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Schreiben im WWWeb

Ich beschäftige mich jetzt schon eine Weile mit den Eigenarten des Schreibens im Netz und habe mir mittlerweile selbst ein paar grundlegende Regeln auferlegt, denen ich mal mehr, mal weniger folge. Jakob Nielsen, der olle Usability-Guru, schrieb schon 1997 darüber, wie Menschen im Netz lesen: „žThey don’t“. Darüber kann man vortrefflich streiten, denn tatsächlich lese ich im Netz ziemlich viel. Das folgt allerdings anderen Grundlagen, als offline, wo ich mich auch mal durch ein Buch kämpfe, dessen Thema mich nur periphär interessiert.

Der Unterschied zwischen Online- und Offline-Rezeption: offline bin ich grundsätzlich auf ein Medium fokussiert, während ich im Netz einem diffusen Info-Strom ausgesetzt bin. Den scanne ich, streckenweise (wie bei Seiten wie Reddit oder Digg) in einer abartigen Geschwindigkeit und ich halte in diesem Fall nur dann an, wenn ich von der Idee, die hinter einer Headline liegen könnte, wirklich überzeugt bin. In meinem Feedreader habe ich die amerikanischen Massenposter von Gawker über Digg bis Reddit in drei Ordner sortiert: The Good, The Bad und The Ugly. Und bei allen lese ich maximal die Headline. Denn was online maximal zählt, ist die Idee hinter einem Posting, und die sollte in der Headline (nicht zu sehr, aber dann eben doch:) detailliert enthalten sein.

Wie diese Idee im auf die Überschrift folgenden Posting textlich behandelt wird, ist für die Rezeption online völlig irrelevant. Wenn mich die Idee hinter einem Artikel mitreisst, kann sie noch so stümperhaft formuliert sein, mitgerissen bin ich nämlich dennoch. Natürlich tut einer guten Idee ein schöner Text keinen Abbruch (obwohl: manchmal eben doch), aber er ist schlichtweg egal. Das mag jetzt so manchen Literaturmenschen da draußen zwar ungeheuerlich erscheinen, es ist allerdings so. Ausgenommen aus diesem Schema sind übrigens explizit literarische Texte, für die gelten online dieselben Regeln wie offline. Wenn es allerdings darum geht, Dinge weiterzugeben, Fundstücke oder Videos, Bilder von im Kreis hüpfenden Katzen, dann ist der begleitende Text in seiner Form irrelevant und die Headline maximal wichtig. Denn wenn ich im Kreis hüpfende Katzen mit der Headline „žGuck mal“ beginne, dann sind die Hundeliebhaber sauer, weil sie auf mich reingefallen sind. Und ob ich unter die im Kreis hüpfenden Katzen einen langen, schön geschriebenen Text über mein unverständnis gegenüber der Katzenhaarallergie tippe, oder das Wörtchen „žWhoooohoo“, ist für die Idee der Sie-wissen-schon-wie hüpfenden Katzen völlig unerheblich.

Deshalb beschreibe ich, wenn ich nicht grade eine Geschichte schreibe, den Inhalt der Postings möglichst genau schon in der Headline, beginne im folgenden Text nocheinmal mit einer Beschreibung desselben und tippe dann erst, wenn mir noch Geschichten dazu einfallen, einen Text dazu, der mal mehr, mal weniger schön formuliert ist. Skelliewag beschreibt das so: „žGreat headlines hint at the great ideas to follow. Great opening sentences hint at the same.“ Und ich ärgere mich jedesmal, wenn ich eine Story oder eine Idee verpasse, die mich wirklich mitreisst, nur weil in der Headline was von Schuhsohlen und im Text was von Zugfahrten steht, wenn es tatsächlich im Katzen geht, die im Kreis hüpfen. Und weil Malte da grundsätzlich ganz anderer Meinung ist, als ich, schreibt er morgen (oder so) einen wunderwunderschönen Text, der eine Katze in der Headline enthält und mit Käsereiben einsteigt, obwohl er eigentlich vom Schreiben im Internetz handelt.

19 Kommentare

  1. 01
    Pipi

    Lieber René
    [/* End Contact Form CSS */]

    Meine Frau wurde soeben von einem Riesigen Moskito gestochen.
    Darauf hin habe ich den Telefonischen Notruf gewählt.
    Dieser wurde über die Rezeption an
    die Rettungsstelle weitergeleitet.

    Die Hilfe war in kürzester Zeit erfolgt.

    Kann nicht beurteilen, ob die Hilfe schneller da gewesen wäre,
    wenn der Notruf direkt erfolgt.

    Sieht bisher nicht allzu gut aus.

    Alles Liebe

  2. 02

    Und weil Malte da grundsätzlich ganz anderer Meinung ist, als ich, schreibt er morgen (oder so) einen wunderwunderschönen Text, der eine Katze in der Headline enthält und mit Käsereiben einsteigt, obwohl er eigentlich vom Schreiben im Internetz handelt.

