafür gesorgt, dass das Bild der so genannten Party-WM nicht komplett gefährdet wurde und die deutschen Medien haben das Phänomen so gut sie konnten totgeschwiegen.
Mal ganz ehrlich: Wie viele „richtige“ Fußballfans kennst Du? Und damit meine ich jetzt nicht die intellektuelle, multikulturell gebildete Kreuzberger Fraktion, die sich neuerdings auch gerne mal dem Fahnenkult hingibt, sondern den Durchschnittsanhänger von Hertha BSC, meinetwegen. Wie oft Du da „scheiß Türken“ hören könntest, würdest Du vielleicht gar nicht glauben.
Wenn es umgekehrt gekommen wäre, hätte man sich hierzulande außerhalb der einschlägigen, landesweiten Kreuzberg-ähnlichen Viertel der Großstädte mitnichten „mitgefreut“, sondern wäre ähnlich abgegegangen wie 2006 auf die Italiener, nur mit noch viel mehr Zielen und noch mehr Abneigung, schließlich sind „die Türken“ einfach mehr und bei weitem nicht so beliebt wie „die Italiener“.
Denen ihre Moscheen wollen „die (meisten) Deutschen“ ja jedenfalls auch nicht haben, jedenfalls nicht inner Nachbarschaft, nicht mal im hach so toleranten Köln, da kannst Du jetzt echt nicht so tun, als ob die Schnittmengen von Fahnenschwingern und Moscheegegnern nicht ganz beträchtlich wären. Multikulti-Berlin ist leider echt nicht überall in diesem Land.
@#680756: Natürlich ist meine Sicht so eingeschränkt wie die eines jeden anderen und sicher ist sie lokal geprägt, aber genau daher finde ich es wichtig, sie zu beschreiben — es geht eben auch anders, vielleicht ist das für Leser woanders nicht uninteressant. Denn die „andere“ Seite findet ja genug statt.
Die Mischung aus vielen verschiedenen Sichten der Dinge (z.B. in Blogs) bringt dann vielleicht einen halbwegs „richtigen“ Eindruck zusammen „¦ einen Anspruch auf „Wahrheit“ oder Vollständigkeit können wir sicher nicht erfüllen, da hast du Recht.
Meine Kontakte mit „echten“ Fußball-Fans während meiner Jugend (schon damals: viel zu viele Faschos, einer der (zwei?) großen Hertha-Fanclubs nannte sich „Zyklon B“) haben übrigens speziell im Fall von Hertha und TeBe dafür gesorgt, dass das Thema Lokalfußball danach für mich abgehakt war. Leider.
@#680756: Ich denke die ganze Zeit weiter darüber nach und bin fast soweit, noch einen Artikel daraus zu machen. Klasse Thema.
In Wien wurde auch Autos zerstört. Vom Gewitter. Ansonsten ruhig. Die Türken sind mir nur etwas unangenehm aufgefallen, weil sie nach einem Sieg gerne hupen und ich im Prüfungsstress bin. Die Deutschen gar nicht. Zumindest in Meidling.
„vielen Türken waren die großen Mengen an Türkei-Flaggen deshalb langsam ein Dorn im Auge“
„¦und auch vielen Deutschen sind die großen Mengen an Deutschland-Flaggen erst recht ein Dorn im Auge. Und das liegt durchaus daran, was manche mit dieser Flagge geschmückten Menschen machen, egal, wieviele Menschen sowas NICHT machen. Die Bedeutung eines Symbols ergibt sich aus dessen Benutzung, und wenn miese Dinge unter so einem Symbol passieren, schlägt das auf das Symbol zurück. Darüber kann man sich zB tagelang mit SHARP-skins unterhalten. Oder auch mit Punks.
Eine National-Flagge riecht für mich jedenfalls immer nach Nationalismus, und jeder PI-Leser wird sich wahrscheinlich über die Häufung von SchwarzRotGelb nen Keks freuen. Ich hingegen freue mich über die wirklich vielen anderen Flaggen, aber ich fürchte, es ist in vielen Gegenden weniger bunt.
