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Berlusconi

Wenn Russland eine gelenkte Demokratie ist, dann ist Italien eine ungelenke Schultheateraufführung des Politikkurses über die Verführbarkeit der Massen. In anderen Worten: In Italien ist Politik tatsächlich so, wie sie sich ARD-Kabarettisten vorstellen. Berlusconi hat sich mal wieder einen Prozess vom Leib gehalten durch eine Gesetzesänderung. Er ist jetzt immun. Nicht gegen schlechte Haartransplantationen, Geschmacksverirrungen aller Art und begrenzte Körpergröße, schwere Parfums, Persönlichkeitsspaltung wegen zu vieler zu spielender Rollen und allgemeine Rumpelstielzigkeit. Aber gegen Strafverfolgung.

Wäre in Italien noch eine Erinnerung wach daran, was ein Rechtsstaat ist, wäre es bemerkenswert, dass Italiens Verfassungsgericht genau dieses Gesetz bereits kassiert hatte. Aber eine dauertuttifruttisierte Gesellschaft, deren intellektuelle Gesamtkapazität beim Länderpunktezählen an ihre Grenzen stößt, besitzt eben keine Erinnerung mehr.

Woran auch? Nach dem Faschismus erstarkte die Mafia wieder und als die Christdemokraten untergingen, weil sie gar zu auffällig im Auftrag der ehrenwerten Gesellschaft handelten, machte sich der Schmierigste der Schmierigen auf, um sich an seinen spärlichen Schopf selbst aus der Scheiße zu ziehen.
Was ihm immer und immer wieder gelang, Berlusconi ist ein Münchhausen auf Instant Replay:
Berlusconi wurde erstinstanzlich bereits zu insgesamt sechs Jahren Haft verurteilt, die Verfahren wurden jedoch wegen Verjährung oder rechtzeitiger Gesetzesänderungen in allen Fällen eingestellt.

Im aktuellen Fall geht es um den Verdacht, Berlusconi habe seinem Anwalt 600000 Dollar als Gegenleistung für falsche Zeugenaussagen gezahlt.

Der Unterschied zwischen Italien und einem Land wie Venezuela, das gerade in amerikanischen Medien (nicht aber in der deutschen Wikipedia) als Diktatur bezeichnet wird? In Venezuela ist die Presse gegen Chavez.
In Italien ist Berlusconi die Presse.

In der EU ist, wenn ich das nicht völlig falsch in Erinnerung habe, der Ausschluss eines Landes aus der Gemeinschaft nicht geregelt. Es drängt sich also die Frage auf, welche Kriterien man an seine Partnerländer stellen will.

Denn wenn Berlusconi mitverantwortlich ist für die Stabilität unser Währung, für unsere Gesetze, für die Zukunft Europas –
warum holt man bei der nächsten EU-Erweiterungsrunde dann nicht gleich Libyen und Algerien ins Boot?

20 Kommentare

  1. 01

    Sind wohl alle im Urlaub in Italien.

  2. 02

    Ich kommentiere hier ja eher nienicht, weil ich dafür meine Leser-Leute habe.
    Hatte.
    Hey, Ragazzi! Planscht ihr alle im Müll von Neapel?

  3. 03
    rio

    Ich kommentierte nicht, weil ich einfach sprachlos bin.

    Angesichts einem Verbrecher, der sich einfach aus allem rauskauft.
    Ohne Skrupel, ohne Zögern.

    Und gleichzeitig aber mal eben von den böööösen Roma & Sinti (Vagabundenpack!) die Fingerabdrücke nehmen, die klauen doch eh alle! Menschenunwürdiger gehts wohl nicht, als mal eben eine ganze Ethnie als Verbrecher abzustempeln?
    ( http://www.fr-online.de/top_news/?cnt=1361009 )

    Wahrscheinlich macht Fernsehen doch blöd, oder wie hier, zumindest gefügig…

    Der Propaganda-Plan scheint wunderbar aufzugehen:
    Silvio hat nicht nur viel Geld (geschickter Geschäftsmann!), den AC Milan (Wir wir in der Eckkneipe ein toller Fußballfan!), sondern auch viele schöne und v.a. einfache Lösungen: Euch geht es schlecht? Ihr seit ungebildet? Heiratet doch einfach reich – liebe Frauen!
    Und fürs Parlament, da seid ihr doch eh zu blöd!