    Darauf bin ich jetzt schon gespannt! *freu*

    Und was mir seit einigen Tagen durch den Kopf geht: Gibt es eine Art Direkt-Link zum aller-allerersten Spreeblick Eintrag? Den würde ich gerne mal lesen

  3. 03

    Ja und vorallem muss man natürlich auch Rücksicht nehmen auf alle armen Leute die sich brennend für Zugfahrten mit/und/oder Käsereiben interessieren und dann nur Katzenvideos kredenzt bekommen. Verstößt absolut gegen alles was der olle Nielsen je von sich gegeben hat. Übrigens, warum wird der grad in den letzten Tagen so inflationär zitiert? Hat der ein Best-Of rausgebracht? Hat er was positives über Obamas Webseite gesagt? Oder über Katzenvideos? …

  4. 04

    @#686677:

    hier ist der link.
    und wenn du noch mehr alte artikel lesen willst – oben (in der allerallerobersten spalte) geht es zum archiv:)

  5. 05
    Peter H aus B

    Literarische Texte gehen online gar nicht. Vergebene Liebesmüh‘.
    Ich weiss auch nicht, wie oft ich schon versucht habe, auf Newton, Palm, Treo oder iPhone ein E-Buch zu lesen – es soll nicht sein. Literarische Texte brauchen Papier.
    Ich bin, was das anbetrifft, ziemlich old-school.

  6. 06

    Puh! Das war jetzt anstregend zu lesen, aber konnte ich das vom Titel her erahnen?!
    Ich liebe lustige Titel! Irgendwie ist es mir auch egal, wenn dann jemand den Inhalt verpasst, weil ihm der Titel komisch vorkam.

  7. 07
    Maya

    einen Artikel über das Schreiben im WWW sollte vielleicht lieber jemand schreiben, der sich damit auskennt. „Copy and Paste Nerdcore“ ist an dieser Stelle mit Sicherheit der völlig falsche Mann.

    Aber wie wärs mal mit einem Artikel namens „Wie kopiere ich mir ein eigenes Blog aus fremden Inhalten zusammen“.

  8. 08
    heidrun

    einen text darüber schreiben, dass der text unter einer headline scheissegal ist. interessanter ansatz. in diesem fall stimmt das auch noch. scnr

  9. 09

    @#686680: Vielen Dank lieber Malte!
    Das Archiv an sich kannte ich schon. Nur gibt es da ja immer nur einen Link auf „ältere Artikel“ und keine Auswahl gezielt nach Jahren. Ich hatte einfach keine Lust mich von 2008 nach 2002 durchzuklicken ;)

  10. 10

    @#686693: >“Wie kopiere ich mir ein eigenes Blog aus fremden Inhalten zusammen“

    Naja, also die Kultur-Technik Cut’n’Paste sollte uns allen geläufig sein, die muss man nicht mehr erklären. Ansonsten hätte ich von Dir (stellvertretend für die ganzen Kritiker) gerne mal ne Erklärung, was daran so übel sein soll. Wirklich, interessiert mich.

  11. 11

    Ja:
    Als Selbstzweck ist die „Ich fang bei „Z“ an und lande dann – völlig überraschend! – bei A.“ sicherlich nervtötend.
    Und Nein:
    Die Kunst, eine textimmanente Pointe an den Anfang (sprich als Überschrift oder Einleitung) zu setzen, treibt allerdings nicht selten die schönsten Stil-Blüten. Und ist deshalb für mich Herausforderung und virtueller Freudenspender.

  12. 12

    Ich kann gut nachvollziehen was du meinst damit, das die Überschrift völlig am Thema vorbei geht. Allerdings gibt es Situationen welche man erlebt oder Dinge die uns zufällig einfallen wo man erst später auf das eigentliche Thema kommt, weil manchmal die persönliche Extravaganz und die eigenen Synapsen einem ein Schnippchen schlagen und damit man erst die eigentliche Ironie der Geschichte bemerkt.

  13. 13

    Die Essenz dieses Posts hab ich doch erst kürzlich bei Nerdcore gelesen, es scheint dir keine Ruhe zu lassen.

  14. 14

    @#686803: *g* Ich weiß, es gab da ne kurze interne Diskussion, deshalb auch nochmal hier ;)

  15. 15
    Schnutinger

    Ich hatte gerade die FAS vor mir aufgeschlagen liegen, da scanne ich doch genau wie im Feedreader die Überschriften nach Dingen, die mich interessieren oder eben nicht. Insofern: Der interessensgeleitete Ansatz ist doch der Gleiche, egal ob in Print oder Internet.

    Die Fokussierung ist allerdings ein anderes Thema: Da merke ich bei mir einen gravierenden Unterschied zwischen Internet und Zeitung. Ich persönlich lese einen Zeitungsartikel wesentlich konzentrierter als einen Artikel im Internet – ich weiß nicht, woran es liegt, ob an den ätzenden, blinkenden Werbebannern, die mich immer total meschugge machen, oder an dem flimmernden Monitor, irgendwas lässt mich vor dem Bildschirm unruhiger sein, als vor einem aufgeschlagenen Blatt Papier.