An die ZyklonB-Idioten erinnere ich mich auch. Wieso Du dabei ausgerechnet Tebe in einem Atemzug nennen kannst, versteh ich allerdings nicht. Die Tebe-Fanszene ist in Berlin mit Abstand die korrekteste, die ich kenne. Was Du für Erfahrungen mit Tebe gemacht hast, kann ich nicht wissen, aber es erstaunt mich wirklich. Und den Tebe-Fans gegenüber (von denen wir beide einige kennen) finde ich so eine Erwähnung nicht fair.
Ich fand es einfach nur toll, wie sehr die türkischen Fans trotz der Niederlage ihrer Mannschaft das Spiel gefeiert haben und wie selbstverständlich sie beide Flaggen danach geschwenkt haben!
Wäre das Spiel anders gelaufen, wäre es sicher zu häßlichen Szenen gekommen. Zumindest hatte ich das Gefühl als beim 1:1 meine (deutschen) Nachbarn lautstark ihre Ressentiments gegen türkische Fußballspieler aus dem Fenster gröhlten.
Deutscher Jubel ist so oft gehässig. Und Sieg. Klatsch. Klatsch. Sieg. -Rufe haben auch einen häßlichen Klang in meinen Ohren.
@#680835: Oha, dann muss ich schnell korrigierend einschreitend: TeBe war immer voll okay, mein Kommentar sollte die oder ihre Fans keineswegs in die Hertha-Ecke stellen. Was ich meinte: Wenn man dann TeBe-Fan war, hatte man Dauerstress mit den Hertha-Fröschen. Das war kein Spaß und daher hat (Lokal-) Fußball für mich irgendwann keinen Reiz mehr gehabt.
@Johnny Haeusler:
Weiß jetzt zwar nicht genau, welches der angeschnittenen Themen Du genau meinst, freut mich aber, dass es Dich zum Weiterschreiben angeregt hat.
Natürlich hast Du mit der Subjektivität einer jeden Perspektive grundsätzlich Recht. Meiner Meinung nach flankieren sich das, was Du „die andere Seite“ (also BLÖD & Co.) nennst und die kernermäßige Fußballfest-Fraktion allerdings gegenseitig. Bei Kerner ist es dann die paternalistische „ach die lieben Migranten“-Variante.
Wichtig für Blogs fände ich in diesem Zusammenhang die Darstellung der wirklich „anderen Seite“, also dessen, was in den Massenmedien nicht gezeigt werden kann / soll / darf. Beispielsweise also die Thematisierung der Risiken und Nebenwirkungen eines neuen, ungebrochenen Patriotismus, der bei weitem nicht so trennscharf von Nationalismus anzugrenzen ist, wie neuerdings gerne getan wird. Das gilt jetzt nicht nur für den deutschen, sondern auch für den türkischen/ kroatischen oder italienischen.
Oder auch die Unverfrorenheit, mit der ein Waldi Hartmann sich im Jahre 2008(!) einen „Türken-Schnäuzer“ ins Gesicht kleben und Schenkelklopf-Türkenwitze in der ARD machen darf, ohne, dass dieser Kulturrassismus auch nur ansatzweise zu Protesten führt. Man versuche mal, sich ein BBC-Pendant vorzustellen, welches derart ein Cricket-Match zwischen England und Pakistan mit Turban auf dem Kopf und Pidgin-Englisch-Witzen begleiten würde. Das kann man sich schlichtweg überhaupt gar nicht vorstellen.
Dieses 50er-Jahre-Niveau ist eben leider auch Teil der deutschen Realität und wird mich mittelfristig weiter davon abhalten, mit Trikot und Fahne „Schland“ zu grölen, womit ich allerdings weder Dir noch Deinem Sohn den persönlichen Spaß nehmen wollte. Aber „Euer“ Teil von Deutschland ist leider sehr viel kleiner, als der Teil, der über Waldi lacht und Moscheen scheiße findet. Hoffen und glauben wir mal, dass die Zukunft das peu a peu ändern wird.
@#680876: Mit dem spannenden Thema meinte ich genau das, was du schreibst.