    Einfache Lösungen, schöne Pauschalisierungen, das versteht man, das versteht jeder!

    (Vielleicht liege ich aber auch falsch, die Italiener sind alle viel schlauer / politisch interessierter als gedacht, werden aber durch geschickt gemachte,unterbewusste Fernsehnachrichten aus Silvios Senderkette perfide manipuliert….wer weiss..)

  4. 04
    Maltefan

    Als Halbitalienierin kann ich nur sagen, dass ich für Italien jede Hoffnung verloren habe. Italien ist kein Rechtsstaat, will gar nicht raus aus der Korruption und wird immer unverblümter zum schlichten Sauhaufen. Früher wollte man noch als respektabel erscheinen, heute feiert man den „Furbismo“ als staatstragendes Prinzip öffentlich.

    @#683895: Die Italiener finden Berslusconi halt einfach gut. Dass er Verbrechen begeht und im Grunde nur Ministerpräsident werden wollte, um ihnen ungestört nachgehen zu können, interessiert da nicht so sehr. Bei den Italienern ist dieser Typus des „furbo“, der sich überall wieder rauswinden und -schlängeln kann und mit viel Bauernschläue seinen eigenen Vorteil sichert, sehr respektiert … und Berlusconi hat es da einfach zu konkurrenzloser Meisterschaft gebracht.

  5. 05
    christoph kratistos

    Joah, Italien halt.
    Andererseits haben wir auch Rumänien, Polen und Bulgarien in der EU. Die EU ist eine Wirtschaftsmacht und wird nicht mehr werden. Der versuchte politische Einfluss auf andere Länder spielt den Regierungen sogar noch in die Hände, weil das Stimmvieh eher an den korrupten Chef in Mief-Hauptstadt-deiner-Wahl als an die Bürokraten in Brüssel glaubt. Ich denke, dass die Demokratie in der Welt im Allgemeinen gerade ein bisschen den Bach runter geht (und find das nichtmal besonders schlimm).
    Die Super-Demokratie schlechthin, die USA, werden auch seit knapp hundert Jahren ausschließlich von den immergleichen Multi-Millionären und Elite-Hanserln regiert. Da Internetz wird immer mehr verengt, gesäubert und kontrolliert, die VAE und andere Staaten zeigen, dass Völker eher durch Wohlstand als durch Freiheit glücklich zu machen sind.

    Bitte verzeiht den jetzt schweigenden anderen Kommentierenden, sie finden euch jetzt leider „unpolitisch und rechthaberisch, selbstbezogen und unprofessionell“ und fürchten, nichts mehr als „“Lautes, idiotisches Geschrei“ von sich zu geben.
    http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,567038-2,00.html

  6. 06

    @#683895:
    ist dieser rassismusvorwurf gerade super-in und ich habe irgendetwas nicht mitbekommen? was ist da rassistisch?

  7. 07

    Danke fürs Einmischen an alle. Wir waren einfach überrascht, dass das Thema scheinbar so gar nicht interessierte. Gut zu sehen, dass es nicht so ist.

  8. 08
    rio

    @johnny: (8) bist du der echte, einzig wahre? weil ohne spreeblick icon….

    noch eine ergänzung zu meinem beitrag oben:
    bitte erwähnt in geselliger runde nicht, italien sei z.Z. keine (richtige) Demokratie,
    dann ist man nach meiner erfahrung schnell mind. einen Kopf kürzer, da wie wir ja wissen, der gesamtkonsens (bzw. der scheinkonsens induziert durch medien) macht eine meinung automatisch – und indiskutabel – richtig…

    (auch wenn das nicht ganz so schlimm ist, wie zu behaupten deutschland sei keine richtige demokratie – da kommt man vor dem henker noch nicht mal dazu zu erklären, dass nunmal der warenverkehr/ die güter-distribution nicht demokratisiert ist)

  9. 09
    ber

    Ich befürchte, dass die Mehrheit davon ausgeht, dass es in Italien immer so läuft, wie S.B. es seit Jahren öffentlich praktiziert. Deshalb kann der x-te Freispruch für ihn kaum verwundern. Ergo, wenig Kommentare.