  16. 16

    Vor einiger Zeit schrieb ich zum Thema Internet die folgende provokante, höchst umstrittene ERKLÄRUNG! Ich glaube, die paßt an dieser Stelle. Bloß gut, daß das hier kein gewöhnliches Forum ist;)

    – Lirum, Larum, Forum — warum? –
    (nur ein paar Gedanken)

    Herzlich Willkommen in der Welt der Unzufriedenen und Gescheiterten, der Ratschläger und —süchtigen, willkommen im Jammertal, willkommen im Forum. Hier erfährt man alles, was man nicht wissen will und noch viel mehr. Von Abführmittelnebenwirkungen bis zur detailierten Anleitung zum Gedichtschreiben wird alles verbal breitgelatscht, aufgewärmt und ausgetauscht, kostenlos und meist umsonst. Hilferufe wie „žHabe grad vier Potenzpillen eingeworfen, wer hat ähnliche Erfahrungen gemacht?“ werden prompt mit beruhgigenden Wortsalben wie „žHabe mal zehn auf einmal geschluckt — ist nichts passiert!“ beantwortet. Das beruhigt und nichts anderes wollen Forenbesucher: beruhigt werden, bestätigt werden. Nur leider sind Foren der Spiegel der Gesellschaft, oder vielmehr eines Teils davon, und so stößt der Ratsuchende auf eine Vielzahl von Antworten. Hatte er vorher eine vage Vermutung, so hat er nun mindestens drei, denn die Ratgeber werden nicht müde. Der Klassiker in Medizinforen ist der Rat: „žGeh lieber mal zum Arzt“, etwas auf das der Fragende nie und nimmer selbst gekommen wäre und deshalb unbedingt des Forumsbesuchs bedurfte.

    Aber warum lang mit Details aufhalten, werden wir allgemein:

    Was ist das eigentlich, ein Forum? Nun, der Wortbedeutung nach ist ein Forum ein altrömischer Marktplatz, ein Gerichtsort, aber auch die Öffentlichkeit selbst oder eine öffentliche Diskussion. So meint es der Duden und da der Deutsche beinah religiös an den Duden glaubt und ich mich weder dieser Staatsangehörigkeit noch dieses Glaubens erwehren kann, so sage ich: Ja! Ja, es ist ein Marktplatz auf dem Mann, Frau, hetero, schwul, lesbisch, meinetwegen auch bi, blind, taub, stumm, links, rechts, liberal, schwarz, weiß, grün oder gelb, gebildet, dumm, dummdreist eine Antwort findet, die zu seiner Frage paßt. Mag sie nun richtig sein oder nicht, das spielt meist keine Rolle, denn Foren sind vor allem ein Marktplatz der Eitelkeiten, wo Dabeisein noch alles ist und wo man recht hat, wo jeder recht hat, wo man diskutiert, nicht um vielleicht eines besseren belehrt zu werden oder Austausch zu pflegen, sondern um knallhart und kompromisslos seinen Standpunkt, den sonst nirgends jemand hören will, einmal in aller Deutlichkeit loszuwerden – und (was noch viel wichter ist) um Anhänger zu finden, die möglichst ins gleiche Horn stoßen. Doch sollte das mit nichts zu erreichen sein, dann will man wenigstens die Sau rauslassen und wild um sich beleidigen. Und hier greift die Wortbedeutung Gerichtsort. Wie wird da doch gerichtet! Wer eine Meinung nicht annehmen will, weil er sie aus einer Belanglosigkeit heraus, nennen wir es feste Überzeugung, einfach nicht annehmen kann, wird schnell zum Deppen verurteilt, zum Arsch, zum Wixxer (beliebte Schreibweise). Denn wer sich in Foren begibt und nicht zufällig auf der ratsuchenden Seite steht, der steht zwangsläufig auf der Ratgeberseite und diese ist militant und aggressiv wie ein Schwarm aufgescheuchter Wespen. Und hier sind wir auch schon beim nächsten Phänomen: Der Grüppchenbildung. Nun, Phänomen ist zuviel gesagt, ist es doch normal, sich mit denen zu umgeben, deren Horizont genauso weit reicht wie der eigene. Wer einen Arbeitsplatz hat, der kennt das: Man geht zusammen zur Pause, raucht eine zusammen (wenn man raucht und noch rauchen darf), man trifft sich nach der Arbeit und manchmal wechselt man auch die Fronten und schließt sich einer anderen Gruppe an. Letzteres geschieht in Foren nicht. Da bleibt man meist zusammen und lobt die kompetenten Kommentare der Mituser, die man ja nicht hätte besser abgeben können. Hier ist die gleiche Gesinnung noch Gleichschaltung. Das erfährt der Neuling sehr bald. Wer es dennoch lange in einem Forum aushält, der gibt seinen anfänglichen Widerstand meist auf und schließt sich den Mächtigsten und Lautesten, die wie im wahren Leben nicht immer die hellsten sind, an und wartet mit denen wie eine Spinne im virtuellen Netz auf die nächste arglose Fliege.