Im Bereich des Humors ist das wie immer eine feine Grenze, ich mag z.B. Waldi Hartmann überhaupt nicht und verstehe deine Aufregung, kann mir aber gleichzeitig das fiktive Beispiel aus England sofort vorstellen und denke, dass es erst Entspannung gibt, wenn solche Albernheiten eben doch möglich sind — jeder hat das Recht darauf, verarscht zu werden und das Komplizierte ist doch, dass es eben auch (auf eine andere Art) rassistisch sein kann, wenn man eben genau das aus falscher Vorsicht nicht tut. Sind Ostfriesenwitze rassistisch? Klischees eignen sich eben sehr gut für (auch böse) Witze. Ob dabei Waldi der geeignete Vorreiter sein sollte, wage ich aber auch zu bezweifeln.
Ich kann und will übrigens auch nicht „’schland“-brüllend durch die Gegend fahren, mir geht das völlig ab, ich habe aber sowieso noch nie den Drang verspürt, den Gewinn einer Sportmannschaft länger als für drei Schluck Bier zu feiern. Ich freue mich tatsächlich, wenn die deutsche Mannschaft klasse spielt und gewinnt, aber das war’s dann auch. Kinder haben da einfach einen ganz anderen Spaß dran, das ist ja auch völlig okay und bietet nebenbei prima Gelegenheiten, das Thema „Nationen“ mal (natürlich kindgerecht) anzusprechen, indem man darüber redet, ob der Geburtsort irgendeine qualitative Wertung von Menschen überhaupt beinhalten kann. Und dass er das natürlich nicht kann.
Die Jungs kennen übrigens schon seit der WM die Fahnen aller Länder, zählen dir Spielernamen aller Vereine auf und sind beim Spielkommentar oft schneller mit den Namen als der Moderator, man fragt sich, warum Panini-Alben nicht Schulpflicht sind „¦ :)
Ich empfinde keinerlei Verbundheit mit der deutschen Flagge, außer, dass es eben die Flagge des Landes ist, in dem ich geboren wurde, und mir jagen wehende Nationalfahnen, speziell die deutsche, auch eher negative Schauer über den Körper. Ich mag das nicht. Ich frage mich aber gleichzeitig, wann das mal ein Ende hat. Wie lange muss man sich etwas so albernes wie eine Landesfahne (das man in beinahe jedem anderen Land einfach so als Signet hin nimmt) eigentlich von dämlichen Ewiggestrigen als „Zeichen des Bösen und der Dumpfheit“ emotional aufladen lassen? Die garantiert nicht allgemeingültige und auch nur teilweise bestehende Gelassenheit des Umgangs damit in unserem eigenen Umfeld vor Ort würde ich mir als Dauerzustand wünschen (also: bei der EM o.ä. sind lustige Fähnchen okay, danach bitte wieder in den Keller damit oder zumindest die Zahl erheblich minimieren).
Nochmal anders: Es gibt in den skandinavischen Ländern ekelhafte Faschos, in Polen brutale Hooligans, holländische Fans verhalten sich auch nicht immer korrekt „¦ und trotzdem würde ich über die Einwohner dieser Länder (in der Verallgemeinerung) nie die Nase rümpfen oder die Länder als „eher rechts“ oder so ansehen. Warum tut man das also streckenweise mit dem eigenen Land?
Bin ich tatsächlich unrealistisch, wenn ich behaupte, dass einerseits auch hier die Gestrigen langsam aber sicher aussterben und andererseits auch in anderen Ländern der „Durchschnittsbürger“ nicht zwingend ein intellektueller Dauer-Pazifist ist?
Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt merkwürdig klinge: Wir stecken in einer Endlosschleife ohne Ausweg, wenn wir immer weiter behaupten, dass Deutschland ein Land voller Idioten ist bzw. dass es hier mehr Idioten gibt als anderswo. Man könnte damit schnell ähnlich gestrig sein wie die, die man eigentlich ablösen wollte.
@#680866: Na dann, danke für den Zusatz!