  10. 10
    Chr

    Ähemm, ich hätte gern nen Kommentar hinterlassen, habe hier heute an anderer/n Stelle/n schon wieder so viel geseihert, dass ich dachte, besser is‘: einfach mal Klappe halten…

    Italien ist schlimm, schlimm. Es gab neben gesetzlichen Änderungen der Vollstreckungsverjährung noch undemokratische „Reformen“ im parlamentarischen Verfahren, der Kampf gegen mafiose Strukturen erliegt mehr und mehr. Weiterhin gibt es Strafurteile in Abwesenheit der Angeklagten, unabhängige Presse fristet ein Dasein im unbeachteten Abseits und in diesem Jahr ereigneten sich in verschiedenen italienischen Städten pogromartige Übergriffe auf Sinti und Roma – zumeist aus Rumänien eingewandert, gegen deren „Kriminalität“ Bürgermilizen „aufbegehrten“… Wo soll man da anfangen und wo aufhören zu jammern?

    Ist Italien demokratisch ein failing state mitten in Europa? Fährt die italienische Politik die Demokratie an die Wand? Und was soll man tun?

  11. 11

    immerhin kann man da toll urlaub machen, der wein und das essen sind gut, die spackig-chicen klamotten kommen von da und irgendwo haben die sogar ne autobahnpolizei mit lamborghinis als dienstautos!

  12. 12
    Chr

    Eine Elend, einfach nur ein Elend…

    Zu viele Flüchtlinge: Italien ruft landesweiten Notstand aus
    „Wegen der anhaltend starken Einreise illegaler Einwanderer hat die italienische Regierung einen landesweiten Notstand verhängt. Dadurch soll die Errichtung eines neuen Aufnahmelagers für Einwanderer beschleunigt werden. […] Die Opposition hat die Verhängung des landesweiten Notstands scharf kritisiert. Der stellvertretende Chef der demokratischen Fraktion in der Abgeordnetenkammer, Giancarlo Bressa, bezeichnete die Entscheidung als „verabscheuenswert“. Die Regierung befasse sich nicht mit den wichtigen Fragen, sondern mache der Bevölkerung Angst“, Zeit-Online.

  13. 13
    archeophyt

    @06: christoph kratistos

    „Ich denke, dass die Demokratie in der Welt im Allgemeinen gerade ein bisschen den Bach runter geht (und find das nichtmal besonders schlimm).“

    Die Diagnose kann ich ja teilen, aber mir fällt spontan kein einziger Grund ein, warum ich das nicht besonders schlimm finden sollte. Da würde mich dann doch mal ein Argument interessieren, falls das möglich wäre.

  14. 14

    Ich find´s einfach nur noch krass, was in Italien passiert. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass wir dabei sind, ganz essentielle Politikbereiche in die EU auszulagern, so dass die Italiener in absehbarer Zeit (wahrscheinlich) auch deutsche Politik mitbestimmen werden.

  15. 15

    „Würde Silvio Berlusconi Nachhilfe in Sachen mafiöser Strukturen brauchen, müsste er nach Deutschland kommen.“
    Jürgen Roth, Der Deutschland-Clan

    Bei uns ist es halt nur nicht ganz so offensichtlich.

  16. 16
    christoph kratistos

    @#683957:
    Weil eine von außen gestützte und gelenkte Diktatur zumindestens kurzfristig mehr erreichen und verändern kann. Man muss halt nur sicher gehen, dass sie nicht zu extrem ist, und die Macht an einer Gruppe/Person hängt, die vom Volk akzeptiert wird – Monarchie, zB.
    Im Spiegel gabs mal ein gutes Interview mit einem (wenn ich mich nicht irre) indonesischen Politikprofessor. http://www.spiegel.de/spiegel/inhalt/0,1518,554273,00.html

    Menschen wollen in erster Linie, dass die Milch morgens um 7 vor der Tür steht und es Bananen im Supermarkt gibt, mit mangelnder Selbstbestimmung finden sie sich eher ab. Ich bin mal so dreist und behaupte, dass es die DDR immer noch gäbe, wenn sie durch ein Wunder deutlich reicher gewesen wäre (riesiges Diamantenfeld von Ostberlin bis Nowosibirsk oder so), und keine Luxusgüterknappheit geherrscht hätte. Immerhin ist die Möglichkeit Filet zu kaufen auch eine Form von Freiheit.