Dazu noch: Ich sah am Mittwoch gegen 20:30 auf dem Weg zum Fussballguck auf der Strasse einen Jungen mit nem Tebe-Party-Army-shirt. Ich grinste ihn an, und als er ein wenig erstaunt zurücksah, zeigte ich auf sein Tshirt. Darauf grinste er auch und meinte: »Zum Fussballgucken immer. Was anderes geht ja nicht. Scheiss-Nationalismus!«
fand ick jut. :)
(Falls mein Arbeitgeber gleich reinschneit und mich fragt, was ich eigentlich so treibe, könnte es sein, dass dieser Post etwas abrupt endet …)
Ja und nein. Ich sehe Deinen Punkt und auch ich finde das Land manchmal ganz schrecklich modern und toll und freue mich, da zu wohnen, wo ich wohne. Ich bin vor mehr als zehn Jahren Aus Berlin weggezogen und wenn ich jetzt zu Besuch bin, dann bin ich echt erstaunt, wie international und worldly bestimmte Gegenden geworden sind.
Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass gerade die Konstruktion von „deutsch sein“ nach wie vor eine ganz bestimmte Art der Denke im Sinne von „Volkszugehörigkeit“ beinhaltet und dass nicht nur ganz rechts außen, sondern weit hinein in den Mainstream. Daraus resultiert dann, dass die Kinder von Migranten der dritten und vierten Generationen noch immer nicht automatisch Deutsche sind und sozial, jobtechnisch, bildungstechnisch massiv benachteiligt und diskriminiert werden, was man ihnen dann anschließend noch vorwirft.
Mit anderen Worten: Erst sind sie keine Staatsbürger und somit ohne Wahlrecht und einer ganzen anderen Reihe von Sondergesetzen unterworfen. Jahrelang werden sie für alle möglichen Drecksjobs eingesetzt. Und dann wundert man sich, dass aus Armut, Chancenlosigkeit und fehlender Teilhabe Kriminalität und Gewalt erwachsen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen führt man dann Integrationsdebatten und ergeht sich in kulturrassistischen Zuschreibungen und Hinweisen ala „der Islam“, „junge, arabische Männer“, „Mentalität“, „unmodern“ etc.pp.
Ich will hier wirklich keine Probleme wegdiskutieren, aber kann man diesen Leuten vielleicht erstmal bedingungslos die Staatsbürgerschaft geben und ihnen skandinavische Schulmodelle an die Seite stellen und können wir dann bitte in frühestens zehn Jahren nochmal über Integration reden?
In dieser Hinsicht hinken „wir“ hier ethnisch wirklich pluralistischen Gesellschaften (wie England meinetwegen) meilenweit hinterher und so lange das so ist, sind Waldis Witze auch nicht ironisch, sondern machen sich über ohnehin marginalisierte Teile der Bevölkerung auch noch lustig, was sein historisches Vorbild nunmal eher beim Juden- oder Behindertenwitz hat, als bei einem ironischen Umgang mit Klischees ala Sasha Baron Cohen.
Womit wir auch wieder beim Fußball wären: In London ist es eben auch ganz normal, nicht für England zu sein. Sondern für Irland, Schottland, Wales, Russland, Ghana oder Papua-Neuguinea. Zeitgleich wird hier bei „uns“ von vielen Kommentatoren eine neue Normalität der Fahnentreue beschworen, „so wie andere Nationen sie auch haben“, obwohl genau dieses in anderen Nationen so ungebrochen auch überhaupt nicht der Fall ist, siehe bspw. auch Spanien.
Mit anderen Worten: Gerade das gebrochene Verhältnis zur deutschen Nation war / ist eigentlich schrecklich modern und für mich tatsächlich mal absolut fortschrittlich in dem Sinne, dass man sich mit den extrem negativen Aspekten der Nationalgeschichte auseinandersetzt. Ich hoffe nicht, dass die nächste Generation jetzt zurück zum Fahneneid schwenkt.
@#680898: Zustimmung über ganze Passagen. :) Und danke für die genommene Zeit für dieses Posting.
Ich bin vielleicht etwas sorgloser als du, was die mögliche „Rückkehr zum Fahneneid“ angeht, denn für die nachwachsenden Generationen gibt es den nicht. Ich sehe hier alle möglichen Fahnen (okay: hauptsächlich türkische und deutsche, aber vereinzelt auch andere) teilweise sogar nebeneinander am Auto hängen und hatte nach der WM trotz vieler Fahnen keine Zunahme einer Form von Patriotismus feststellen können, insofern fand ich es klasse, dass man offenbar die deutsche Flagge mittlerweile wie eine temporäre Vereinsfahne sehen kann und (im Schnitt, der Ausnahmen bin ich mir bewusst) keineswegs als mehr.
Ich glaube, wir könnten uns inhaltlich über weite Strecken nicht wirklich streiten, denn deine Zeilen könnten so ähnlich auch von mir stammen (wobei ich die Passage mit offenbar nicht wenigen Engländern, die während einer Meisterschaft zu anderen Teams halten, anzweifeln möchte „¦ :)), aber ich weiß nicht, ob eine moderne Gesellschaft wirklich die Abkehr von jeglichem nationalem Zugehörigkeistgefühl braucht oder ob es nicht auch einfach eine harmlose Variante eines solchen Gefühls gibt. Dieses „gebrochene Verhältnis“ kann vielleicht auch eine Krankheit sein. Und eine bessere Geschichte können wir nachkommenden Generationen ja nur bieten, wenn wir sie mitgestalten. Jetzt für später. Daher wünsche ich mir z.B., dass meine (alle! Meine Güte, jetzt wird es gleich pathetisch „¦) Kinder mit solchen Ereignissen wie einer EM oder WM später rückblickend keine Nationenkriege in Verbindung bringen. Und sich aber auch nicht schämen müssen, zu „ihrem“ Team gehalten zu haben (was im Fall des kleineren Sohns während der WM übrigens Brasilien, diesmal Spanien ist, es geht da wohl mehr um die Farben „¦).
Ich würde die Arschlöcher gerne übertönen. Solange, bis man sie gar nicht mehr hört.
@#680898:
Oh, oh, oh, mit so einigem was Du schreibst waere ich einiges vorsichtiger. So ein leuchtendes Vorbild wie Du Grossbritannien bezueglich Integration hinstellst ist es nun doch nicht. Und auch London.
London mag multikulturell und offen erscheinen und auch in grossen Teilen sein, aber genausowenig wie Johnny’s Berlin ist es ein Abbild des gesamten Landes (oder selbst Londons). Wenn Du ein bisschen an der Fassade kratzt wirst Du auch in London sehr schnell allen moeglichen Rassismus und Integrationsprobleme finden.
„Rassenunruhen“ gibt es auch immer wieder mal, in Birmingham hat’s vor gar nicht allzu langer Zeit geknallt, vor ein paar Jahren mal ganz gewaltig irgendwo anders, Ort ist mir gerade entfallen. Im Durchschnitt duerften es die Kinder von Immigranten als auch die Immigranten selber im Vergleich zu „Briten“ schwerer haben und ein geringeres Durchschnittseinkommen haben (Zahlen und Belege habe ich dafuer gerade keine zur Hand, duerften sich aber recht schnell finden lassen).
Ist zwar inzwischen schon ein paar Jahre her, aber der „Cricket Test“ wird immer wieder mal erwaehnt. Da wird dann halt ebenso die „Loyalitaet“ verschiedener Einwanderergruppen in Frage gestellt.
Durch die diversen Antiterrormassnahmen fuehlen sich sehr viele Muslime ausgegrenzt und benachteiligt, was dann wieder fuer andere Probleme sorgt. Da gibt es so einige Diskussionen drum, nicht immer zivilisiert.
Witze ueber Immigranten gibt’s auch, z.B. ueber die vielen Polen die es hier gibt. Vielleicht nicht bei der BBC (die sehr PC ist), aber an anderen Stellen schon.
Die Immigration-Karte wird insbesondere von eher rechten Parteien (Tories, UKIP und was rechts davon steht sowieso) auch immer wieder gerne gezogen. „Das Land ist voll“ bekommt man dann auch immer wieder zu hoeren.