  17. 17
    Chr

    @#684070:

    Menschen wollen in erster Linie, dass die Milch morgens um 7 vor der Tür steht und es Bananen im Supermarkt gibt, mit mangelnder Selbstbestimmung finden sie sich eher ab.

    Halte ich insbesondere bei verwöhnten, bourgeoisen und postpubertären deutschen Jungerwachsenen in gesteigerten Maße für wahrscheinlich, die allerdings weitaus mehr (für sich) einfordern als banale Bananen im Warenhaussortiment. Ohnehin, die Deutschen haben in ihrer Geschichte keine einzige Demokratie allein hingekriegt, bislang nur wieder abgeschafft. Mal gucken, ob’s auch diesmal wieder klappt. Man kann es ihnen fast nicht verdenken, schließlich hat man Demokratie hier immer wieder von den gereifteren Völkern mit echter demokratischer Tradition vorgesetzt bekommen, ohne dass man sie sich selbst jemals aus eigener Kraft hätte erkämpfen müssen. Vielleicht braucht das deutsche Gemüt einfach auch einen, der sagt, wo es lang geht, der weiß, was gut für einen ist und zu dem man aufschauen kann?

    @#683904:

    „die Demokratie in der Welt [gehen] im Allgemeinen (sic!) gerade ein bisschen den Bach runter (und find das nichtmal besonders schlimm)“

    Mein persönlicher Eindruck ist nicht, dass Diktaturen weltweit derzeit sehr viel besser aussehen als Demokratien – im absoluten Gegenteil. Aber der hängt wahrscheinlich auch vom jeweiligen Wertekanon ab. Mein Großvater hat mir früher zu erklären versucht, ein gerechter Diktator könne weitaus mehr erreichen als in Demokratien erreicht werde. Bei ihm weiß‘ ich wenigstens, welchen Institutionen diese demokratiedistante Einstellung zu verdanken ist.

    Ich find‘ im Übrigen nicht, dass Mahbubani irgendwas neues oder sonstwie spannendes äußert und sich letztlich – das wird dir auch nicht entgangen sein – für die demokratische Idee ausspricht.

  18. 18

    Dass Silvio Berlusconi das tut, ist verständlich. Welcher Kriminelle, den man zu einigen hundert Jahren verurteilen würde, könnte man ihm all seine Verbrechen nachweisen, würde das nicht tun? Unbegreiflich ist – und das ist das eigentliche Problem – dass er“™s tun kann.

  19. 19

    das ist eine sehr subjektive einschätzung, die ich nur aus meinen persönlichen beobachtung speisen kann, aber: ich habe das gefühl, das die italiener die bundespolitik als nicht so wichtig empfinden. auf der piazza, im dorf, in der kleinstadt, am strand, in der bar…woauchimmer ist es von deutlich grösserem belang, was der bürgermeuster macht oder sagt oder tun will, als silvios eskapaden. berlusconi bildet in der wahrnehming innerhalb italiens eher so ein hintergrundrauschen zwischen „affari tuoi“ und den 6-stündigen sonntagshows auf allen programmen.

    aber wie gesagt: ich kann mich in dieser einschätzung auch kapital irren. was man den italienern aber auf jeden fall nachsagen kann ist eine absolute obrikeits hörigkeit (ich nehme „komische formulierungen“ für 500), desegen mucken sie vieleicht nicht gegen silvio auf.

    bin mal gespannt ob das beppe grilo-movement ws bewirken kann. ich hoffe es.

  20. 20
    Jens

    @#684665: dito, ich habe den Eindruck, das sämtliche Italiener dermaßen mit sich selbst beschäftigt sind, dass nationale Belange bei denen überhaupt nicht ankommen. Aber (!) Romänen wiederum nehmen sie gerade momentan scheinbar sehr deutlich wahr. Alles Egoisten, Nationalisten oder Ignoranten?