Selbst innerhalb des UK gibt es da immer wieder Diskussionen wer denn nun wen wann zu unterstuetzten hat/soll/muss. Andy Murray hat vor 2 Jahren einiges zu hoeren bekommen als er gesagt hat dass er England beim World Cup als Schotte nicht unterstuetzen wuerde. Da kuehlte die Murraymania ganz fix ab (Henmania war ja praktisch schon vorbei).
Angenommen Schottland haette sich fuer die EM qualifiziert und England nicht (die Moeglichkeit bestand ja immerhin), so einige Englaender haetten Schottland nicht unterstuetzt (was auch immer das wieder heissen mag).
So sehr es mir hier gefaellt und so „integriert“ ich mich auch fuehle, so verklaeren und alles fuer toll erklaeren wuerde ich es dann doch nicht.
@Johnny:
Lauter sein als die anderen finde ich sowieso gut. Immer, wenn ich bspw. Roland Koch sehe, habe ich diesen Reflex: Nein, es ist nicht Dein Land, sondern meins.
@Armin:
Sorry, aber ich sehe die Verklärung so überhaupt nicht. Ich finde es angesichts der rein rechtlich-formalen deutschen Situation einfach überhaupt keinen Vergleich zu Großbritannien, wo ich nach zahlreichen, auch längeren Aufenthalten jetzt einfach mal behaupte, mich auch ganz gut auszukennen.
Die Konflikte, die Du beschreibst, existieren natürlich und rund um Newcastle bspw. ist England ganz sicher extrem weiß verglichen mit London. Aber ich finde es immer wieder erstaunlich, wenn Deutsche ernsthaft der Meinung sind, es würde bei der Beurteilung quasi keinen Unterschied machen, ob Migranten Staatsbürger sind (und somit volle Rechte genießen) oder nicht. Oder ob ihre Kinder automatisch Briten sind oder nicht.
Ich kann Dir versichern, das macht aus Sicht der Betroffenen einen Unterschied ums Ganze, den man nicht mal eben so vom Tisch wischen kann. Schau Dir bspw. mal die aktuelle Debatte im UK über die Teenager-Gewalt an. In Deutschland wärst Du da schon längst wieder bei Lösungsansetzen ala „alle abschieben“, was dort einfach gar nicht möglich ist.
Dass es nach wie vor Diskriminierung und Rassismus gibt, ist völlig klar, aber Kampagnen ala Koch gibt es auch von den Torys nicht und Schnubi-Witze ala Waldi wären bei der BBC ein Rücktrittsgrund, während es hierzulande nicht einmal auch nur den Hauch von Unbehagen auslöst.
Und zwar unter anderem ganz einfach deswegen, weil diejenigen, die sich dadurch angegriffen fühlen könnten, im öffentlichen Diskurs hier überahupt keine Stimme haben, was durch ihren Ausschluss von simplen demokratischen Grundrechten wie Wahlrecht institutionalisiert wird. Sorry, aber da finden London oder New York einfach auf einem anderen Planeten statt.
Die Roland Koch Kampagane flankiert von der BILD war übertragen auf die USA in etwa auf dem Diskursniveau von „Die Nigger sind selber Schuld, dass sie im Ghetto leben, weil sie kulturell und ethnisch bedingt einfach zu Armut und Gewalt tendieren und sich nciht anpassen wollen.“ Diese Position könntest Du als Politiker von überregionaler Bedeutung in den USA (Koch wäre ja sowas wie ein Governour, um im Bild zu bleiben und galt sogar mal als möglicher Kanzlerkandidat der Union) heutzutage nicht mal mehr im tiefsten Süden öffentlich äußern, von New York ganz zu schweigen.
Das ist amerikanisches 50er-Jahre-Niveau, da bleibe ich bei und das ist weder verklärend noch ändert es was am amerikanischen (oder britischen) Rassismus, der selbstredend existiert.
Hmm, jetzt ist der andere Post doch da, dann nehmt den hier doch einfach raus.
@#680937: Ich hab keine Ahnung, warum du manchmal (und nur manchmal) in der Moderation hängenbleibst. Sorry dafür.